Eine Kündigungsschutzklage kann die Frist des § 4 Satz 1 KSchG wahren, obwohl der Arbeitnehmer in der Klageschrift entgegen § 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 1 ZPO seinen Wohnort nicht angibt.

Auch ist die Angabe einer ladungsfähigen Anschrift des Rechtsmittelführers in der Rechtsmittelschrift keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels1. Im Besonderen muss das Rechtsmittel einer Partei, die sich dagegen wendet, die Vorinstanz habe zu Unrecht Zweifel am angegebenen Wohnort gehegt, ohne Rücksicht darauf zulässig sein, ob diese Annahme gerechtfertigt ist2.
Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage
Dabei konnte im hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall kann zugunsten der beklagten Arbeitgeberin unterstellt werden, dass die Klage zunächst unzulässig war, weil der klagende Arbeitnehmer „aus dem Verborgenen“ prozessiert hat, ohne dass dafür – etwa, weil er sich der konkreten Gefahr einer Verhaftung ausgesetzt hätte3 – ein schützenwertes Interesse bestand. Auch bedurfte keiner Entscheidung, ob das Arbeitsgericht die von § 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 1 ZPO grundsätzlich geforderte Angabe eines Wohnorts – erst – im Kammertermin als verspätet zurückweisen durfte. Allerdings ist zweifelhaft, ob die §§ 282, 296 ZPO iVm. § 46 Abs. 2 ArbGG insoweit Anwendung finden. Jedenfalls ist der Wohnort des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtszug unstreitig gewesen. Unstreitiges Vorbringen ist vom Berufungsgericht selbst dann zuzulassen, wenn es erstinstanzlich wirksam zurückgewiesen worden sein sollte4.
Für die Zulässigkeit der beiden Klageanträge ist es ohne Bedeutung, dass der Arbeitnehmer in der Frist des § 4 Satz 1 KSchG keinen Wohnort angegeben hat und bis zur rechtskräftigen Abweisung des im Vorverfahren erhobenen allgemeinen Feststellungsantrags anderweitige Rechtshängigkeit vorgelegen haben könnte. Sollte die außerordentliche Kündigung deshalb nach § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam gelten, hätte das Arbeitsgericht die Klage mit dem Hauptantrag als unbegründet abweisen müssen5 und über den unechten Hilfsantrag gegen die ordentliche Kündigung nicht befinden dürfen.
Wahrung der Klagefrist
Weder der Zivilprozessordnung noch dem Wortlaut von § 4 Satz 1 KSchG ist zu entnehmen, dass lediglich eine von vornherein in allen Punkten dem Prozessrecht genügende Klageerhebung die Klagefrist wahrt6. Vielmehr können auch unzulässige Klagen zur Fristwahrung ausreichen7. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich nach § 253 ZPO und § 4 Satz 1 KSchG8. Eine wirksame Klageerhebung liegt vor, wenn die Klage die sich aus § 253 ZPO ergebenden Mindestvoraussetzungen erfüllt9. Den Anforderungen von § 4 Satz 1 KSchG ist genügt, wenn die (wirksame) Klage dem Arbeitgeber fristgerecht Klarheit verschafft, ob der Arbeitnehmer eine bestimmte Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will. Erfüllt das prozessuale Vorgehen des Arbeitnehmers diesen Zweck, soll er nicht aus formalen Gründen den Kündigungsschutz verlieren10. Danach ist die Dreiwochenfrist, ohne dass es auf eine rückwirkende Heilung gemäß § 295 ZPO11 oder eine nachträgliche Klagezulassung nach § 5 KSchG ankäme, von vornherein gewahrt, wenn die rechtzeitig eingereichte Klageschrift von einer postulationsfähigen Person unterzeichnet ist, die sie – als solche und nicht als bloßen Entwurf – verantwortet (§ 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 6 ZPO), und aus ihr die Parteien (§ 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), die angefochtene Kündigung (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) sowie der Wille des Arbeitnehmers, die Unwirksamkeit dieser Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen, ersichtlich sind10. Demgegenüber rechnen die in § 253 Abs. 4 iVm. § 130 Nr. 1 bis Nr. 5 ZPO bestimmten Angaben weder zu den Mindestanforderungen an eine wirksame Klageerhebung12 noch werden sie von § 4 Satz 1 KSchG verlangt13.
Danach hat der Arbeitnehmer trotz des zunächst nicht angegebenen Wohnortes die Frist des § 4 Satz 1 KSchG gewahrt.
Zum einen ist es unschädlich, dass er die Klage zu einem Zeitpunkt erhoben hat, als ihm die sicher zu erwartenden Kündigungen tatsächlich noch nicht zugegangen waren. Der Arbeitnehmer hat sie gleichwohl schon in der Klageschrift ausreichend iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO individualisiert, indem er auf die Entscheidung des Integrationsamts mit Aktenzeichen und den erfolglosen Zustellversuch der Arbeitgeberin am 10.01.2012 Bezug genommen hat. Daneben spielt es keine Rolle, dass die Kündigungen nach seiner Mutmaßung auf den 9.01.2012 datiert waren. Vielmehr hätte die Klage noch nach Ablauf der Dreiwochenfrist der tatsächlichen Datierung des Schreibens auf den 10.01.2012 angepasst werden können14. Allerdings fiel die am 28.02.2012 vorgenommene Korrektur ohnehin in die noch laufende Klagefrist, weil der tatsächlich erst am 20.02.2012 erfolgte Zugang der streitbefangenen Kündigungen nicht auf den 10.01.2012 zurück zu fingieren ist15.
