Der verspätet abgesetzte Spruch des Bühnenoberschiedsgericht – und die Aufhebungsklage

Wird ein Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen und von den Mitgliedern des Bühnenoberschiedsgerichts unterschrieben der Geschäftsstelle des Bühnenoberschiedsgerichts übergeben, gilt dieser als nicht mit Gründen versehen. Die fehlende Begründung stellt einen Verfahrensfehler iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG dar, der bei einer entsprechenden Verfahrensrüge zur Folge hat, dass der Schiedsspruch der Aufhebung unterliegt. Die Arbeitsgerichte haben dann unmittelbar und ohne die durch die Revisionsähnlichkeit des Aufhebungsverfahrens bedingten Beschränkungen über das Sachbegehren zu entscheiden.

Der verspätet abgesetzte Spruch des Bühnenoberschiedsgericht – und die Aufhebungsklage

Nach § 110 Abs. 1 ArbGG kann auf Aufhebung eines Schiedsspruchs ua. geklagt werden, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren unzulässig war (§ 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG) oder wenn der Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht (§ 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG). Die Aufhebungsklage nach § 110 ArbGG kann nur gegen Schiedssprüche erhoben werden, die bestandskräftig sind, bei denen also die Rechtskraftwirkung des § 108 Abs. 4 ArbGG eingetreten ist1. Das setzt voraus, dass nach dem Schiedsvertrag gegen den Schiedsspruch kein Rechtsmittel mehr zulässig ist. Die Bestandskraft tritt jedenfalls ein mit der gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 ArbGG vorgesehenen Zustellung des Schiedsspruchs an die Parteien. Sieht der Schiedsvertrag eine Verkündung des Schiedsspruchs vor, ist ggf. diese maßgebend2.

Es kann dahinstehen, ob der Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts als nicht mit Gründen versehen gilt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts den Parteien nach Ablauf von fünf Monaten seit seiner Verkündung zugestellt. Zugunsten der Solotänzerin kann unterstellt werden, dass der Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts auch nicht binnen fünf Monaten seit seiner am 16.01.2012 erfolgten Verkündung schriftlich niedergelegt und von den Mitgliedern des Bühnenoberschiedsgerichts unterschrieben der Geschäftsstelle des Bühnenoberschiedsgerichts übergeben wurde, wozu das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen hat. Allein dieser Umstand führte nicht zum Erfolg des Antrags. Auch dann wäre das im Rahmen der Aufhebungsklage geltend gemachte Feststellungsbegehren nur bei Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung begründet. Zwar läge ein Mangel des bühnenschiedsgerichtlichen Verfahrens iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG vor, da gegen § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 26 Abs. 2 Buchst. d und Buchst. e iVm. § 34 BSchGO verstoßen worden wäre. Dies allein führte jedoch nicht zur Begründetheit des mit dem Antrag zu 2. angebrachten Feststellungsbegehrens. Wegen des Verbrauchs des Schiedsgerichtsverfahrens hätte der Verfahrensfehler lediglich zur Folge, dass das Sachbegehren den Arbeitsgerichten nach den allgemeinen Regeln des Arbeitsgerichtsgesetzes zur Entscheidung angefallen wäre.

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Ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasster Spruch des Bühnenoberschiedsgerichts gilt als nicht mit Gründen versehen, wenn er nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen versehen und von den Mitgliedern des Bühnenoberschiedsgerichts unterschrieben der Geschäftsstelle des Bühnenoberschiedsgerichts übergeben wurde. Ein solches Vorgehen verstößt gegen die Verfahrensvorschriften in § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG und § 26 Abs. 2 Buchst. d und Buchst. e iVm. § 34 BSchGO.

Nach § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist der Schiedsspruch unter Angabe des Tages seiner Fällung von den Mitgliedern des Schiedsgerichts zu unterschreiben und schriftlich zu begründen, soweit die Parteien nicht auf eine schriftliche Begründung ausdrücklich verzichten. Das Arbeitsgerichtsgesetz regelt in § 108 Abs. 2 die inhaltlichen Anforderungen an einen Schiedsspruch nicht abschließend. Gemäß § 104 ArbGG bestimmt sich das Verfahren vor dem Schiedsgericht nach §§ 105 bis 110 ArbGG und dem Schiedsvertrag, im Übrigen nach dem freien Ermessen des Schiedsgerichts. Die gesetzliche Regelung in § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG wird für den Bereich der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit ergänzt und konkretisiert durch § 26 BSchGO, der nach § 34 BSchGO auch für das bühnenschiedsgerichtliche Berufungsverfahren vor dem Bühnenoberschiedsgericht Anwendung findet. Nach § 26 Abs. 2 Buchst. d und Buchst. e BSchGO enthält der Schiedsspruch äußerlich gesondert von der Urteilsformel eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstands auf der Grundlage des Vorbringens der Parteien unter Hervorhebung der gestellten Anträge (Tatbestand) und äußerlich gesondert vom Tatbestand die Entscheidungsgründe, die erkennen lassen müssen, welche Würdigung das Vorbringen der Parteien und die Beweisaufnahme gefunden hat.

