Der Konzernbetriebsrat beim Landkreis – oder: der öffentlich-privatrechtliche Mischkonzern

Auch ein Landkreis als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann herrschendes Unternehmen eines Konzerns iSd. § 54 Abs. 1 BetrVG sein.

Der Konzernbetriebsrat beim Landkreis – oder: der öffentlich-privatrechtliche Mischkonzern

Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kann für einen Konzern (§ 18 Abs. 1 AktG) durch Beschlüsse der Gesamtbetriebsräte oder – unter den Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 BetrVG – der Betriebsräte ein Konzernbetriebsrat errichtet werden.

Das Betriebsverfassungsgesetz bestimmt nicht selbst, wann ein Konzern besteht und welche Unternehmen ihm angehören1. § 54 Abs. 1 BetrVG verweist vielmehr auf § 18 Abs. 1 AktG. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt deshalb kein eigenständiger betriebsverfassungsrechtlicher Konzernbegriff. Maßgeblich sind vielmehr die Regelungen des Aktiengesetzes2. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG bilden ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen einen sog. Unterordnungskonzern, wenn sie unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind. Von einem abhängigen Unternehmen wird nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet.

Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen (herrschendes Unternehmen) unmittelbar oder mittelbar beherrschenden Einfluss ausüben kann. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von einem in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen vermutet, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten Unternehmen abhängig ist. Gehört die Mehrheit der Anteile eines rechtlich selbständigen Unternehmens einem anderen Unternehmen, ist das Unternehmen nach § 16 Abs. 1 AktG ein in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen. Für die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1 AktG ist es unerheblich, in welcher Rechtsform das herrschende und die abhängigen Unternehmen geführt werden. Der Unternehmensbegriff wird in §§ 15 ff. AktG rechtsformneutral verwendet3.

Das Konzernverhältnis setzt neben der Abhängigkeit die tatsächliche Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf wesentliche Teile der Unternehmenspolitik der abhängigen Unternehmen voraus. Diese beherrschende Einflussnahme wird bei Abhängigkeit iSv. § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG vermutet. Um die Vermutung zu widerlegen, ist der Nachweis erforderlich, dass trotz eines beherrschenden Einflusses keine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung besteht. Dazu muss für alle wesentlichen Bereiche der Unternehmenspolitik nachgewiesen werden, dass die Unternehmensentscheidungen ohne beherrschende Einflussnahme der Mehrheitsgesellschaft getroffen werden4. Um die Konzernvermutung zu widerlegen, muss feststehen, dass das herrschende Unternehmen die Mittel, die die Ausübung einheitlicher Leitung ermöglichen, nicht zu diesem Zweck einsetzt und dass die Bereiche, in denen die einheitliche Leitung üblicherweise sichtbar wird, ausschließlich und nachhaltig entsprechend dem uneingeschränkten Eigeninteresse des abhängigen Unternehmens gesteuert werden. Vereinzelte Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens schließen es nicht aus, dass die Konzernvermutung widerlegt ist5. Die Widerlegung der Konzernvermutung setzt voraus, dass Tatsachen behauptet und bewiesen werden, aus denen sich ergibt, dass herrschendes und abhängiges Unternehmen nicht einheitlich geleitet werden, die feststehenden Tatsachen müssen die Annahme einer einheitlichen Leitung ausschließen6. Zur Widerlegung eines beherrschenden Einflusses kommen ua. Satzungsregelungen, eine Stimmrechtsbeschränkung aufgrund eines Stimmbindungsvertrags mit einem vom Mehrheitsaktionär unabhängigen Dritten oder ein Entherrschungsvertrag in Betracht. Entscheidend ist stets eine Gesamtschau aller Umstände7.

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Der Kreis kann als Körperschaft des öffentlichen Rechts herrschendes Unternehmen eines Konzerns iSd. § 54 Abs. 1 BetrVG sein. Dies ist nicht durch ein betriebsverfassungsrechtliches Verständnis des Konzernbegriffs ausgeschlossen. Da § 54 Abs. 1 BetrVG den Konzernbegriff nicht selbst definiert, sondern auf § 18 Abs. 1 AktG verweist, sind für den betriebsverfassungsrechtlichen Konzernbegriff die Regelungen des Aktiengesetzes maßgeblich1. Danach ist es unerheblich, in welcher Rechtsform das herrschende und die abhängigen Unternehmen geführt werden. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind nach der ständigen Rechtsprechung sowohl des Bundesgerichtshofs als auch des Bundesarbeitsgerichts als herrschendes Unternehmen im konzernrechtlichen Sinn anzusehen, wenn sie zumindest ein in privater Rechtsform organisiertes Unternehmen beherrschen8.

