Die Feiertagsarbeit der Nachtschwester

§ 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b der Durchgeschriebenen Fassung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD-K), der einen Ausgleich für Sonn- und Feiertagsarbeit regelt, setzt voraus, dass ein Wechselschicht- oder Schichtarbeit leistender Beschäftigter nach einem Dienstplan eingesetzt wird, der für diesen Beschäftigten selbst Wechselschicht- oder Schichtdienst an sieben Tagen in der Woche vorsieht. Das ergibt die Auslegung dieser Tarifnorm1.

Die Feiertagsarbeit der Nachtschwester

Nach § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K vermindert sich die regelmäßige Wochenarbeitszeit um ein Fünftel der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen Wochenarbeitszeit für Beschäftigte, die regelmäßig nach einem Dienstplan eingesetzt werden, der Wechselschicht- oder Schichtdienst an sieben Tagen in der Woche vorsieht, wenn sie an einem gesetzlichen Feiertag, der auf einen Werktag fällt, nicht wegen des Feiertags, sondern dienstplanmäßig nicht zur Arbeit eingeteilt sind und deswegen an anderen Tagen der Woche ihre regelmäßige Arbeitszeit erbringen müssen2.

Wie § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K auszulegen ist, wird in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Nach einer Ansicht reicht es aus, dass der einzelne Beschäftigte nach einem Dienstplan eingesetzt werde, der entweder Wechselschicht- oder Schichtdienst vorsehe, auch wenn er selbst keinen Anspruch auf die jeweilige Zulage habe. § 6.1 Abs. 2 Satz 1 TVöD-K stelle weder auf den Erhalt der Wechselschicht- oder Schichtzulage noch darauf ab, dass die Beschäftigten ständig Wechselschicht- oder Schichtarbeit leisteten. Dies zeige auch ein Vergleich mit § 27 Abs. 1 TVöD-K3. Nach anderer Ansicht muss der Beschäftigte selbst Wechselschicht- oder Schichtarbeit iSd. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 TVöD-K erbringen. Dass andere Beschäftigte, für die der gleiche Dienstplan gelte, Wechselschicht- oder Schichtdienst leisteten, sei unzureichend4.

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Das Bundesarbeitsgericht stimmt nunmehr der letztgenannten Ansicht zu.

Die Worte „nach einem Dienstplan“ sagen nichts darüber aus, auf wen sich dieser Dienstplan beziehen muss. Dass die Tarifvertragsparteien nicht das Possessivpronomen „ihrem“ verwendet haben, lässt entgegen der Annahme der Revision nicht darauf schließen, dass ein zusammenfassender Dienstplan gemeint ist. Auch in § 20 Abs. 2 Satz 1 sowie § 21 Satz 3 TVöD-K wird auf den einzelnen Arbeitnehmer rekurriert, ohne dass dem Dienstplan ein Possessivpronomen vorausgestellt wird. Ebenso wird in der sprachlich vergleichbaren Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K Wechselschichtarbeit definiert als Arbeit nach einem Schichtplan/Dienstplan, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten vorsieht, bei denen die/der Beschäftigte längstens nach Ablauf eines Monats erneut zu mindestens zwei Nachtschichten herangezogen wird. Wechselschichtarbeit wird aber nur von denjenigen Beschäftigten geleistet, die selbst in entsprechenden wechselnden Schichten eingesetzt sind. Allein die Berücksichtigung eines Beschäftigten in einem Dienstplan, der für diesen Wechselschichtarbeit vorsieht, führt nicht dazu, dass auch alle anderen in dem Dienstplan eingeplanten Mitarbeiter Wechselschichtarbeit leisten.

Für dieses Auslegungsergebnis spricht weiterhin, dass lediglich diejenigen Beschäftigten von der Sollarbeitszeitreduzierung erfasst sein sollen, die entsprechend der Vorgaben des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K „eingesetzt werden“. Eingesetzt wird ein Beschäftigter nach einem Wechselschicht- oder Schichtdienst vorsehenden Dienstplan aber nur, wenn er selbst diese Sonderformen der Arbeit erbringt.

Bei einem Verständnis des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K dahingehend, dass es ausreichen würde, dass der Dienstplan für (irgend-)einen Beschäftigten Wechselschicht- oder Schichtdienst vorsieht, würde die Vorschrift nahezu für alle Beschäftigten im Krankenhausbereich unabhängig davon gelten, unter welchen Umständen sie konkret arbeiten. Denn im Anwendungsbereich des TVöD-K leistet in der Regel in jeder Organisationseinheit – mit Ausnahme ggf. des Verwaltungsbereichs – mindestens ein Beschäftigter Wechselschicht- oder Schichtdienst. Dies macht das Wesen des Krankenhausbereichs aus, bei dem eine 24-Stunden-Versorgung sichergestellt werden muss. Ein solches Tarifverständnis machte das tarifliche Regelungskonzept, mit dem die Tarifvertragsparteien die mit Wechselschicht- oder Schichtarbeit verbundenen Erschwernisse ausgleichen bzw. abmildern wollen, obsolet. Mit § 6.1 Abs. 2 TVöD-K haben die Tarifvertragsparteien für den Krankenhausbereich eine von § 6 TVöD-AT abweichende Regelung getroffen. Offenkundig soll mit § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K von allen Beschäftigten des Krankenhauses nur ein begrenzter, von den Tarifvertragsparteien als besonders belastet angesehener Personenkreis einen automatischen Freizeitausgleich erhalten. Diese Begrenzung würde durch das Tarifverständnis der Arbeitnehmerin ausgehebelt.

