Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht1.
Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen2. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann3.
Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar4. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen5.
Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst6. Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind7. Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre8. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden9.
Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden10. Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt11.
Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht12. Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede13.
Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten14. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll15.
Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen16. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat17. Mehrdeutige Äußerungen dürfen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit schlüssigen, überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist18.
Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert19. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich20. Gilt für Meinungsäußerungen, insbesondere im öffentlichen Meinungskampf, bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, in dessen Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zu Gunsten der freien Rede, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise21. Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht22. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht22. Auch eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung ist nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird22. Wo dies der Fall wäre, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden. Anderenfalls drohte eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtschutzes23.
In der Verwendung eines Rechtsbegriffs liegt nur dann eine Tatsachenbehauptung, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingebetteten tatsächlichen Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Dabei kommt es auch hier entscheidend auf den Zusammenhang an, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird24.
Der Vorwurf, nicht genug zur Aufklärung – vermeintlicher – Betrügereien im öffentlichen Bereich getan zu haben, umschreibt kein spezifisches, einem objektiven Wahrheitsbeweis zugängliches Verhalten25. Der Vorwurf kann im vorliegenden Zusammenhang vielmehr schon das Unterlassen höherer Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts oder auch nur mangelndes Interesse daran zum Gegenstand haben. Die Gründe dafür, schon in bloßer Passivität politisch ein „Decken“ von Missständen zu erblicken, können unterschiedlich sein und hängen erkennbar von der subjektiven Einschätzung des Betrachters ab. Der Vorwurf, etwas zu „decken“, bringt daher vor allem die Meinung zum Ausdruck, der Betreffende habe nicht alles von ihm zu Fordernde zur Aufklärung unternommen. Ob eine solche Wertung berechtigt erscheint, ist eine Frage des Dafürhaltens und Meinens ohne konkret fassbaren Tatsachenkern.
Dies gilt auch dann, wenn man in die Auslegung einbezieht, dass die Arbeitnehmerin dem Landrat vorgeworfen hat, „Betrügereien“ im Landkreis zu decken, wie der jüngste „Umweltskandal“ in B. und der „Subventionsbetrug“ am Rathaus in C. bewiesen. Aus der Bezugnahme auf die solcherart umschriebenen Vorgänge ergibt sich zwar erst die Relevanz des Vorwurfs. Hätte die Arbeitnehmerin neutraler von bloßen „Vorgängen“ gesprochen, hätte der Vorhalt, nicht genug zu deren Aufklärung getan zu haben, nicht das gleiche Gewicht gehabt. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht aber auch in der Verwendung dieser Begriffe keine dem Beweis zugänglichen Tatsachenbehauptungen gesehen. Die Ausdrücke „Umweltskandal“ und „Betrügereien“ sind dafür zu unbestimmt. Der Terminus „Subventionsbetrug“ ist zwar ein Rechtsbegriff, der den Straftatbestand des § 264 StGB bezeichnet. Ein verständiger Leser verknüpft mit seiner Verwendung in dem Wahl-Werbeflyer der Arbeitnehmerin aber nicht die Vorstellung von konkreten, strafrechtlich relevanten Vorgängen, die einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich wären. Die von der Arbeitnehmerin verwendeten Formulierungen dienten im Rahmen des Wahlkampfs ersichtlich als pointierte Schlagworte zur Beschreibung der von ihr ausgemachten Missstände, um die Leser ggf. dazu zu animieren, sich über die fraglichen Vorgänge selbst näher zu unterrichten. Soweit die Arbeitnehmerin von „Subventionsbetrug“ spricht, ist damit erkennbar allenfalls eine pauschale Umschreibung gemeint, ohne dass diese einen fassbaren Tatsachenkern zum Gegenstand hätte. Es kommt daher nicht darauf an, ob es, wie der Arbeitgeber im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, „unstreitig“ feststeht, dass es „derartige Straftaten“ weder in B. noch in C. gegeben habe. Das Landesarbeitsgericht hat im Übrigen eine solche Feststellung nicht getroffen; einen Antrag nach § 320 Abs. 1 ZPO hat der Arbeitgeber nicht gestellt, eine zulässige Verfahrensrüge hat er nicht erhoben.
