Die ordentliche Kündigung als Diskriminierung eines HIV-Infizierten

Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen. Eine symptomlose HIV-Infektion hat eine Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten sowie die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern.

Die ordentliche Kündigung als Diskriminierung eines HIV-Infizierten

Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB iVm. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG unwirksam. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen.

Welche Bedeutung der Vorschrift des § 2 Abs. 4 AGG zukommt, nach der „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten, ist umstritten.

Für Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, ist diese Frage durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 06.11.20081 geklärt. Bei der Prüfung der Wirksamkeit solcher Kündigungen sind die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und die darin vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen als Konkretisierungen der Sozialwidrigkeit zu beachten2.

Nach wie vor kontrovers wird jedoch beurteilt, wie § 2 Abs. 4 AGG im Hinblick auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, zu verstehen ist. Einigkeit besteht insoweit nur dahin, dass die Antidiskriminierungsrichtlinien, namentlich die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf3, auch einen Schutz vor diskriminierenden Kündigungen gebieten4 und dass dieser Schutz auch Arbeitnehmer außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes erfasst.

Die Frage ist höchstrichterlich bisher nicht geklärt. Die Entscheidungen des Zweiten Bundesarbeitsgerichts des Bundesarbeitsgerichts vom 06.11.20085 sowie des Achten Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.20096 beziehen sich nur auf Kündigungen im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Soweit das Bundesarbeitsgericht vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes diskriminierende Kündigungen am Maßstab des § 242 BGB gemessen hat7, ist diese Rechtsprechung durch die geänderte Rechtslage überholt.

Die wohl überwiegende Meinung im Schrifttum nimmt an, die Benachteiligungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sowie die Beweislastverteilung nach § 22 AGG müssten bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln (§§ 138, 242 BGB) unwirksam sei, berücksichtigt werden8. Ein Teil des Schrifttums vertritt dabei die Auffassung, die Bestimmungen der Antidiskriminierungsrichtlinien seien bei der Prüfung, ob die Kündigung nach den zivilrechtlichen Generalklauseln unwirksam sei, unmittelbar zu berücksichtigen, die unionsrechtlich geforderte Beweislastverteilung müsse durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 138 Abs. 2 ZPO gewährleistet werden9.

Ein anderer Teil des Schrifttums hält § 2 Abs. 4 AGG für unvereinbar mit Unionsrecht. Eine unionsrechtskonforme Auslegung sei wegen des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht möglich, widerspreche aber jedenfalls dem unionsrechtlichen Transparenzgebot10. § 2 Abs. 4 AGG sei deshalb nicht anwendbar, stattdessen fänden die Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unmittelbare Anwendung11.

Teils wird – mit unterschiedlichen Ansätzen – angenommen, § 2 Abs. 4 AGG erfasse Kündigungen während der Wartezeit und im Kleinbetrieb nicht12.

Zutreffend ist die letztgenannte Auffassung. § 2 Abs. 4 AGG regelt für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen. Die zivilrechtlichen Generalklauseln werden dagegen von § 2 Abs. 4 AGG nicht erfasst. Der Diskriminierungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geht insoweit diesen Klauseln vor und verdrängt diese. Ordentliche Kündigungen während der Wartezeit und in Kleinbetrieben sind deshalb unmittelbar am Maßstab des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu messen. Dies ergibt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte und dem Zweck des § 2 Abs. 4 AGG. Der Wortlaut der Bestimmung steht dem nicht entgegen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz regelt allerdings nicht selbst, welche Rechtsfolge eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unzulässige Benachteiligung hat. Diese Rechtsfolge ergibt sich erst aus § 134 BGB13.

Der Gesetzgeber wollte mit § 2 Abs. 4 AGG für Kündigungen nur das Verhältnis zwischen dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und dem Kündigungsschutzgesetz sowie den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Bestimmungen, zu denen die zivilrechtlichen Generalklauseln in §§ 138, 242 BGB nicht gehören, regeln. Das folgt aus der Gesetzgebungsgeschichte.

§ 2 Abs. 4 AGG ist erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In der vom Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorgeschlagenen Fassung sollte die Bestimmung wie folgt gefasst werden: „Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.“

Damit sollte klargestellt werden, dass die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unberührt blieben. Der Praxis sollte verdeutlicht werden, dass Rechtsstreite bei Kündigungen auch in Zukunft vorwiegend nach dem Kündigungsschutzgesetz zu entscheiden seien14.

Wortlaut und Begründung des § 2 Abs. 4 AGG-E griff die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vom 08.06.2006 auf15. Die Empfehlung des Bundesrats zu diesem Entwurf vom 06.06.2006 sah vor, § 2 Abs. 4 AGG wie folgt zu fassen16: „Liegt die Benachteiligung in einer Kündigung, finden im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausschließlich dessen Bestimmungen Anwendung. …“

Mit dieser Regelung sollte das Verhältnis beider Gesetze (dh. von AGG und KSchG) präzisiert werden. Das mit dieser Vorschrift verbundene Anliegen – Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes – komme in der bisherigen Fassung nicht hinreichend klar zum Ausdruck17.

Der Rechtsausschuss schlug in seiner Beschlussempfehlung vom 28.06.2006 die Gesetz gewordene Fassung vor. In seiner Begründung18 griff er ausdrücklich das Anliegen des Bundesrats auf. Das Verhältnis „beider Gesetze“ (von AGG und KSchG) solle präzisiert werden. Es erscheine sachgerechter, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz Anwendung fänden, weil „diese Regelungen speziell auf Kündigungen zugeschnitten“ seien. Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch sowie im ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes. Bestimmungen zum besonderen Kündigungsschutz enthielten der Zweite Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes und zB § 9 Abs. 3 MuSchG und §§ 18 f. BEEG.

Aus dieser Entstehungsgeschichte folgt zugleich der Zweck des § 2 Abs. 4 AGG.