Zum anderen schadet es nicht, dass der Arbeitnehmer in der Klagefrist seinen Wohnort nicht angegeben hat. Seine Identität stand gleichwohl zweifelsfrei fest; der Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO war insoweit Genüge getan16. Damit lag eine wirksame Klageerhebung vor. Trotz des Schwebezustands betreffend die Zulässigkeit der Klage im Übrigen war für das Gericht und die Arbeitgeberin auch mit der erforderlichen Eindeutigkeit erkennbar, dass der Arbeitnehmer eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigungen begehrt17.
Schließlich kann dahinstehen, ob eine Klage auch dann die Vorgaben von § 4 Satz 1 KSchG wahrt, wenn ihr für die gesamte Dauer der Klagefrist das Prozesshindernis der anderweitigen Rechtshängigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entgegensteht, und ob ggf. schon die Erstklage zur endgültigen Wahrung der Klagefrist ausreicht. Hier lag von Anfang an kein solcher Fall vor. Die streitbefangenen Kündigungen waren zwar vom Streitgegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags aus dem vorangegangenen Verfahren erfasst. Des Weiteren liegt in der bloßen Erhebung einer Kündigungsschutzklage richtigerweise nur dann eine gemäß § 264 Nr. 2 ZPO stets zulässige Beschränkung eines „Schleppnetzantrags“, wenn beide Anträge – wie in dem Fall des Bundesarbeitsgerichts vom 07.12.199518 – im selben Rechtsstreit angebracht werden19. Der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit als spezielle Ausprägung des Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses greift aber nicht durch, wenn das Rechtschutzziel der späteren Klage über das der ersten hinausgeht20. So liegt es im Verhältnis eines Kündigungsschutzantrags zu einer früheren allgemeinen Feststellungsklage. § 4 Satz 1 KSchG verlangt eine auf die konkrete Kündigung bezogene punktuelle Klage. Daneben kann der Arbeitnehmer nur auf der Grundlage einer solchen mit einem auf die betreffende Kündigung bezogenen Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG durchdringen.
Das Hessische Landesarbeitsgericht hat in der Vorinstanz angenommen21, die (bevorstehende) Strafhaft des Arbeitnehmers habe keinen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche fristlose Kündigung gebildet. Gegen diese Annahme wendet die Revision sich nicht. Sie lässt auch keinen Rechtsfehler erkennen22.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Oktober 2020 – 2 AZR 247/20
- BGH 1.04.2009 – XII ZB 46/08, Rn. 10; 11.10.2005 – XI ZR 398/04, zu II 1 der Gründe[↩]
- vgl. BGH 29.09.2010 – XII ZR 41/09, Rn. 7 zur Klärung der Frage, ob eine Prozesspartei existiert[↩]
- vgl. BFH 19.10.2000 – IV R 25/00, zu I 1 c der Gründe, BFHE 193, 52[↩]
- vgl. ErfK/Koch 20. Aufl. ArbGG § 67 Rn. 2[↩]
- vgl. BAG 18.12.2014 – 2 AZR 163/14, Rn. 16, BAGE 150, 234[↩]
- vgl. BAG 26.06.1986 – 2 AZR 358/85, zu B II 3 c bb der Gründe, BAGE 52, 263[↩]
- für die Hemmung bzw. Unterbrechung der Verjährung vgl. BGH 9.12.2010 – III ZR 56/10, Rn. 13 f.; 17.11.1988 – III ZR 252/87, zu II 2 b der Gründe[↩]
- vgl. BAG 13.03.1997 – 2 AZR 512/96, zu II 1 c der Gründe, BAGE 85, 262; 31.03.1993 – 2 AZR 467/92, zu B II 2 b bb der Gründe, BAGE 73, 30[↩]
- vgl. BGH 17.03.2016 – III ZR 200/15, Rn. 18 f.[↩]
- vgl. BAG 31.03.1993 – 2 AZR 467/92, zu B II 2 b cc der Gründe, aaO[↩][↩]
- vgl. dazu BAG 26.06.1986 – 2 AZR 358/85 – aaO[↩]
- vgl. Musielak/Voit/Foerste ZPO 17. Aufl. § 253 Rn. 2[↩]
- für die Hemmung der Verjährung vgl. Staudinger/Peters/Jacoby (2019) § 204 Rn. 29[↩]
- vgl. BAG 31.03.1993 – 2 AZR 467/92, zu B II 2 b cc (1) der Gründe, BAGE 73, 30[↩]
- Rn. 46[↩]
- vgl. BGH 9.12.1987 – IVb ZR 4/87, zu 2 der Gründe, BGHZ 102, 332[↩]
- vgl. BAG 26.06.1986 – 2 AZR 358/85, zu B II 3 c bb der Gründe, BAGE 52, 263 für die rückwirkende Heilung eines Unterschriftsmangels nach § 295 ZPO[↩]
- 2 AZR 772/94, zu III 2 b der Gründe, BAGE 81, 371[↩]
- vgl. LKB/Linck KSchG 16. Aufl. § 4 Rn. 146[↩]
- vgl. BGH 4.07.2013 – VII ZR 52/12, Rn. 10 für eine positive Feststellungsklage und eine nachfolgende Leistungsklage[↩]
- Hess. LAG 04.03.2020 – 18 Sa 1443/15[↩]
- zur Möglichkeit und den Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses wegen haftbedingter Abwesenheit vgl. BAG 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, Rn. 15, BAGE 153, 102[↩]