Die gepfändete Lohnforderung – und die Drittschuldnerklage in der Insolvenz des Arbeitnehmers

Unterfällt eine Maßnahme der Einzelzwangsvollstreckung dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO, kann der Vollstreckungsgläubiger während des eröffneten Insolvenzverfahrens die vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasste Forderung – auch wenn deren öffentlich-rechtliche Verstrickung noch besteht – mangels materiell-rechtlichen Verwertungsrechts nicht im Wege der Drittschuldnerklage durchsetzen.

Die gepfändete Lohnforderung – und die Drittschuldnerklage in der Insolvenz des Arbeitnehmers

Die Pfändung begründet ein Pfändungspfandrecht an dem gepfändeten Gegenstand (§ 804 Abs. 1 ZPO). Dieses ist Grundlage des Anspruchs des Gläubigers, sich nach dem Prioritätsprinzip aus dem Pfandrecht zu befriedigen und den Erlös zu behalten. Frühere Pfändungen gehen späteren vor (§ 804 Abs. 3 ZPO). Das Pfändungspfandrecht hat damit rangsichernde Funktion. Nach der herrschenden sog. gemischt privat-öffentlich-rechtlichen Theorie setzt das Entstehen eines Pfändungspfandrechts eine fehlerfreie Pfändung und damit das Vorliegen der wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen sowie die Einhaltung der maßgeblichen Vollstreckungsvorschriften voraus1.

Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht erfüllt. Der Insolvenzgläubiger unterliegt gemäß § 89 Abs. 1 InsO wegen der gegen den Streitverkündeten titulierten Forderung aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung allen insolvenzrechtlichen Beschränkungen der Einzelzwangsvollstreckung, sodass ein materiell-rechtliches Verwertungsrecht an den streitgegenständlichen Forderungen während des Insolvenzverfahrens nicht entsteht und die Zwangsvollstreckung in dieser Zeit unzulässig ist.

Gemäß § 87 InsO können die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Diese Norm ist Ausdruck des allgemeinen Ziels des Insolvenzverfahrens, die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich und gleichmäßig aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners zu befriedigen (§ 1 Satz 1, § 38 InsO). Diesen Grundsatz dehnt § 89 InsO auf die Einzelzwangsvollstreckung aus, die zugunsten des Insolvenzverfahrens als Gesamtvollstreckungsverfahren verdrängt wird. Haben Insolvenzgläubiger bei Verfahrenseröffnung bereits einen Titel erstritten, sollen sie aus Gründen der Gleichbehandlung aller Gläubiger grundsätzlich daran gehindert sein, diesen im Vollstreckungsweg durchzusetzen. Stattdessen werden auch sie auf die Anmeldung zur Insolvenztabelle verwiesen (§§ 174, 179 Abs. 2 InsO)2.

Vom Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO sind alle Insolvenzgläubiger iSd. §§ 38, 39 InsO betroffen. Dies sind nach § 38 InsO alle persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Insolvenzschuldner haben.

Danach ist der Insolvenzgläubiger hinsichtlich der gegen den Streitverkündeten titulierten Forderung, wegen der er die Zwangsvollstreckung betreibt, Insolvenzgläubiger. Diese Forderung ist eine Insolvenzforderung. Sie war zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 9.09.2021 bereits begründet. An dieser Einordnung ändert auch der Umstand nichts, dass es sich bei der titulierten Forderung um eine solche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung handelt3.

Die streitgegenständlichen Ansprüche sind von dem Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO erfasst. Sie fallen in die Insolvenzmasse. Dazu gehört nach der Legaldefinition in § 35 Abs. 1 InsO nicht nur das gesamte Vermögen, das dem Insolvenzschuldner zur Zeit der Verfahrenseröffnung bereits gehört. Hierzu zählt auch das – wie vorliegend – während des Insolvenzverfahrens erlangte Vermögen wie bspw. Arbeitsentgeltansprüche für Arbeitsleistungen in Zeiträumen nach der Insolvenzeröffnung4. Diese Ansprüche entstehen gemäß § 614 BGB regelmäßig erst nach Erbringung der Dienstleistung5.

