Eine Forderung ist im Allgemeinen dann entstanden, wenn der von der Norm zu ihrer Entstehung vorausgesetzte Tatbestand verwirklicht ist, auch wenn der Gläubiger die Leistung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verlangen kann, also die Fälligkeit der Forderung hinausgeschoben ist. Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt aber nicht vor Fälligkeit, dh. nicht vor dem Zeitpunkt, zu dem der Gläubiger vom Schuldner die Leistung verlangen (§ 271 BGB) und im Weg der Klage durchsetzen kann1.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der obst, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie, der Fruchtsaftindustrie und der Mineralbrunnen für Niedersachsen und Bremen vom 23.08.2005 (MTV) erfolgt die monatliche Entgeltzahlung in der Regel zum Monatsende. Variable Entgeltbestandteile, zu denen auch die streitgegenständlichen Nachtarbeitszuschläge gehören, können allerdings nach § 7 Abs. 2 MTV im Folgemonat abgerechnet und ausgezahlt werden. Die Nachtarbeitszuschläge sind damit jeweils erst am Monatsende des Folgemonats nach Leistung der Nachtarbeit fällig geworden.
Eine Geltendmachung von Ansprüchen setzt zwar grundsätzlich voraus, dass der Anspruch bereits entstanden ist. Eine Besonderheit liegt aber vor, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage ein Anspruch aus einem bestimmten Sachverhalt hergeleitet werden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn ein bestimmter Anspruch jeweils aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entsteht. Durch einmalige ordnungsgemäße Geltendmachung kann die Ausschlussfrist dann auch im Hinblick auf noch nicht entstandene Ansprüche gewahrt sein. Auch wenn die jeweilige Tarifbestimmung dies nicht ausdrücklich vorsieht, kommt eine entsprechende Auslegung in Betracht, wenn der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck, dem Schuldner zeitnah Gewissheit zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat, durch die einmalige Geltendmachung erreicht wird. Die einschränkende Auslegung ist insbesondere dann geboten, wenn lediglich über die stets gleiche Berechnungsgrundlage von im Übrigen unstreitigen Ansprüchen gestritten wird; hier reicht im Zweifel die einmalige Geltendmachung der richtigen Berechnungsmethode auch für später entstehende Zahlungsansprüche aus. Steht allein ein bestimmtes Element einer bestimmten Art von Ansprüchen in Streit, erfüllt die Aufforderung, dieses zukünftig in konkreter Art und Weise zu beachten, die Funktion einer Inanspruchnahme. Für den Schuldner kann kein Zweifel bestehen, was von ihm verlangt wird, und der Gläubiger darf ohne Weiteres davon ausgehen, dass er seiner Obliegenheit zur Geltendmachung Genüge getan hat2.
Nach diesen Grundsätzen genügt vorliegend die einmalige Geltendmachung auch für später entstehende Differenzansprüche zwischen dem geleisteten Zuschlag für Nachtschichtarbeit nach § 5 Nr. 2 Buchst. c MTV und dem Zuschlag für Nachtarbeit nach § 5 Nr. 2 Buchst. b MTV. Der Wortlaut des § 14 MTV schließt die Geltendmachung künftiger Ansprüche nicht von vornherein aus. Der Umfang der geleisteten Nachtarbeit stand und steht zwischen den Parteien außer Streit. Umstritten ist einzig die Rechtsfrage, ob die tarifliche Differenzierung bei der Höhe der Nachtarbeitszuschläge rechtswirksam ist und welche Rechtsfolgen an eine Unwirksamkeit ggf. geknüpft sind. Die Arbeitgeberin musste vor diesem Hintergrund nach der erstmaligen Geltendmachung deshalb damit rechnen, dass diese Streitfrage sich auch bei in den Folgemonaten geleisteter Nachtschichtarbeit stellt und sie konnte ihr Verhalten darauf einstellen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. März 2023 – 10 AZR 553/20