Der Ausdruck, die genannten Vorgänge „bewiesen“, dass der amtierende Landrat Betrügereien im Landkreis decke, ändert nichts am Charakter der Aussage als Meinungsäußerung. „Beweisen“ steht im gegebenen Zusammenhang für „belegen“ oder „zeigen“. Die Arbeitnehmerin erklärt damit, sie halte das von ihr kritisierte Verhalten des Landrats durch die angesprochenen Vorfälle für belegt oder erwiesen. Ob dies gerechtfertigt ist, ist erneut eine Frage des Dafürhaltens und Meinens, ohne dass konkret fassbare Tatsachen behauptet würden. Selbst im Rechtssinne erfordert die Frage, ob etwas „bewiesen“ ist, eine wertende Betrachtung. In einem nicht juristischen Kontext wie hier liegt erst recht ein wertender Gebrauch nahe26.
Ein anderes Verständnis verlangt auch nicht die anschließende Formulierung, die Arbeitnehmerin stehe für eine transparente Politik, die „Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben des Landkreises überprüft“. Damit wird dem bisherigen Landrat nicht implizit und zwingend vorgeworfen, die Gesetze verletzt zu haben. Ebenso gut lässt sich die Aussage dahin verstehen, die Arbeitnehmerin wolle hervorheben, dass sie als Landrätin möglichen Gesetzesverstößen konsequenter und transparenter nachgehe. Auch dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Zusammenhang der Äußerung mit der von ihr so bezeichneten Säule ihrer Politik „Transparenz in der Verwaltung“.
Das Landesarbeitsgericht hat die an die Öffentlichkeit gerichteten schriftlichen Aussagen der Arbeitnehmerin zu Recht aus der objektiven Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums ausgelegt. Entgegen der Auffassung des beklagten Landkreises kommt es nicht darauf an, ob der Flyer überwiegend politisch interessierte oder desinteressierte Empfänger erreichte und ob diese um den Erhalt der Informationen gebeten hatten oder nicht. Die von dem Arbeitgeber angestellten Schlussfolgerungen sind überdies nicht zwingend. Gerade ein nur flüchtiger, politisch desinteressierter und möglicherweise außerhalb des Wahlkampfgebiets ansässiger Leser des Flyers wird dessen Aussagen kaum auf einen konkreten Tatsachenkern bezogen haben.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht der Meinungsfreiheit der Arbeitnehmerin Vorrang vor ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eingeräumt.
Allerdings kann es die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass es ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterlässt, die Amtswahrnehmung von Repräsentanten seines Arbeitgebers in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen. Unter welchen Voraussetzungen dies anzunehmen ist, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Die Arbeitnehmerin hat ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des beklagten Landkreises deshalb nicht verletzt, weil deren Reichweite ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit bestimmt werden muss.
Bei der Würdigung der fraglichen Erklärungen fällt entscheidend ins Gewicht, dass es sich um Äußerungen der Arbeitnehmerin über einen Gegenkandidaten im laufenden Wahlkampf gehandelt hat. Ein Wahlbewerber muss sich in einer solchen Situation ggf. auch überzogener Kritik stellen. Die Grenzen zulässiger Kritik sind gegenüber einem Politiker weiter gefasst als gegenüber einer Privatperson27. Auch als Beschäftigte des betroffenen Landkreises durfte die Arbeitnehmerin für das Amt des Landrats kandidieren und sich im Rahmen ihrer Wahlwerbung mit der Amtsausübung des seinerseits kandidierenden Landrats auseinandersetzen. Durch ihre Kandidatur und ihre öffentlichen Äußerungen setzte sich die Arbeitnehmerin gleichermaßen selbst der kritischen Überprüfung aus28. In einem öffentlichen Wahlkampf ist auch ein Arbeitnehmer nicht darauf verwiesen, Kritik an der Amtsausübung eines Gegenkandidaten, der zugleich Repräsentant seines Arbeitgebers ist, zunächst nur intern zu äußern. Es geht gerade um den öffentlichen Meinungskampf, in dessen Rahmen ansonsten zu beachtende vertragliche Pflichten zur Rücksichtnahme, soweit im Interesse der Meinungsfreiheit erforderlich, zurücktreten müssen. Die Arbeitnehmerin war als Leiterin der Erhebungsstelle Zensus nicht unmittelbar persönlich für den amtierenden Landrat tätig. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob von ihr anderenfalls eine weitergehende Zurückhaltung auch in einem öffentlichen Wahlkampf hätte verlangt werden können.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Grenzen zur Schmähkritik seien nicht überschritten. Bei den Äußerungen der Arbeitnehmerin stand nicht die persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats im Vordergrund. Die Arbeitnehmerin hat nach dem vom Berufungsgericht zutreffend zugrunde gelegten Verständnis ihrer Erklärungen nicht dem Landrat selbst „kriminelle Machenschaften“ unterstellt. Sie hat vielmehr, wenn auch in zugespitzter Form, Kritik an dessen Amtswahrnehmung geübt und damit ein bereits zuvor in der Öffentlichkeit diskutiertes Thema aufgegriffen. Es ging – entgegen der Auffassung des Arbeitgebers – um eine politische Frage von öffentlichem Interesse29, hier das Erfordernis transparenten Verwaltungshandelns.
