Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen [1].

Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist [2].
Das gilt auch für den Fall einer scharfen und zugespitzten Kritik des Betriebsratsvorsitzenden an dem Verhalten des Arbeitgebers in einer Mail, die auch vielen Personen außerhalb des Betriebes zugänglich gemacht wurde.
Soweit der Vorsitzende mit der breit gestreuten Veröffentlichung der Mail und deren Aushang im Schaukasten des Betriebsrats möglicherweise gegen seine betriebsverfassungsrechtliche Verschwiegenheitspflicht (§ 79 BetrVG) verstoßen hat, kann daraus nicht das Recht zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses abgeleitet werden, denn das Betriebsverfassungsgesetz sieht in § 23 BetrVG eigene Sanktionen für Verstöße gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten vor [3]. Gleiches gilt, soweit man auf eine ergänzende Verschwiegenheitspflicht, die sich aus dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ableitet, abstellen würde. Auch die Verletzung dieser betriebsverfassungsrechtlichen Pflicht kann allein mit betriebsverfassungsrechtlichen Sanktionen geahndet werden.
Die Kündigung lässt sich auch nicht auf einen Verstoß gegen das arbeitsvertragliche Gebot zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers aus § 241 Absatz 2 BGB ableiten.
Insoweit ist allerdings in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch die Mitglieder des Betriebsrats wie alle anderen Arbeitnehmer in dem durch § 241 Absatz 2 BGB gezogenen Rahmen Rücksicht auf die Interessen ihres Arbeitgebers zu nehmen haben. Auch dann, wenn eine Handlung eines Betriebsratsmitglieds gleichzeitig Amtspflichten als auch arbeitsvertragliche Pflichten verletzt oder aber die Vertragsverletzung nur deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer als Betriebsratsmitglied tätig geworden ist, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB vorliegen [4]. Mit Rücksicht auf die besondere Konfliktsituation, in der sich das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsstellung ohnehin befindet, ist die außerordentliche Kündigung aber nur gerechtfertigt, wenn unter Anlegung eines besonders strengen Maßstabs das pflichtwidrige Verhalten auch als schwerer Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis zu werten ist. [5].
Ein in diesem Sinne schwerer Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Absatz 2 BGB kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden.
In der beanstandeten Mail hat der beteiligte Vorsitzende keine falschen Tatsachen mit Bezug auf die Arbeitgeberin behauptet.
Behauptungen tatsächlicher Art werden in der Mail nur wenige aufgestellt. Im ersten Absatz wird die Historie des Konflikts rund um den Versuch, den Betriebsratskollegen „S.“ zu kündigen, wiedergegeben. Im zweiten Absatz wird der Ausgang des Rechtsstreits um die beabsichtigte Kündigung des Betriebsratskollegen „S.“ geschildert. Außerdem gibt es bruchstückhaft Hinweise auf einen Entgeltkonflikt im Betrieb.
Keine der an den genannten Stellen wiedergegebenen Behauptungen ist erkennbar falsch. Insoweit stellt auch die Arbeitgeberin keine gegenteiligen Behauptungen auf.
Soweit der beteiligte Vorsitzende in der Mail das Verhalten der Arbeitgeberin scharf kritisiert und ihr Handeln bewertet, handelt es sich um die Äußerung seiner Meinung, was ihm grundsätzlich nicht verboten ist.
Während Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt werden und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises vor Gericht zugänglich sind, handelt es sich bei einer Meinung um eine Äußerung, die durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist. Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an. Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte, den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälsche. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden [6].
Legt man diesen Maßstab an, muss der Vorwurf des „professionellen Union-Busting“, der Vorwurf der „bewusst herbeigeführten Spaltung der Belegschaft“ und der „Inszenierung von Kündigungsgründen“ als bloße Meinungsäußerung bewertet werden und nicht als Tatsachenbehauptung. Gemeinsam ist allen Vorwürfen, dass der beteiligte Vorsitzende der Arbeitgeberin in ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat – untechnisch ausgedrückt – eine feindliche Einstellung unterstellt. (professionelles Busting, bewusste Spaltung, Inszenierung). Diese innere Einstellung der Arbeitgeberin könnte rechtlich allenfalls als sogenannte innere Tatsachen bezeichnet werden. Damit wäre sie aber keine Tatsachen im Sinne der aufgezeigten Rechtsprechung, da sie einem Beweis nicht zugänglich sind. Auf innere Tatsachen kann nur mittels geeigneter Indiztatsachen mittelbar geschlossen werden. Da solche vom beteiligten Vorsitzenden nicht geäußert wurden, handelt es sich bei seiner Einschätzung der inneren Einstellung der Arbeitgeberin bei ihrem Handeln gegenüber dem Betriebsrat um eine bloße Meinungsäußerungen.
