Die monatlich wiederkehrende Einsichtnahme des Betriebsrats in Bruttogehaltlisten

Die Arbeitgeberin ist nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG nicht verpflichtet, dem Betriebsrat von vornherein, ohne dessen entsprechende Aufforderung monatlich die Einsichtnahme in die Lohnlisten zu gewähren.

Die monatlich wiederkehrende Einsichtnahme des Betriebsrats in Bruttogehaltlisten

Das Einsichtsrecht des Betriebsrats in die Bruttogehaltslisten § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG besteht, soweit dies zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Der Betriebsrat muss ein besonderes Überwachungsbedürfnis nicht darlegen. Der nötige Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes.

Das Einblicksrecht des Betriebsrats setzt indessen voraus, dass dieser jeweils prüft, ob die geforderte Einsichtnahme für seine Betriebsratsaufgaben aktuell erforderlich ist. Er kann mithin von der Arbeitgeberin nicht ohne gesonderte eigene Prüfung der Erforderlichkeit von vornherein wiederkehrend die monatliche Einsichtnahme in die Gehaltslisten verlangen. Dies ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „auf Verlangen“ des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG. Das Verlangen setzt denklogisch voraus, dass der Betriebsrat die verlangte Einsichtnahme zur Durchführung seiner Aufgaben aktuell für erforderlich hält.

Nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen; in diesem Rahmen ist der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. Das Einsichtsrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG unterliegt dabei den Grenzen der allgemeinen Regelung in § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG1.

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In Betrieben, in denen kein Betriebsausschuss gebildet ist, kann das Einsichtsrecht durch den Betriebsratsvorsitzenden, dessen Stellvertreter oder ein anderes beauftragtes Betriebsratsmitglied, dem die Führung der laufenden Geschäfte nicht übertragen sein muss, wahrgenommen werden. Da der Betriebsrat hier nur sieben Mitglieder hat, war nach § 27 Abs. 1 BetrVG kein Betriebsausschuss zu bilden. Ein solcher existiert auch nicht. Das Einsichtsrecht steht daher einem vom Betriebsrat zu benennenden Mitglied zu.

Der Betriebsrat kann nur Einsicht in Unterlagen verlangen, die der Arbeitgeber zumindest in Form einer elektronischen Datei tatsächlich besitzt. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, nicht vorhandene Unterlagen erst zu erstellen2. Dieses Verständnis liegt auch der Antragstellung des Betriebsrats zugrunde.

Das Einsichtsrecht umfasst alle Lohn- und Gehaltsbestandteile tariflicher wie außertariflicher Art, unabhängig davon, ob es sich um einmalige oder wiederkehrende Leistungen des Arbeitgebers handelt und unabhängig davon, ob sie kollektivrechtlich oder einzelvertraglich vereinbart sind. § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG lässt sich nicht entnehmen, dass bestimmte Lohnbestandteile generell vom Einsichtsrecht des Betriebsrats ausgenommen sind3.

Das Einsichtsrecht des Betriebsrats besteht, soweit dies zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Der Betriebsrat muss ein besonderes Überwachungsbedürfnis nicht darlegen. Der nötige Aufgabenbezug ist regelmäßig schon deshalb gegeben, weil der Betriebsrat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze und Tarifverträge durchgeführt werden. Hierzu gehört auch die sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Beachtung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Darlegung eines besonderen Anlasses für die Ausübung des Einsichtsrechts bedarf es dabei auch im Hinblick auf individuell vereinbarte übertarifliche Vergütungen nicht. Der Betriebsrat benötigt die Kenntnis der effektiv gezahlten Vergütungen, um sich ein Urteil darüber bilden zu können, ob insoweit ein Zustand innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit existiert oder nur durch eine andere betriebliche Lohngestaltung erreicht werden kann. Ein Einsichtsrecht besteht deshalb auch dann, wenn der Betriebsrat gerade feststellen will, welche Arbeitnehmer Sonderzahlungen erhalten und wie hoch diese sind. Die Grenzen des Einsichtsrechts liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt4.

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Nach diesen Grundsätzen ist das auf wiederkehrende zukünftige Leistungen gerichtete Einsichtsrecht des Betriebsrats nicht begründet. Dabei wird nicht verkannt, dass der Betriebsrat von der Arbeitgeberin grundsätzlich auch monatlich die Einsichtnahme in die Lohn- und Gehaltslisten fordern kann.

