Ungeachtet der fehlenden Tarifbindung ist ein Bauunternehmer an den Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) 2014 sowie den VTV 2015 nach § 5 Abs. 4 TVG gebunden.

Das Bundesarbeitsgericht hat sowohl die AVE VTV 2015 als auch die AVE VTV 2016 für wirksam befunden1. Die Beschlüsse wirken nach § 98 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für und gegen jedermann und damit auch für und gegen den einzelnen Bauunternehmer. Das SokaSiG lässt die Allgemeinverbindlicherklärungen nach § 13 SokaSiG unberührt.
Gegen die Geltungserstreckung des VTV 2009, des VTV 2011, des VTV 2012, des VTV 2013 I, des VTV 2013 II, des VTV 2014 und des VTV 2015 auf den nicht tarifgebundenen Bauunternehmer durch § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 iVm. den Anlagen 26 bis 32 bestehen aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken2.
§ 7 SokaSiG ist aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts entgegen der Auffassung des Baunternehmers formell verfassungsgemäß.
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich aus Art. 70 Abs. 2, Art. 72 Abs. 1, Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG. Der Kompetenztitel „Arbeitsrecht“ begründet eine umfassende Zuständigkeit des Bundes für privatrechtliche und auch öffentlich-rechtliche Bestimmungen über die Rechtsbeziehungen im Arbeitsverhältnis3. Er umfasst neben dem Recht der Individualarbeitsverträge auch das Tarifvertragsrecht, ohne dem Vorbehalt der Erforderlichkeit des Art. 72 Abs. 2 GG zu unterliegen4.
Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien in § 5 TVG die Möglichkeit eingeräumt hat, die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen zu beantragen, ergibt sich keine wie auch immer geartete „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Insbesondere war er nicht wegen § 5 TVG daran gehindert, das SokaSiG zu erlassen5. Mit der Einführung eines weiteren Geltungsgrundes nimmt der Gesetzgeber keine „Generalkassation“ des § 5 TVG in „systemwidriger Weise“ vor.
Die Geltungserstreckung von Tarifverträgen auf nicht originär Tarifgebundene war allein mit Blick auf § 7 AEntG schon vor Inkrafttreten des SokaSiG nicht auf die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG beschränkt.
Der Gesetzgeber ist dazu befugt, die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie durch gesetzliche Regelungen herzustellen und zu sichern. Er kann auch bereits bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen für das Handeln der Koalitionen ändern oder ergänzen, um dem Handeln der Koalitionen und insbesondere der Tarifautonomie Geltung zu verschaffen6. Daher ist es ihm unbenommen, sich für eine andere Rechtsform als die in § 5 TVG geregelte Allgemeinverbindlicherklärung zu entscheiden7.
Entgegen der Auffassung der Revision ist der Gesetzgeber auch für den Erlass solcher Gesetze zuständig, die den Schutzbereich der Tarifautonomie betreffen. Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien in dem für tarifvertragliche Regelungen zugänglichen Bereich zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln8.
Der von der Revision vorgebrachte Einwand, der Gesetzgeber habe die für die Gesetzgebung relevanten Fakten nicht hinreichend ermittelt, trägt nicht. Eine selbständige, von den Anforderungen an die materielle Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes unabhängige Sachaufklärungspflicht folgt aus dem Grundgesetz nicht9.
§ 7 SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 9 Abs. 3 GG10.
Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts verletzt das SokaSiG nicht die negative Koalitionsfreiheit. Soweit die gesetzliche Geltungserstreckung des VTV einen mittelbaren Druck erzeugen sollte, um der größeren Einflussmöglichkeit willen Mitglied einer der tarifvertragsschließenden Parteien zu werden, ist dieser Druck jedenfalls nicht so erheblich, dass die negative Koalitionsfreiheit verletzt würde11. Das gilt auch mit Blick auf die Vorschriften im Zusammenhang mit der Bürgenhaftung (§ 7 Abs. 11 und § 12 SokaSiG) sowie auf § 11 SokaSiG, die die Revision ausdrücklich anführt. Soweit sie auf Art. 80 Abs. 1 GG verweist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Das SokaSiG sieht keine Ermächtigung der Exekutive vor, normsetzend tätig zu werden. Es überträgt den Tarifvertragsparteien keine weiter gehenden als die schon bestehenden Befugnisse.