Mit dem Bezug auf die „Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ wollte der Gesetzgeber nicht regeln, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz für sämtliche Kündigungen nicht gelten sollte. Es sollte lediglich das Verhältnis von Kündigungsschutzgesetz und Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz „präzisiert“ und das Anliegen des Bundesrats, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes klarzustellen, aufgegriffen werden. Außerdem sollte den speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Regelungen Anwendungsvorrang zukommen. Die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sollten in diese Bestimmungen eingepasst werden und Kohärenz zwischen dem Antidiskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf der einen und den von § 2 Abs. 4 AGG erfassten Kündigungsschutzbestimmungen auf der anderen Seite hergestellt werden19. Neben das Kündigungsschutzgesetz und die speziell auf Kündigungen zugeschnittenen Vorschriften des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes sollte kein „zweites“, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vermitteltes Kündigungsschutzrecht treten. Eine Sperrwirkung für Kündigungen, für die wie die hier streitbefangene Wartezeitkündigung das Kündigungsschutzgesetz (noch) nicht gilt und für die weder spezielle Kündigungsregelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches wie § 626 und § 613a Abs. 4 BGB noch besondere Kündigungsschutzbestimmungen in Betracht kommen, war nicht bezweckt20. Bedeutung kommt § 2 Abs. 4 AGG für solche Kündigungen nur insofern zu, als es zB bei der Anwendbarkeit der Klagefrist des § 4 KSchG und der Rechtsfolgen des § 7 KSchG im Fall ihrer Versäumung bleibt21.

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Bei ordentlichen Kündigungen, auf die das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet und bei denen der Arbeitnehmer geltend macht, die Kündigung diskriminiere ihn, besteht kein nach diesem Gesetzeszweck zu vermeidender Konflikt zwischen zwei ausdifferenzierten Kündigungsschutzsystemen. Das Kündigungsschutzgesetz verlangt Gründe, die die Kündigung rechtfertigen22. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht dagegen davon aus, dass Kündigungen grundsätzlich zulässig sind, es sei denn, es liegt eine Diskriminierung vor23. Für ordentliche Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes, auf die keine speziellen Kündigungsverbote Anwendung finden, gilt von vornherein nur eine „Negativliste“: Diese Kündigungen sind grundsätzlich wirksam. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise und nur dann, wenn sie diskriminierend, treu- oder sittenwidrig sind oder gegen höherrangiges Recht verstoßen. Es tritt also nicht neben einen – gänzlich anders strukturierten – Kündigungsschutz ein zweites Schutzsystem mit anderen Parametern, sondern es bleibt bei der „Negativliste“, die um weitere Punkte und vor allem eine abweichende Beweislastverteilung ergänzt wird. Eine „Verzahnung“ des Kündigungsschutzrechts und des Antidiskriminierungsrechts ist in derartigen Konstellationen nicht erforderlich und wird darum auch nicht durchbrochen24.

Der Wortlaut des § 2 Abs. 4 AGG steht diesem aus der Entstehungsgeschichte und dem Gesetzeszweck hergeleiteten Auslegungsergebnis nicht entgegen. Zwar ordnet § 2 Abs. 4 AGG unterschiedslos für alle „Kündigungen“ an, dass für sie ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Die Anwendung der Norm ist jedoch hinsichtlich des materiellen Kündigungsschutzes im Wege der teleologischen Reduktion auf Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz, speziell auf Kündigungen zugeschnittene Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches oder besondere Kündigungsschutzbestimmungen gelten, zu beschränken. Nur so wird die nach dem Wortlaut zu weit gefasste Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG ihrem Zweck gerecht. Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben gelten grundsätzlich keine Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG.

Die teleologische Reduktion von Vorschriften auch gegen deren Wortlaut gehört zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden25. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass andere Indizien deutlich belegen, dass der Sinn der Norm im Text nur unzureichend Ausdruck gefunden hat26 und die weiteren Auslegungsmethoden die wahre Bedeutung der Norm freilegen27. Diese Befugnis des Richters beruht darauf, dass die Auslegung gerade der Ermittlung des im Gesetz objektivierten Willens des Gesetzgebers dient28.

Unter „allgemeinem Kündigungsschutz“ wird – entsprechend der Überschrift des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes – im fachbezogenen Sprachgebrauch der Kündigungsschutz nach diesem Abschnitt verstanden29. Zwar hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zu der Gesetz gewordenen Fassung weiter gehend angenommen, die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes fänden sich auch „im Bürgerlichen Gesetzbuch“18. Er hat aber zugleich zum Ausdruck gebracht, dass er mit den Bestimmungen des „allgemeinen Kündigungsschutzes“ nur solche Bestimmungen meint, die speziell auf Kündigungen zugeschnitten sind. Das sind im Bürgerlichen Gesetzbuch vor allem §§ 613a, 622 und 626 BGB. Die für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und in der Wartezeit maßgeblichen zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB sind dagegen – wie schon ihre Bezeichnung zeigt – gerade nicht speziell auf Kündigungen zugeschnitten, sondern Auffangtatbestände, die zudem erst unter Berücksichtigung verfassungs- oder unionsrechtlicher Vorgaben30 ihren Bedeutungsgehalt für Kündigungen gewinnen. Deshalb sind nach dem Verständnis des Gesetzgebers die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB keine „Bestimmungen zum allgemeinen Kündigungsschutz“ iSd. § 2 Abs. 4 AGG31.

Für ordentliche Kündigungen in der Wartezeit und in Kleinbetrieben, für die keine speziell auf Kündigungen zugeschnittene Bestimmungen gelten, war nach dem Verständnis des Gesetzgebers gerade keine Regelung dazu erforderlich, in welchem Verhältnis das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die auf solche Kündigungen Anwendung findenden Generalklauseln stehen sollten. Soweit § 2 Abs. 4 AGG gleichwohl seinem Wortlaut nach auch solche Kündigungen erfasst, entspricht dies nicht dem Zweck, den der Gesetzgeber mit dieser Norm verfolgte.

Diese Auslegung führt nicht dazu, dass Kündigungen außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes insbesondere wegen der möglichen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG stärker sanktioniert würden als Kündigungen, für die das Kündigungsschutzgesetz gilt32. Auch bei Kündigungen, die dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, scheidet eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht von vornherein aus.

Der Achte Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts hatte diese Frage zunächst offengelassen33. Er hatte jedoch schon darauf hingewiesen, dass eine Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG neben der Sanktionsfolge der Unwirksamkeit nicht systemwidrig erscheine. Auch Entschädigungen für immaterielle Schäden infolge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit der Erklärung einer unwirksamen Kündigung seien nicht ausgeschlossen34. Er hatte weiter angenommen, es sei vom Vorliegen eines immateriellen Schadens iSd. § 15 Abs. 2 AGG auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststehe35. Mit Urteil vom 12.12 2013 hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nun einer schwangeren Arbeitnehmerin, der unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz gekündigt worden war, wegen Geschlechtsdiskriminierung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt36.

Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar37. Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen38. Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht39. Ausgehend davon kann allenfalls angenommen werden, die Unwirksamkeit der Kündigung sei eine Naturalrestitution iSd. § 15 Abs. 1 AGG. Die Anwendung des § 15 Abs. 2 AGG kann dagegen nicht mit der Begründung abgelehnt werden, diese Rechtsfolge sei eine hinreichende Sanktion iSd. Antidiskriminierungsrichtlinien40. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann die bei einer Diskriminierung nach der Vorstellung des Gesetzgebers in der Regel vorliegende Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht kompensieren. Dies gilt insbesondere in dem in der Praxis häufig vorkommenden Fall, dass der Arbeitnehmer auch nach einem erfolgreichen Kündigungsschutzprozess nicht an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt.

Darüber hinaus kommt bei unwirksamen Abmahnungen oder Versetzungen, die kündigungsrechtlich gesehen mildere Maßnahmen im Vergleich zu einer Kündigung darstellen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ohne Weiteres in Betracht41, obwohl auch diese Maßnahmen bei Diskriminierungen iSd. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes unwirksam sind und Abmahnungen zusätzlich noch aus der Personalakte zu entfernen sind. Dann muss erst recht bei diskriminierenden Kündigungen, die typischerweise tiefer in das Persönlichkeitsrecht eingreifen, eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG möglich sein42.

§ 2 Abs. 4 AGG steht einem solchen Verständnis des § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Damit wird nur der Weg beschrieben, auf dem die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in das Kündigungsschutzrecht einzupassen sind. Die Frage, wie Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu sanktionieren sind, ist nicht berührt43.

Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes führt – insbesondere wegen der Beweislastregel des § 22 AGG44 – in Fällen, in denen das Kündigungsschutzgesetz (noch) keine Anwendung findet, dazu, dass die Rechtsstellung von Arbeitnehmern bei potentiell diskriminierenden Kündigungen gegenüber der von Arbeitnehmern, bei denen keine Diskriminierung in Betracht kommt, verbessert wird. Dies ist jedoch nur die Konsequenz der Überlagerung des nationalen Kündigungsschutzrechts durch das Antidiskriminierungsrecht der Europäischen Union.

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Die Kündigungserklärung als solche knüpft als gestaltende Willenserklärung nicht an die Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG an. Erst die der Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden Überlegungen können Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Kündigungserklärung und einem Merkmal nach § 1 AGG sein. Dieser Zusammenhang kann sich aus der Kündigungsbegründung oder anderen Umständen ergeben45. Dabei bedarf es allerdings keiner subjektiven Komponente im Sinne einer Benachteiligungsabsicht. Es reicht aus, wenn eine Anknüpfung der Kündigung an ein Diskriminierungsmerkmal zumindest in Betracht kommt46. Dies ist hier unstreitig der Fall, weil die Arbeitgeberin die HIV-Infektion als Ausschlussmerkmal für einen Einsatz im Reinraum ansieht. Auch unberechtigte Stereotypisierungen können zu (unabsichtlichen) Diskriminierungen führen47. Darauf, ob die Arbeitgeberin glaubte, das für sie geltende Regelwerk gebiete die Kündigung, kommt es deshalb entgegen der von ihr vertretenen Auffassung nicht an.

Wäre der Arbeitnehmer wegen seiner symptomlosen HIV-Infektion behindert, stellte die streitbefangene Kündigung eine unmittelbare Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG in Form einer sog. verdeckten unmittelbaren Ungleichbehandlung dar. Eine solche Ungleichbehandlung ist gegeben, wenn nach einem scheinbar objektiven, nicht diskriminierenden Kriterium (ansteckende Krankheit) unterschieden wird, das jedoch in untrennbarem Zusammenhang mit einem in § 1 AGG genannten Grund (Behinderung) steht und damit kategorial ausschließlich Träger eines Diskriminierungsmerkmals trifft48. Das ist hier der Fall. Kündigungsgrund ist die Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Diese nach Auffassung der Arbeitgeberin bestehende Unfähigkeit ergab sich allein aus der HIV-Infektion des Arbeitnehmers. Nach ihrer SOP ist die HIV-Infektion ebenso wie chronische Hauterkrankungen im Bereich der Arme, Unterarme, Hände und Gesicht oder eine chronisch verlaufende Hepatitis B und C ein Ausschlusskriterium für die Tätigkeit im Reinraum. Weitere absolute Ausschlussgründe sieht die SOP nicht vor. Ansteckende Erkrankungen wie Husten und Schnupfen, wiederholtes Erbrechen, Durchfall oder offene Ekzeme sind nach der SOP nur anzeigepflichtig und ziehen, wie die Arbeitgeberin selbst vorträgt, nur den vorübergehenden Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum nach sich. Führte bei chronischen Erkrankungen der Ausschluss von bestimmten Teilen des Berufsfelds dazu, dass eine Behinderung iSd. § 1 AGG vorliegt, wäre dies in allen drei in der SOP der Arbeitgeberin aufgeführten Fällen anzunehmen. Eine Kündigung, die wegen einer der in der SOP angeführten ansteckenden Krankheiten, die zum dauerhaften Ausschluss von der Tätigkeit im Reinraum führen, erklärt wird, wäre dann in allen drei Fällen wegen eines Merkmals iSd. § 1 AGG erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes, als wenn ein Arbeitgeber einer befristet eingestellten Frau kündigt, die wegen ihrer Schwangerschaft während der gesamten Dauer der Befristung einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot unterliegt49, oder wenn er einem Rollstuhlfahrer kündigt, weil die geschuldete Arbeit von einem Rollstuhlfahrer nicht verrichtet werden könne, denn nur Behinderte sind dauerhaft an den Rollstuhl gebunden50. In all diesen Fällen beruht die Unfähigkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erfüllen, letztlich auf einem Diskriminierungsmerkmal.