Dem nötigen Aufgabenbezug steht insbesondere nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin dem Betriebsrat im Vormonat Einsicht in eine Jahresübersicht der gezahlten Löhne und Gehälter gewährt hat. Die Arbeitgeberin verkennt hier, dass der Betriebsrat schon nach dem Gesetzeswortlaut des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG „jederzeit“ auf Verlangen Einsichtnahme in die Lohnlisten fordern kann. Ein Einsichtsrecht besteht mithin auch dann, wenn der Betriebsrat gerade feststellen will, welche Arbeitnehmer welche Entgeltbestandteile in welchen Abrechnungsmonaten erhalten und wie hoch diese sind. Soweit der Betriebsrat dies für erforderlich hält, kann er mithin auch Monat für Monat die Arbeitgeberin zur Einsichtnahme in die Gehaltslisten auffordern. Es kommt nicht darauf an, welchen Einsichtnahme-Zyklus die Arbeitgeberin selbst für sinnvoll erachtet. Insbesondere obliegt es der Arbeitgeberin nicht, dem Betriebsrat vorzuschreiben, wann und in welcher Form er seine betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben wahrzunehmen gedenkt.

Das Einblicksrecht des Betriebsrats setzt indessen voraus, dass dieser jeweils prüft, ob die geforderte Einsichtnahme für seine Betriebsratsaufgaben erforderlich ist.

Denn die Grenzen des Einsichtsrechts liegen dort, wo ein Beteiligungsrecht oder eine sonstige Aufgabe offensichtlich nicht in Betracht kommt. Auch wenn es regelmäßig keines besonderen Anlasses für die Einsichtnahme in die Entgeltlisten bedarf, ist der Betriebsrat verpflichtet, zu prüfen, ob ein sachlicher Grund besteht, Einblick in die Entgeltlisten zu nehmen. Ein willkürliches Einsichtsverlangen verstieße gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 2 Abs. 1 BetrVG und wäre rechtsmissbräuchlich5. Sofern der Betriebsrat mithin meint, dass er für seine Überwachungsaufgaben nach §§ 75 Abs. 1, 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die monatliche Einsichtnahme in die Listen der Bruttolöhne und -gehälter benötigt, muss er Monat für Monat gesondert prüfen, ob die geforderte monatliche Einsichtnahme in die Gehaltslisten (noch oder wieder) erforderlich ist. Dies ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „auf Verlangen“ des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG. Das Verlangen setzt denklogisch voraus, dass der Betriebsrat die verlangte Einsichtnahme zur Durchführung seiner Aufgaben aktuell für erforderlich erachtet.

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Hieran gemessen ist der Hauptantrag nicht begründet. Der Betriebsrat kann von der Arbeitgeberin nicht ohne gesonderte eigene Prüfung der Erforderlichkeit von vornherein wiederkehrend die monatliche Einsichtnahme in die Gehaltlisten verlangen. Zutreffend weist die Arbeitgeberin darauf hin, dass ein derartiges, auf wiederkehrende zukünftige Leistungen (Gewährung eines monatlichen Einsichtsrechts) gerichtetes Verlangen jegliche Prüfung des erforderlichen Aufgabenbezuges unmöglich macht. Die Forderung des Betriebsrats auf monatliche Gewährung des Einsichtsrechts würde zu einer voraussetzungslosen Vorlagepflicht des Arbeitgebers führen. Eine derartige Auslegung des § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG widerspricht indessen dem Wortlaut der Norm. Durch die Worte „in diesem Rahmen“ nimmt § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 BetrVG Bezug auf § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG. Dies bedeutet, dass der Betriebsrat die Einsichtnahme nur auf ein entsprechendes Verlangen und auch nur dann beanspruchen kann, wenn dies zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist. Der Gesetzgeber hat den Arbeitgeber gerade nicht von vornherein verpflichtet, dem Betriebsrat sozusagen anlasslos die Einsichtnahme in die Gehaltslisten zu gewähren. Vielmehr ist der Betriebsrat im Rahmen des ausgeübten Verlangens verpflichtet, selbst zu prüfen, ob er die konkret geforderte Einsichtnahme für seine Betriebsratsarbeit aktuell noch oder wieder benötigt. Diese Entscheidung muss er Monat für Monat neu treffen.

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23. Mai 2019 – 5 TaBV 9/18

  1. BAG, Beschluss vom 30.09.2008 – 1 ABR 54/07, Rn. 25[]
  2. BAG, Beschluss vom 30.09.2008 – 1 ABR 54/07, Rn. 26[]
  3. BAG, Beschluss vom 14.01.2014 – 1 ABR 54/12, Rn. 21; Fitting, BetrVG, 27. Aufl., § 80 Rn. 73[]
  4. BAG, Beschluss vom 13.02.2007 – 1 ABR 14/06, Rn. 23 ff.[]
  5. BAG, Beschluss vom 26.09.2017 – 1 ABR 27/16, Rn. 13; BAG, Beschluss vom 13.02.2007 – 1 ABR 14/06, Rn. 25; BAG, Beschluss vom 12.02.1980 – 6 ABR 2/78, Rn. 15[]
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