Auch aus der Entscheidung des Sechsten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21.10.19809 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Zum einen hat sich der Sechste Senat dort insbesondere mit den Tatbestandsmerkmalen der Abhängigkeit und der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens und nicht mit dem Unternehmensbegriff befasst10. Zum anderen verlangen es die besonderen Erfordernisse des Betriebsverfassungsgesetzes nicht, die Bildung eines Konzernbetriebsrats nach § 54 Abs. 1 BetrVG auszuschließen, wenn die abhängigen Unternehmen unter dem beherrschenden Einfluss einer Körperschaft des öffentlichen Rechts stehen. Sinn und Zweck der Norm gebieten vielmehr die Möglichkeit der Bildung eines Konzernbetriebsrats auch bei Konzernen mit einer Körperschaft des öffentlichen Rechts als Konzernspitze. In Konzernen fallen häufig wesentliche Entscheidungen nicht auf der Unternehmens, sondern auf der Konzernebene. Der Gesetzgeber hat daher für Konzerne die Möglichkeit eröffnet, als Repräsentation aller im Konzern beschäftigten Arbeitnehmer einen Konzernbetriebsrat zu bilden11. Durch die Regelung über die Errichtung eines Konzernbetriebsrats soll eine Beteiligung der Arbeitnehmerschaft im Konzern an den die Einzelunternehmen bindenden Leitungsentscheidungen des Konzerns im sozialen, personellen und wirtschaftlichen Bereich sichergestellt werden. Betriebliche Mitbestimmung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes soll dort ausgeübt werden, wo unternehmerische Leitungsmacht konkret entfaltet und ausgeübt wird12. Wird die Leitungsmacht im Konzern nicht durch einen privatrechtlich organisierten Unternehmensträger, sondern durch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ausgeübt, so kann die Beteiligung der Arbeitnehmer der privatrechtlich organisierten Unternehmen an den diese Unternehmen bindenden Leitungsentscheidungen nur dadurch sichergestellt werden, dass ein Konzernbetriebsrat unabhängig von der Organisationsform des herrschenden Unternehmens errichtet werden kann.

Desweiteren sind die im Mehrheitsbesitz des Kreises stehenden Gesellschaften im vorliegenden Fall als abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des Kreises zusammengefasst. Sie sind in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen iSd. § 16 Abs. 1 AktG, von denen vermutet wird, dass sie von dem Kreis abhängig sind (§ 17 Abs. 2 AktG). Der Kreis hält im vorliegenden Fall die Mehrheit der Anteile (bzw. die Mehrheit der Stimmrechte) der rechtlich selbständigen Gesellschaften.

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Die Gesellschaften stehen iSd. § 18 Abs. 1 AktG unter der einheitlichen Leitung des Kreises.  Dies folgt jedenfalls aus der Konzernvermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG. Das Landesarbeitsgericht Hamm13 hat in der Vorinstanz ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Vermutung nicht widerlegt worden ist.

Die Beurteilung der Frage, ob die Konzernvermutung durch entsprechenden Sachvortrag widerlegt ist, obliegt als tatrichterliche Würdigung in erster Linie den Tatsachengerichten. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf überprüfbar, ob es anzuwendende Rechtsbegriffe in ihrer allgemeinen Bedeutung verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungsgrundsätze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat14.