Daraus folgt zugleich, dass die Annahme, die Kündigung beruhe letztlich auf der aus dem Regelwerk der Arbeitgeberin folgenden, auf einer ansteckenden Krankheit beruhenden fehlenden Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers und benachteilige diesen deshalb jedenfalls nicht wegen einer etwaigen Behinderung, nicht trägt. Ob tatsächlich der Einsatz des Arbeitnehmers im Reinraum dauerhaft unmöglich und deshalb die Kündigung wirksam war, ist eine Frage, die ausschließlich auf der Ebene der Rechtfertigung unter Berücksichtigung der Möglichkeit, angemessene Vorkehrungen zu treffen, zu entscheiden ist, nicht aber bereits die Annahme einer Benachteiligung wegen der Behinderung von vornherein ausschließt.

Der Arbeitnehmer würde gegenüber Personen in einer vergleichbaren Situation benachteiligt51. Die Feststellung der Vergleichbarkeit der Situation erfordert, dass es außer der anderen Ausprägung des Diskriminierungsmerkmals keine wesentlichen Unterschiede zwischen der benachteiligten und der Vergleichsperson gibt52. Einem nicht behinderten chemisch-technischen Assistenten in einer sonst mit der Situation des Arbeitnehmers vergleichbaren Lage wäre nicht gekündigt worden53. Darin liegt der Unterschied zu der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.04.201154. Das Argument der Arbeitgeberin, auch einem an einer chronisch verlaufenden Hepatitis B bzw. C oder an einer chronischen Hauterkrankung an den Armen, Unterarmen, Händen oder im Gesicht leidenden Arbeitnehmer hätte sie gekündigt, trägt nicht. Auch diese Arbeitnehmer wären, wie unter Rn. 46 ausgeführt, behindert.

Auch die Hilfsbegründung, das Fehlen einer HIV-Infektion stelle eine berufliche Anforderung iSd. § 8 Abs. 1 AGG dar, greift zu kurz. Hierbei wird nicht berücksichtigt, dass sich der Arbeitgeber, der eine Kündigung darauf stützt, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung nicht einsetzen könne, nur dann auf den Rechtfertigungsgrund des § 8 Abs. 1 AGG berufen kann, wenn auch angemessene Vorkehrungen iSd. Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13.12 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen – UN-Behin-dertenrechtskonvention (UN-BRK) – nicht zu einer Einsatzmöglichkeit führen. Unterlässt der Arbeitgeber die danach gebotenen Vorkehrungen und kann er den Arbeitnehmer deshalb nicht einsetzen, ist dieser Umstand regelmäßig nicht auf die Behinderung des Arbeitnehmers, sondern auf die Untätigkeit des Arbeitgebers zurückzuführen. Die Kündigung ist dann nicht gerechtfertigt55.

Der Arbeitnehmer ist vorliegend mit einem GdB von 10 allenfalls „einfach“ Behinderter. Für diesen Personenkreis ist Art. 5 RL 2000/78/EG, demzufolge der Arbeitgeber angemessene Vorkehrungen zu ergreifen hat, um Behinderten ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen, sofern diese Maßnahmen ihn nicht unverhältnismäßig belasten, nicht in nationales Recht umgesetzt worden56. Eine vergleichbare Verpflichtung sieht Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK vor, wonach die Vertragsstaaten sicherstellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen (reasonable accommadation) für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Was unter „angemessenen Vorkehrungen“ iSd. UN-BRK zu verstehen ist, ist in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK festgelegt.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 04.07.2013; und vom 11.04.201357; 11.04.201358 ausgeführt, dass und wie Art. 5 RL 2000/78/EG nach der Genehmigung der UN-Behindertenrechtskonvention durch den Rat im Namen der Europäischen Gemeinschaft59 unter Beachtung und in Übereinstimmung mit der UN-BRK auszulegen ist. Der Begriff „angemessene Vorkehrungen“ ist weit zu verstehen und umfasst die Beseitigung der verschiedenen Barrieren, die die volle und wirksame, gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben behindern. Gemeint sind nicht nur materielle, sondern auch organisatorische Maßnahmen, wobei die Aufzählung der möglichen Vorkehrungen im 20. Erwägungsgrund der RL 2000/78/EG nicht abschließend ist60. Ob solche Vorkehrungen den jeweiligen Arbeitgeber unverhältnismäßig belasten, haben die nationalen Gerichte festzustellen, wobei sie insbesondere den damit verbundenen finanziellen und sonstigen Aufwand unter Berücksichtigung der Größe und der Finanzkraft des Arbeitgebers sowie der Möglichkeit, öffentliche Mittel oder andere Unterstützungen in Anspruch zu nehmen, in die Abwägung einzubeziehen haben61. Die Mitgliedstaaten müssen aufgrund von Art. 5 RL 2000/78/EG iVm. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK die Arbeitgeber verpflichten, die im konkreten Einzelfall jeweils erforderlichen angemessenen Vorkehrungen zu ergreifen. Das bloße Schaffen von Anreiz- und Hilfsmaßnahmen genügt nicht62.

Die Bestimmungen der UN-BRK sind integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung63. Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des – ggf. unionsrechtskonform auszulegenden – deutschen Rechts. Im Hinblick auf die durch den Gerichtshof der Europäischen Union unter Beachtung der UN-BRK vorgenommene Auslegung des Art. 5 RL 2000/78/EG ist Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK weder unmittelbar anzuwenden64 noch sind §§ 7 und 8 AGG völkerrechtskonform auszulegen. Die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen ergibt sich vielmehr bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 241 Abs. 2 BGB aus dieser Bestimmung65.