Ein etwaiger Eingriff in die Tarifautonomie durch die gesetzliche Geltungserstreckung ist jedenfalls im Interesse der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie gerechtfertigt.
Das SokaSiG dient einem legitimen Zweck, weil es den Fortbestand der Sozialkassenverfahren in der Bauwirtschaft sichern und Bedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffen soll12. Dazu gehört auch die Abschöpfung eingetretener Vorteile durch Beitragseinzug für zurückliegende Zeiträume. Indem § 7 SokaSiG nicht nur Rückforderungsansprüche ausschließt, sondern auch den noch nicht erfolgten Beitragseinzug sicherstellt, kann dieser Zweck erreicht werden.
Das SokaSiG ist erforderlich.
Eine auf Rückforderungsansprüche beschränkte Regelung wäre zwar milder gewesen, aber nicht gleich wirksam13.
Der Erforderlichkeit des SokaSiG steht nicht entgegen, dass es Zeiträume umfasst, hinsichtlich derer die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits rechtskräftig festgestellt war bzw. in der Folgezeit festgestellt worden ist. Dem Gesetzgeber war und ist es unbenommen, aus rein vorsorglichen Gründen die Geltung eines Tarifvertrags für nicht tarifgebundene Arbeitgeber anzuordnen. Wie etwa im Fall des SokaSiG2 ist keine vorherige Entscheidung nach § 98 ArbGG erforderlich, die feststellt, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung unwirksam ist. Selbst wenn die Wirksamkeit einer Allgemeinverbindlicherklärung bereits rechtskräftig festgestellt war, ist es vom Einschätzungs- und Prognosespielraum des Gesetzgebers gedeckt, die Erstreckung des erfassten Tarifvertrags auf sog. Außenseiter zusätzlich kraft Gesetzes anzuordnen. Das war bei der am 24.02.2006 ergangenen Allgemeinverbindlicherklärung des VTV vom 20.12 1999 idF vom 15.12 2005 der Fall14. Es war nicht auszuschließen, dass es zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 578 ff. ZPO, § 98 Abs. 5 ArbGG und zu einer anderen Entscheidung kommen würde.
Die mit § 7 SokaSiG verbundenen Belastungen für nicht tarifgebundene Arbeitgeber hält das Bundesarbeitsgericht angesichts der mit der Norm verfolgten Ziele für zumutbar15.
Die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) oder die Eigentumsfreiheit (Art. 14 Abs. 1 GG) sind nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls nicht verletzt.
Die durch die Beitragspflicht bezweckte Umlagefinanzierung des Urlaubskassenverfahrens, der Berufsbildung und der zusätzlichen Altersversorgung im Baugewerbe greift nicht in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit der verpflichteten Arbeitgeber ein. Sie betrifft lediglich den Interessenausgleich zwischen den branchenzugehörigen Arbeitgebern untereinander und zu den Arbeitnehmern auf übertariflicher Ebene16.
Das Bundesarbeitsgericht hat bereits entschieden, dass die aufgrund des SokaSiG bestehende Beitragspflicht den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit unberührt lässt und ein etwaiger Eingriff jedenfalls gerechtfertigt wäre17. Argumente, die zu einer anderen Beurteilung führen, hat der Bauunternehmer nicht aufgezeigt.
§ 7 SokaSiG „annulliert“ nicht unter Verstoß gegen Art.20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung. Mit der gesetzlichen Erstreckungsanordnung sollte – letztlich mit Rücksicht auf die Forderungen der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit – statt anfechtbaren Rechts unanfechtbares Recht gesetzt werden. Der Gesetzgeber hat dabei weder die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts „kassiert“, noch hat er „neues“ Recht geschaffen oder in die allein dem Bundesverfassungsgericht zukommende Kompetenz zur Aufhebung von Akten der Judikative eingegriffen. Vielmehr hat er lediglich eine aus formellen Gründen unwirksame Erstreckung der Normwirkung der Verfahrenstarifverträge durch eine wirksame – gesetzliche – Erstreckungsanordnung ersetzt, um auf diese Weise den weitreichenden Folgen der Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.201618 und 25.01.201719 entgegenzuwirken20.