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Nach der Rechtsprechung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes3 gilt ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil der staatlichen Gerichtsbarkeit als nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt und von den Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Diese übergreifend für verschiedene Verfahrensordnungen vom Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes getroffene Annahme beruht auf der Auslegung des Begriffs „alsbald“ in § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO und der grundsätzlichen Erwägung, dass in dem Urteil des Gerichts die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Dieser Verpflichtung ist nur dann genügt, wenn die in das schriftlich abgefasste Urteil aufgenommenen Entscheidungsgründe mit den Gründen übereinstimmen, die nach dem Ergebnis der auf die mündliche Verhandlung folgenden Urteilsberatung für die richterliche Überzeugung maßgeblich waren. Damit von einer solchen Übereinstimmung ausgegangen werden kann, ist es notwendig, dass zwischen der Beratung und Verkündung eines noch nicht vollständig abgefassten Urteils und der Niederlegung, Unterzeichnung und Übergabe des ganzen Urteils an die Geschäftsstelle eine nicht zu große Zeitspanne liegt4. Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen5. Sie ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden6.

Diese Grundsätze gelten auch für Sprüche im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren7. Auch diese bedürfen gemäß § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 26 Abs. 2 Buchst. d und Buchst. e BSchGO einer Begründung. Das erfordert die Angabe der Gründe, die für die Überzeugung des Schiedsgerichts leitend gewesen sind. Das ist nicht mehr gesichert, wenn zwischen Beratung und Verkündung einerseits und Übergabe des begründeten Spruchs an die Geschäftsstelle andererseits eine zu große Zeitspanne liegt. Die Annahme des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, nach allgemeiner Lebenserfahrung verblasse die Erinnerung mit fortschreitender Zeit zunehmend, deshalb sei davon auszugehen, dass nach einer Frist von mehr als fünf Monaten das Beratungsergebnis – aufbauend auf dem vorhandenen Fachwissen – eher rekonstruiert als reproduziert werde8, trifft auch im schiedsgerichtlichen Verfahren uneingeschränkt zu.

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Die fehlende Begründung ist ein Verfahrensfehler iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, der bei einer entsprechenden Verfahrensrüge zur Aufhebung des Spruchs führt9. Zwar fallen Verstöße gegen tarifvertragliche Vorschriften über das schiedsgerichtliche Verfahren nicht unter § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Die Verpflichtung zur Begründung des Schiedsspruchs folgt aber aus der gesetzlichen Regelung in § 108 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, die für den Bereich der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit durch die tarifliche Regelung in § 26 BSchGO lediglich ergänzt und konkretisiert wird. Verstöße gegen die im Arbeitsgerichtsgesetz geregelten Verfahrensvorschriften können einen Aufhebungsgrund abgeben10.

Das Vorliegen des von der Solotänzerin gerügten Verfahrensfehlers und die Aufhebung iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG hätten allerdings für sich genommen nicht zur Folge, dass der dem Arbeitsgericht zur Sachentscheidung angefallene, auf Feststellung der Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsmitteilung vom 25.10.2010 gerichtete Antrag Erfolg hat. Der Verfahrensfehler führte lediglich dazu, dass der Schiedsspruch der Aufhebung unterläge. Das Arbeitsgericht hat in einem solchen Fall unmittelbar über das Sachbegehren zu entscheiden.

Das Aufhebungsverfahren ist in allen drei Instanzen der staatlichen Gerichtsbarkeit ein revisionsähnliches Verfahren, in dem Schiedssprüche auf Rechtsfehler überprüft werden11. Die Ähnlichkeit zum Revisionsverfahren hat zB zur Folge, dass im Aufhebungsverfahren neuer Sachvortrag grundsätzlich nicht zulässig ist12 und neue prozessuale Ansprüche grundsätzlich nicht zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden können13.