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Eine Kündigung eines behinderten Arbeitnehmers wegen fehlender Einsatzmöglichkeiten ist demnach nur wirksam, wenn der Arbeitgeber nicht imstande ist, das infolge der Behinderung vorliegende Beschäftigungshindernis durch angemessene Vorkehrungen zu beseitigen66. Dies hat der Arbeitgeber darzulegen67. Beurteilungsgrundlage für die Rechtfertigungsprüfung ist dabei nicht der ursprüngliche (ausgeschriebene) Arbeitsplatz, sondern der mit verhältnismäßigem Aufwand geänderte Arbeitsplatz. Anderenfalls könnte – wie die Argumentation der Arbeitgeberin und des Landesarbeitsgerichts eindrücklich belegen – der Arbeitgeber stets berufsbezogen argumentieren und behinderte Arbeitnehmer berechtigt von der Teilhabe am Berufsleben ausschließen68. Genau das will Art. 5 RL 2000/78/EG verhindern, dessen Befolgung im nationalen Recht § 241 Abs. 2 BGB sicherstellt. Kann der Arbeitsplatz mit zumutbaren Anstrengungen angepasst werden, ist der Arbeitnehmer für die geschuldete Tätigkeit geeignet. Auf eine Rechtfertigung nach § 8 AGG kommt es dann grundsätzlich nicht mehr an. Nur dann, wenn der Arbeitnehmer zwar auf dem zumutbar angepassten Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, aber trotzdem wegen der Behinderung schlechter gestellt wird, zB weil er nicht im Schichtbetrieb eingesetzt wird und deshalb eine Schichtzulage nicht erhält, kann noch eine Rechtfertigung dieser gleichwohl erfolgenden Benachteiligung nach § 8 Abs. 1 AGG in Betracht kommen. Erst in einem solchen Fall muss der Arbeitgeber darlegen, dass und warum gerade im Hinblick auf den angepassten Arbeitsplatz ein berufsbezogener weiterer Grund eine Benachteiligung des Behinderten rechtfertigt69.

Die symptomlose HIV-Infektion des Arbeitnehmers hat eine Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zur Folge. Eine Diskriminierung des Arbeitnehmers durch die angegriffene Kündigung kommt deshalb in Betracht.

Eine Behinderung iSd. § 1 AGG liegt unter Berücksichtigung des maßgeblichen supranationalen Rechts vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch – in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) – seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, substantiell beeinträchtigt sein kann. Auf einen bestimmten GdB kommt es nicht an70. Ob eine Behinderung vorliegt, ist unter Beachtung dieses Begriffsverständnisses im Einzelfall festzustellen71, wobei auch zu beachten ist, dass das Verständnis von Behinderung nicht statisch ist72.

Der Begriff der Behinderung iSd. § 1 AGG entspricht nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG73. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Gesetzgeber hat sich damit für einen modernen Behindertenbegriff entschieden, der an die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anknüpft74. Bei diesem bio-psycho-sozialen Behindertenbegriff wird Behinderung nicht durch die individuelle Funktionsstörung, sondern durch die Beeinträchtigung der (gesellschaftlichen) Teilhabe definiert. Eine Behinderung liegt vor, wenn sich die Beeinträchtigung auf die Partizipation in einem oder mehreren Lebensbereichen auswirkt75. Ob eine Beeinträchtigung relevant ist, ergibt sich demnach erst aus dem Zusammenwirken von behindernden sozialen Kontextfaktoren (Barrieren) und individueller Gesundheitsstörung76. Eine Gesundheitsstörung kann auch darin liegen, dass die (gesellschaftliche) Teilhabe durch das Verhalten anderer beeinträchtigt wird77. Behinderung ist nach diesem Verständnis sowohl persönliche Eigenschaft als auch soziales Verhältnis78. Eine Behinderung in diesem Sinne kann demnach auch erst durch das „Behindern“ eines Menschen durch seine Umwelt entstehen.

In seinen Entscheidungen vom 11.04.201358; und vom 04.07.201357 hat der Gerichtshof der Europäischen Union seine Auslegung des Begriffs der „Behinderung“ iSd. RL 2000/78/EG in Anpassung an Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK modifiziert79. Erfasst sind Einschränkungen, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen sind, die in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren den Betreffenden an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, hindern können, sofern die körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen langfristig sind. Das schließt einen Zustand ein, der durch eine ärztlich diagnostizierte heilbare oder unheilbare Krankheit verursacht wird, wenn diese Krankheit die vorgenannten Einschränkungen mit sich bringt. Anderenfalls fällt eine Krankheit nicht unter den Begriff der Behinderung iSd. RL 2000/78/EG. Behinderung und Krankheit sind nach wie vor nicht gleichzusetzen80.

Damit haben sich die unionsrechtliche Konzeption und die des nationalen Rechts angenähert. Aus den unterschiedlichen Definitionen ergeben sich jedoch nach wie vor Unterschiede im Begriffsverständnis, die für die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz Erfassten teils günstiger, teils ungünstiger sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Begriff der Behinderung im Hinblick auf den Anwendungsbereich der RL 2000/78/EG auf Beeinträchtigungen der wirksamen Teilhabe am Berufsleben beschränkt81, während die Behindertenbegriffe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der UN-BRK auf die gesellschaftliche Teilhabe abstellen. Darüber hinaus sind nach dem nationalen Verständnis bereits Abweichungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauern, als langfristig anzusehen, während nach dem Verständnis des Unionsrechts die nationalen Gerichte im Einzelfall entscheiden müssen, wann eine Einschränkung „langfristig“ ist.

Demgegenüber ist der nationale Behindertenbegriff zulasten der Behinderten enger als das supranationale Begriffsverständnis, soweit er eine Abweichung von dem für das Lebensalter typischen Zustand verlangt, alterstypische Einschränkungen also stets nicht als Behinderung ansieht82. Darüber hinaus verlangt der nationale Behindertenbegriff, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe bereits eingetreten ist, während es nach dem von der UN-BRK geleiteten unionsrechtlichen Behindertenbegriff bereits ausreicht, dass eine solche Beeinträchtigung eintreten kann.

Der Behindertenbegriff des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ist maßgeblich, soweit das nationale Recht von einem weiteren Behindertenbegriff als das supranationale Recht ausgeht. Im Übrigen ist der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen.

Die RL 2000/78/EG stellt gemäß Art. 8 Abs. 1 nur Mindestanforderungen auf. Es bleibt daher den Mitgliedstaaten unbenommen, Regelungen einzuführen oder beizubehalten, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die Vorschriften der Richtlinie sind. Davon hat die Bundesrepublik Deutschland im genannten Rahmen Gebrauch gemacht83. Der Gesetzgeber des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat ausdrücklich auf den weitreichenden Behindertenbegriff in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und in § 3 BGG abgestellt. Ein gesetzgeberisches Versehen ist damit auszuschließen84.

Soweit das nationale Recht hinter dem supranationalen Recht zurückbleibt, ist dagegen der Behindertenbegriff des Unionsrechts zugrunde zu legen85. Damit reicht es insbesondere aus, dass Beeinträchtigungen eintreten „können“.