Die Meinungsäußerung durch den beteiligten Vorsitzenden kann auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis noch nicht als pflichtwidrig angesehen werden. Meinungsäußerungen im Betrieb können insbesondere dann pflichtwidrig sein, wenn sie betriebliche Auswirkungen haben, also den Betriebsfrieden stören oder den Arbeitsablauf zum Erliegen bringen. Dass die Mail vom 14.11.2014 derartige Wirkungen gezeitigt hat, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Der beteiligte Vorsitzende mag sich in der Mail an mancher Stelle im Ton vergriffen haben, die Herabsetzung oder Schmähung bestimmter Personen kann aber nicht erkannt werden.
Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Arbeitgeberin, eine juristische Person in Form einer Kommanditgesellschaft mit Komplementär-GmbH, in der Mail des beteiligten Vorsitzenden sozusagen anonym bleibt. Es wird keine Person beim Namen genannt, bei der die feindliche Einstellung gegeben sein soll, vielmehr ist immer nur von „Teilen der Klinikleitung“ oder von einzelnen „Klinikleitungsmitgliedern“ die Rede. Für das Gericht als außenstehender Stelle geht nicht einmal eindeutig hervor, ob die Kritik dem örtlichen Leitungspersonal am Klinikstandort gilt oder dem Führungspersonal am Sitz des Unternehmens. Schon aus diesem Grunde scheidet die Annahme aus, der beteiligte Vorsitzende habe in der Mail einzelne Personen herabgesetzt oder gar beleidigt.
Zusätzlich ist der Umstand in die Bewertung mit einzubeziehen, dass die Mail in einem Kontext steht, der durch einen inzwischen schon mehrjährigen beiderseits eifrig befeuerten Konflikt zwischen der örtlichen Klinikleitung und dem beteiligten Betriebsrat steht, der beiderseits zu einer für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbaren Verrohung der Umgangsformen geführt hat. Selbst wenn man also den Standpunkt vertreten würde, dass sich der beteiligte Vorsitzende in der Mail im Ton pflichtwidrig vergriffen habe, könnte dies die beabsichtigte Kündigung nicht rechtfertigen.
Man kann dem beteiligten Vorsitzenden allerdings vorwerfen, dass er mit der öffentlichen Verbreitung der Mail einen innerbetrieblichen Konflikt ohne Not nach außen getragen hat und damit dem nach außen untadeligen Ruf der Arbeitgeberin Schaden zugefügt hat.
Es ist anerkannt, dass Arbeitnehmer verpflichtet sind, bei innerbetrieblichen Konflikten zunächst eine innerbetriebliche Lösung anzustreben. Dabei muss gegebenenfalls auch eine innerbetriebliche Eskalationsleiter durchlaufen werden. Außenstehende Stellen dürfen erst dann eingeschaltet werden, wenn man innerbetrieblich kein Gehör findet. Soweit man außenstehende Stellen meint einschalten zu müssen, sollte man sich zusätzlich auf solche Stellen konzentrieren, von denen Hilfe erwartet werden kann und deren Einschaltung möglichst keine nicht unberechenbaren Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Daher ist die Einschaltung der Presse in aller Regel ein ungeeignetes Mittel für die Suche nach Unterstützung in einem innerbetrieblichen Konflikt.