Die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche, dh. deren Pfändung und Überweisung6, erfolgte „während der Dauer des Insolvenzverfahrens“ iSd. § 89 Abs. 1 InsO, obgleich der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 21.08.2019 schon am 27.08.2019 und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugestellt worden ist. Eine Forderungspfändung ist zwar grundsätzlich mit der Zustellung des Beschlusses als bewirkt anzusehen (§ 829 Abs. 3 ZPO). Ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der sich ua. auf künftige Entgeltforderungen bezieht (§ 832 ZPO)7, wird hinsichtlich dieser künftigen Forderungen jedoch jeweils erst mit Entstehen des Anspruchs auf Vergütung der geleisteten Dienste, dh. nach Erbringung der Dienstleistung, wirksam. Erst zu diesem Zeitpunkt wird das Pfandrecht für diese künftige Forderung begründet. Bis dahin geht die Pfändung ins Leere. Wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet, unterfällt die Vollstreckung in die danach entstehenden Forderungen daher § 89 InsO8. So verhält es sich im vorliegenden Fall in Bezug auf die streitgegenständlichen Arbeitsentgeltansprüche für Arbeitsleistungen, die der Streitverkündete nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 9.09.2021 erbracht hat.

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Die Zwangsvollstreckung des Insolvenzgläubigers ist auch nicht gemäß § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO für zulässig. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist nicht eröffnet.

§ 89 Abs. 2 Satz 2 InsO steht grammatikalisch und systematisch im Zusammenhang mit Satz 1 dieser Vorschrift und schränkt als Gegenausnahme zu diesem nur den Anwendungsbereich des § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO ein9. § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO erfasst daher wie Satz 1 nur Neugläubiger, also Gläubiger, die erst nach Verfahrenseröffnung einen Vermögensanspruch gegen den Insolvenzschuldner erlangt haben10. Die Neugläubiger, die wegen Unterhalts- oder Deliktsansprüchen in den Teil der Bezüge aus einem Dienstverhältnis vollstrecken, der für sie erweitert pfändbar ist (§§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO), sieht die Insolvenzordnung jedoch als besonders schutzbedürftig an, weil sie im Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt werden und infolge der Einbeziehung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) keinen realistischen Vollstreckungszugriff auf das insolvenzfreie Vermögen haben. Die Insolvenzordnung lockert deshalb in Satz 2 das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO zu ihren Gunsten. Für Deliktsgläubiger, die – wie der Insolvenzgläubiger, zu den Insolvenzgläubigern zählen und ohnehin an der gemeinschaftlichen Befriedigung im Insolvenzverfahren beteiligt sind, verbleibt es aber bei dem allgemeinen Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO11.

Zudem betrifft § 89 Abs. 2 InsO nur „künftige Forderungen“, dh. solche, die nach Beendigung des Insolvenzverfahrens entstehen oder fällig werden12. Der Schuldner soll so in die Lage versetzt werden, seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit nach Beendigung des Insolvenzverfahrens zum Zwecke der Restschuldbefreiung an einen Treuhänder abzutreten (§ 287 Abs. 2 InsO)13. Vorliegend sind hingegen während des Insolvenzverfahrens entstandene Arbeitsentgeltansprüche streitgegenständlich, die hinsichtlich ihres pfändbaren Teils ohnehin gemäß § 35 InsO zur Insolvenzmasse gehören.

Der Insolvenzgläubiger kann hinsichtlich der streitgegenständlichen Ansprüche auch keine abgesonderte Befriedigung als Pfandgläubiger gemäß § 50 InsO beanspruchen. Absonderungskraft entfaltet ein Pfändungspfandrecht nur, wenn es vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam begründet worden ist14. Das Pfändungspfandrecht entsteht jedoch bei der Pfändung künftiger Forderungen erst mit deren Entstehung.