Die Arbeitnehmerin hat die Kritik an der Amtswahrnehmung ihres Gegenkandidaten nicht ins Blaue hinein erhoben. An einem solchen Beitrag bestünde auch im politischen Wahlkampf kein anerkennenswertes Interesse. Sie hat sich vielmehr darauf berufen, in der Presse veröffentlichte Berichte und öffentlich diskutierte Vorgänge aufgegriffen zu haben. Ihrer kritischen Bewertung der Amtsausübung des Landrats lag damit zumindest die Tatsache zugrunde, dass die Vorgänge in B. und C. und die Rolle des Landratsamts in der Öffentlichkeit als aufklärungsbedürftig angesehen worden waren. Der beklagte Landkreis mag zwar zutreffend geltend gemacht haben, der Landrat sei in der Presse nicht „krimineller Machenschaften“ bezichtigt worden. Ein solcher Aussagegehalt kommt aber – wie ausgeführt – auch dem Flyer der Arbeitnehmerin nicht zu. Handelt es sich stattdessen um ein Werturteil – hier über die Amtsausübung des Landrats – und bei diesem um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, spricht eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede13. Sie beschränkt sich entgegen der Auffassung des Arbeitgebers nicht auf spontane, mündliche Äußerungen. Vielmehr schützt Art. 5 Abs. 1 GG die freie Meinungsäußerung „in Wort, Schrift und Bild“30. Bei einer spontanen, mündlichen Erklärung mag außerdem die mögliche Unbedachtheit einer gewählten Formulierung zu berücksichtigen sein.
Die Äußerung der Arbeitnehmerin ging nach Form und Zeitpunkt nicht über das in einem Wahlkampf hinzunehmende Maß hinaus.
Der beklagte Landkreis hat geltend gemacht, die Arbeitnehmerin habe offensichtlich um jeden Preis potentielle Wähler für sich gewinnen wollen. Dabei lässt er außer Acht, dass sie dies nicht durch eine persönliche Diffamierung des amtierenden Landrats, sondern durch eine politische Stellungnahme zu dessen Amtswahrnehmung versucht hat. Dass sie damit zugleich beabsichtigt haben dürfte, die Wähler gegen den amtierenden Landrat und für sich selbst einzunehmen, ist nicht zu missbilligender Zweck eines Wahlkampfs.
Ob der Vorgang anders zu beurteilen wäre, wenn die Arbeitnehmerin zur Unterstützung ihrer Äußerungen ihren Dienst beim Arbeitgeber in die Waagschale geworfen und den Lesern zB das Vorhandensein darauf beruhender besonderer Einblicke in die Zusammenhänge suggeriert hätte, bedarf keiner Entscheidung. Ein Hinweis auf ihre Beschäftigung bei dem beklagten Landkreis war dem Flyer nicht zu entnehmen.