§ 7 SokaSiG verletzt nicht das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen tariffreier Arbeitgeber, von rückwirkenden Gesetzen nicht in unzulässiger Weise belastet zu werden21. Der gegenteiligen Auffassung des Baunternehmers stimmt das Bundesarbeitsgericht nicht zu.
Der Bauunternehmer musste wie alle Betroffenen mit der nachträglichen – gesetzlichen – Bestätigung der Beitragspflicht aufgrund der Verfahrenstarifverträge rechnen. Sein Einwand, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Fallgruppen, nach denen eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig ist, seien nicht einschlägig, trägt nicht. Ob der Sachverhalt einer dieser Fallgruppen zugeordnet werden kann, ist unerheblich, weil sie nicht abschließend sind. Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen22.
Mit dem SokaSiG hat der Gesetzgeber die ua. in der Entscheidung vom 21.09.201623 festgestellten formellen Mängel geheilt24. Die Ausführungen der Revision veranlassen zu keiner anderen Bewertung.
Bis zum 20.09.2016 bestand keine Grundlage für ein Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen des VTV idF der Anlagen 26 bis 32 des SokaSiG, auf die die Absätze 1 bis 7 des § 7 SokaSiG verweisen25. Es entsprach der weit überwiegenden Rechtsansicht, dass diese Fassungen des VTV wirksam für allgemeinverbindlich erklärt worden waren. Die von den in Anspruch genommenen Arbeitgebern gehegten Zweifel waren keine geeignete Grundlage für die Bildung von Vertrauen dahin, dass auf der Annahme der fehlenden Normwirkung der Verfahrenstarifverträge beruhenden Dispositionen nicht nachträglich die Grundlage entzogen werden würde26.
Der Bauunternehmer beruft sich vergeblich darauf, die „Ersetzung“ der unwirksamen Allgemeinverbindlicherklärung durch eine gesetzliche Regelung sei nicht vorhersehbar gewesen. Dem Gesetzgeber steht die Wahl einer anderen Rechtsform als der in § 5 TVG geregelten Allgemeinverbindlicherklärung für die Erstreckung eines Tarifvertrags auf Außenseiter frei. Die Rechtsform ändert nichts an Inhalt und Ergebnis der Erwägungen zu der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen27.
Mit Blick auf die von § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG erfassten Zeiträume konnte sich bei dem Bauunternehmer aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.201618 sowie vom 25.01.201719 kein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, nicht zu Sozialkassenbeiträgen herangezogen zu werden. Vielmehr musste er nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge von § 7 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG zurückbezogen wird, damit rechnen, dass die tariflichen Rechtsnormen durch Gesetz rückwirkend wieder auf nicht originär tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt werden würden. Der Gesetzgeber brauchte auf zwischenzeitlich dennoch getätigte gegenläufige Vermögensdispositionen keine Rücksicht zu nehmen28. Das von der Revision in diesem Zusammenhang reklamierte Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechtswegs trägt nicht. Ein Vertrauen darauf, der Gesetzgeber werde eine gerichtliche Entscheidung nicht zum Anlass nehmen, die sich daraus ergebenden Folgen zu bewältigen, ist nicht schutzwürdig29.
Soweit angeführt wird, der Bauunternehmer und seine Bevollmächtigte hätten seit jeher an der Wirksamkeit der im Streitfall einschlägigen Allgemeinverbindlicherklärungen gezweifelt, war ein – etwa – dadurch bei ihnen entstandenes Vertrauen auf die letztlich höchstrichterlich bestätigte Unwirksamkeit dieser Allgemeinverbindlicherklärungen jedenfalls nicht schützenswert. Entscheidend ist eine objektive Betrachtung30. Objektiv durfte niemand auf die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklärungen vertrauen, weil die weit überwiegende Rechtsansicht sie jedenfalls bis zu den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 für wirksam gehalten hatte31.
Der Bauunternehmer kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er aufgrund der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 21.09.2016 trotz der in der Folgezeit zu beobachtenden gesetzgeberischen Aktivitäten auf den Fortbestand des tariflosen Zustands vertraut habe. Der Bildung von Vertrauen auf den Bestand dieser Rechtslage steht entgegen, dass die gesetzliche Wiederherstellung der Normerstreckung auf tariffreie Arbeitgeber bereits vor der Veröffentlichung der Entscheidungsformel im Bundesanzeiger absehbar war32. Nach der Einbringung eines Gesetzentwurfs in den Deutschen Bundestag war ein – etwa – entstandenes Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage jedenfalls wieder zerstört33.