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Die Aufhebungsklage nach § 110 ArbGG richtet sich auf die Aufhebung „des Schiedsspruchs“. Das drückt aus, dass die schiedsgerichtliche Entscheidung in der Sache einer Aufhebung zugänglich sein soll. Gegenstand des Aufhebungsverfahrens ist damit das vor dem Schiedsgericht anhängig gemachte Sachbegehren14. Entsprechend sind das Verfahren vor der Bühnenschiedsgerichtsbarkeit und das arbeitsgerichtliche Aufhebungsverfahren nach § 110 ArbGG auch nicht etwa als einheitlicher Instanzenzug ausgestaltet. Mit der bestandskräftigen Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts ist das Bühnenschiedsgerichtsverfahren verbraucht15. Der Rechtsstreit kann im Rahmen der Aufhebungsklage nach § 110 ArbGG daher auch nicht von den Gerichten für Arbeitssachen an das Bühnenoberschiedsgericht zurückverwiesen werden16. Das folgt schon daraus, dass in § 110 ArbGG eine § 1059 Abs. 4 ZPO entsprechende, die Zurückverweisung ausdrücklich gestattende Regelung fehlt. § 1059 ZPO wird für den Schiedsvertrag in Arbeitsstreitigkeiten gemäß §§ 101 ff. ArbGG durch § 110 ArbGG verdrängt und findet auch keine entsprechende Anwendung17. Eine wiederholte Einschaltung der Schiedsgerichtsbarkeit könnte insbesondere angesichts des dreistufigen Instanzenzugs der Arbeitsgerichtsbarkeit zu einer im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensverzögerung führen18.

Liegt ein Aufhebungsgrund iSv. § 110 Abs. 1 ArbGG vor, ist mit der Aufhebung nunmehr ohne die durch die Revisionsähnlichkeit des Verfahrens bedingten Beschränkungen die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gegeben19. Dabei steht diesen nach den allgemeinen Regeln des Arbeitsgerichtsgesetzes die alleinige Sachentscheidungskompetenz zu, wobei ggf. eine weitere Sachaufklärung erfolgen kann und neuer Sachvortrag zu berücksichtigen ist20.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. September 2016 – 7 AZR 128/14

  1. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 110 Rn. 3; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 110 Rn. 2[]
  2. GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 108 Rn. 13 und § 110 Rn. 2[]
  3. GmS-OBG, Beschluss vom 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367[]
  4. GmS-OGB 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92, zu II 3 der Gründe, aaO[]
  5. vgl. BAG 1.10.2003 – 1 ABN 62/01, zu II 3 c der Gründe, BAGE 108, 55; 9.07.2003 – 5 AZR 175/03, zu 1 der Gründe; 3.12 1998 – 2 AZR 531/98, zu I der Gründe; 16.12 1993 – 8 AZR 114/93, zu I der Gründe[]
  6. BVerfG 26.03.2001 – 1 BvR 383/00, zu B I 2 c cc der Gründe[]
  7. vgl. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 108 Rn. 12 und § 26 BSchGO Rn. 2; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 108 Rn. 11; Düwell/Lipke/Voßkühler 4. Aufl. § 108 Rn. 17; Schwab/Weth/Zimmerling ArbGG 4. Aufl. § 108 Rn. 11[]
  8. vgl. GmS-OGB 27.04.1993 – GmS-OGB 1/92, zu II 4 der Gründe, BVerwGE 92, 367[]
  9. vgl. Hauck/Biebl in Hauck/Helml/Biebl ArbGG 4. Aufl. § 108 Rn. 3; GMP/Germelmann 8. Aufl. § 108 Rn. 15; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 108 Rn. 11; Düwell/Lipke/Voßkühler 4. Aufl. § 108 Rn. 17; Schwab/Weth/Zimmerling ArbGG 4. Aufl. § 108 Rn. 12[]
  10. BAG 15.02.2012 – 7 AZR 626/10, Rn. 24 f.[]
  11. vgl. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 665/11, Rn.20, BAGE 145, 142; 15.02.2012 – 7 AZR 626/10, Rn.20 mwN[]
  12. vgl. BAG 2.07.2003 – 7 AZR 613/02, zu II 2 c bb (3) der Gründe; 6.11.1997 – 2 AZR 253/97, zu II 4 der Gründe mwN[]
  13. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 665/11, Rn.20, aaO[]
  14. BAG 15.05.2013 – 7 AZR 665/11, Rn.20, BAGE 145, 142; 15.02.2012 – 7 AZR 626/10, Rn. 26; 12.01.2000 – 7 AZR 925/98, zu A der Gründe mwN[]
  15. BAG 15.02.2012 – 7 AZR 626/10, Rn. 26; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 110 Rn. 29; Schwab/Weth/Zimmerling ArbGG 4. Aufl. § 110 Rn. 35; aA GMP/Germelmann 8. Aufl. § 110 Rn. 26[]
  16. BAG 27.01.1993 – 7 AZR 124/92, zu IV der Gründe[]
  17. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 110 Rn. 1; GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 110 Rn. 1; Düwell/Lipke/Voßkühler 4. Aufl. § 110 Rn. 1[]
  18. BAG 27.01.1993 – 7 AZR 124/92, zu IV 2 der Gründe[]
  19. vgl. GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 110 Rn. 29; Düwell/Lipke/Voßkühler 4. Aufl. § 110 Rn. 39; Schwab/Weth/Zimmerling ArbGG 4. Aufl. § 110 Rn. 35[]
  20. GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2016 § 110 Rn. 30[]
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