Der Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen

Der Arbeitgeber darf bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs eine unternehmerische Entscheidung treffen, welche den bisherigen Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Menschen durch eine Organisationsänderung entfallen lässt. Die in § 164 Abs. 4 SGB IX (bis 31.12 2017: § 81 Abs. 4 SGB IX aF) vorgesehenen Ansprüche schwerbehinderter Menschen sind lediglich bei der Prüfung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu berücksichtigen.

Der Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen

So auch in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall: Es liegt ein formwirksamer Interessenausgleich mit Namensliste vor, der bei unveränderter Sachlage (§ 125 Abs. 1 Satz 2 InsO) die Rechtsfolgen des § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO auslöst. Die Arbeitgeberin war gemäß § 279 Satz 1 InsO im Rahmen der Eigenverwaltung berechtigt, einen solchen Interessenausgleich abzuschließen. Eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG war gegeben. Um eine Betriebsänderung handelt es sich auch bei einem bloßen Personalabbau, wenn die Zahlen und Prozentangaben des § 17 Abs. 1 KSchG erreicht sind1. Der Personalabbau überschritt hier die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG. Von 73 Arbeitnehmern sollten 17 gekündigt werden. Dies sind mehr als zehn vom Hundert der Belegschaft. Insoweit besteht zwischen den Parteien kein Streit.

Aufgrund der namentlichen Benennung des Arbeitnehmers in der Namensliste des Interessenausgleichs wird nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung vom 27.04.2016 durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt ist. Diese Vermutung wäre widerlegt, wenn der Arbeitnehmer substantiiert dargelegt und im Bestreitensfall bewiesen hätte, dass der nach dem Interessenausgleich in Betracht kommende betriebliche Grund in Wirklichkeit nicht besteht2 oder die beabsichtigte Änderung der betrieblichen Aufgabenverteilung aus rechtlichen Gründen nicht umgesetzt werden darf.

Dies ist dem Arbeitnehmer nicht gelungen.

Er bestreitet die Umverteilung seiner bisherigen Aufgaben auf die anderen in der Kernmacherei tätigen Mitarbeiter nicht und behauptet auch nicht, diese würden hierdurch übermäßig belastet3. Insoweit greift er die gesetzliche Vermutung nicht an. Damit steht fest, dass nach dem neuen Organisationskonzept das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer auf seinem bisherigen Arbeitsplatz entfallen ist, auch wenn die von ihm bislang verrichteten Tätigkeiten – in geringerem Umfang – noch zu erledigen sind.

Der Arbeitnehmer verlangt jedoch unter Berufung auf seinen gesetzlichen Beschäftigungsanspruch als schwerbehinderter Mensch die Rückgängigmachung der Organisationsänderung, die zum Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes geführt hat, oder die Schaffung eines zusätzlichen, auf ihn zugeschnittenen Arbeitsplatzes. Hierauf hat er keinen Anspruch. Der Arbeitgeber darf eine unternehmerische Entscheidung treffen, welche den bisherigen Arbeitsplatz des schwerbehinderten Menschen durch eine Organisationsänderung entfallen lässt. Dessen Beschäftigungsanspruch ist dann erst bei der Prüfung etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu berücksichtigen. Ist eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auch unter Beachtung dieses besonderen Anspruchs nicht vorhanden, kann eine betriebsbedingte Kündigung nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften sozial gerechtfertigt sein.

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Entgegen der Auffassung des Beklagten ist dem Bundesarbeitsgericht eine Prüfung der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung unter dem Gesichtspunkt der im SGB IX kodifizierten Beschäftigungspflicht nicht verwehrt, weil das Verwaltungsgericht Arnsberg mit Urteil vom 21.11.20174 bereits rechtskräftig entschieden hat, dass die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers zu Recht erteilt wurde. Das Verwaltungsgericht hat zwar ebenso wie das Integrationsamt die §§ 85 ff. SGB IX aF bezogen auf die beabsichtigte Kündigung des Arbeitnehmers geprüft. Bei Berücksichtigung des Grundsatzes der Unabhängigkeit der Gerichtszweige hindert dies die Gerichte für Arbeitssachen aber nicht an einer Prüfung der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften, auch wenn diese im Kontext zu Normen des SGB IX stehen, welche ebenso im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu beachten sind5.

Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Dieser wird flankiert durch Ansprüche auf behinderungsgerechte Arbeitsstätten und Arbeitsplätze einschließlich der Arbeitsorganisation (vgl. § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX). Solche Ansprüche bestehen allerdings nicht, soweit ihre Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX). Im bestehenden Arbeitsverhältnis können schwerbehinderte Menschen daher bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen. Dies führt zu einer Einschränkung der Organisationsfreiheit des Arbeitgebers, denn dieser ist zu einer behinderungsgerechten (Um-)Gestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet, um den Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen zu erfüllen. Gegebenenfalls hat er eine diesem entgegenstehende betriebliche Umstrukturierung sogar rückgängig zu machen6. Kann ein schwerbehinderter Arbeitnehmer die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dies nicht ohne Weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruchs. Er kann dann vielmehr einen Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht erfasst, eine entsprechende Vertragsänderung verlangen7. Dabei ist er nicht verpflichtet, den Arbeitgeber vorab auf Zustimmung zur Vertragsänderung zu verklagen. Der Anspruch auf eine den Kenntnissen und Fähigkeiten des schwerbehinderten Menschen angepasste Beschäftigung8 besteht vielmehr unmittelbar kraft Gesetzes9. Der schwerbehinderte Mensch kann zudem beanspruchen, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden, wenn die verlangte Beschäftigung dem Arbeitgeber zumutbar ist10.

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§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX geben dem schwerbehinderten Menschen jedoch keine Beschäftigungsgarantie. Diese Vorgaben des SGB IX betreffen ausgehend von dem konkreten Gesundheitszustand des einzelnen schwerbehinderten Menschen nur die Durchführung des Arbeitsverhältnisses. Die unternehmerische Entscheidungsfreiheit bezüglich der Organisation des Betriebs bleibt im Übrigen unberührt. Der Arbeitgeber ist durch die gesetzliche Regelung nicht gehindert, eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Entfall des Arbeitsplatzes eines schwerbehinderten Menschen führt. Die soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung hängt dann bezogen auf das Beschäftigungsbedürfnis allein von der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ab. Ist eine Beschäftigung auf dem bisherigen oder einem anderen freien Arbeitsplatz nicht möglich, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten11. Das SGB IX verlangt zudem nicht die Entlassung anderer Arbeitnehmer, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen verwirklichen zu können. Vorausgesetzt ist vielmehr das Vorhandensein freier Arbeitsplätze. Danach scheidet eine Pflicht des Arbeitgebers zur „Freikündigung“ jedenfalls dann aus, wenn der Inhaber der infrage kommenden Stelle den allgemeinen Kündigungsschutz genießt12.

§ 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX verbieten dem Arbeitgeber dementsprechend nicht, eine unternehmerische Entscheidung zu treffen, welche das Beschäftigungsbedürfnis für einen schwerbehinderten Menschen entfallen lässt. Die Norm gewährt keinen absoluten Schutz vor einer betriebsbedingten Kündigung, wie der Arbeitnehmer annimmt. Der gesetzliche Beschäftigungsanspruch hat vielmehr nur Bedeutung für die im Rahmen der allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzvorschriften zu prüfenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten.

Findet der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung auf ein Arbeitsverhältnis, ist eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung diskriminiert, nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam13. Bei der Prüfung von Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, sind die Diskriminierungsverbote des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten14. Auch einem schwerbehinderten Menschen kann daher wirksam gekündigt werden, wenn die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse, die seiner Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

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Dringende betriebliche Erfordernisse liegen vor, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Ein kündigungsrechtlich relevanter Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann auch aus einer organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers folgen, die ökonomisch nicht zwingend geboten war. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur daraufhin, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist15. Im Insolvenzfall kommt bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zum Tragen.

Dies gilt auch bei der Kündigung schwerbehinderter Menschen. Im Hinblick auf eine etwaige Sozialauswahl verschlechtert § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO die Rechtsposition dieser sogar, denn die Schwerbehinderung ist – anders als bei § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG – nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kein Kriterium bei der ohnehin eingeschränkten Nachprüfung der sozialen Auswahl16. Hinsichtlich des besonderen Kündigungsschutzes beschränkte sich das SGB IX in der bis zum 31.12 2017 geltenden Fassung darauf, die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen nach § 85 SGB IX aF von der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts abhängig zu machen. Dieses sollte jedoch bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers unter den Voraussetzungen des § 89 Abs. 3 SGB IX aF seine Zustimmung erteilen. Hieran hat die Neufassung des SGB IX nichts geändert (vgl. §§ 168, 172 Abs. 3 SGB IX). Seit dem 1.01.2018 ist allerdings zudem die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zu beteiligen, anderenfalls ist die Kündigung unwirksam (§ 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).

