Der offensichtlich ungeeignete schwerbehinderte Stellenbewerber

Ein schwerbehinderter Bewerber ist offensichtlich ungeeignet im Sinne des § 82 Satz 3 SGB IX, wenn er nur ein erforderliches Kriterium der Stellenausschreibung nicht erfüllt, dies aufgrund seiner Bewerbung zweifelsfrei erkennbar ist und Aufnahme dieses Kriteriums als erforderlich in der Stellenausschreibung den Kriterien des Art. 33 II GG entspricht.

Der offensichtlich ungeeignete schwerbehinderte Stellenbewerber

Ein schwerbehinderter Bewerber auf eine Arbeitsstelle Dienst kann keine Entschädigung gemäß § 15 AGG verlangen, wenn er nicht aufgrund seiner Schwerbehinderung (§ 1 AGG) diskriminiert worden ist. Es fehlt in diesem Fall an einem Indiz gemäß § 22 AGG, welches die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt. Insbesondere liegt in einem solchen Fall auch kein Verstoß gegen § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB IX vor. Die öffentliche Arbeitgeberin war nicht verpflichtet, ihn als Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Es greift zu ihren Gunsten der Ausnahmetatbestand des § 82 Satz 3 SGB IX ein. Danach ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

Die Frage der offensichtlichen Ungeeignetheit ist anhand der in der Stellenausschreibung geforderten Mindestvoraussetzungen zu beantworten. Wer nicht die geforderten Mindestvoraussetzungen der Stellenausschreibung erfüllt, ist offensichtlich ungeeignet1. Hierbei ist grundsätzlich für die objektive Eignung nicht auf das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber erstellt hat, abzustellen, sondern auf die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte. Zunächst ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber über den der Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderte Qualifikation des Stelleninhabers frei entscheiden darf. Durch das Stellen von Anforderungen an den Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinen nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen. Für den öffentlichen Arbeitgeber gelten die obigen Grundsätze nur eingeschränkt.

Weiterlesen:
Kettebefristungen - und der Rechtsmissbrauch

Er hat Artikel 33 Abs. 2 GG mit dem Gebot, seine Personalentscheidung aufgrund von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen, zu beachten. Diese Vorschrift bestimmt nicht, auf welchen Bezugspunkt sich diese Kriterien beziehen. Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil, welches als Funktionsbeschreibung des Dienstpostens objektiv die Kriterien bestimmt, die der zukünftige Stelleninhaber erfüllen muss. Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen2.

Ein Bewerber ist lediglich dann offensichtlich ungeeignet, wenn zweifelsfrei erkennbar und nachweisbar ist, dass er den Anforderungen der auszuführenden Aufgaben und Tätigkeiten nicht gewachsen ist, er darf unter keinen Gesichtspunkten für die Stelle geeignet sein3.

Bei der Einzelfallprüfung sind auch noch folgende Erwägungen zu beachten: Die Frage der Erkennbarkeit richtet sich nach den Bewerbungsunterlagen des Stellenbewerbers. Sie sind der Beurteilungsmaßstab für die Prüfung der offensichtlichen Geeignetheit bzw. Ungeeignetheit.

Das Stellenprofil mit seinen Anforderungen ist auszulegen. Es ist zwischen sogenannten Soll- und sogenannten Muss-Kriterien zu unterscheiden. Fehlt dem Stellenbewerber aufgrund der Bewerbungsunterlagen offensichtlich und zweifelsfrei lediglich eine Voraussetzung, die nach dem Stellenprofil als unabdingbare Voraussetzung bestimmt ist, dann ist der ungeeignet. Von diesem Grundsatz ist lediglich dann eine Ausnahme zu machen, wenn auch unter Beachtung der Besonderheiten des öffentlichen Dienstes die zur Voraussetzung erhobene Anforderung Artikel 33 Abs. 2 GG widerspricht.