Ein solches Begriffsverständnis führt nicht dazu, dass Ursache und Wirkung vertauscht würden, wenn der Umgang des Arbeitgebers mit einer Beeinträchtigung eine Behinderung zur Folge haben kann. Bei der Feststellung, ob eine Behinderung vorliegt, geht es gerade darum, objektive Barrieren zu erkennen, die sich nicht zuletzt im Verhalten des Arbeitgebers manifestieren können.

Die Arbeitgeberin weist zu Recht darauf hin, dass ein so verstandener Behindertenbegriff zu einer „Entgrenzung“ des Begriffs86 führen und dadurch der Schutz für „schwer“ Behinderte sinken kann. Sind alle oder jedenfalls die Mehrzahl der vergleichbaren Personen ebenfalls behindert, droht der Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (weitgehend) leer zu laufen87. Zumindest ist der Behindertenschutz dann kein Minderheitenschutz mehr, es kommt zu einer Majorisierung der „normal Gesunden“ durch die Behinderten.

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Eine solche mögliche Entgrenzung lässt sich jedoch dadurch einschränken, dass die Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe und das Vorliegen einer Benachteiligung wegen dieser nicht pauschal, sondern für die betroffenen Gruppen behinderter Menschen konkret geprüft wird. So kann etwa ein an Diabetes mellitus erkrankter Arbeitnehmer, der „gut eingestellt“ ist, an der gesellschaftlichen Teilhabe so geringfügig beeinträchtigt sein, dass er als nicht behindert anzusehen ist, während ein „schlecht einzustellender“ Diabetiker behindert sein kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Personen mit gleichartigen Beeinträchtigungen in verschiedenen Kontexten unterschiedlich in ihrer Teilhabe beeinträchtigt sein können. Ob und welche Barrieren vorliegen, beeinflusst die Annahme einer Behinderung. Die ICF, an deren Definition sich der nationale Behindertenbegriff orientiert, klassifiziert individuelle Behinderungen und berücksichtigt dabei Umweltfaktoren sowohl auf der Ebene des Individuums als auch auf der der Gesellschaft88. Wer ungeachtet bestehender Beeinträchtigungen die Möglichkeit hat, gleichberechtigt am Leben in der Gemeinschaft und im Beruf teilzuhaben, ist nicht behindert89.

Der Gefahr übermäßiger Belastung der Arbeitgeber durch einen solchen weiten Behindertenbegriff wird zudem dadurch entgegengewirkt, dass Behinderungen, die sich im Arbeitsverhältnis nicht auswirken, idR weder zu Benachteiligungen noch zu Diskriminierungen von Arbeitnehmern wegen einer Behinderung führen können. Dabei wird allerdings vielfach erst auf der Ebene der angemessenen Vorkehrungen entschieden werden können, ob und wie sich eine Behinderung im Arbeitsleben auswirkt. Dessen ungeachtet hat die Feststellung der Behinderung der Beurteilung, welche Vorkehrungen dem Arbeitgeber im konkreten Fall zumutbar sind, vorauszugehen. Sie sind Folge und nicht Tatbestandsmerkmal einer Behinderung90.

Der Arbeitnehmer ist aufgrund seiner symptomlosen HIV-Infektion chronisch erkrankt. Diese Beeinträchtigung wirkt sich auf seine Teilhabe sowohl im Leben in der Gemeinschaft als auch in seinem Berufsfeld aus. Er ist deshalb behindert iSd. § 1 AGG. Das gilt so lange, wie das gegenwärtig auf eine solche Infektion zurückzuführende soziale Vermeidungsverhalten und die darauf beruhenden Stigmatisierungen andauern91.

Die HIV-Infektion ist unheilbar. Sie hat eine Verminderung der zellulären Immunität und damit einen Immundefekt zur Folge92. Diese Abweichung vom allgemein anerkannten Standard des biomedizinischen Zustands93 führt zu einer Beeinträchtigung der Funktion des Körpers iSd. Behindertenbegriffs des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.

Auf den Grund der Behinderung oder ihre Art kommt es nicht an. Auch chronische Krankheiten werden vom Begriffsverständnis der Behinderung iSd. § 1 AGG erfasst. Das setzt allerdings voraus, dass die erforderliche Beeinträchtigung der Teilhabe vorliegt94. Eine chronische Erkrankung, die solche Beeinträchtigungen nicht mit sich bringen kann, führt nicht zu einer Behinderung iSd. § 1 AGG95.

Der Arbeitnehmer wird durch seine HIV-Infektion im erforderlichen Maß an der Teilhabe am Leben beeinträchtigt. Unerheblich ist dabei, dass seine Leistungsfähigkeit nicht eingeschränkt ist. Es genügt, dass er in interpersonellen Beziehungen und bei der Arbeit Stigmatisierungen ausgesetzt sein kann96. Diese Vorurteile und Stigmatisierungen seiner Umwelt machen ihn zu einem Behinderten iSv. § 1 AGG.

Die gesellschaftliche Teilhabe auch von symptomlos HIV-Infizierten wird nach wie vor typischerweise durch zahlreiche Stigmatisierungen97 und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind, auch wenn die Ausgrenzung in Westeuropa im Rückgang begriffen ist98. Insbesondere soll HIV-Infizierten signifikant häufig ärztliche Behandlung verweigert werden99, ebenso soll es zu Nachteilen bei Abschlüssen von Versicherungen, speziell Krankenversicherungen, kommen100. Darüber hinaus soll Vermeidungsverhalten zu beobachten sein, das sich nicht immer sogleich als Ausgrenzung und Diskriminierung erkennen lässt, zB in Form von Diskrepanzen zwischen verbalem und nonverbalem Verhalten101. Auch solche Stigmatisierungen und Vorurteile sind benachteiligende gesellschaftliche Kontextfaktoren102. Diskriminierung ist letztlich der Endpunkt von Stigmatisierung103. Diese nach wie vor fest verwurzelten Vorurteile gegen HIV-Infizierte haben dazu geführt, dass in den Mitgliedstaaten des Europarats eine klare Gesamttendenz erkennbar ist, HIV-Infizierte, wenn nicht durch spezielle Vorschriften, so doch durch die jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften, die Schutz vor Diskriminierung etwa wegen Behinderung bieten, vor Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz, insbesondere vor diskriminierenden Kündigungen, zu schützen104. Auch die Empfehlung 200 der ILO vom 17.06.2010 sieht unter III. Ziff. 3 Buchst. c sowie unter IV. Ziff. 9 bis Ziff. 11 den Schutz vor Diskriminierungen und Kündigungen wegen einer HIV-Infektion vor und strebt unter IV. Ziff. 13 an, dass HIV-Infizierte ihre Arbeit ggf. mit angemessenen Vorkehrungen fortsetzen können.

