Der wiederholte befristete Leiharbeitnehmereinsatz – und der Betriebsrat

Unabhängig von der materiellen Rechtmäßigkeit ist dem Arbeitgeber der wiederholte auf drei Monate befristete Einsatz eines Leiharbeitnehmers betriebsverfassungsrechtlich erlaubt, wenn der Arbeitgeber das Verfahren nach § 100 BetrVG ordnungsgemäß durchführt.

Der wiederholte befristete Leiharbeitnehmereinsatz – und der Betriebsrat

Der Umstand, dass in diesen Fällen regelmäßig keine Entscheidung über die materielle Rechtmäßigkeit der Zustimmungsverweigerung (Vorliegen eines Zustimmungsverweigerungsrechts nach § 99 Abs. 2 Nr.1 BetrVG iVm. § 1 I 2 AÜG) ergeht, macht das Vorgehen des Arbeitgebers nicht rechtsmissbräuchlich. Der Schutz der Betriebsratsrechte bei Einstellungen ist vom Gesetzgeber nicht lückenlos vorgesehen.

Dem Betriebsrat steht in einem solchen Fall kein Anspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG auf Unterlassung der weiteren Beschäftigung der Leiharbeitnehmerin zu.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 BetrVG kann u. a. der Betriebsrat dem Arbeitgeber bei einem groben Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus dem BetrVG durch das Arbeitsgericht aufgeben lassen, eine Handlung zu unterlassen. Ein grober Verstoß des Arbeitgebers gegen seine sich aus dem BetrVG ergebenden Pflichten liegt vor, wenn es sich um eine objektiv erhebliche und offensichtlich schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, wobei es auf ein Verschulden nicht ankommt. Allerdings scheidet ein grober Verstoß des Arbeitgebers dann aus, wenn er seine Rechtsposition in einer schwierigen und ungeklärten Rechtsfrage verteidigt1.

Danach besteht vorliegend kein Unterlassungsanspruch. Die Arbeitgeberin macht vielmehr in zulässiger Weise von der ihr durch das Gesetz in § 100 Abs. 2 BetrVG eröffneten Möglichkeit der vorläufigen Beschäftigung von Arbeitnehmern Gebrauch. Zu unterscheiden sind die im Hinblick auf § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG zweifelhafte Praxis der Arbeitgeberin, Leiharbeitnehmer wiederholt befristet zu beschäftigen von der nach dem Betriebsverfassungsgesetz dem Arbeitgeber eingeräumten Möglichkeit, bis zur Klärung der Frage, ob dem Betriebsrat ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 BetrVG zusteht, die entsprechende personelle Maßnahme vorläufig durchzuführen.

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Aus Sicht des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein bestehen erhebliche Bedenken gegen die von der Arbeitgeberin praktizierte Vorgehensweise im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen des AÜG. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erlaubt nur die vorübergehende Beschäftigung von Leiharbeitnehmern. Nach Artikel 5 Abs. 5 der Richtlinie 2008/104/EG vom 19.11.2008 über Leiharbeit, deren Umsetzung § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG dient, ergreifen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Die Leiharbeitsrichtlinie will also gerade die von der Arbeitgeberin praktizierte Praxis der Kettenbefristungen verhindern, wobei der Arbeitgeberin zuzugeben ist, dass die Leiharbeitsrichtlinie keine konkreten Aussagen dazu trifft, ab welchem Zeitraum eine Umgehung der Schutzvorschriften der Richtlinie durch aufeinanderfolgende Überlassungen vorliegt. Jedenfalls in den hier vorliegenden Fällen, in denen eine befristete Beschäftigung bereits seit mehr als zwei Jahren von der Arbeitgeberin praktiziert wird, hat die Beschwerdekammer aber Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise.

Das ändert aber nichts daran, dass die Arbeitgeberin betriebsverfassungsrechtlich berechtigt ist, personelle Maßnahmen, deren betriebsverfassungsrechtliche Zulässigkeit noch nicht abschließend geklärt ist, vorläufig durchführen zu können. Dass ein Arbeitgeber die Entscheidung über einen solchen Streit jederzeit verhindern kann, in dem er den Antrag auf Zustimmung beim Betriebsrat zurücknimmt oder – wie die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall – die Maßnahmen jeweils kurzzeitig befristet, ist seit Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes geltendes Recht; und vom Gesetzgeber bei allen Novellierungen des BetrVG nie geändert worden und damit auch in Ansehung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage in Kauf genommen. Ein etwaiger Verstoß gegen das AÜG ist von den Aufsichtsbehörden zu ahnden.