Zwar ist es zutreffend, dass die Wirkungen des § 89 InsO nicht die öffentlich-rechtliche Verstrickung erfassen. Sie folgert daraus jedoch zu Unrecht, dass der Fortbestand der Verstrickung der streitgegenständlichen Forderungen den Insolvenzgläubiger dazu berechtigt, auch während des laufenden Insolvenzverfahrens im Wege der Einzelzwangsvollstreckung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vorzugehen.

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Die Verstrickung ist eine Form der staatlichen Beschlagnahme. Sie wird mit Zustellung des Pfändungsbeschlusses (§ 829 Abs. 3 ZPO) bewirkt (§ 804 Abs. 1 ZPO)15. Solange sie andauert, besteht ein öffentlich-rechtliches Gewaltverhältnis über die gepfändete Forderung zum Zwecke der Zwangsvollstreckung. Der Staat erhält insoweit die Verfügungsmacht, als er die Forderung im Interesse des Vollstreckungsgläubigers sicherstellt16. Notwendige Kehrseite der Verstrickung ist ein relatives Verfügungsverbot für den Schuldner, der nicht mehr mit Wirkung gegen den Gläubiger über die Forderung verfügen kann (§ 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO, sog. Inhibitorium). Zugleich wird dem Drittschuldner verboten, an den Schuldner zu zahlen (§ 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO, sog. Arrestatorium). Mit dem Pfändungsbeschluss ist in der Regel der Überweisungsbeschluss verbunden, durch den dem Gläubiger die (angebliche) Forderung des Schuldners gegen den Drittschuldner entweder zur Einziehung oder an Zahlungs statt überwiesen wird (§ 835 ZPO). Diese Wirkungen gelten auch bei einem zu Unrecht erlassenen Überweisungsbeschluss zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange, bis er aufgehoben wird und der Drittschuldner hiervon Kenntnis erlangt (§ 836 Abs. 2 ZPO)17.

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und das damit geltende Vollstreckungsverbot des § 89 InsO lassen die öffentlich-rechtliche Verstrickung unberührt. Diese dauert so lange an, bis ihre förmliche Aufhebung durch eine entsprechende Entscheidung des Vollstreckungsorgans erfolgt18.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bleibt, ungeachtet der aus § 89 InsO folgenden schwebenden Unwirksamkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses während der Dauer des Insolvenzverfahrens, die Verstrickung bestehen, weil die von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechte der Insolvenzgläubiger nur so lange und so weit zu beschränken sind, wie es für die ordnungsgemäße Durchführung des Insolvenzverfahrens erforderlich ist19. Hierfür spricht entscheidend das Bedürfnis an Rechtssicherheit für den Drittschuldner, wie es ua. in § 836 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommt. Auch die Regelung in § 89 Abs. 3 InsO wäre überflüssig, wenn die gegen § 89 InsO verstoßende Vollstreckung von vornherein keine Verstrickungswirkung hätte20.

Der Fortbestand der Verstrickung bezüglich der gepfändeten Forderung sichert deren pfändungsrechtlichen Rang und damit die erlangte Rechtsposition des Vollstreckungsgläubigers. Endet das Insolvenzverfahren, entsteht das Pfändungspfandrecht eo ipso wieder bzw. bei der Pfändung künftiger Forderungen erstmals, ohne dass es einer neuerlichen Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bedürfte. Damit bleibt der erreichte Rang gewahrt21. Darüber hinaus ist die Forderung weiterhin dem Zugriff anderer Gläubiger, des Schuldners und auch des Insolvenzverwalters – vorliegend des Treuhänders des Streitverkündeten – entzogen22.

Will der Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder die Forderung zur Insolvenzmasse ziehen, muss er die Verstrickung beseitigen lassen.