Auch im hier entschiedenen konkreten Fall liegen derartige Stigmatisierungen, die HIV-Infizierte erfahren und/oder befürchten, vor. Dies wird eindrücklich dadurch belegt, dass der Arbeitnehmer über seinen Beistand mitgeteilt hat, er nehme zwar an der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht teil, halte sich aber unter den Zuhörern auf, um seine Anonymität zu wahren. Außerdem hat er laut einem bereits während des Instanzenzugs erfolgten Pressebericht (faz.net vom 10.01.2012) erklärt, er habe sich entschieden, „im Job“ seine Infektion nicht mehr zu erwähnen. Er arbeite seit Mai (2011) wieder in einer „Medizin-Firma“, auch im Reinraum. Er verweigere Tests und Fragebögen. Gerade diese Reaktion des Arbeitnehmers, künftig seine HIV-Infektion im Berufsleben zu verschweigen, leistet wiederum Vorurteilen gegenüber HIV-Infizierten Vorschub. So kommt es zu einem sich gegenseitig hochschaukelnden Wechselspiel von Reaktion und Gegenreaktion. Die gegenwärtig noch andauernde Stigmatisierung wird auch dadurch bestätigt, dass die Arbeitgeberin ausdrücklich geltend macht, die Beschäftigung des Arbeitnehmers führe zu einer Rufschädigung.

Darüber hinaus liegt im konkreten Fall des Arbeitnehmers auch eine Beeinträchtigung im Berufsleben vor, wie der vorliegende Rechtsstreit deutlich macht. Die Arbeitgeberin spricht dem Arbeitnehmer unter Berufung auf das für sie geltende Regelwerk von vornherein die Eignung für den vertraglich geschuldeten Einsatz im Reinraum ab. Dem Arbeitnehmer als chemisch-technischen Assistenten ist dadurch der Zugang zu einem nicht unerheblichen Teil seines Berufsfeldes verwehrt. Das räumt letztlich auch die Arbeitgeberin ein, wenn sie annimmt, der Arbeitnehmer könne seinen Beruf weiterhin ausüben. Ihm sei lediglich ein Einsatz in der aseptischen Medikamentenherstellung versagt.

Die SOP der Arbeitgeberin entbindet diese nicht von der Pflicht, im zumutbaren Rahmen angemessene Vorkehrungen zur Beschäftigung des behinderten Arbeitnehmers im Reinraum zu treffen. Entgegen der Annahme der Arbeitgeberin steht bisher nicht fest, dass die HIV-Infektion des Arbeitnehmers mit diesem Regelwerk nicht im Einklang steht bzw. nicht zumindest damit in Einklang zu bringen ist.

Allerdings ist nach dem EG-GMP Leitfaden, auf den Ziff. 5 der SOP verweist, ein System der Qualitätssicherung erforderlich, das der Erreichung des Ziels dient, Patienten keiner Gefahr wegen unzureichender Sicherheit, Qualität oder Wirksamkeit auszusetzen (Kapitel 1 Qualitätsmanagement – Grundsätze). Dieses Sicherungssystem soll sicherstellen, dass Herstellungs- und Prüfverfahren klar spezifiziert sind und die Regeln der Guten Herstellungspraxis beinhalten (Ziff. 1.2 Satz 4 Unterabs. ii des EG-GMP Leitfadens). Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens verlangt, dass Vorkehrungen getroffen werden „sollten“, die, soweit es praktisch möglich ist, sicherstellen, dass in der Arzneimittelherstellung niemand beschäftigt wird, der an einer ansteckenden Krankheit leidet oder offene Verletzungen an unbedeckten Körperstellen aufweist. Diese Vorschrift zwingt – anders als die Arbeitgeberin annimmt – den Arzneimittelhersteller nicht dazu, HIV-Infizierte ungeachtet der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der konkreten Produktionsbedingungen und Tätigkeiten des HIV-Infizierten, von einer Tätigkeit im Reinraum auszuschließen. Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens führt die HIV-Infektion nicht als Tatbestand, der eine Tätigkeit im Reinraum absolut und in jedem Fall ausschließt, auf, sondern enthält lediglich eine Generalklausel, die einem HIV-Infizierten den Einsatz im Reinraum abhängig von den Umständen des Einzelfalls verwehrt.

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Auch wenn zugunsten der Arbeitgeberin unterstellt wird, dass Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens als Mussvorschrift zu verstehen ist, ist dieser im Rang einer Verordnung stehende Leitfaden unionsrechtskonform, dh. im Hinblick auf § 241 Abs. 2 BGB gesetzeskonform zu interpretieren. Gemäß Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 08.10.2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate dient der EG-GMP Leitfaden der Auslegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis. Art. 7 Abs. 5 RL 2003/94/EG, den Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens auslegt, verlangt nur, dass Hygieneprogramme, die den durchzuführenden Tätigkeiten angepasst sind und insbesondere Vorschriften zur Gesundheit des Personals enthalten, erstellt und befolgt werden. Bei Beachtung dieses Anwendungsbefehls, der ausdrücklich auf die durchzuführende und damit konkrete Tätigkeit abstellt, fordert Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens im hier vorliegenden Zusammenhang nur, dass Vorkehrungen zu treffen sind, die – soweit praktisch möglich – sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht an einer ansteckenden Krankheit leiden, deren Ansteckungsgefahr sich auf die konkrete Tätigkeit auswirkt. Nur dann, wenn bezogen auf die konkrete Tätigkeit eine Ansteckungs- bzw. Kontaminationsgefahr besteht, soll also eine Tätigkeit des Erkrankten unterbunden werden.

