Die an der Gemeinschaftsgrundschule eingesetzte Erzieherin – und ihre Eingruppierung

Zwar gelten nach § 29 TVÜ-VKA im Grundsatz für die in den TVöD/VKA übergeleiteten Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis über den 31.12.2016 hinaus fortbesteht und die am 1.01.2017 unter den Geltungsbereich des TVöD/VKA fallen, ab dem 1.01.2017 für Eingruppierungen die neu eingefügten §§ 12, 13 TVöD/VKA. § 29a TVÜ-VKA bestimmt jedoch, dass die Überleitung dieser Beschäftigten für die Dauer ihrer unverändert auszuübenden Tätigkeit unter Beibehaltung der bisherigen Entgeltgruppe erfolgt.

Die an der Gemeinschaftsgrundschule eingesetzte Erzieherin – und ihre Eingruppierung

Nach § 1 Nr. 13 des Änderungstarifvertrags Nr. 12 vom 29.04.2016 zum TVöD mit Wirkung zum 1.01.2017 sind die Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst ohne inhaltliche Änderung in Teil B Abschnitt XXIV der Anlage 1 – Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA übernommen worden1.

Bei der Betreuung von Gruppen durch Erzieherinnen und Erzieher ist regelmäßig von einem Arbeitsvorgang auszugehen2.

Im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall einer an einer städtischen Gemeinschaftsgrundschule mit „offenem Ganztag“ und „8-1 Betreuung“ eingesetzen Erzieherin erfüllt die von der Erzieherin auszuübende Tätigkeit einer Erzieherin nicht das Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 1 TVöD/VKA. Dabei konnte mangels Feststellungen, ob sie Erzieherin mit staatlicher Anerkennung ist, zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass sie „sonstige Beschäftigte“ iSd. Tarifmerkmals ist. Ihre Tätigkeit erfüllt jedoch keines der Tätigkeitsbeispiele der Protokollerklärung Nr. 6 zur Entgeltgruppe S 8b TVöD/VKA:

Die Erzieherin ist nicht in einer Integrationsgruppe iSd. Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. a tätig. Die von ihr zu betreuende Gruppe hat unstreitig keinen Anteil von mindestens einem Drittel behinderter Menschen iSv. § 2 SGB IX.

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Ihre Tätigkeit erfüllt ebenso wenig das Tätigkeitsbeispiel der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. b. Dieses setzt eine Gruppe voraus, die ausschließlich aus Menschen mit Behinderung oder Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten besteht. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschrift3.

Schon der Wortlaut legt nahe, dass jedes Mitglied der Gruppe die jeweilige in der Protokollerklärung genannte Eigenschaft aufweisen muss.

Das ergibt sich aus der Verknüpfung des Begriffs der Gruppe mit dem jeweiligen besonderen Merkmal durch die Präposition „von“. Wären die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen, lediglich bei einem Teil der Gruppenmitglieder müssten diese Merkmale vorliegen, hätten sie die Formulierung „mit“ gewählt. Dies wird durch einen Vergleich mit der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. a deutlich. Dort wird die Regelung zur Bestimmung des Mindestanteils der betreffenden Gruppenmitglieder mit dem Wort „mit“ eingeleitet, während von diesen wiederum jedes einzelne („von“) eine Behinderung iSv. § 2 SGB IX haben muss.

Für die gegenteilige Auffassung, es sei ausreichend, dass die zu betreuende Gruppe gerade für diesen Personenkreis vorgesehen sei und sich in dieser Gruppe regelmäßig auch Kinder mit Behinderung oder wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten befänden, lassen sich dem Wortlaut keine Anhaltspunkte entnehmen. Bei dem von der Erzieherin angenommenen Regelungsinhalt hätte es seitens der Tarifvertragsparteien nahegelegen, die Präposition „für“ zu verwenden.

Dieses Verständnis wird durch den systematischen Zusammenhang bestätigt. Die Tarifvertragsparteien haben den Fall der Tätigkeit in Integrationsgruppen in der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. a dergestalt geregelt, dass diese typischerweise dann fachlich besonders schwierig ist, wenn in der Gruppe ein bestimmtes Mindestmaß an Menschen mit Behinderung zu betreuen ist. Würde man die Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. b – wie die Erzieherin meint – dahingehend verstehen, ein solches Mindestmaß sei hier nicht erforderlich, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. a. Diese liefe dann leer. Dies spricht dafür, dass im Rahmen der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. b Alt. 1 sämtliche Mitglieder der Gruppe behinderte Menschen iSv. § 2 SGB IX sein müssen. Nichts anderes gilt für Kinder und Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten. Die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten zwei Elementen einer – alternativen – Aufzählung einen unterschiedlichen Sinngehalt beimessen wollen, liegt in Ermangelung entsprechender Anhaltspunkte fern.