Im Fall eines wie vorliegend schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassenen und zugestellten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses muss er dafür die nach den allgemeinen Vorschriften gegen Vollstreckungsmaßnahmen vorgesehenen Rechtsbehelfe einlegen. Das sind grundsätzlich die Erinnerung nach § 766 ZPO (ggf. in Verbindung mit einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung, § 766 Abs. 1 Satz 2, § 732 Abs. 2 ZPO)23 sowie bei Maßnahmen mit Entscheidungscharakter die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO24. Diese Rechtsbehelfe stehen ebenso dem Drittschuldner zu25. Lehnt das Vollstreckungsorgan während des laufenden Insolvenzverfahrens vom Gläubiger beantragte Vollstreckungsmaßnahmen unter Berufung auf die Insolvenzeröffnung ab, kann auch dieser hiergegen die genannten Rechtsbehelfe einlegen26. Dieses Vorgehen stellt sicher, dass von dem dazu berufenen Insolvenzgericht (§ 89 Abs. 3 InsO) überprüft wird, ob und inwieweit die Forderung in die Insolvenzmasse fällt und zur gemeinschaftlichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger erforderlich ist27.

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Zur Wahrung der Gläubigerrechte ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs „trotz Fehlens einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage“28 im Rahmen eines Insolvenzverfahrens allerdings nicht die Aufhebung, sondern nur die rangerhaltende Aussetzung der Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zulässig und geboten. Damit wird – über das bereits durch § 89 InsO bewirkte nur vorübergehende Nichtentstehen des Pfändungspfandrechts als materiell-rechtliches Verwertungsrecht hinaus – auch die öffentlich-rechtliche Verstrickung lediglich für die Dauer und Zwecke des Insolvenzverfahrens beseitigt29. Nach dem Ende des Insolvenzverfahrens tritt die Verstrickung jedoch wieder in Kraft und das Pfändungspfandrecht entsteht bei Dauerpfändung künftiger Forderungen wie der vorliegenden erstmals. Anders als bei einer Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bedarf es nach Beendigung des Insolvenzverfahrens bei einer bloßen Aussetzung der Pfändung und damit der öffentlich-rechtlichen Verstrickungen nicht der erneuten Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses, um in die betreffende Forderung (wieder) vollstrecken zu können30. Darum geht der Rangvorteil des Gläubigers nicht verloren. Vielmehr tritt im Ergebnis nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens die vor der Aussetzung des Beschlusses bestehende Rechtslage von selbst wieder ein31.

Diese Grundsätze finden auch im Restschuldbefreiungsverfahren in der Verbraucherinsolvenz, in dem sich das Vollstreckungsverbot wegen § 294 Abs. 1 InsO nahtlos fortsetzt, Anwendung. Während der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens kann weiterhin kein materielles Verwertungsrecht des Gläubigers begründet werden. Mit dem Ende dieser Verfahren wird das Pfändungspfandrecht wieder wirksam und kann der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wieder vollzogen werden, sofern die Restschuldbefreiung versagt worden ist. Solange deren Versagung nicht feststeht, hat der Pfändungsgläubiger ein berechtigtes Interesse am rangwahrenden Fortbestand der Pfändung32.

Soweit die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 17.09.200933 dahin zu verstehen sein sollten, dass das Pfändungspfandrecht durch die Insolvenzeröffnung nach § 89 Abs. 1 InsO endgültig untergeht und nicht nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens nicht mehr durchgesetzt werden kann, stellt er klar, dass sich diese Ausführungen nur auf die zwischenzeitlich aufgehobene Bestimmung des § 114 Abs. 3 InsO bezogen, und schließt sich im Übrigen der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an.