Der Gesetzgeber hat damit sowohl den allgemeinen als auch den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen differenziert ausgestaltet. § 81 Abs. 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 SGB IX sind keine Bestandteile dieses Regelungssystems. Die Vorschriften beziehen sich auf die Durchführung, nicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen. Dementsprechend knüpfen § 81 Abs. 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 SGB IX jeweils an die konkrete Situation des schwerbehinderten Menschen in Bezug auf seinen Gesundheitszustand, seinen Bedarf an beruflicher Bildung sowie sein Arbeitsumfeld an. Der im SGB IX kodifizierte Beschäftigungsanspruch des schwerbehinderten Menschen geht von der Durchführung, dh. dem Fortbestand, des Arbeitsverhältnisses aus.

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Auch wenn § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX damit einer unternehmerischen Entscheidung, welche den Beschäftigungsbedarf durch eine Umverteilung der bisher von dem betroffenen schwerbehinderten Menschen ausgeübten Tätigkeiten entfallen lässt, nicht entgegenstehen, ist diese Entscheidung nicht gänzlich unangreifbar.

In Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, muss der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen17. Es sollen Kündigungen vermieden werden, die zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen. Außerdem soll verhindert werden, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden18. Diese gesteigerte Darlegungslast des Arbeitgebers schützt auch schwerbehinderte Arbeitnehmer. Eine Verschlechterung ihrer Position im Kündigungsschutzprozess müssen sie ebenso wie nicht behinderte Arbeitnehmer allenfalls durch § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO hinnehmen.

Selbst wenn der Arbeitgeber die organisatorische Durchführbarkeit seiner Organisationsentscheidung dargelegt hat oder diese nach § 1 Abs. 5 KSchG bzw. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet wird, unterliegt seine unternehmerische Entscheidung noch einer Missbrauchskontrolle. Diese soll Verstöße gegen gesetzliche und tarifliche Normen genauso verhindern wie Diskriminierung und Umgehungsfälle19. Inhaltlich kommt die Missbrauchskontrolle dann einer echten Rechtskontrolle gleich20. Einer solchen Kontrolle hält die Organisationsentscheidung nicht stand, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer beweisen kann, dass sie getroffen wurde, um sich den Belastungen zu entziehen, welche aus den besonderen Rechten schwerbehinderter Menschen folgen. Dies wäre eine nach § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG verbotene Diskriminierung wegen der Behinderung.

Ist eine solch gesetzwidrige Zielsetzung nicht feststellbar und hält die unternehmerische Entscheidung auch sonst einer gerichtlichen Kontrolle stand, so kann die betriebsbedingte Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen sozial gerechtfertigt sein, wenn für ihn im Kündigungszeitpunkt keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht21. Bei der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit sind allerdings die in § 81 Abs. 4 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX vorgesehenen Ansprüche schwerbehinderter Menschen zu berücksichtigen22. Dies hat zur Folge, dass der Arbeitgeber, soweit zumutbar, einem spezifischen Umschulungs- und Fortbildungsbedarf nachkommen muss und gegebenenfalls eine behinderungsgerechte Einrichtung des freien Arbeitsplatzes vorzunehmen hat.

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Im vorliegenden Fall ist die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht widerlegt. Ausgehend vom Sachvortrag des Arbeitnehmers sind keine Anzeichen dafür ersichtlich, dass die Arbeitgeberin im Rahmen der Eigenverwaltung den vom Arbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz hat entfallen lassen, um ihren besonderen Verpflichtungen gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer zu „entgehen“. Der Arbeitnehmer hat auch keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz aufgezeigt, weder zu unveränderten noch zu veränderten Bedingungen. Er hat nur die Rückgängigmachung der Organisationsänderung oder die Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes gefordert. Hierauf hat er – ohne dass es auf Zumutbarkeitserwägungen ankäme – aus den dargelegten Gründen keinen Anspruch.

Die Arbeitgeberin erfüllte auch nach den auf der Grundlage des Interessenausgleichs mit Namensliste erfolgten Kündigungen noch die Mindestbeschäftigungsquote des § 71 Abs. 1 SGB IX aF bzw. § 154 Abs. 1 SGB IX. Dessen ungeachtet hätte ein Unterschreiten dieser Quote die unternehmerische Entscheidungsfreiheit der Arbeitgeberin bezogen auf die Anzahl der zu besetzenden Arbeitsplätze nicht nach § 81 Abs. 3 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 3 SGB IX eingeschränkt. Diese Vorschriften knüpfen zwar an die Beschäftigungspflicht nach § 71 Abs. 1 SGB IX aF bzw. § 154 Abs. 1 SGB IX an und verpflichten den Arbeitgeber zur Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen dafür, dass im Rahmen der von ihm vorgegebenen Belegschaftsstärke wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann. Sie begründen jedoch nur eine Organisationspflicht des Arbeitgebers, ohne Individualansprüche des schwerbehinderten Menschen zu schaffen23. Eine Pflicht zur Schaffung oder Erhaltung nicht benötigter Arbeitsplätze besteht deshalb nach diesen Vorschriften nicht24.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Mai 2019 – 6 AZR 329/18