Das SokaSiG verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Rechtssicherheit (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG).
Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug. Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können34.
Entgegen der Auffassung der Revision verstößt das SokaSiG nicht aufgrund „unbestimmter Befristung“ gegen diesen Grundsatz.
In § 7 Abs. 2 bis Abs. 10 SokaSiG hat der Gesetzgeber jeweils den Beginn und das Ende des Zeitraums bestimmt, in denen der VTV in seiner jeweiligen Fassung zur Geltung kommt. Der Einwand der Revision kann sich damit nur gegen solche Geltungsanordnungen wie in § 7 Abs. 1 SokaSiG richten, für die der Gesetzgeber nur einen konkreten Beginn, aber kein durch Datum bestimmtes Ende festgelegt hat. Indem das Gesetz für den Ablauf der Geltungsanordnung auf die Beendigung des Tarifvertrags abstellt, benennt es trotz der in § 9 Abs. 1 SokaSiG vorgenommenen Definition keinen im Voraus bestimmbaren Zeitpunkt.
Gleichwohl können sich die betroffenen Rechtskreise verlässlich Kenntnis von der Beendigung der fraglichen Tarifregelungen verschaffen. Die Tarifvertragsparteien sind nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 TVG verpflichtet, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales innerhalb eines Monats das Außerkrafttreten jedes Tarifvertrags mitzuteilen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales macht die Beendigung nach § 9 Abs. 2 SokaSiG im Bundesanzeiger bekannt. Dem Grundsatz der Normenklarheit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips wird im Hinblick auf den Bestand der fraglichen Regelungen genügt35.
Aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts begegnet es keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Gesetzgeber die Beendigung der in Bezug genommenen Tarifverträge in die Hände der Tarifvertragsparteien gelegt hat.
Indem der Gesetzgeber das Ende der Geltungsanordnung an die Beendigung des Tarifvertrags knüpft, folgt er dem für Allgemeinverbindlicherklärungen geltenden Regelungsprinzip nach § 5 Abs. 5 Satz 3 TVG, die das Bundesverfassungsgericht gebilligt hat36.
Entgegen der Auffassung der Revision hat sich der Gesetzgeber damit nicht seiner Rechtsetzungsbefugnisse entäußert. Das SokaSiG nimmt eine statische, keine dynamische Verweisung auf Tarifverträge vor. Den Tarifvertragsparteien wird damit keine inhaltliche Gestaltungsbefugnis übertragen. Da die gesetzliche Geltungsanordnung zeitlich an die zwingende Geltung der Tarifnormen nach § 4 Abs. 1 TVG gebunden ist, beachtet der Gesetzgeber mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG die Normsetzungsprärogative der Tarifvertragsparteien und räumt ihr weitestgehend den Vorrang ein. Er beschränkt die allgemeine Geltung der benannten Tarifverträge kraft Gesetzes auf das Notwendige.
Die Verweisung des SokaSiG auf Anlagen ist mit dem aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Bestimmtheitsgebot vereinbar (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG).
Die Gebote der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit sollen die Betroffenen befähigen, die Rechtslage anhand der gesetzlichen Regelung zu erkennen, damit sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Die Bestimmtheitsanforderungen dienen auch dazu, die Verwaltung zu binden und ihr Verhalten nach Inhalt, Zweck und Ausmaß zu begrenzen sowie, soweit sie zum Schutz anderer tätig wird, den Schutzauftrag näher zu konkretisieren. Schließlich dienen die Normenbestimmtheit und die Normenklarheit dazu, die Gerichte in die Lage zu versetzen, getroffene Maßnahmen anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren37.
