Für die Wiedereinsetzung in die mangels ordnungsgemäßer Unterschrift iSv. § 130 Nr. 6 ZPO versäumte Berufungs- oder Berufungsbegründungfrist ist es nicht erforderlich, die Prozesshandlung nachzuholen, wenn die säumige Partei formwirksam Revision eingelegt hat und der Mangel erstmals vom Revisionsgericht festgestellt wird.

Die Zulässigkeit der Berufung ist Prozessfortsetzungsvoraussetzung für das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung. Sie ist vom Revisionsgericht deshalb von Amts wegen zu prüfen [1].
Eine zulässige Berufung setzt ua. voraus, dass die Berufungsbegründung als bestimmender Schriftsatz von einem bei einem Landesarbeitsgericht nach § 11 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 ArbGG vertretungsberechtigten Prozessbevollmächtigten nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und eigenhändig unterschrieben ist, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO [2]. Der Schriftzug, mit dem die Berufungsbegründung abschließt, ist erheblich kürzer und weniger ausgeprägt als andere Schriftzüge, mit denen Schriftsätze dieses Rechtsstreits unterzeichnet sind. Er begründet Zweifel daran, ob es sich um eine ordnungsgemäße Unterschrift oder ein bloßes Handzeichen handelt [3].
Selbst wenn der Schriftzug nicht den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügen sollte, geht das Bundesarbeitsgericht im hier entschiedenen Fall von einer zulässigen Berufung aus. Es kann unterstellt werden, dass nach §§ 233, 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO in die Berufungsbegründungsfrist wieder einzusetzen ist.
Wiedereinsetzung kann nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO auch ohne Antrag des Beklagten von Amts wegen gewährt werden. Dass der Beklagte die versäumte Prozesshandlung der Berufungsbegründung nicht nachgeholt hat, ist unschädlich. In der konkreten Sachverhaltskonstellation war es entbehrlich, erneut eine – nun ordnungsgemäß unterschriebene – Berufungsbegründung einzureichen.
Ein zulässiger Antrag auf Wiedereinsetzung verlangt grundsätzlich zwingend, dass die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt wird. Der Zweck dieser Voraussetzung erfordert jedoch Einschränkungen. Ob Rechtsschutz gewährt werden kann, hängt davon ab, dass die formellen Voraussetzungen einer Prozesshandlung erfüllt sind. Die Formerfordernisse hierfür dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es durch den Zweck geboten ist [4]. Mit der Unterschrift unter einem bestimmenden Schriftsatz soll ermöglicht werden, dass der Urheber einer Prozesshandlung identifiziert wird. Ferner soll ausgeschlossen werden, dass es sich bei einem dem Gericht zugeleiteten Schriftstück um einen nicht autorisierten Entwurf handelt. Die Unterschrift unter dem Schriftsatz belegt den unbedingten Willen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes und seine Einreichung bei Gericht zu übernehmen [5].
Hat eine Partei formwirksam ein Rechtsmittel eingelegt und erkennt das Rechtsmittelgericht, dass ein bestimmender Schriftsatz, der in einer vorhergehenden Instanz eingereicht wurde, nicht den Anforderungen des § 130 Nr. 6 ZPO genügt, muss dieser Schriftsatz nicht erneut eingereicht werden. Indem die Partei ihr Rechtsschutzziel in der höheren Instanz weiterverfolgt, kann davon ausgegangen werden, dass sie die in der vorausgegangenen Instanz vorgenommenen Prozesshandlungen billigt und dafür die Verantwortung übernimmt. Die erneute Einreichung der Berufung oder Berufungsbegründung mit einer ordnungsgemäßen Unterschrift wäre in dieser Fallgestaltung überflüssiger Formalismus.
Der Wiedereinsetzung steht nicht die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO entgegen. Danach kann eine Wiedereinsetzung nur innerhalb eines Jahres nach Ablauf der versäumten Frist beantragt werden.
Ungeachtet des absoluten Charakters von § 234 Abs. 3 ZPO ist diese Bestimmung nicht anzuwenden, wenn sonst der Grundsatz des fairen Verfahrens nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art.20 Abs. 3 GG verletzt wäre [6].
Dies wäre der Fall, wenn der vom Arbeitsgericht; und vom Landesarbeitsgericht als Unterschrift iSv. § 130 Nr. 6 ZPO gebilligte Schriftzug erstmals vom Revisionsgericht außerhalb der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO als nicht ausreichendes Handzeichen eingestuft würde und der betroffenen Partei keine Reaktionsmöglichkeit mehr eröffnet wäre.