Weiterlesen:
Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten bei der Betriebsrente

Unter Berücksichtigung oben aufgestellter Rechtsgrundsätze gilt in dem hier vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen entschiedenen Fall folgendes:

Die Stellenausschreibung der Arbeitgeberin erhebt das Kriterium der „Berufserfahrung in der öffentlichen Verwaltung“ zu einem sogenannten Muss-Kriterium. Es befindet sich gleichrangig neben anderen Kriterien unter der Rubrik „Anforderungen“. Irgendeine Abschwächung, die darauf hindeutet, dass es sich lediglich um Soll-Kriterium handelt, beispielsweise die Formulierung: „Ist wünschenswert“, … „ist von Vorteil“ fehlt.

Dieses Kriterium ist zulässig und vollauf von Artikel 33 Abs. 2 GG gedeckt. Die Begründung für die Aufnahme dieses Kriteriums in die Ausschreibung durch die Arbeitgeberin wird von dem Berufungsgericht in vollem Umfang und Ausmaß geteilt. Der Aufbau einer Organisationseinheit setzt Erfahrung im Aufbau, der Struktur und inneren Organisation der öffentlichen Verwaltung voraus. Der Dienststelleninhaber muss die hierarchischen Abläufe/Strukturen erkennen. Dies gilt umso mehr, als ausweislich des Tätigkeitsprofils der Stellenausschreibung ein Arbeitnehmer im „Leitungsbereich“ gesucht wird.

Aufgrund der vorgelegten Bewerbungsunterlagen, die keinen Hinweis auf fehlende Vollständigkeit bzw. die Absicht des Stellenbewerbers beinhalten, er werde weitere Unterlagen nachreichen, lässt sich zweifelsfrei erkennen, dass er diese Anforderung nicht erfüllt.

Das Zeugnis der Hochschule … lässt keinerlei spezifischen Bezug zur öffentlichen Verwaltung erkennen. Der Stellenbewerber ist dort wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen. Das Kriterium der Berufserfahrung in der öffentlichen Verwaltung meint nicht, irgendjemand sei überhaupt in der öffentlichen Verwaltung tätig gewesen, sondern besagt vielmehr im Kontext der Stellenausschreibung, Erfahrung mit den spezifischen Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung werde gefordert. Die Tätigkeit in einer Organisation, die man möglicherweise noch dem Bereich der öffentlichen Verwaltung zuordnen kann, aber die inhaltlich nichts mit öffentlicher Verwaltung zu tun hat, genügt nicht.

Weiterlesen:
Auflösung von Stellenblockaden während eines beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahrens

Ähnliches gilt auch für die Tätigkeit des Stellenbewerbers im Bereich der H. Aktiengesellschaft. Hierbei handelt es sich noch nicht einmal um eine Organisation, die der öffentlichen Verwaltung zuzurechnen ist. Die Rechtsauffassung des Stellenbewerbers, diese vormalige Arbeitgeberin sei einem Arbeitgeber der öffentlichen Verwaltung gleichzusetzen, wird von der Berufungskammer nicht geteilt.

Zusammenfassend ist folgendes festzustellen:

Enthält eine Stellenausschreibung mehrere verschiedene Muss-Kriterien, sind diese Kriterien erkennbar nicht fehlsam in die Stellenbeschreibung aufgenommen worden und fehlt einem Bewerber aufgrund seiner Bewerbungsunterlagen offensichtlich eine geforderte Voraussetzung, dann ist er insgesamt als offensichtlich ungeeignet einzustufen. Eine wertende Betrachtung dahingehend, auf das eine oder andere Kriterium könne man verzichten, so offensichtlich sei die fehlende Eignung nicht, verbietet sich schon im Sinne der Rechtsklarheit.

Der Maßstab der offensichtlichen Ungeeignetheit bedarf klarer Kriterien. Diese hat das Landesarbeitsgericht präzisiert und wendet sie an.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 3. April 2014 – 5 Sa 1272/13

  1. BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – EzA Nr. 17 zu § 15 AGG; LAG Rheinland Pfalz, Urteil vom 05.03.2012 – 5 Sa 597/11[]
  2. BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 188/12 – EzA Nr. 7 zu § 22 AGG[]
  3. FLSG-SGB IX-Feldes, § 82 Randnummer 6[]