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Das dagegen angeführte Argument, dieses Verständnis führe, wenn auch nur ein Kind in der Gruppe nicht von einer Behinderung oder wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten betroffen ist, zur fehlenden Anwendbarkeit des Tätigkeitsbeispiels, gebietet keine andere Auslegung.

Ist die auszuübende Tätigkeit die Betreuung einer Gruppe von Kindern mit Behinderung oder von Kindern und Jugendlichen mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten im Tarifsinn und weist tatsächlich eines der Gruppenmitglieder ein entsprechendes Merkmal nicht auf, ändert dies nichts an der Erfüllung des Tätigkeitsbeispiels und damit der Eingruppierung.

Ist dem Beschäftigten hingegen die Betreuung einer Gruppe übertragen, deren Mitglieder nur zum Teil die im Tätigkeitsbeispiel aufgeführten Merkmale aufweisen, ist zwar das Tätigkeitsbeispiel auch dann nicht erfüllt, wenn dies mit Ausnahme eines Kindes oder Jugendlichen bei sonst allen Gruppenmitgliedern der Fall ist. Dieser Umstand ist die Folge der von den Tarifvertragsparteien gewählten Regelungstechnik. Das schließt aber nicht aus, dass die auszuübende Tätigkeit die besonderen Anforderungen des allgemeinen Tätigkeitsmerkmals erfüllt.

Die Tätigkeit der Erzieherin erfüllt auch nicht das allgemeine Tätigkeitsmerkmal der Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 1 TVöD/VKA.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss sich die Tätigkeit iSd. Entgeltgruppe S 8b TVöD/VKA von der „Normaltätigkeit“ einer Erzieherin „sehr deutlich“ abheben4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts setzt dies jedoch nicht zwingend voraus, dass die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die eine Behinderung oder wesentliche Erziehungsschwierigkeiten aufweisen, zusammengenommen wenigstens ein Drittel der zu betreuenden Gruppe ausmachen.

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Die allgemein gefasste Formulierung des Qualifizierungsmerkmals in Entgeltgruppe S 8b Fallgruppe 1 TVöD/VKA bietet für ein solches Tarifverständnis keine Anhaltspunkte. Zwar können bei der Auslegung des allgemeinen Tätigkeitsmerkmals die Tätigkeitsbeispiele als Richtlinien für die Bewertung herangezogen werden5. Allein der Protokollerklärung Nr. 6 Buchst. a kann aber keine generelle quantitative Vorgabe für das allgemeine Tätigkeitsmerkmal entnommen werden. Vielmehr machen die Beispiele der Protokollerklärung Nr. 6 deutlich, dass auch andere Umstände die Erfüllung des Tätigkeitsmerkmals rechtfertigen können. Zur Bestimmung einer vergleichbaren „Wertigkeit“6 bedarf es einer Bewertung der quantitativen und qualitativen Elemente der übertragenen Aufgaben. So kann im Einzelfall etwa die Betreuung einer Gruppe von Kindern, von denen mindestens die Hälfte „mehr oder weniger starke Erziehungsschwierigkeiten aufweisen“, die Annahme besonders schwieriger fachlicher Tätigkeiten im Tarifsinn rechtfertigen7. Auch die Einzelbetreuung von Kindern in der Frühförderung kann vergleichbare Anforderungen an die Tätigkeit eines Erziehers stellen4.

Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts sind die Tätigkeitsbeispiele bei einem solchen Verständnis des allgemeinen Tätigkeitsmerkmals nicht bedeutungslos. Ist ein Tätigkeitsbeispiel erfüllt, verbietet sich zwar die Prüfung des allgemeinen Tätigkeitsmerkmals8. Das bedeutet jedoch nicht umgekehrt, dass bei Nichtvorliegen einzelner in den Tätigkeitsbeispielen genannter Kriterien die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale nicht erfüllt sein könnten.

