Der „Pauschalist“ als freier oder angestellter Redakteur?

Ob ein Redakteur während seiner Tätigkeit als Pauschalist in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat1, im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Streitfalls zu entscheiden. Dabei ist unter anderem der „Vertrag über freie Mitarbeit“ und die Stellung der Auftraggeberin/Arbeitgeberin als Zeitungsverlag und damit Trägerin des Grundrechts der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) zu würdigen

Der „Pauschalist“ als freier oder angestellter Redakteur?

Für die rechtliche Einordnung des Rechtsverhältnisses der Parteien im Zeitraum vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 sind die rechtlichen Grundsätze maßgebend, die das Bundesarbeitsgericht zur Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters entwickelt hat, bevor die gesetzliche Regelung in § 611a Abs. 1 BGB am 1.04.2017 in Kraft getreten ist.

Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich danach von dem Rechtsverhältnis eines freien Dienstnehmers durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 HGB, nunmehr § 611a Abs. 1 BGB). Letztlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls an, wobei nicht die Bezeichnung der Parteien, sondern der wirkliche Geschäftsinhalt maßgebend ist. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung, ist letztere maßgeblich2.

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Die Tatsacheninstanzen haben bei der Prüfung des Arbeitnehmerstatus einen weiten Beurteilungsspielraum. Ihre Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin zu überprüfen, ob sie den Rechtsbegriff des Arbeitnehmers selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, bei der Subsumtion den Rechtsbegriff wieder aufgegeben oder wesentliche Umstände außer Betracht gelassen haben3.

Im vorliegenden Fall ist das Landesarbeitsgericht Düsseldorf4 im Wesentlichen von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, anhand deren das Bundesarbeitsgericht ein Arbeitsverhältnis von dem Rechtsverhältnis eines selbständigen Unternehmers abgrenzt5. Zutreffend hat es angenommen, dass der Redakteur im Zeitraum vom 01.04.2007 bis zum 30.06.2010 dem Weisungsrecht der Verlegerin unterlag. Der Redakteur hatte in den Redaktionsräumen der Verlegerin tätig zu sein. Zeitlich war er spätestens mit Eintritt in die D Redaktion in das von der Verlegerin vorgegebene Schichtsystem eingebunden. Er war dem Chefredakteur unterstellt und war verpflichtet, an Konferenzen der Redaktion teilzunehmen und im Urlaubsfalle seine Redaktionskollegin zu vertreten.

Allerdings hat das Landesarbeitsgericht wesentliche Umstände des Streitfalls nicht in die Gesamtabwägung eingestellt und im Rahmen der Statusbestimmung gewürdigt. So hat es nicht berücksichtigt, dass die Verlegerin als Verlagshaus Trägerin des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verbürgten Grundrechts der Pressefreiheit ist.

Die Gerichte für Arbeitssachen sind von Verfassungs wegen gehalten, Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen, damit deren wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt. Für den Bereich des Zeitungswesens verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Regel eine fallbezogene Abwägung zwischen der Bedeutung der Pressefreiheit auf der einen und dem Rang der von den Normen des Arbeitsrechts geschützten Rechtsgüter auf der anderen Seite. Die Pressefreiheit erstreckt sich auf das Recht des Zeitungsverlags, der Freiheit der redaktionellen Berichterstattung bei der Auswahl, Einstellung und Beschäftigung derjenigen Mitarbeiter Rechnung zu tragen, die in nicht unwesentlichem Umfang auf den redaktionellen Inhalt der Zeitung Einfluss nehmen. Die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit ist im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung zur Feststellung des Vertragsstatus zu berücksichtigen6.

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Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben kann ein grundsätzlicher Bedarf an Beschäftigung in freier Mitarbeit bei redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern bestehen.

Als „redaktionell verantwortlich“ ist der Kreis derjenigen Mitarbeiter anzusehen, die in nicht unwesentlichem Umfang am Inhalt des redaktionellen Teils der Zeitung gestaltend mitwirken. Das gilt namentlich, wenn sie typischerweise ihre eigene Auffassung zu politischen, wirtschaftlichen, künstlerischen oder anderen Sachfragen, ihre Fachkenntnisse und Informationen, ihre individuelle künstlerische Befähigung und Aussagekraft einbringen. Auch bei diesen Mitarbeitern kann allerdings ein Arbeitsverhältnis vorliegen, wenn sie weitgehenden inhaltlichen Weisungen unterliegen, ihnen also nur ein geringes Maß an Gestaltungsfreiheit, Eigeninitiative und Selbstständigkeit verbleibt, und der Zeitungsverlag innerhalb eines zeitlichen Rahmens über ihre Arbeitsleistung verfügen kann. Letzteres ist der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung durch Dienstpläne herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich zugewiesen werden7.

Nicht zu den redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern gehören das betriebstechnische und das Verwaltungspersonal sowie diejenigen, die zwar bei der Erstellung der Zeitung mitwirken, aber keinen inhaltlichen Einfluss darauf haben. Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise Übersetzer von Nachrichten- und Kommentartexten und Archivare. Diese Mitarbeiter, bei denen die Arbeitnehmereigenschaft anhand der allgemeinen Kriterien zu prüfen ist, werden im Regelfall häufiger die Kriterien eines Arbeitnehmers erfüllen, als es bei redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern zu erwarten ist8.

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Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass der Redakteur, zumindest während seiner Tätigkeit in der Online-Redaktion in D – „die Redaktion im Tagesgeschäft leitete“. Abhängig von seinem konkreten Aufgabenbereich, zu dem das Landesarbeitsgericht keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, spricht einiges dafür, dass der Redakteur zu den redaktionell verantwortlichen Mitarbeitern der Verlegerin zählte. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung aller entscheidungserheblichen Umstände hätte in diesem Fall die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Pressefreiheit zugunsten der Verlegerin Berücksichtigung finden müssen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. Januar 2023 – 9 AZR 244/20

  1. vgl. BAG 20.10.2015 – 9 AZR 224/14, Rn. 14, BAGE 153, 57[]
  2. vgl. BAG 17.10.2017 – 9 AZR 792/16, Rn. 12[]
  3. vgl. BAG 21.05.2019 – 9 AZR 295/18, Rn. 14[]
  4. LAG Düsseldorf 21.01.2020 – 5 Sa 463/19[]
  5. vgl. im Einzelnen BAG 1.12.2020 – 9 AZR 102/20, Rn. 31 ff., BAGE 173, 111[]
  6. vgl. BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 36[]
  7. vgl. BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 39[]
  8. vgl. BAG 30.11.2021 – 9 AZR 145/21, Rn. 40[]