Dieser eingeschränkten rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts stand. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, einer Widerlegung der Vermutung stünden bereits verschiedene Bestimmungen der Beteiligungsrichtlinie, mit der der Kreis auch gesetzlichen Vorgaben in § 53 Abs. 1 KrO NRW iVm. §§ 108, 113 GO NRW Rechnung getragen habe, entgegen. Diese Bestimmungen deuteten eher auf eine einheitliche Leitung unter der Federführung des Kreises hin; jedenfalls führten sie zu dem Ergebnis, dass die Konzernvermutung als nicht entkräftet anzusehen sei. Gegen eine Widerlegung der Vermutung spreche auch, dass seitens des Kreises eine gezielte Auswahl der Personen für die Organe der Beteiligungsunternehmen vorgenommen werde. So seien deren Aufsichtsräte – sofern vorhanden – mit dem Landrat als Vorsitzenden und zwei weiteren Mitgliedern des Kreistags besetzt. Die Gesellschafterversammlungen als oberstes Organ der anderen Beteiligungsunternehmen setzten sich ebenfalls aus Mitgliedern des Kreistags und dem Landrat zusammen. Damit sichere sich der Kreis die Möglichkeit, die Führungsgremien aller Beteiligungsunternehmen mit Personen zu besetzen, die bestimmten Direktiven zu folgen hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass die einzelnen Geschäftsführer ihr jeweiliges Beteiligungsunternehmen in eigener Verantwortung leiten, was der Zeuge S bei seiner Vernehmung vor dem Arbeitsgericht bekräftigt habe. Denn nach Nr. 4.3 der Beteiligungsrichtlinie seien sie dabei ua. auch an die Beschlüsse und Weisungen der Gesellschafterversammlung bzw. des Aufsichtsrats gebunden, mithin an die Vorgaben von Gremien, die maßgeblich mit Vertretern des Kreises besetzt seien. Davon abgesehen werde die Vermutung des Bestehens einer für die Konzerneigenschaft charakteristischen Leitungsmacht durch die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsführer der Beteiligungsunternehmen nicht widerlegt. Auch die zT unterschiedlichen Unternehmensgegenstände der Beteiligungsunternehmen entkräfteten die Konzernvermutung nicht. Diese Würdigung lässt für das Bundesarbeitsgericht keine rechtsbeschwerderechtlich erheblichen Rechtsfehler erkennen. Das Landesarbeitsgericht hat dabei auch nicht nicht verkannt, dass es für die Widerlegung der Konzernvermutung nicht darauf ankommt, ob rechtlich Einflussmöglichkeiten bestehen, sondern darauf, ob diese faktisch zu einer einheitlichen Leitung genutzt werden. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr die zahlreichen, zumindest zum Teil durch die Vorgaben der §§ 107 ff. GO NRW, § 53 Abs. 1 KrO NRW gebotenen – Einflussmöglichkeiten aufgezeigt, die dem Kreis insbesondere durch seine Beteiligungsrichtlinie eingeräumt werden.

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Das bloße Absehen der Konzernspitze von Einzelweisungen an die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaften genügt nicht, um die Konzernvermutung zu widerlegen. Der Konzerntatbestand setzt nicht voraus, dass die Konzernleitung durch unmittelbare Weisungen im Einzelfall in die Geschäftsführung der abhängigen Unternehmen eingreift15.

Die Konzernvermutung ist auch nicht allein durch eine fehlende „personelle Verflechtung“ auf Geschäftsführerebene widerlegt. Unabhängig davon, dass nicht näher definiert wird, was im konkreten Fall unter personellen Verflechtungen zu verstehen ist16, begrenzt § 18 Abs. 1 AktG die beherrschende Einflussnahme nicht auf bestimmte Wege der Einflussnahme. In Betracht kommen vielmehr sämtliche Möglichkeiten der Leitungsausübung, wie insbesondere informelle Einflussnahmen in Form von Wünschen, Ratschlägen, Empfehlungen oder Zielvorgaben17. Das Landesarbeitsgericht hat berücksichtigt, dass durch den Kreis L eine gezielte Auswahl der Personen für die (Aufsichts-)Organe der Beteiligungsunternehmen vorgenommen wird. Nach Nr. 4.3 der Beteiligungsrichtlinie führt die Geschäftsführung der Beteiligungen die Geschäfte der Gesellschaft ua. nach „den Beschlüssen/Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des Aufsichtsrats“. Dabei ist die Beteiligungsrichtlinie des Kreises L in ihrer jeweiligen Fassung zu beachten. Diese Vorgaben tragen dem Umstand Rechnung, dass nach § 113 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GO NRW die Vertreter der Gemeinde ua. in Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsräten, an denen die Gemeinde mittelbar oder unmittelbar beteiligt ist, die Interessen der Gemeinde zu verfolgen haben und insoweit an die Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden sind. Soweit der Kreis einer Gesellschaft in bestimmten Bereichen möglicherweise keine (Ziel-)Vorgaben macht, ist dies allein nicht geeignet, die Konzernvermutung zu widerlegen.