Prozessbevollmächtigte müssen zwar die höchstrichterlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze kennen. Der verfassungsrechtlich gebotene Vertrauensschutz kann jedoch verletzt sein, wenn derselbe Spruchkörper die von ihm längere Zeit gebilligte Form einer Unterzeichnung ohne Vorwarnung nicht mehr hinnehmen will [7].
Geschütztes Vertrauen wäre auch verletzt, wenn erst das Revisionsgericht die von den zuvor befassten Gerichten gebilligte Praxis der Unterzeichnung bestimmender Schriftsätze beanstandete und eine Korrektur dieses Mangels unter Berufung auf die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO ausschlösse.
Das Landesarbeitsgericht hat die knappen Schriftzüge, mit denen der Prozessbevollmächtigte des Beklagten gezeichnet hat, zumindest in zwei vor dem Bundesarbeitsgericht anhängigen Streitigkeiten unbeanstandet gelassen. Daher kann hier von einem schutzwürdigen Vertrauen ausgegangen werden, das der Anwendung des § 234 Abs. 3 ZPO entgegensteht.
Die Sache muss nicht an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden. Das Bundesarbeitsgericht kann unterstellen, dass in die Berufungsbegründungsfrist wieder einzusetzen ist.
Nach § 237 ZPO ist für die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich das Gericht zuständig, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung, hier also die Berufungsbegründung, zusteht. Diese Zuständigkeit gilt sowohl für einen ausdrücklich gestellten Wiedereinsetzungsantrag als auch für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO. Angesichts der grundlegenden Entscheidungskompetenz des Berufungsgerichts kann in der Revisionsinstanz nur in Ausnahmefällen davon abgesehen werden, die Sache zur Entscheidung über die Wiedereinsetzung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen [8].
Ein solcher Ausnahmefall kann angenommen werden, wenn ein Wiedereinsetzungsgrund nach Aktenlage unzweifelhaft ist oder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zugunsten der säumigen Partei unterstellt werden kann [9]. Die Wiedereinsetzung kann zB unterstellt werden, wenn die Entscheidung über die Revision materiell-rechtlich zu demselben Ergebnis führt wie die Versagung der Wiedereinsetzung [10].
Im Streitfall kann die Wiedereinsetzung zugunsten des Beklagten unterstellt werden. Die Entscheidung in der Sache und die Ablehnung der Wiedereinsetzung führen materiell zu demselben Ergebnis. Da die Klage zulässig und begründet ist, ergeht in jedem Fall ein die Ansprüche zus Urteil. Das Bundesarbeitsgericht kann dies, ohne in Beurteilungsspielräume des Landesarbeitsgerichts einzugreifen, selbst entscheiden. In der unterstellten Wiedereinsetzung liegt deshalb keine Entscheidung zulasten des Klägers.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2019 – 10 AZR 499/17
- st. Rspr., vgl. BAG 24.10.2018 – 10 AZR 278/17, Rn. 13 mwN[↩]
- BAG 24.10.2018 – 10 AZR 278/17, Rn. 16[↩]
- vgl. zu den Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Unterschrift BAG 25.02.2015 – 5 AZR 849/13, Rn.19 mwN, BAGE 151, 66[↩]
- vgl. für den nachgeholten Einspruch gegen ein Versäumnisurteil BVerfG 2.03.1993 – 1 BvR 249/92, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 118[↩]
- BVerfG 18.04.2007 – 1 BvR 110/07, Rn. 13 mwN, BVerfGK 11, 48[↩]
- vgl. BVerfG 15.04.2004 – 1 BvR 622/98, zu III 2 b der Gründe, BVerfGK 3, 169[↩]
- BGH 11.04.2013 – VII ZB 43/12, Rn. 11 mwN; vgl. ferner BAG 25.02.2015 – 5 AZR 849/13, Rn. 30, BAGE 151, 66[↩]
- vgl. BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16, Rn. 23; 18.02.2016 – 8 AZR 426/14, Rn. 33 mwN; BGH 20.05.2014 – VI ZR 384/13, Rn. 11 ff. mwN[↩]
- vgl. BAG 23.11.2017 – 8 AZR 458/16, Rn. 24; 18.02.2016 – 8 AZR 426/14, Rn. 34, 37 mwN[↩]
- BAG 13.12 2012 – 6 AZR 303/12, Rn. 39 mwN[↩]
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