Die nicht tariffähige Gewerkschaft – und die Beteiligtenfähigkeit im Beschlussverfahren

Eine als eingetragener Verein organisierte, nicht tariffähige Gewerkschaft ist beteiligtenfähig.

Die nicht tariffähige Gewerkschaft – und die Beteiligtenfähigkeit im Beschlussverfahren

An einem Wahlanfechtungsverfahren beteiligt sind auch die Gewerkschaften, auf deren Vorschlag nach § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1, § 18 Satz 3 MitbestG Vertreter der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat gewählt wurden und deren Wahl angefochten wurde. Auch sie werden von dem Wahlanfechtungsverfahren in ihrer Rechtsstellung unmittelbar betroffen, weil die von ihnen vorgeschlagenen Arbeitnehmervertreter ggf. ihr Mandat verlieren1.

Danach war die nicht tariffähige Gewerkschaft Beteiligter des vorliegenden Verfahrens. Der Beteiligung steht nicht entgegen, dass die Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts2, wonach die Gewerkschaft keine tariffähige Gewerkschaft ist, trotz eingelegter Verfassungsbeschwerde inzwischen rechtskräftig ist3. Die Gewerkschaft nimmt für sich weiterhin in Anspruch, nach § 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1, § 18 Satz 3 MitbestG mit rechtlichen Befugnissen ausgestattet zu sein.

Die Gewerkschaft ist auch beteiligtenfähig. Dies folgt aus § 80 Abs. 2, § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 50 Abs. 1 ZPO. Beteiligtenfähig im Beschlussverfahren ist, wer auch im Urteilsverfahren parteifähig ist4. Der Beteiligte zu 8. ist als eingetragener Verein organisiert. Als solcher ist er nach § 21 BGB rechtsfähig und damit nach § 50 Abs. 1 ZPO parteifähig5. Eines Rückgriffs auf § 10 Satz 1 ArbGG bedarf es insoweit nicht. Die Vorschrift enthält keine abschließende Regelung der Parteifähigkeit im arbeitsgerichtlichen Verfahren, sondern ergänzt nur für das Urteilsverfahren – und über § 80 Abs. 2 ArbGG auch für das Beschlussverfahren – die allgemeine Bestimmung des § 50 ZPO6. Da Gewerkschaften in der Regel als nichtrechtsfähige Vereine organisiert sind, dient § 10 Satz 1 Halbs. 1 ArbGG dazu, den Gewerkschaften über § 50 ZPO hinaus ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform die volle Parteifähigkeit zu verschaffen7. Die Vorschrift kann nicht dahingehend verstanden werden, dass eine Arbeitnehmervereinigung, die nicht tariffähig ist, vor den Arbeitsgerichten nicht parteifähig sein soll. Fehlt einer Vereinigung die Tariffähigkeit, kann sich ihre Parteifähigkeit aus § 50 ZPO ergeben8. Soweit das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit angenommen hat, mit dem Verlust der Tariffähigkeit verliere eine Arbeitnehmervereinigung ihre Parteifähigkeit9, beruhte dies auf der Rechtsform als nichtrechtsfähiger Verein des damaligen Klägers sowie auf der alten Gesetzesfassung des § 50 Abs. 2 ZPO, der nichtrechtsfähigen Vereinen nur die passive, nicht aber die aktive Parteifähigkeit zusprach.