Soweit geltend gemacht wird, der Kreis L und seine Organe hätten auf die personellen und sozialen Angelegenheiten der Arbeitnehmer der Beteiligungsgesellschaften keinen Einfluss genommen, hat das Landesarbeitsgericht hierzu keine entsprechenden Tatsachenfeststellungen getroffen. Im Übrigen genügt es für die Widerlegung der Konzernvermutung nicht, dass in einzelnen Bereichen der Unternehmenspolitik Entscheidungen ohne beherrschende Einflussnahme des Mehrheitsgesellschafters getroffen werden. Dies muss vielmehr für alle wesentlichen Bereiche der Unternehmenspolitik nachgewiesen werden.

Auch die unterschiedlichen Unternehmensgegenstände der Beteiligungsgesellschaften sid für sich allein nicht geeignet, die Vermutung des § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG zu widerlegen. Soweit geltend gemacht wird, sie seien als Indiz gegen das Vorliegen einer einheitlichen Leitung zu beachten, ist nicht erkennbar, dass allein dieses Indiz im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung zwingend zur Widerlegung der Konzernvermutung hätte führen müssen.

§  130 BetrVG steht der Errichtung eines Konzernbetriebsrats nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann für den privatrechtlich organisierten Teil eines Unterordnungskonzerns mit öffentlich-rechtlich organisierter Konzernspitze ein Konzernbetriebsrat gebildet werden. Allerdings ergibt sich aus § 130 BetrVG, dass die Belegschaft des herrschenden öffentlich-rechtlich organisierten Unternehmens bei der Errichtung des Konzernbetriebsrats nicht berücksichtigt werden kann18. An dieser Rechtsprechung hält das Bundesarbeitsgericht fest.

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Nach § 130 BetrVG findet das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Die Vorschrift grenzt den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes gegenüber den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder ab. Wird ein Betrieb von einem der in der Vorschrift genannten öffentlich-rechtlich organisierten Rechtsträger geführt, findet auf den Betrieb das Betriebsverfassungsgesetz keine Anwendung; es gilt vielmehr das Personalvertretungsrecht des öffentlichen Dienstes. Eine Regelung für den Fall des sog. öffentlich-privatrechtlichen Mischkonzerns enthält § 130 BetrVG nicht19. Auch die Gesetzesmaterialen zum BetrVG 1972 verhalten sich hierzu im Zusammenhang mit der Einführung der Bestimmungen zum Konzernbetriebsrat nicht20. Es ist daher kein gesetzgeberischer Wille festzustellen, dass in einem solchen Fall die Bildung eines Konzernbetriebsrats ausgeschlossen sein soll. Bei späteren Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Gesetzgeber weder die sog. VEBA-Gelsenberg, Entscheidung oder die sog. VW, Entscheidung des BGH21 noch die UKE, Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts22 zum Anlass genommen, Körperschaften des öffentlichen Rechts ausdrücklich vom betriebsverfassungsrechtlichen Unternehmensbegriff auszunehmen oder die Errichtung von Konzernbetriebsräten in Konzernen mit öffentlich-rechtlich organisierter Konzernspitze auszuschließen.

Durch die Möglichkeit der Errichtung eines Konzernbetriebsrats in einem Konzern mit öffentlich-rechtlich organisierter Konzernspitze wird die Geltung des Betriebsverfassungsgesetzes nicht auf die Betriebe und Verwaltungen der öffentlich-rechtlich organisierten Konzernspitze erstreckt. Der Konzernbetriebsrat wird nicht in dem herrschenden Unternehmen errichtet, sondern für den Konzern23. Die Beschäftigten in den Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen-rechtlich organisierten herrschenden Unternehmens sind an der Errichtung des Konzernbetriebsrats nicht beteiligt und werden von diesem nicht repräsentiert. Die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats beschränkt sich auf die Arbeitnehmer und Betriebe der abhängigen privatrechtlich organisierten konzernangehörigen Unternehmen. Die Errichtung eines Konzernbetriebsrats in einem sog. öffentlich-privatrechtlichen Mischkonzern betrifft daher nicht die Mitbestimmung in Betrieben und Verwaltungen eines öffentlich-rechtlich organisierten Trägers, sondern ausschließlich die Mitbestimmung in den Betrieben der abhängigen Unternehmen. Lediglich insoweit gelten für das öffentlich-rechtlich organisierte herrschende Unternehmen die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes.

