Bleibt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer habe eine Erkrankung angekündigt, wenn er seinen bereits bewilligten Urlaub nicht schriftlich (erneut) bestätigt bekomme, im Prozess nach Anhörung des GmbH-Geschäftsführers der Arbeitgeberin und nach einer Gesamtschau aller Umstände unbewiesen, ist der Beweiswert einer vom Arbeitnehmer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert. Eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der behandelnden Ärzte kommt dann nicht in Betracht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert. Sie ist der gesetzlich vorgesehene und damit wichtigste Beweis für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Der Beweiswert ergibt sich aus der Lebenserfahrung; der Tatrichter kann normalerweise den Beweis der Erkrankung als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine solche Bescheinigung vorlegt. Der Arbeitgeber, der eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht gelten lassen will, muss im Rechtsstreit Umstände darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an der behaupteten krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben1.
Im hier entschiedenen Fall hat der Arbeitnehmer ordnungsgemäß ausgefüllte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zum Beleg seiner Arbeitsunfähigkeit vorgelegt. Der Arbeitgeberin ist es nicht gelungen, den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit durch konkreten Tatsachenvortrag zu erschüttern.
Ihre zum Nachweis der Erschütterung der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers grundsätzlich geeignete Behauptung, der Arbeitnehmer habe erklärt, wenn er keine Urlaubsbescheinigung erhalte, werde er sich krankschreiben lassen, hat die Arbeitgeberin nicht beweisen können. Sie hat behauptet, der Arbeitnehmer habe eine entsprechende Erklärung gegenüber ihrer Geschäftsführerin in dem Gespräch am 06.05.2015 abgegeben. Sie hat diesen Vortrag aber nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen können.
Die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin hat den schriftsätzlichen Vortrag im Anhörungstermin vor dem Berufungsgericht noch einmal ausdrücklich wiederholt. Sie hat ausgeführt, der Arbeitnehmer habe wiederholt gesagt, wenn er die Bestätigung des Urlaubs nicht erhalte, arbeite er nicht weiter. Zuletzt habe er dann noch gesagt, er lasse sich krankschreiben.
Diese Erklärungen der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin allein, vermochten das Gericht aber nicht davon zu überzeugen, dass sich der Sachverhalt so zugetragen hat, wie die Geschäftsführerin ihn berichtet hat. So fällt bereits auf, dass die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin erstmals im Termin ausgeführt hat, der Arbeitnehmer habe eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt. Noch in der Berufungsbegründung und auch in der gesamten ersten Instanz ging der Vortrag der Arbeitgeberin stets dahin, der Arbeitnehmer habe erklärt, er werde nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Wenn sich der Sachverhalt so abgespielt hätte, wie im Berufungstermin von der Geschäftsführerin der Arbeitgeberin erklärt, hätte es nahe gelegen, bereits schriftsätzlich auf die ausdrückliche Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arbeitnehmer hinzuweisen.
Hinzu kommt, dass der Arbeitnehmer in seiner Anhörung den Gesprächsverlauf bestritten und einen abweichenden Sachverhalt dargestellt hat. Dabei konnte sich der Arbeitnehmer ersichtlich auf von ihm gefertigte handschriftliche Aufzeichnungen stützen. Der Arbeitnehmer hat insbesondere die Behauptung, er habe ein Nichterscheinen zur Arbeit oder eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt in Abrede gestellt und ausgeführt, hierüber sei gar nicht gesprochen worden.
Die weiteren Indizien des Sachverhalts sprechen hier eher für als gegen das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers. So hat die Arbeitgeberin die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in ihrem Anschreiben an den medizinischen Dienst nicht etwa damit begründet, dieser habe seine Arbeitsunfähigkeit angekündigt. Vielmehr heißt es insoweit, man habe Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, weil der Arbeitnehmer seinen bevorstehenden Urlaub in Gefahr gesehen habe. Dabei ist – jedenfalls ausweislich der E-Mail – der MDK nicht darüber unterrichtet worden, dass dieser Urlaub erst für August 2015 und damit erst drei Monate nach der E-Mail geplant war. Es hätte aus Sicht des Berufungsgerichts ausgesprochen nahegelegen, den zentralen Umstand, der etwaige Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen könnte, nämlich die Ankündigung der Erkrankung, in das Schreiben an den MDK aufzunehmen. Soweit die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin in ihrer Anhörung hierzu erklärt hat, sie habe dieses Schreiben nicht gekannt und es sei von der Mitarbeiterin nach Rücksprache mit ihrem Ehemann aufgenommen worden, überzeugt dies das Berufungsgericht ebenfalls nicht. Es hätte doch ausgesprochen nahegelegen, auch den Ehemann über die vom Arbeitnehmer, immerhin einem leitenden Mitarbeiter, angekündigte Arbeitsunfähigkeit zu informieren. Dies verstärkt die Zweifel des Gerichts daran, ob die Geschäftsführerin der Arbeitgeberin den Sachverhalt zutreffend wiedergegeben hat.
Schließlich hat der von der Arbeitgeberin dann eingeschaltete medizinische Dienst die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auch tatsächlich bestätigt. Auch das spricht deutlich für und nicht gegen die vom behandelnden Hausarzt des Arbeitnehmers ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Die Erklärungen des Hausarztes des Arbeitnehmers, wonach dieser sich einer betriebsärztlichen Untersuchung aus gesundheitlichen Gründen nicht unterziehen könne, dieser aber seinen Hausarzt tatsächlich aufsuchen konnte, sind nicht geeignet Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu wecken. Die betriebsärztliche Untersuchung dient einem völlig anderen Zweck und hat einen anderen Inhalt als die Feststellung einer aktuell bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Bei der betriebsärztlichen Untersuchung geht es um das Vorliegen einer dauerhaften Leistungseinschränkung für die geschuldete Arbeit. Der Hausarzt untersucht nur, ob eine akute Arbeitsunfähigkeit besteht. Gerade bei konflikthaften Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber und sich unmittelbar anschließender Arbeitsunfähigkeit spricht nach der Lebenserfahrung vieles für das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit.
Eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der behandelnden Ärzte des Arbeitnehmers war bei diesem Sachverhalt nicht veranlasst. Sie hätte zu einer unzulässigen Ausforschung der behandelnden Ärzte über das Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Aufgabe der Arbeitgeberin wäre es aber zunächst gewesen, tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kein Beweiswert zukommt.
Landesarbeitsgericht Schleswig -Holstein, Urteil vom 19. Juli 2016 – 1 Sa 37/16
- BAG, Urteil vom 19.02.1997 – 5 AZR 83/96[↩]