  1. st. Rspr., vgl. zB BAG 20.09.2012 – 6 AZR 155/11, Rn. 17, BAGE 143, 150; 19.07.2012 – 2 AZR 352/11, Rn. 17, BAGE 142, 339[]
  2. BAG 19.12 2013 – 6 AZR 790/12, Rn.19, BAGE 147, 89[]
  3. vgl. hierzu BAG 12.03.2009 – 2 AZR 418/07, Rn. 24; ErfK/Gallner 19. Aufl. InsO § 125 Rn. 8[]
  4. VG Arnsberg 21.11.2017 – 11 K 5022/16[]
  5. vgl. BAG 23.05.2013 – 2 AZR 991/11, Rn. 28, BAGE 145, 199[]
  6. vgl. BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, Rn. 26; zur Einschränkung der unternehmerischen Freiheit vgl. auch Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 164 Rn. 178; Gutzler in Hauck/Noftz SGB IX Stand November 2017 K § 164 Rn. 38[]
  7. BAG 15.10.2013 – 1 ABR 25/12, Rn. 24[]
  8. Neumann in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 164 Rn. 25[]
  9. BAG 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 299; insoweit kritisch Boecken RdA 2012, 210, 213[]
  10. vgl. BAG 17.03.2016 – 6 AZR 221/15, Rn. 43, BAGE 154, 268[]
  11. vgl. BAG 14.03.2006 – 9 AZR 411/05, Rn.19; 22.11.2005 – 1 ABR 49/04, Rn. 33, BAGE 116, 223; 4.10.2005 – 9 AZR 632/04, Rn. 23, BAGE 116, 121; 10.05.2005 – 9 AZR 230/04, zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 299; Neumann in Neumann/Pahlen/Winkler/Jabben SGB IX 13. Aufl. § 164 Rn. 25; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. Bd. 2 § 198 Rn. 61[]
  12. vgl. BAG 20.11.2014 – 2 AZR 664/13, Rn. 32 ff. mwN[]
  13. vgl. BAG 23.07.2015 – 6 AZR 457/14, Rn. 23, BAGE 152, 134; 19.12 2013 – 6 AZR 190/12, Rn. 14 ff., BAGE 147, 60[]
  14. vgl. BAG 20.06.2013 – 2 AZR 295/12, Rn. 36, BAGE 145, 296; 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 34 ff., BAGE 128, 238[]
  15. vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14, Rn. 32 f.[]
  16. vgl. BAG 19.12 2013 – 6 AZR 790/12, Rn. 22, BAGE 147, 89[]
  17. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 650/14, Rn. 34 mwN; 24.05.2012 – 2 AZR 124/11, Rn. 23[]
  18. BAG 27.04.2017 – 2 AZR 67/16, Rn. 34, BAGE 159, 82; vgl. auch BAG 18.06.2015 – 2 AZR 480/14, Rn. 34, BAGE 152, 47[]
  19. vgl. BAG 27.01.2011 – 2 AZR 9/10, Rn. 18; 21.09.2006 – 2 AZR 607/05, Rn. 31[]
  20. vgl. hierzu APS/Kiel 5. Aufl. KSchG § 1 Rn. 458; ErfK/Oetker 19. Aufl. KSchG § 1 Rn. 240; Däubler/Deinert/Zwanziger/Deinert BAGchR 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 270[]
  21. vgl. hierzu BAG 27.07.2017 – 2 AZR 476/16, Rn. 26, 31 mwN[]
  22. vgl. auch KR/Rachor 12. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244[]
  23. FBAG-SGB IX/Faber/Rabe-Rosendahl 4. Aufl. § 164 Rn. 27 ff., 32; Kohte in KKW 6. Aufl. SGB IX §§ 164, 165 Rn. 10[]
  24. vgl. ErfK/Rolfs 19. Aufl. SGB IX § 164 Rn. 8; MHdB ArbR/Zimmermann 4. Aufl. Bd. 2 § 198 Rn. 58; aA Fabricius in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB IX Stand 4.02.2019 § 164 Rn. 63 f.; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 4. Aufl. § 71 Rn. 6; für eine Verpflichtung, bei Reorganisationsmaßnahmen bereits beschäftigten schwerbehinderten Menschen Ersatzarbeitsplätze zur Verfügung zu stellen: Düwell in LPK-SGB IX 5. Aufl. § 164 Rn. 175[]
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