Sinn und Zweck des § 54 BetrVG sprechen für die Möglichkeit, in Konzernen mit öffentlich-rechtlich organisierter Konzernspitze Konzernbetriebsräte zu errichten. Sonst käme die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Entscheidungen auf Konzernebene nicht ausreichend zur Geltung24.

Verfassungsrechtliche Gesichtspunkte gebieten kein anderes Verständnis des § 130 BetrVG.

Die Geltung von § 54 BetrVG für einen öffentlich-privatrechtlichen Mischkonzern mit einem Kreis als Konzernspitze bewirkt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeführerinnen keinen Eingriff in die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Personalvertretungsrecht des öffentlichen Dienstes der Länder und Kommunen. Das Personalvertretungsrecht ist nicht tangiert, da der Konzernbetriebsrat nur für den privatrechtlich organisierten Teil des Konzerns errichtet wird und zuständig ist. Für die Betriebe, Verwaltungen und Dienststellen des Kreises gilt ausschließlich das Personalvertretungsrecht des Landes.

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Durch die Bildung eines Konzernbetriebsrats wird das öffentlich-rechtliche Handeln der als Konzernspitze fungierenden Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht betroffen. Es steht dem öffentlich-rechtlich organisierten Unternehmen frei, seine Aufgaben mit Hilfe öffentlich-rechtlicher Organisationsformen zu erfüllen, zB eine Klinik als Eigenbetrieb oder als Anstalt öffentlichen Rechts zu führen. In diesem Fall wäre es von den Mitbestimmungsrechten eines Konzernbetriebsrats nicht betroffen, es käme für die Arbeitnehmer des Klinikums das Personalvertretungsrecht zur Anwendung. Entschließt sich eine Körperschaft öffentlichen Rechts jedoch, Aufgaben mithilfe privatrechtlicher Organisationsformen zu erfüllen, so unterliegt sie insoweit den gleichen gesetzlichen Vorgaben wie eine Person des Privatrechts25. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeführerinnen wird durch die Errichtung eines Konzernbetriebsrats für einen Konzern privatrechtlich organisierter abhängiger Unternehmen mit einer öffentlich-rechtlich organisierten Konzernspitze das Demokratieprinzip nicht dadurch verletzt, dass die Mitbestimmung nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes die öffentlich-rechtliche Körperschaft zu Handlungen veranlassen könnte, die nicht ausreichend demokratisch legitimiert sind, weil in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ein Letztentscheidungsrecht eines dem Parlament verantwortlichen Verwaltungsträgers nicht gesichert ist26. Dies ist nicht der Fall. Hat sich eine Körperschaft des öffentlichen Rechts dazu entschieden, privatrechtliche Unternehmen zu gründen oder sich an ihnen mehrheitlich zu beteiligen, ist diese Entscheidung demokratisch legitimiert. Die Geltung des Betriebsverfassungsrechts – einschließlich von § 54 BetrVG – für die Betriebe der abhängigen privatrechtlich organisierten Unternehmen ist die gesetzliche Folge dieser demokratisch legitimierten Entscheidung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft. Im Übrigen betreffen die Mitbestimmungsrechte des Konzernbetriebsrats – anders als die Rechte der Personalvertretungen in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall27 – gerade nicht die Entscheidungen im internen Bereich von Regierung und Verwaltung des Kreises, da sich die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats auf den privatrechtlich organisierten Teil des Konzerns beschränkt.

Aus diesen Gründen liegt in der Errichtung eines Konzernbetriebsrats in einem Konzern privatrechtlich organisierter Unternehmen mit einem Kreis als Konzernspitze auch kein Eingriff in das durch Art. 28 GG garantierte kommunale Selbstverwaltungsrecht. Von diesem hat der Kreis durch die mehrheitliche Beteiligung an privatrechtlichen Unternehmen Gebrauch gemacht.