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Im Übrigen wäre die Beteiligtenfähigkeit der Gewerkschaft auch gegeben, wenn sie nicht rechtsfähig wäre. § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG bestimmt, dass in dem Fall des § 2a Abs. 1 Nr. 3 ArbGG (Beschlussverfahren in Angelegenheiten aus dem Mitbestimmungsgesetz, soweit über die Wahl von Vertretern der Arbeitnehmer in den Aufsichtsrat zu entscheiden ist), auch die nach dem Mitbestimmungsgesetz beteiligten Personen und Stellen Beteiligte sind. Nach § 16 Abs. 2 (iVm. § 18 Satz 3) MitbestG erfolgt die Wahl aufgrund von Wahlvorschlägen der Gewerkschaften. Dabei ist von einem gesetzesübergreifend einheitlichen Gewerkschaftsbegriff auszugehen, der das Erfordernis der Tariffähigkeit mit einschließt10. So wie § 10 Satz 1 Halbs. 1 ArbGG nur Gewerkschaften im allgemeinen arbeitsrechtlichen Sinne, dh. tariffähige Arbeitnehmervereinigungen meint11, gewährt auch das Mitbestimmungsgesetz nur tariffähigen Arbeitnehmerkoalitionen Rechte12. Die Gewerkschaft macht im Hinblick auf die anhängige Verfassungsbeschwerde weiterhin geltend, tariffähig zu sein. Träfe dies zu, entfiele der Grund, auf den die Antragstellerin die Nichtigkeit der Wahl stützt. Insofern ist die Frage der Tariffähigkeit der Gewerkschaft doppelrelevant sowohl für die Beteiligtenfähigkeit als auch für die Begründetheit des Antrags. In einem solchen Fall der Doppelrelevanz rechtlich bedeutsamer Umstände sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit eines Antrags ist es gerechtfertigt, das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen anzunehmen, um eine der Rechtskraft fähige Sachentscheidung zu ermöglichen. Dies folgt auch aus dem Rechtsgedanken des § 10 Satz 2 ArbGG, wonach für eine Vereinigung, deren Tariffähigkeit streitig ist, für das Verfahren nach § 97 Abs. 1 ArbGG die Parteifähigkeit der Vereinigung gegeben ist13.

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Mai 2019 – 7 ABR 35/17

  1. BAG 17.05.2017 – 7 ABR 22/15, Rn. 22, BAGE 159, 111[]
  2. Hess. LAG 9.04.2015 – 9 TaBV 225/14[]
  3. vgl. BAG 16.04.2014 – 10 AZB 6/14, Rn. 7; BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, zu C III 2 a aa der Gründe, BVerfGE 107, 395; 18.01.1996 – 1 BvR 2116/94, zu B der Gründe, BVerfGE 93, 381[]
  4. BAG 19.09.2006 – 1 ABR 53/05, Rn. 14, BAGE 119, 279[]
  5. vgl. GK-ArbGG/Schleusener Stand April 2019 § 10 Rn. 5[]
  6. vgl. BAG 19.09.2006 – 1 ABR 53/05, Rn. 14, aaO[]
  7. vgl. GK-ArbGG/Schleusener Stand April 2019 § 10 Rn. 12[]
  8. so auch zum nichtrechtsfähigen Verein und § 50 Abs. 2 ZPO GK-ArbGG/Schleusener Stand April 2019 § 10 Rn. 17[]
  9. vgl. BAG 25.09.1990 – 3 AZR 266/89, zu B 2 der Gründe, BAGE 66, 71[]
  10. vgl. BAG 19.09.2006 – 1 ABR 53/05, Rn. 30, BAGE 119, 279[]
  11. vgl. BAG 25.09.1990 – 3 AZR 266/89, zu B 2 a der Gründe, BAGE 66, 71; BeckOK ArbR/Poeche Stand 1.06.2018 ArbGG § 10 Rn. 4 mwN[]
  12. vgl. Raiser/Jacobs in Raiser/Veil/Jacobs MitbestG 6. Aufl. § 7 Rn. 16; WBAG/Wißmann 5. Aufl. § 7 Rn. 47; aA für die soziale Mächtigkeit: Oetker in Hirte/Mülbert/Roth Großkomm AktG 5. Aufl. § 7 MitbestG Rn. 31; MHdB ArbR/Uffmann 4. Aufl. § 374 Rn. 28[]
  13. BAG 19.09.2006 – 1 ABR 53/05, Rn.19, aaO[]
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