Das Fortbestehen der Verstrickung bedeutet aber nicht, dass der Vollstreckungsgläubiger ungeachtet des eröffneten Insolvenzverfahrens weiter im Wege der Einzelzwangsvollstreckung vorgehen kann. Dies widerspräche dem in der Insolvenzordnung verwurzelten Grundgedanken der Gläubigergleichbehandlung, den ua. § 89 Abs. 1 InsO verwirklicht. Dem steht § 836 Abs. 2 ZPO nicht entgegen, der ausweislich seines Wortlauts nur das Verhältnis zwischen Drittschuldner und Schuldner betrifft. Im Verhältnis zwischen Vollstreckungsgläubiger und Drittschuldner führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens dazu, dass gemäß § 89 Abs. 1 InsO Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung unzulässig sind und der Vollstreckungsgläubiger – für die Dauer des Insolvenzverfahrens – mangels materiell-rechtlichen Verwertungsrechts gehindert ist, die vom Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erfasste und damit nach wie vor verstrickte Forderung einzuziehen bzw. diesen Anspruch mithilfe der Drittschuldnerklage (Einziehungsklage) durchzusetzen34. Der Drittschuldner kann, da ihm auch eine Zahlung an den Schuldner untersagt ist, solange der Pfändungsbeschluss besteht, die gepfändeten Beträge hinterlegen (§ 372 BGB).

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Der Arbeitgeberin ist es im vorliegenden Verfahren nicht verwehrt, das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO und damit das Nichtbestehen des Pfändungspfandrechts des Insolvenzgläubigers an den streitgegenständlichen Forderungen einzuwenden. Sie ist damit nicht wegen der in § 89 Abs. 3 InsO angeordneten ausschließlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung nach § 89 Abs. 1, Abs. 2 InsO zu entscheiden, ausgeschlossen.

Wie bereits der Wortlaut des § 89 Abs. 3 InsO belegt, gilt die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts (nur) in Verfahren, deren Streitgegenstand die Zulässigkeit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme ist, und damit nur für Rechtsbehelfe gegen unzulässige Zwangsvollstreckungen. Das sind vor allem die Erinnerung nach § 766 ZPO, die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO und ggf. die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO35. Demgegenüber handelt es sich bei einer hier vorliegenden Drittschuldnerklage nicht um eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme, sondern um ein Erkenntnisverfahren, dessen Streitgegenstand der Zahlungsanspruch des Vollstreckungsgläubigers gegen den Drittschuldner ist.

Dem entsprechen Sinn und Zweck des § 89 Abs. 3 InsO. Der Gesetzgeber hat die Entscheidung über Rechtsbehelfe gegen das Vollstreckungsverbot nach § 89 InsO wegen der größeren Sachnähe nicht dem Vollstreckungsgericht, sondern dem Insolvenzgericht übertragen36. Demgemäß geht die Zuständigkeit nur dann auf das Insolvenzgericht über, wenn – wie im Fall des § 766 ZPO – nach allgemeinen Vorschriften das Vollstreckungsgericht zuständig wäre37. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es bei der allgemeinen Zuständigkeitsregel und § 89 Abs. 3 InsO kommt nicht zur Anwendung. So liegt es bspw. bei der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO, die sich nicht gegen eine konkrete Vollstreckungsmaßnahme, sondern gegen den Vollstreckungstitel an sich richtet und für die das Prozessgericht des ersten Rechtszugs ausschließlich zuständig ist (§ 767 Abs. 1, § 802 ZPO)38. Gleiches gilt auch für eine Drittschuldnerklage, wie sie hier vorliegt.

Nach den dargestellten Grundsätzen kann der Insolvenzgläubiger aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Streitverkündeten die Zahlung der streitgegenständlichen Ansprüche zurzeit nicht verlangen. Dies änderte sich, da der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bisher nicht aufgehoben worden ist und bei Einlegung eines entsprechenden Rechtsbehelfs durch den Treuhänder des Streitverkündeten nur der Vollzug des Beschlusses ausgesetzt werden dürfte, allerdings mit dem Ende des Insolvenz- sowie eines sich ggf. noch anschließenden Restschuldbefreiungsverfahrens bei Versagung der Restschuldbefreiung. Deswegen ist die Klage, soweit das Bundesarbeitsgericht über sie zu befinden hat, nur als derzeit unbegründet abzuweisen. Für ein etwaiges Folgeverfahren wird vom Bundesarbeitsgericht vorsorglich darauf hingewiesen, dass aus der Abweisung des Zahlungsanspruchs als derzeit unbegründet lediglich in Rechtskraft erwächst, dass der Insolvenzgläubiger gegen die Arbeitgeberin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keinen zur Zahlung fälligen Anspruch hatte, nicht dagegen, dass die Arbeitgeberin einem solchen Anspruch nicht weitere Einreden und Einwendungen entgegenhalten kann39.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juli 2023 – 6 AZR 112/23