Dass der Flyer über das Gebiet des beklagten Landkreises hinaus verbreitet worden wäre, ist vom Landesarbeitsgericht weder festgestellt worden, noch würde dies ein anderes Ergebnis rechtfertigen. Das Anzeigenblatt, dem der Flyer beigelegt war, ist jedenfalls auch in dem Gebiet des beklagten Landkreises verteilt worden. Die Arbeitnehmerin musste von dieser Möglichkeit seiner Verbreitung nicht deshalb absehen, weil das Blatt einen über den Landkreis hinausreichenden Einzugsbereich hatte.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 265/14
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 39; 8.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rn. 16[↩]
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 40; 8.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rn.19[↩]
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13 – aaO; 8.05.2014 – 2 AZR 249/13 – aaO mwN[↩]
- BAG 27.09.2012 – 2 AZR 646/11, Rn. 22; 7.07.2011 – 2 AZR 355/10, Rn. 14, BAGE 138, 312[↩]
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 41; 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – aaO[↩]
- BVerfG 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn.19[↩]
- BVerfG 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn. 18; 8.05.2007 – 1 BvR 193/05, Rn. 21[↩]
- BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 42; 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, Rn. 24 mwN[↩]
- vgl. BVerfG 28.11.2011 – 1 BvR 917/09, Rn. 18 mwN[↩]
- BVerfG 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 42; 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, Rn. 35[↩]
- vgl. BVerfG 13.02.1996 – 1 BvR 262/91 – aaO; 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] aaO[↩]
- BVerfG 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn.19; 13.02.1996 – 1 BvR 262/91, zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1[↩]
- BVerfG 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79, zu B II 1 a der Gründe, BVerfGE 61, 1; 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] zu B II 4 der Gründe, BVerfGE 7, 198[↩][↩]
- BVerfG 8.05.2007 – 1 BvR 193/05, Rn. 23; 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 ua., zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266[↩]
- vgl. BVerfG 10.10.1995 – 1 BvR 1476/91 ua. – aaO; BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, Rn. 36; 7.07.2011 – 2 AZR 355/10, Rn. 17, BAGE 138, 312; BGH 30.05.2000 – VI ZR 276/99, zu II 4 a der Gründe[↩]
- BAG 7.07.2011 – 2 AZR 355/10, Rn. 15, BAGE 138, 312; vgl. auch BGH 30.05.2000 – VI ZR 276/99, zu II 3 der Gründe[↩]
- BVerfG 25.10.2012 – 1 BvR 901/11, Rn.20; 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04, Rn. 31[↩]
- BVerfG 12.05.2009 – 1 BvR 2272/04 – aaO mwN; BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 46[↩]
- BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, Rn. 40[↩]
- BVerfG 8.05.2007 – 1 BvR 193/05, Rn. 21; 13.04.1994 – 1 BvR 23/94, zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241[↩]
- BVerfG 24.07.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, Rn. 18 mwN[↩]
- BVerfG 24.07.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – aaO[↩][↩][↩]
- BVerfG 24.07.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 – aaO mwN[↩]
- BVerfG 8.05.2007 – 1 BvR 193/05, Rn. 28; BGH 27.04.1999 – VI ZR 174/97, zu II 2 a der Gründe; 22.06.1982 – VI ZR 255/80, zu 2 b der Gründe[↩]
- für den Begriff „decken“ als Teil der Passage: „Besonders gefährlich sind die …, die [Herr] F.G. deckt“ ebenso EGMR 17.04.2014 – 5709/09, Rn. 50[↩]
- vgl. zu den Begriffen „absichtlich“ und „bewusst“ BVerfG 24.07.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13, Rn.19[↩]
- zu Art. 10 Abs. 1 EMRK vgl. EGMR 17.04.2014 – 5709/09, Rn. 41[↩]
- vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17.04.2014 – 5709/09, Rn. 39[↩]
- vgl. zu diesem Kriterium EGMR 17.04.2014 – 5709/09, Rn. 42[↩]
- vgl. BVerfG 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] aaO: ua. schriftlicher Boykottaufruf; 24.07.2013 – 1 BvR 444/13, 1 BvR 527/13 -: Veröffentlichung eines „Denkzettels“ im Internet[↩]