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Dem Erfordernis, selbst Wechselschicht- oder Schichtdienst leisten zu müssen, steht nicht entgegen, dass der Dienstplan gemäß § 6.1 Abs. 2 Satz 1 TVöD-K Wechselschicht- oder Schichtarbeit an sieben Tagen in der Woche vorsehen muss. Dies setzt nicht voraus, dass ein Einsatz des Beschäftigten an allen sieben Tagen einer einzelnen Woche erfolgen muss. Die Formulierung ist so zu verstehen, dass der Beschäftigte entsprechend seiner individuellen regelmäßigen Wochenarbeitszeit an wechselnden Wochentagen eingesetzt wird, wobei dies potentiell an jedem der sieben Wochentage der Fall sein kann, also kein Wochentag von vornherein ausscheidet5.

Letztlich würde eine vom individuellen Beschäftigten unabhängige Betrachtung des Dienstplans zweckwidrige Gestaltungsspielräume für den Arbeitgeber eröffnen. Dieser könnte durch Zusammenfassung oder Splittung von Dienstplänen den Anwendungsbereich der Tarifnorm erweitern oder beschränken. Die Auslegung einer Tarifnorm hat jedoch so zu erfolgen, dass keine Umgehungsmöglichkeit geschaffen wird6.

Die Beschränkung des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K auf Wechselschicht- oder Schichtdienst leistende Beschäftigte verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG.

Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Die Schutzfunktion der Grundrechte verpflichtet die Arbeitsgerichte jedoch, Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheits- und sachwidrigen Differenzierungen führen und deshalb Art. 3 Abs. 1 GG verletzen7. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen8. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt9. Ihre größere Sachnähe eröffnet auch Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber verschlossen sind10.

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Der den Tarifvertragsparteien zustehende Gestaltungsspielraum wird nicht offenkundig überschritten, wenn eine Sollarbeitszeitreduzierung nach § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K nur für Beschäftigte in Wechselschicht- oder Schichtdienst eintritt. Deren Belastung ist mit der von Beschäftigten in reiner Nachtarbeit in einem permanenten Schichtsystem nicht vergleichbar, da sie zusätzlich einen ständigen Wechsel mit Tagschichten und/oder einen unterschiedlichen Schichtbeginn beinhaltet. Wechselschicht- und Schichtarbeit sind für die Beschäftigten besonders belastend11. Dem Ausgleich bzw. der Abmilderung dieser besonderen Belastung dient die zusätzliche Arbeitszeitreduzierung gemäß § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K. Zwar hat auch Nachtarbeit nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen negative gesundheitliche Auswirkungen12. Die Tarifvertragsparteien haben jedoch nur die Belastung durch Wechselschicht- und Schichtarbeit in Kombination mit einer Einsatzmöglichkeit an allen sieben Wochentagen als so gravierend angesehen, dass für Wochenfeiertage, an denen Beschäftigte nicht wegen des Feiertags frei haben, gleichwohl ein Freizeitausgleich zu gewähren ist. Darum sind nicht nur Beschäftigte wie die Arbeitnehmerin, die als Dauernachtwache tätig sind und deshalb keinen Schichtdienst iSv. § 7 Abs. 2 TVöD-K leisten, weil sich ihre Arbeitszeit nicht im erforderlichen Umfang verschiebt, aus der Regelung des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K ausgenommen. Auch Beschäftigte, die Schichtdienst leisten, deren Dienstplan aber nicht Arbeit an allen sieben Tagen der Woche vorsieht, profitieren von § 6.1 Abs. 2 TVöD-K nicht13. Zwischen diesen unterschiedlichen Personengruppen, die unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt und deshalb nicht vergleichbar sind, durften die Tarifvertragsparteien vorliegend differenzieren. Die Revision kann auch nicht damit durchdringen, dass diese Belastung bereits durch andere Regelungen wie § 8 Abs. 5 und Abs. 6 TVöD-K (Wechselschicht- und Schichtzulage) oder § 27 TVöD-K (Zusatzurlaub) ausgeglichen werde. Ob und in welchem Umfang die besonderen Belastungen der Wechselschicht-/Schichtarbeit kompensiert werden, liegt im Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien, der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt ist.