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Nach der Rechtsprechung gibt § 100 Abs. 1 BetrVG dem Arbeitgeber die Befugnis, eine Maßnahme nach § 99 Abs. 1 BetrVG aus dringenden sachlichen Gründen auch ohne Zustimmung des Betriebsrats vorläufig, d. h. bis zur Entscheidung über ihre materielle Rechtmäßigkeit durchzuführen. § 100 Abs. 2 BetrVG verlangt dafür nicht den objektiven Nachweis dringender Erforderlichkeit, sondern nur die Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens. Hat der Arbeitgeber die prozeduralen Vorgaben von § 100 Abs. 2 BetrVG erfüllt, ist die – vorläufige – Durchführung der betreffenden Maßnahme auch ohne die Zustimmung des Betriebsrats betriebsverfassungskonform. Das Gesetz nimmt – anders als bei § 87 Abs. 1 und § 95 Abs. 1 BetrVG – in Kauf, dass eine personelle Maßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG zumindest vorübergehend praktiziert wird, ohne dass ihre materielle Rechtmäßigkeit feststünde2. Dabei kann eine Maßnahme nach § 100 BetrVG selbst dann ohne Zustimmung des Betriebsrechts aufrechterhalten werden, wenn es objektiv an einem dringenden Erfordernis im Sinne des § 100 Abs. 1 BetrVG fehlt3. In den §§ 100, 101 BetrVG stellt das Gesetz detaillierte spezielle Regeln auf. § 100 bestimmt dabei die Voraussetzungen und die Dauer der Durchführung einer personellen Einzelmaßnahme auch ohne Zustimmung des Betriebsrats. Ergänzend dazu billigt § 101 dem Betriebsrat das Recht zu, unter den dort geregelten Voraussetzungen die Aufhebung einer mitbestimmungswidrig durchgeführten personellen Einzelmaßnahme zu verlangen4.

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Allerdings ist auch in der Kommentarliteratur erkannt worden, dass damit der Schutz der Rechte des Betriebsrats vom Gesetzgeber nur lückenhaft geregelt ist. So heißt es5, dieser Schutzmechanismus wirke nur zukunftsbezogen und gehe regelmäßig ins Leere bei kurzfristigen personellen Einzelmaßnahmen, die sich vor Eintritt der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung durch Zeitablauf erledigen. Auch die Kommentierung teilt aber insofern die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, dass das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach der Konzeption der §§ 100, 101 nicht absolut geschützt ist. Der Betriebsrat hat vielmehr grundsätzlich für die Dauer des Verfahrens nach den §§ 100, 101 vorläufige personelle Maßnahmen hinzunehmen. Allerdings bleibt dem Betriebsrat die Möglichkeit des Vorgehens nach § 23 Abs. 3 BetrVG, wenn der Arbeitgeber ein Verfahren nach § 100 trotz fehlender Zustimmung des Betriebsrats nicht einleitet oder den Betriebsrat gar nicht erst um Zustimmung zur personellen Maßnahme ersucht. Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber das Verfahren nach § 100 betreibt, aber entweder den Antrag nach § 100 Abs. 2 nicht rechtzeitig innerhalb der Drei-Tages-Frist stellt oder die Aufrechterhaltung der vorläufigen personellen Maßnahmen überhaupt nicht oder offenkundig unzureichend begründet. In diesen Fällen kann die Aufrechterhaltung der vorläufigen personellen Maßnahme rechtsmissbräuchlich sein. Ein darüber hinausgehender Unterlassungsanspruch kann dagegen nicht anerkannt werden. Durch ihn würde die gesetzliche Konzeption der §§ 100, 101 konterkariert6.

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Dieser Bewertung der Rechtslage durch das Bundesarbeitsgericht und die überwiegende Kommentarliteratur schließt sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein an. Der Betriebsrat hat die vom Gesetzgeber in dem Bereich der §§ 99, 100 BetrVG gewollte Schutzlücke hinzunehmen. Das vom Betriebsrat verfolgte Ziel, den Arbeitgeber den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen zu untersagen, kann nur durch eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes oder – näherliegend – eine Änderung des AÜG erreicht werden.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Arbeitgeberin den Betriebsrat im hier entschiedenen Fall nicht offensichtlich unzureichend im Hinblick auf die Durchführung der vorläufigen personellen Maßnahmen unterrichtet hat. Die Arbeitgeberin hat in jedem ihrer Informationsschreiben nach § 100 an den Betriebsrat und auch in dem hier in Rede stehenden Schreiben betreffend Frau B. auf das Erfordernis der Dienstplanabdeckung und die Vermeidung von Mehrarbeit hingewiesen. Das beschreibt den Grund für die vorläufige Durchführung der Maßnahme zutreffend und ausreichend. Unstreitig besteht auf den jeweiligen Stellen Personalbedarf. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Betriebsrat mitzuteilen, wie dieser Personalbedarf zukünftig, also nach Ablauf der befristet vorgesehenen Maßnahme, behoben werden darf, sieht § 100 BetrVG nicht vor. Der Einwand des Betriebsrats, bei den Informationen handle es sich um floskelhafte Schreiben, mag zutreffend sein, ist aber unerheblich. Es handelt sich um sich ständig wiederholende Sachverhalte, die auch dem Betriebsrat bekannt sind. Ausführlichere Darlegungen zur Notwendigkeit der vorläufigen Durchführung der personellen Maßnahme sind in diesem Bereich nicht erforderlich.

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Landesarbeitsgericht Schleswig -Holstein, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 TaBV 59/15

  1. BAG, Beschluss vom 09.03.2011 – 7 ABR 137/0915[]
  2. BAG, Beschluss vom 23.06.2009 – 1 ABR 23/0818[]
  3. GK zum BetrVG/Raab, 10. Auflage, § 101, Rn 20[]
  4. Fitting, 27. Auflage, § 99 BetrVG, Rn 297[]
  5. Fitting, a. a. O.[]
  6. Fitting, a. a. O., Rn 298[]