Danach kann die Erzieherin keine Vergütung nach der Entgeltgruppe S 8b TVöD/VKA verlangen. Ihre Tätigkeit hebt sich nicht „sehr deutlich“ aus der Normaltätigkeit heraus. Sie weist weder in quantitativer noch in qualitativer Hinsicht eine besondere fachliche Schwierigkeit auf.

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Selbst wenn man zu Gunsten der Erzieherin unterstellt, bei den von ihr genannten Kindern lägen tatsächlich wesentliche Erziehungsschwierigkeiten vor, ist ihrem Vortrag nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, welche Aufgaben ihr hinsichtlich dieses Personenkreises übertragen worden sind. Das gilt insbesondere für die Kinder, die von einem Sozialarbeiter begleitet werden. Welche Aufgaben von diesem – auch in der OGS – übernommen werden und deshalb nicht von der Erzieherin wahrzunehmen sind, ist nicht ersichtlich. Der Anteil der übrigen von der Erzieherin aufgeführten, zum Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts drei – Kinder erreichen jedenfalls nicht ein Maß, das als solches die Annahme einer vergleichbaren Wertigkeit mit den in der Protokollerklärung Nr. 6 aufgeführten Tätigkeitsbeispielen rechtfertigen würde.

Die Erzieherin kann sich nicht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.03.19979 stützen. Sie übersieht, dass sich die auszuübenden Tätigkeiten unterscheiden. Anders als im dortigen Fall ist der Erzieherin nicht die Betreuung von Kindern mit Erziehungsschwierigkeiten oder (Lern-)Behinderungen übertragen, sondern von Kindern einer Grundschule, von denen – möglicherweise – einzelne eine Behinderung oder wesentliche Erziehungsschwierigkeiten aufweisen.

Weiterhin lassen sich dem Vortrag der Erzieherin, eine zunehmende Anzahl von Kindern weise einen „Migrationshintergrund“ auf oder spreche Deutsch als Zweitsprache, keine Anhaltspunkte für eine besonders schwierige fachliche Tätigkeit entnehmen. Ihr bloßer Hinweis auf das Schulkonzept ist unsubstantiiert. Es bleibt unklar, welche Aufgaben im regulären Unterricht und welche in der Betreuung der OGS anfallen. Unzureichend ist schließlich der nicht näher erläuterte Verweis auf mögliche Schwierigkeiten im sozial-emotionalen Bereich.

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Soweit die Erzieherin auf ihre Beobachtungs- und Dokumentationspflichten sowie das Erfordernis der Zusammenarbeit mit den anderen an der Grundschule tätigen Berufsgruppen verweist, ergibt sich daraus ebenfalls keine Heraushebung aus der Normaltätigkeit. Vielmehr sind diese Aufgaben Gegenstand der „Normaltätigkeit“ einer Erzieherin10.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. Oktober 2020 – 4 AZR 252/19

  1. zur tariflichen Entwicklung sh. BAG 13.11.2019 – 4 AZR 490/18, Rn. 25 ff., BAGE 168, 306[]
  2. zB BAG 27.09.2017 – 4 AZR 666/14, Rn. 16; 25.03.1998 – 4 AZR 659/96, zu II 2 c der Gründe mwN[]
  3. zu den Maßstäben der Tarifauslegung zB BAG 20.06.2018 – 4 AZR 339/17, Rn.19[]
  4. BAG 22.03.1995 – 4 AZR 30/94, zu II 3 c der Gründe[][]
  5. st. Rspr., zuletzt etwa BAG 13.05.2020 – 4 ABR 29/19, Rn. 38; 13.11.2019 – 4 ABR 3/19, Rn. 25 mwN; für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst vgl. BAG 22.03.1995 – 4 AZR 30/94, zu II 3 c der Gründe mwN[]
  6. vgl. BAG 22.03.1995 – 4 AZR 30/94, zu II 3 c der Gründe[]
  7. vgl. BAG 5.03.1997 – 4 AZR 482/95, zu II 3 c der Gründe[]
  8. BAG 12.06.2019 – 4 AZR 363/18, Rn. 17 mwN, BAGE 167, 78[]
  9. BAG 05.03.1997 – 4 AZR 482/95[]
  10. vgl. auch BAG 13.11.2019 – 4 AZR 490/18, Rn. 44, BAGE 168, 306[]

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