  1. vgl. MünchKomm-ZPO/Gruber 6. Aufl. § 804 Rn. 6 f., 11; Zöller/Herget ZPO 34. Aufl. § 804 Rn. 2 ff.; vgl. auch BGH 2.07.1992 – IX ZR 274/91, zu B III der Gründe, BGHZ 119, 75[]
  2. vgl. HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 1 f.; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 1[]
  3. vgl. BAG 17.09.2009 – 6 AZR 369/08, Rn. 18, BAGE 132, 125; BGH 6.02.2014 – IX ZB 57/12, Rn. 8; 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 10; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 55; Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. C.130[]
  4. Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. C.130[]
  5. vgl. BAG 17.09.2009 – 6 AZR 369/08, Rn. 18, BAGE 132, 125; BGH 20.09.2012 – IX ZR 208/11, Rn. 14 mwN; 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 8; vgl. auch Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 49[]
  6. vgl. zum Begriff der Zwangsvollstreckung Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn.20, 23, 37 ff.[]
  7. Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. C.119[]
  8. vgl. zum Ganzen BAG 17.09.2009 – 6 AZR 369/08, Rn. 16, 20 mwN, BAGE 132, 125; BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 15, 22; Uhlenbruck/Mock aaO Rn. 26 f., ua. zur Pfändung einer dem Insolvenzschuldner nicht gehörenden Sache, die dieser erst nach Insolvenzeröffnung zu Eigentum erwirbt; Nerlich/Römermann/Kruth InsO § 88 Stand Juni 2018 Rn. 7; siehe auch KPB/Lüke InsO § 88 Stand Juni 2022 Rn.20; Riedel Lohnpfändung und Insolvenz 3. Aufl. Rn. 561, 564, 568 ff.; Stöber/Rellermeyer aaO Rn. B.183[]
  9. vgl. BGH 6.02.2014 – IX ZB 57/12, Rn. 8; 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 10[]
  10. BGH 21.01.2021 – IX ZR 77/20, Rn. 13 mwN; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 12[]
  11. BGH 6.02.2014 – IX ZB 57/12, Rn. 8; 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 10; vgl. zu Unterhaltsgläubigern BAG 17.09.2009 – 6 AZR 369/08, Rn. 18 f. mwN, BAGE 132, 125; vgl. auch Uhlenbruck/Mock aaO Rn. 55; MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther 4. Aufl. § 89 Rn. 51[]
  12. Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 49[]
  13. BGH 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 9[]
  14. BGH 20.03.2008 – IX ZR 2/07, Rn. 8[]
  15. Schuschke/Walker/Walker Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 6. Aufl. ZPO Vor §§ 803, 804 Rn. 1; Schaub ArbR-HdB/Koch 19. Aufl. § 85 Rn. 19[]
  16. vgl. BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 11; Schuschke/Walker/Walker aaO Rn. 2; Brox/Walker Zwangsvollstreckungsrecht 9. Aufl. Rn. 361; Schaub aaO Rn.20[]
  17. vgl. Treffer MDR 2003, 301, 304 mwN[]
  18. BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn. 8 f.; 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 15 f. mwN; Saarländ. OLG 13.04.2004 – 4 U 459/03-80, zu II B 1.2 b bb der Gründe; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 42; MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther 4. Aufl. § 89 Rn. 59; BeckOK InsR/Cymutta InsO § 89 Stand 15.04.2023 Rn. 27b; HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 33; Breitenbücher in Graf-Schlicker InsO 6. Aufl. § 89 Rn. 15; Eckardt in Jaeger InsO § 89 Rn. 73; auch Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. C.131; zu § 88 InsO Uhlenbruck/Mock § 88 InsO Rn. 41 ff.[]