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Auch im Vergleich zu den nur an Werktagen Beschäftigten, die an einem Feiertag frei haben und dafür dennoch Entgeltfortzahlung erhalten, liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ein Arbeitnehmer, der von Montag bis Freitag arbeitet, wird weitgehend gleich behandelt wie die Arbeitnehmerin. Beide erhalten gemäß § 2 Abs. 1 EFZG ihre Vergütung fortgezahlt, wenn sie wegen eines Wochenfeiertags nicht arbeiten. Wenn sie dagegen an einem Wochenfeiertag arbeiten, haben beide nach § 6.1 Abs. 1 TVöD-K in erster Linie einen Anspruch auf Freizeitausgleich und auf einen Zeitzuschlag. Gewisse Unterschiede gibt es nur, wenn die Arbeitnehmerin an einem Wochenfeiertag ohnehin dienstplanmäßig nicht arbeiten muss. In einem solchen Fall kommt sie nicht in den Genuss der Sollarbeitszeitreduzierung nach § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K und muss die nicht geleisteten Stunden an einem anderen Tag nacharbeiten. Dagegen muss ein an fünf Tagen Beschäftigter in der entsprechenden Woche nur vier Tage und damit einen Tag weniger als regelmäßig arbeiten. Dies beruht auf den unterschiedlichen Arbeitszeiten beider Beschäftigter und der Notwendigkeit, dass die Arbeitnehmerin auch an Sonn- und Feiertagen arbeitet. Es ist daher bei Berücksichtigung des tariflichen Gestaltungsspielraums nicht zu beanstanden, wenn der Tarifvertrag in § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K eine Sollarbeitszeitreduzierung nur für Beschäftigte in Wechselschicht- oder Schichtdienst vorsieht14.

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Dahinstehen kann, ob die Auslegung des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K zu einer Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter führen und dies gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG verstoßen könnte. Die Arbeitnehmerin hat Tatsachen, die die Annahme einer solchen Benachteiligung rechtfertigen, nicht vorgetragen.

Die Arbeitnehmerin leistet im hier entschiedenen Fall keinen Wechselschicht- oder Schichtdienst iSd. § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K. Sie ist als Dauernachtwache in der Zeit von 20:52 Uhr bis 06:30 Uhr tätig. Dies beinhaltet weder einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 TVöD-K) noch einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden (§ 7 Abs. 2 TVöD-K). Dass der Plan, der die Einsätze der Arbeitnehmerin regelt, auch Wechselschicht- oder Schichtdienstleistende erfasst, reicht – wie dargelegt – für die Anwendbarkeit des § 6.1 Abs. 2 Satz 1 Buchst. b TVöD-K nicht aus.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 2. August 2018 – 6 AZR 437/17

  1. vgl. zur Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags zuletzt BAG 22.03.2018 – 6 AZR 833/16, Rn. 17 mwN[]
  2. vgl. auch BAG 20.09.2017 – 6 AZR 143/16, BAGE 160, 192[]
  3. BeckOK TVöD/Dannenberg TVöD Stand 1.01.2013 TVöD-BT-K § 49 Rn. 11[]
  4. LAG Nürnberg 6.10.2010 – 4 Sa 444/09, zu II 1 der Gründe; LAG München 28.04.2008 – 6 Sa 967/07, zu 2 (2) der Gründe; 13.12 2007 – 2 Sa 590/07, zu I 2 c der Gründe; Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Teil II/3.1 Stand April 2018 § 49 TVöD-BT-K Rn. 23; Martens in Sponer/Steinherr TVöD Stand November 2011 § 6.1 TVöD-K Rn. 13; Burger in Burger TVöD/TV-L 3. Aufl. § 6 TVöD Rn. 49; Günther öAT 2016, 156, 157[]
  5. Dassau/Wiesend-Rothbrust TVöD Krankenhäuser, Pflege- und Betreuungseinrichtungen § 6.1 TVöD-K Rn. 14; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Teil B 4 Stand August 2011 § 6.1 TVöD-K Rn. 14[]
  6. vgl. Däubler TVG/Däubler 4. Aufl. Einleitung Rn. 619[]
  7. BAG 22.03.2018 – 6 AZR 833/16, Rn. 28 mwN[]
  8. BAG 22.09.2016 – 6 AZR 432/15, Rn. 22 mwN[]
  9. BAG 27.07.2017 – 6 AZR 701/16, Rn. 32; 26.04.2017 – 10 AZR 856/15, Rn. 28[]
  10. ErfK/Schmidt 18. Aufl. Art. 3 GG Rn. 26[]
  11. BVerfG 23.05.2008 – 2 BvR 1081/07, zu III 2 c der Gründe, BVerfGK 13, 576; BAG 7.07.2015 – 10 AZR 939/13, Rn. 22; ebenso BVerwG 21.10.2016 – 2 B 50.15, Rn. 10; 21.08.1997 – 2 C 37.96[]
  12. vgl. BAG 21.03.2018 – 10 AZR 34/17, Rn. 49 mwN[]
  13. vgl. die Beispiele 1 und 2 bei Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Teil B 4 Stand August 2011 § 6.1 TVöD-K Rn. 3[]
  14. vgl. zum Verhältnis von Normaldienst- und Schichtdienstleistenden auch BAG 20.09.2017 – 6 AZR 143/16, Rn. 44 ff., BAGE 160, 192[]
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