Legt man diesen Maßstab zu Grunde, war die Verbreitung der Mail vom 14.11.2014 gegenüber außenstehenden Stellen pflichtwidrig. Soweit es um den Vorfall des Kündigungsversuchs gegenüber dem Betriebsratskollegen „S.“ ging, war der Konflikt durch die Entscheidung des Arbeitsgerichts abgeschlossen. Es bestand kein sachlicher Anlass mehr, hier nochmals Öl ins Feuer zu gießen. Soweit es in der Mail um den angedeuteten Konflikt um die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit geht, ist überhaupt nicht erkennbar, dass insoweit die innerbetrieblichen Konfliktlösungsmechanismen bereits ausgeschöpft waren. Damit ist im Ergebnis festzustellen, dass sich der beteiligte Vorsitzende ohne konkreten Anlass über seinen Arbeitgeber gegenüber Dritten in einer Art und Weise geäußert hat, die geeignet ist, den Ruf der Arbeitgeberin zu beschädigen.
Die Gefahr der Rufschädigung wird durch den Kreis der Adressaten, an die sich die Mail gerichtet hatte, nicht verringert. Soweit der Vorsitzende die Mail auch an soziale Aktionsplattformen versendet hat, die damit werben, die Missachtung des Rechts im Arbeitsverhältnis und im Betrieb bekämpfen zu wollen, musste ihm klar sein, dass er damit einen Stein losgetreten hat, der – wenn die sozialen Aktionsplattformen darauf anspringen – geeignet ist, eine unkontrollierbare Lawine auszulösen.
Gleichwohl sieht sich das Gericht nicht in der Lage, allein auf Grund dieses Pflichtverstoßes die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zu der Kündigung zu ersetzen.
So ist es bereits zweifelhaft, ob man angesichts der bereits oben angesprochenen Verrohung im Umgang der Beteiligten miteinander noch von einem schweren Pflichtverstoß des beteiligten Vorsitzenden sprechen kann. Zum anderen muss man, gerade soweit man dem beteiligten Vorsitzenden einen aus seiner inneren Einstellung abgeleiteten Vorwurf machen will, nach der oben zitierten Rechtsprechung einen besonders strengen Maßstab anlegen. Unter Anlegung dieses besonders strengen Maßstabes steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es dem beteiligten Vorsitzenden bei der Weiterleitung der Mail an die genannten sozialen Aktionsplattformen klar war, was er dadurch – wenn diese auf das Thema anspringen – auslösen konnte. Schließlich hat das Gericht bei seiner Bewertung zu Gunsten des Vorsitzenden noch berücksichtigt, dass die deftigen Äußerungen über die Arbeitgeberin nahezu gänzlich ohne tatsächliche Belege erhoben wurden; Beschimpfungen dieser Art ohne ausreichende tatsächliche Belege haben nicht das Zeug dazu, sich im Netz aufgrund der ausgelösten Empörung explosionsartig zu verbreiten.
Das Geschehen ist auch unter Berücksichtigung der Mail im Schaukasten des Betriebsrats im Flur zum Wirtschaftshof nicht anders zu bewerten.
Zwar ist der Standort des Schaukastens des Betriebsrats unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsmöglichkeit durch Patienten der Klinik nicht optimal gewählt. Da die Arbeitgeberin dem Betriebsrat jedoch keinen anderen besser geeigneten Platz für den Schaukasten angeboten hat, muss sie mit dem von ihr selbst mit geschaffenen Risiko leben, dass Patienten der Klinik einen neugierigen Blick auf die Mitteilungen des Betriebsrats werfen und damit Dinge erfahren, die sie eigentlich nichts angehen. Eine Einschränkung des Rechts des Betriebsrats, die Belegschaft über wichtige Dinge durch Aushang zu unterrichten, wird man aus der bisher nicht erfolgreich umgesetzten gesetzlichen Pflicht, dem Betriebsrat eine solche Fläche zur Verfügung zu stellen, nicht folgern können.
Landesarbeitsgericht Mecklenburg ‑Vorpommern, Beschluss vom 24. Mai 2016 – 2 TaBV 22/15
- LAG Mecklenburg-Vorpommern 27.11.2013 – 3 Sa 101/13[↩]
- BAG 23.10.2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972, DB 2009, 1131[↩]
- LAG Mecklenburg-Vorpommern 27.11.2013 – 3 Sa 101/13[↩]
- LAG Mecklenburg-Vorpommern 27.11.2013 aaO[↩]
- BAG 23.10.2008 – 2 ABR 59/07 – AP Nr. 58 zu § 103 BetrVG 1972, DB 2009, 1131[↩]
- BVerfG 4.08.2016 – 1 BvR 2619/13[↩]