Die gesetzestechnische Methode, dass ein Gesetz den Tatbestand nicht selbst festlegt, sondern auf andere Normen verweist, ist als vielfach üblich und notwendig anerkannt. Die Verweisungsnorm muss hinreichend klar erkennen lassen, welche Vorschriften im Einzelnen gelten sollen. Zudem müssen die in Bezug genommenen Vorschriften dem Normadressaten durch eine frühere ordnungsgemäße Veröffentlichung zugänglich sein. Dabei ist der zuständige Gesetzgeber auch nicht gehindert, auf fremdes, nicht von ihm formuliertes und in Kraft gesetztes Recht eines anderen Kompetenzbereichs zu verweisen. Eine solche Verweisung bedeutet rechtlich lediglich den Verzicht, den Text der in Bezug genommenen Vorschriften in vollem Wortlaut in die Verweisungsnorm aufzunehmen. Diese gesetzestechnische Vereinfachung ist vor allem dann tragbar, wenn lediglich die bei Verabschiedung der Verweisungsnorm geltende Fassung des in Bezug genommenen Rechts in Geltung gesetzt wird. Bei einer solchen statischen Verweisung weiß der zuständige Gesetzgeber, welchen Inhalt das in Bezug genommene Recht hat, und er kann prüfen, ob er es sich mit diesem Inhalt zu eigen machen will. Ändert sich das in Bezug genommene Recht des anderen Kompetenzbereichs, hat dies bei einer statischen Verweisung keinen Einfluss auf den Inhalt der Verweisungsnorm38.
Diesen Anforderungen wird die im SokaSiG vorgenommene Verweisung auf Anlagen gerecht. Aus den Verweisungsnormen ist klar erkennbar, welche Regelungen gelten sollen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der vollständigen Verweisung auf Tarifverträge, sondern auch, soweit das SokaSiG – wie etwa in §§ 1, 3 Abs. 1 bis Abs. 7 SokaSiG – nur auf Teile von Tarifverträgen verweist. Bei den Verweisungen handelt es sich um statische Bezugnahmen. Inhaltliche Änderungen können durch die Verweisung nicht eintreten. Die in Bezug genommenen Vorschriften sind den Normunterworfenen dadurch zugänglich, dass sie zusammen mit dem Gesetzestext im Bundesgesetzblatt verkündet wurden39. Den Betroffenen ist es unter objektiv zumutbaren Anforderungen möglich, sich ein Bild von der geltenden Rechtslage zu verschaffen. Allein der Umfang der Regelungsmaterie rechtfertigt nicht die Annahme inhaltlicher Unklarheit.
Das SokaSiG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG40.
§ 7 SokaSiG führt nicht zu einer Ungleichbehandlung, sondern zu einer Gleichbehandlung aller Bauunternehmen, die mit ihren Betrieben in den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich der dort genannten Verfahrenstarifverträge fallen, unabhängig von einer bestehenden Verbandsmitgliedschaft. Die tarifgebundenen Unternehmen müssen dieselben Beiträge leisten wie die Nichtmitglieder. Sie genießen ihnen gegenüber auch keine sonstigen Privilegien41.
Ob die von den Tarifvertragsparteien vorgenommene Differenzierung zwischen den Tarifgebieten West und Ost mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, kann dahinstehen. Eine sich als materiell unwirksam erweisende tarifliche Regelung wird durch § 7 SokaSiG nicht „geheilt“. Nach § 11 SokaSiG gelten die tarifvertraglichen Rechtsnormen, auf die in § 7 SokaSiG verwiesen wird, lediglich unabhängig davon, ob die Tarifverträge wirksam abgeschlossen wurden. Damit gelten die jeweils statisch in Bezug genommenen Verfahrenstarifverträge nur in verfassungskonformem Zustand. Ihre Normen unterliegen ebenso wie für allgemeinverbindlich erklärte Tarifnormen der Bindung an die Grundrechte nach Art. 1 Abs. 3 GG42.
Bei dem SokaSiG handelt es sich nicht um ein nach Art.19 Abs. 1 GG unzulässiges Einzelfallgesetz. Die Bestimmung greift nicht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Fälle einen einzelnen Fall oder eine bestimmte Gruppe heraus43.
