Der Streit um eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung – und das Beschlussverfahren

Streitigkeiten über die Wirksamkeit einer AVE oder einer entsprechenden VO nach § 2a Abs. 1 Nr. 5 iVm. § 98 ArbGG sind gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG im Beschlussverfahren auszutragen.

Der Streit um eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung – und das Beschlussverfahren

Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG erforscht das Gericht den Sachverhalt im Rahmen der gestellten Anträge von Amts wegen, wobei die am Verfahren Beteiligten nach § 83 Abs. 1 Satz 2 ArbGG an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken haben.

Diese Grundsätze gelten gemäß § 98 Abs. 3 Satz 1 ArbGG entsprechend im Verfahren zur Überprüfung der Wirksamkeit einer AVE oder VO1.

Mangels fortbestehenden Feststellungsinteresses bedurfte im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Verfahren die von den beteiligten Solo-Selbständigen aufgeworfene Frage, ob die Kartellgerichte nach § 87 Satz 2 GWB ausschließlich zuständig sein könnten, keiner Beantwortung2. Hinsichtlich der noch verbliebenen Antragsteller ist die Frage weder aufgeworfen worden noch stellt sie sich. Es ist geklärt, dass das Kartellrecht für Tarifverträge grundsätzlich nicht gilt3. Im Übrigen hätte die Unwirksamkeit der Bestimmungen über die Mindestbeitragspflicht zum Berufsbildungsverfahren keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit des VTV und des BBTV sowie der jeweiligen AVE.

Verfahrensgegenstand eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG ist eine bestimmte Rechtsverordnung oder die Wirksamkeit der AVE eines bestimmten Tarifvertrags4. Welchen Inhalt die AVE hat, ergibt sich aus der ministeriellen Entscheidung, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Davon umfasst wird wegen der unterschiedlichen Rechtswirkungen auch die Frage, ob eine AVE auf Grundlage von § 5 Abs. 1 TVG oder von § 5 Abs. 1a TVG ergangen ist5. Unerheblich ist, ob mit der AVE dem Antrag der Tarifvertragsparteien voll entsprochen wurde oder ob sie dahinter zurückbleibt, solange sich die Tarifvertragsparteien hiergegen nicht erfolgreich wenden. Dies könnte allenfalls im Verwaltungsrechtsweg erfolgen, nicht jedoch im Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG6. Deshalb bedarf die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das BMAS die AVE gegenüber dem Antrag beschränken darf, hier keiner Entscheidung7. Da das BMAS im vorliegenden Fall den BRTV entgegen dem vorrangigen Antrag der Tarifvertragsparteien nicht nach § 5 Abs. 1a TVG, sondern nach § 5 Abs. 1 TVG für allgemeinverbindlich erklärt hat, sind die Arbeitsgerichte im Rahmen des Verfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 5, § 98 ArbGG hieran gebunden. Ausschließlich die so ergangene AVE unterliegt der gerichtlichen Überprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit. Ein Austausch der Rechtsgrundlagen kommt im Verhältnis zwischen § 5 Abs. 1 TVG und § 5 Abs. 1a TVG nicht in Betracht8, da hierdurch die ministerielle Entscheidung inhaltlich geändert würde.

Weiterlesen:
Juristische Begrifflichkeiten im Tarifvertrag - und die Frage des Sachbezugs

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 21. März 2018 – 10 ABR 62/16

  1. vgl. BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 86 ff., BAGE 156, 213[]
  2. vgl. zu diesem Problem BAG 29.06.2017 – 8 AZR 189/15, Rn. 16 ff., BAGE 159, 316[]
  3. BAG 10.11.1993 – 4 AZR 316/93, zu B IV 3 der Gründe mwN, BAGE 75, 66[]
  4. BAG 21.09.2016 – 10 ABR 33/15, Rn. 132 ff., BAGE 156, 213[]
  5. Däubler/Lakies TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 188[]
  6. ErfK/Koch 18. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 1; vgl. auch BVerwG 3.11.1988 – 7 C 115.86, zu 4 der Gründe, BVerwGE 80, 355 [zum Fall der Ablehnung einer AVE für einen Teil der beantragten Tarifverträge][]
  7. grundsätzlich bejahend zB Däubler/Lakies aaO Rn.196 ff.; ErfK/Franzen aaO § 5 TVG Rn. 5; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 5 Rn. 117 ff.; Sittard in Henssler/Moll/Bepler Der Tarifvertrag 2. Aufl. Teil 7 Rn. 37; Thüsing/Braun Tarifrecht 2. Aufl.06. Kap. Rn. 107 ff.; aA HWK/Henssler 7. Aufl. § 5 TVG Rn. 8[]
  8. aA NK-GA/Forst § 5 TVG Rn. 108[]