Da die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes für den Kreis gelten, soweit er sich als herrschendes Unternehmen gegenüber den von ihm abhängigen privatrechtlich organisierten Unternehmen betätigt, hat er sich insoweit dem Konzernbetriebsrat als Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen und kann von diesem – ggf. auch gerichtlich – in Anspruch genommen werden. Die vorliegende Fallgestaltung ist daher nicht mit derjenigen einer im Ausland ansässigen Konzernspitze vergleichbar28.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 26. August 2020 – 7 ABR 24/18

  1. BAG 23.05.2018 – 7 ABR 60/16, Rn. 17[][]
  2. vgl. BAG 11.02.2015 – 7 ABR 98/12, Rn. 23; 9.02.2011 – 7 ABR 11/10, Rn. 24 f. mwN, BAGE 137, 123[]
  3. BAG 23.05.2018 – 7 ABR 60/16, Rn. 17; 11.02.2015 – 7 ABR 98/12, Rn. 24; 9.02.2011 – 7 ABR 11/10, Rn. 26 mwN, BAGE 137, 123[]
  4. BAG 11.02.2015 – 7 ABR 98/12, Rn. 25; 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 27 mwN, BAGE 136, 114[]
  5. vgl. BAG 15.12.2011 – 7 ABR 56/10, Rn. 52 mwN[]
  6. OLG Düsseldorf 4.07.2013 – I-26 W 13/08 (AktE), zu B II 2 b der Gründe mwN; vgl. zur Widerlegung auch OLG Düsseldorf 4.06.2018 – I-26 W 12/17 (AktE), zu II 2 der Gründe[]
  7. BAG 11.02.2015 – 7 ABR 98/12, Rn. 25; vgl. MünchKomm-AktG/Bayer 5. Aufl. § 18 Rn. 48 iVm. § 17 Rn. 98[]
  8. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 26, BAGE 136, 114; vgl. zur Rspr. des BGH grundlegend 13.10.1977 – II ZR 123/76 – [VEBA] zu II der Gründe, BGHZ 69, 334[]
  9. BAG 21.10.1980 – 6 ABR 41/78, BAGE 34, 230[]
  10. vgl. BAG 21.10.1980 – 6 ABR 41/78, zu III 2 c bb der Gründe, aaO[]
  11. vgl. etwa Fitting BetrVG 30. Aufl. § 54 Rn. 1; HWGNRH-Glock BetrVG 10. Aufl. § 54 Rn. 1[]
  12. BAG 21.10.1980 – 6 ABR 41/78, zu III 2 c bb der Gründe, aaO; vgl. auch BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 35 mwN, BAGE 136, 114[]
  13. LAG Hamm 04.05.2018 – 13 TaBV 76/16[]
  14. vgl. zum eingeschränkten Prüfungsmaßstab der Rechtsbeschwerde bei unbestimmten Rechtsbegriffen BAG 23.11.2016 – 7 ABR 3/15, Rn. 35 mwN[]
  15. Ellerich/Küting DB 1980, 1973, 1975[]
  16. zu den verschiedenen Varianten personeller Verflechtungen im Konzern vgl. MünchKomm-AktG/Bayer 5. Aufl. § 18 Rn. 35 mwN in Fn. 92[]
  17. MünchKomm-AktG/Bayer 5. Aufl. § 18 Rn. 34[]
  18. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 29, BAGE 136, 114, sog. „UKE, Entscheidung“[]
  19. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 32, BAGE 136, 114[]
  20. vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 61[]
  21. 13.10.1977 – II ZR 123/76 – [VEBA] BGHZ 69, 334; 17.03.1997 – II ZB 3/96 – BGHZ 135, 107[]
  22. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 31, BAGE 136, 114[]
  23. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 31, BAGE 136, 114; Franzen GK-BetrVG 11. Aufl. § 54 Rn. 24; Plander Mitbestimmung in öffentlich-privatrechtlichen Mischkonzernen S. 28[]
  24. vgl. ausf. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, Rn. 34 ff., BAGE 136, 114[]
  25. vgl. Hessischer VGH 9.02.2012 – 8 A 2043/10 74[]
  26. vgl. hierzu BVerfG 24.05.1995 – 2 BvF 1/92 – BVerfGE 93, 37[]
  27. vgl. BVerfG 24.05.1995 – 2 BvF 1/92, zu C I 3 der Gründe, aaO[]
  28. vgl. hierzu zuletzt mit ausf. Begründung BAG 23.05.2018 – 7 ABR 60/16, Rn. 23 ff. mwN[]
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Die Kündigung eines Betriebsratsvorsitzenden

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