Die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Ein möglicher Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt, weil § 7 SokaSiG eine formell und materiell verfassungsgemäße Regelung ist und damit zu der verfassungsmäßigen Ordnung iSv. Art. 2 Abs. 1 GG gehört.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. November 2019 – 10 AZR 476/18
- BAG 21.03.2018 – 10 ABR 62/16, Rn. 51 ff., 55 ff., BAGE 162, 166; 20.11.2018 – 10 ABR 12/18, Rn. 27 ff., 30 ff.[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 49 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 15 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 177/18, Rn. 55; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn.20 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 84 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 550/18, Rn. 23 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 39 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 81 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 29 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 47 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 512/17, Rn. 32 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 42 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BVerfG 6.06.2018 – 1 BvL 7/14 ua., Rn. 36, BVerfGE 149, 126[↩]
- BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 ua., Rn. 126, BVerfGE 146, 71; BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 17; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 44, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 18 ff.[↩]
- vgl. BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 ua., Rn. 144, 147, BVerfGE 146, 71[↩]
- BVerfG 18.07.2000 – 1 BvR 948/00, zu II 2 der Gründe[↩]
- BVerfG 29.12 2004 – 1 BvR 2283/03 ua., zu C II 3 b aa der Gründe[↩]
- BVerfG 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 ua., Rn. 127, BVerfGE 146, 71; BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 44, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 50 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 21 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 85 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 41; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 30 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 45 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 51; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 22; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 21; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 34; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 48; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 52, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 37; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 51; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 48 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 55; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 24; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 39 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 48 ff.[↩]
- BAnz. Nr. 71 vom 11.04.2006 S. 2729[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 56; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 24; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 87; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 43 mwN[↩]
- vgl. BVerfG 15.07.1980 – 1 BvR 24/74 ua., zu B II 4 b der Gründe, BVerfGE 55, 7; BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 53 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 59; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 42; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 54 ff. mwN[↩]
- 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213; – 10 ABR 48/15, BAGE 156, 289[↩][↩]
- 10 ABR 34/15; – 10 ABR 43/15[↩][↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 65; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 25; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 89; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 95; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 92 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 60 ff.; 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 26 ff.; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 23 ff.; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 90 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 43 ff.; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 90 ff.; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 46 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 58 ff.; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 68 ff., BAGE 164, 201[↩]
- vgl. BVerfG 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, Rn. 64, BVerfGE 135, 1; BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 61; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 44; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 91; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 47[↩]
- 10 ABR 33/15, BAGE 156, 213[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 62; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 45; 3.07.2019 – 10 AZR 499/17, Rn. 92; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 48; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 94 ff., BAGE 164, 201[↩]
- vgl. BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 77 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 567/17, Rn. 63; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 25; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 92; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 46; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 49; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 79 ff., aaO[↩]
- BAG 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 47; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 50; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 51, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 27; vgl.20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 82 ff., BAGE 164, 201[↩]
- vgl. BVerfG 24.07.1957 – 1 BvL 23/52, zu B II der Gründe, BVerfGE 7, 89[↩]
- BVerfG 17.12 2013 – 1 BvL 5/08, Rn. 64, BVerfGE 135, 1[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 28; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 26; 28.08.2019 – 10 AZR 549/18, Rn. 92; 3.07.2019 – 10 AZR 498/17, Rn. 46; 8.05.2019 – 10 AZR 559/17, Rn. 49; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 76 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 29; 24.09.2019 – 10 AZR 562/18, Rn. 27; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 62; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 82 ff. mwN, BAGE 164, 201[↩]
- BVerfG 10.04.2018 – 1 BvR 1236/11, Rn. 151, BVerfGE 148, 217; BAG 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 90, aaO[↩]
- BVerfG 21.07.2016 – 1 BvR 3092/15, Rn. 6[↩]
- vgl. BVerfG 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, zu B II 2 d der Gründe, BVerfGE 44, 322[↩]
- BVerfG 24.05.1977 – 2 BvL 11/74, zu B II 2 d der Gründe, BVerfGE 44, 322[↩]
- BVerfG 26.07.2005 – 1 BvR 782/94 ua., zu C I 3 a der Gründe, BVerfGE 114, 1[↩]
- BVerfG 1.03.1978 – 1 BvR 786/70 ua., zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 47, 285[↩]
- vgl. den Anlageband zum BGBl. I Nr. 29 vom 24.05.2017[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 30 ff.; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 57; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 63 ff., BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 31; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 57; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 65, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 27.11.2019 – 10 AZR 399/18, Rn. 45; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 67, BAGE 164, 201[↩]
- BAG 30.10.2019 – 10 AZR 38/18, Rn. 34; 27.03.2019 – 10 AZR 318/17, Rn. 64; 20.11.2018 – 10 AZR 121/18, Rn. 105 ff., BAGE 164, 201[↩]