  19. BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn. 11, 19; 19.11.2020 – IX ZR 210/19, Rn. 10 ff.; kritisch dazu Pape Anm. WuB 2021, 140, 142 ff.[]
  20. ausführlich BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 16 ff.[]
  21. vgl. BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn.20; Cranshaw jurisPR-InsR 12/2021 Anm. 3 unter C III 1; HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 33; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 44 – Heilung ex nunc; ebenso MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther 4. Aufl. § 89 Rn. 61; siehe auch Riedel Lohnpfändung und Insolvenz 3. Aufl. Rn. 566, 576[]
  22. vgl. BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn. 8 f.; 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 12 ff.[]
  23. dazu Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. B.423; Keller NZI 2007, 143, 145[]
  24. BGH 6.05.2004 – IX ZB 104/04, zu II 3 der Gründe; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 56 ff.; Stöber/Rellermeyer aaO Rn. B.420 ff.[]
  25. vgl. BGH 24.03.2011 – IX ZB 217/08; Uhlenbruck/Mock aaO Rn. 64; MünchKomm-InsO/Breuer/Flöther 4. Aufl. § 89 Rn. 65; Stöber/Rellermeyer aaO Rn. B.417, B.421[]
  26. vgl. BGH 27.09.2007 – IX ZB 16/06; HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 30; siehe auch BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20[]
  27. vgl. BGH 2.12.2021 – IX ZB 10/21, Rn. 15[]
  28. BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn.19[]
  29. vgl. BGH 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn. 10 ff. mwN; vgl. auch Breitenbücher in Graf-Schlicker InsO 6. Aufl. § 89 Rn. 15; Stöber/Rellermeyer Forderungspfändung 17. Aufl. Rn. C.133; ausführlich BeckOK InsR/Cymutta § 88 Stand 15.04.2023 Rn. 18b ff.[]
  30. vgl. BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn.20[]
  31. vgl. Cranshaw jurisPR-InsR 12/2021 Anm. 3 unter C III 1[]
  32. BGH 2.12.2021 – IX ZB 10/21, Rn. 15 ff.; Breitenbücher in Graf-Schlicker InsO 6. Aufl. § 89 Rn. 15[]
  33. BAG 17.09.2009 – 6 AZR 369/08, BAGE 132, 125; bestätigt durch BAG 16.05.2013 – 6 AZR 556/11, Rn. 40, BAGE 145, 163[]
  34. vgl. BGH 21.09.2017 – IX ZR 40/17, Rn. 15; 19.11.2020 – IX ZB 14/20, Rn. 9[]
  35. Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 56 ff., 63; HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 34 ff.[]
  36. BT-Drs. 12/2443 S. 137 f. zu § 100 RegE zur InsO; BGH 27.09.2007 – IX ZB 16/06, Rn. 4; Uhlenbruck/Mock 15. Aufl. § 89 InsO Rn. 62[]
  37. Uhlenbruck/Mock aaO unter Verweis auf Thüringer OLG 17.12.2001 – 6 W 695/01; HK-InsO/Kayser 11. Aufl. § 89 Rn. 34; Breitenbücher in Graf-Schlicker InsO 6. Aufl. § 89 Rn. 17[]
  38. vgl. OLG Düsseldorf 23.01.2002 – 19 Sa 113/01 6; Uhlenbruck/Mock aaO Rn. 63[]
  39. BGH 18.10.2022 – XI ZR 226/21, Rn. 14 mwN; vgl. auch BGH 9.12.2022 – V ZR 72/21, Rn. 14 f.[]
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