Der ehemalige Jugend- und Auszubildendenvertreter – und die zweistufige tarifliche Ausschlussfrist

Tarifliche Ausschlussfristen, die in ihrer zweiten Stufe eine „gerichtliche Geltendmachung“ verlangen, werden nicht dadurch gewahrt, dass ein (ehemaliger) Jugend- und Auszubildendenvertreter dem Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG entgegentritt.

Der ehemalige Jugend- und Auszubildendenvertreter – und die zweistufige tarifliche Ausschlussfrist

Tarifliche Ausschlussfristen, die in ihrer zweiten Stufe eine „gerichtliche Geltendmachung“ verlangen, sind verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass mit Erhebung einer Bestandsschutzklage (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollklage) die vom Erfolg der Bestandsschutzstreitigkeit abhängigen Ansprüche gerichtlich geltend gemacht sind1. Der Wortsinn einer „gerichtlichen Geltendmachung“ verlangt nicht zwingend, dass gerade der Streitgegenstand „Vergütung“ zum Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gemacht wird2. Es genügt eine prozessuale Auseinandersetzung über den Anspruch3.

Es kann dabei für das Bundesarbeitsgericht dahingestellt bleiben, ob in dem vom Arbeitgeber einzuleitenden Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG eine prozessuale Auseinandersetzung in diesem Sinne zu sehen ist. Hierfür könnte sprechen, dass der betroffene Jugend- und Auszubildendenvertreter, wenn er dem Antrag des Arbeitgebers entgegentritt, sein individual-rechtliches Interesse an der Fortsetzung seiner Tätigkeit bei dem Arbeitgeber aufgrund eines Arbeitsverhältnisses wahrnimmt, das infolge seines schriftlichen Weiterbeschäftigungsverlangens entstanden ist, und er ausschließlich zur Wahrung dieses Interesses am Beschlussverfahren zu beteiligen ist4. Die geltend gemachten Ansprüche auf Annahmeverzugslohn waren jedenfalls nicht vom Ausgang des Beschlussverfahrens abhängig.

Während im Bestandsschutzverfahren (Kündigungsschutz- oder Befristungskontrollverfahren) bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung ungeklärt ist, ob das Arbeitsverhältnis über den vom Arbeitgeber behaupteten Beendigungstermin hinaus fortbestanden hat und Annahmeverzugsansprüche bestehen, steht im Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG das Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung fest. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG zielt nicht auf eine feststellende, sondern eine rechtsgestaltende gerichtliche Entscheidung. Diese entfaltet erst mit ihrer Rechtskraft Wirkungen für die Zukunft. Der Auflösungsbeschluss löst das Arbeitsverhältnis erst mit Rechtskraft auf5. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht das Arbeitsverhältnis mit allen sich hieraus ergebenden rechtlichen Folgen. Hat der Arbeitgeber während dieses Zeitraums die angebotene Arbeitsleistung nicht angenommen, ist er wegen Annahmeverzugs zur Entgeltzahlung verpflichtet6.

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Die Ansprüche des Arbeitnehmers für die Zeit vom 01.07.bis zum 31.08.2013 sind zwar sukzessive im Verlauf des Auflösungsverfahrens entstanden, waren aber in ihrem Bestand unabhängig vom Ausgang des Verfahrens.

Der Zugang zu den Gerichten wird durch eine zweistufige tarifliche Ausschlussfrist nicht unzumutbar erschwert. Der Tarifvertrag verlangt vom Arbeitnehmer nicht, Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, bevor der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geklärt ist. Auch werden dem Arbeitnehmer mit der Obliegenheit, während des noch laufenden Auflösungsverfahrens nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG entstandene Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs einzuklagen, keine zusätzlichen, vermeidbaren Kostenrisiken auferlegt. Das auf die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung gerichtete Beschlussverfahren nach § 78a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BetrVG, mit dessen Einleitung der Arbeitgeber den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zur Rechtskraft des Auflösungsbeschlusses nicht in Abrede stellt, bietet keine Grundlage für die Klärung im Verlauf des Verfahrens entstandener Vergütungsansprüche.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2016 – 5 AZR 853/15

  1. st. Rspr., vgl. BAG 24.09.2014 – 5 AZR 593/12, Rn. 28, BAGE 149, 169; 24.06.2015 – 5 AZR 509/13, Rn. 28, BAGE 152, 75[]
  2. BAG 19.09.2012 – 5 AZR 924/11, Rn. 25; zur Auslegung der zweiten Stufe einer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Ausschlussfrist BAG 19.03.2008 – 5 AZR 429/07, Rn. 22, BAGE 126, 198[]
  3. BAG 19.05.2010 – 5 AZR 253/09, Rn. 31[]
  4. vgl. BAG 5.04.2000 – 7 ABR 6/99, zu B I 3 c der Gründe[]
  5. vgl. BAG 29.11.1989 – 7 ABR 67/88, zu B II 1 b der Gründe, BAGE 63, 319; 11.01.1995 – 7 AZR 574/94, zu II 2 a der Gründe; Fitting 28. Aufl. § 78a Rn. 39 ff.; ErfK/Kania 16. Aufl. § 78a BetrVG Rn. 10[]
  6. Fitting 28. Aufl. § 78a Rn. 39[]
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