In dieser Auslegung meinen Art. 5 RL 2000/78/EG und Ziff. 2.15 des EG-GMP Leitfadens bezogen auf den vorliegenden Fall letztlich dasselbe: Der Arbeitgeber muss bei einem Behinderten, der an einer ansteckenden Krankheit leidet, die ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um einerseits dem Behinderten eine (leidensgerechte) Tätigkeit zu ermöglichen, andererseits aber Ansteckungsgefahren für Kollegen oder Dritte, insbesondere die Empfänger der erzeugten Arzneimittel, mit der erforderlichen Sicherheit verhindern zu können.

Damit wird von der Arbeitgeberin nicht verlangt, sehenden Auges ein messbares, ernsthaftes Risiko einzugehen, mit HI-Viren kontaminierte Präparate in den Verkehr zu bringen und sich damit erheblichen, uU die Existenz des Betriebs gefährdenden Schadensersatzrisiken auszusetzen. Deshalb ist auch ihre unternehmerische Entscheidungsfreiheit nicht in Frage gestellt. Dementsprechend räumt der Arbeitnehmer ausdrücklich ein, dass sein Einsatz im Reinraum ausgeschlossen sein dürfte, wenn eine Übertragungswahrscheinlichkeit bestehe. Bisher ist aber – und das rügt die Revision mit Recht – weder vorgetragen, geschweige denn festgestellt, dass es überhaupt ein messbares Risiko einer Kontamination gibt. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz will gerade solchen, aus bloß diffusen Befürchtungen und der Weigerung des Arbeitgebers, die konkreten Risiken zu ermitteln und mögliche Änderungen der Arbeitsabläufe auch nur in Erwägung zu ziehen, resultierenden Benachteiligungen entgegenwirken. Der Arbeitgeber darf sich, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, gerade nicht darauf beschränken, ohne konkrete Prüfung der Umstände und Risiken den „sicheren Weg“ zu wählen.

Der Umstand, dass es unstreitig; und vom Landesarbeitsgericht festgestellt ist, dass keine anderweitige Einsatzmöglichkeit des Arbeitnehmers außerhalb des Reinraums bestand, entbindet die Arbeitgeberin nicht von der Darlegung, inwieweit keine angemessenen Vorkehrungen getroffen werden konnten, die dem Arbeitnehmer einen Einsatz auf dem vorgesehenen Arbeitsplatz im Reinraum ermöglicht hätten.

Bundesarbeitsgericht – Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12

  1. BAG 06.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 34 ff., BAGE 128, 238[]
  2. vgl. auch BAG 20.06.2013 – 2 AZR 295/12, Rn. 36; 5.11.2009 – 2 AZR 676/08, Rn. 24; 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 15[]
  3. RL 2000/78/EG[]
  4. vgl. EuGH 11.07.2006 – C-13/05 – [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467[]
  5. BAG 06.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 34, BAGE 128, 238[]
  6. BAG 22.10.2009 – 8 AZR 642/08[]
  7. vgl. BAG 22.05.2003 – 2 AZR 426/02 – für eine auf kulturelle und religiöse Gründe gestützte Arbeitsverweigerung eines Arbeitnehmers, der einer Sinti-Familie angehörte; 23.06.1994 – 2 AZR 617/93, BAGE 77, 128 für eine auf Homosexualität gestützte Kündigung[]
  8. KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 17, 19; KR/Griebeling § 1 KSchG Rn. 26a; ErfK/Schlachter 14. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 Rn. 238, 242; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 230; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 62; v. Roetteken AGG Stand März 2011 § 2 Rn. 69; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 147[]
  9. APS/Preis 4. Aufl. Grundlagen J Rn. 71f, 71g; ähnlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 112 ff.[]
  10. dazu EuGH 10.05.2001 – C-144/99 – [Kom-mission/Niederlande] Rn. 17, Slg. 2001, I-3541[]
  11. Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff., 263 mwN[]
  12. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; Stein in Wendeling-Schröder AGG § 2 Rn. 48; wohl auch Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 28[]
  13. vgl. Löwisch in Löwisch/Spinner/Wertheimer KSchG 10. Aufl. Vor § 1 Rn. 25; Düwell jurisPR-ArbR 47/2006 Anm. 6[]
  14. BT-Drs. 15/5717 S. 5, 36[]
  15. BT-Drs. 16/1780 S. 32[]
  16. BR-Drs. 329/1/06 S. 1[]
  17. BR-Drs. 329/1/06 S. 2[]
  18. BT-Drs. 16/2022 S. 12[][]
  19. vgl. BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 37, 39 f., BAGE 128, 238[]
  20. vgl. HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 148 f.[]
  21. Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 38; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 240[]
  22. Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 56 sprechen von einer „Positivliste“[]
  23. Bauer/Göpfert/Krieger aaO sprechen hier von einer „Negativliste“[]
  24. aA KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18[]
  25. BVerfG 30.03.1993 – 1 BvR 1045/89 ua., zu C II 2 der Gründe, BVerfGE 88, 145[]
  26. BVerfG 27.01.1998 – 1 BvL 22/93 – [Kleinbetriebsklausel II] zu B I 5 der Gründe, BVerfGE 97, 186[]
  27. vgl. BVerfG 19.06.1973 – 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 35, 263[]
  28. vgl. BVerfG 4.06.2012 – 2 BvL 9/08 ua. – [Dienstbeschädigungsausgleich] Rn. 99, BVerfGE 131, 88[]
  29. vgl. BAG 24.09.2008 – 6 AZR 76/07, Rn. 49, BAGE 128, 73; 8.07.1998 – 7 AZR 245/97, zu II 1 der Gründe, BAGE 89, 216; HaKo/Mayer 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 147[]
  30. vgl. dazu BAG 24.01.2008 – 6 AZR 96/07, Rn. 27[]
  31. Kittner/Däubler/Zwanziger/Zwanziger KSchR 8. Aufl. AGG Rn. 63; HaKo/Mayer aaO[]
  32. so aber KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 18; Bauer/Thüsing/Schunder NZA 2006, 774, 777[]
  33. BAG 28.04.2011 – 8 AZR 515/10, Rn.20; 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 16; 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, Rn. 33, BAGE 128, 238; zum Streitstand Wenckebach AuR 2010, 499, 501[]
  34. BAG 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 16 unter Hinweis auf BAG 24.04.2008 – 8 AZR 347/07[]
  35. BAG 22.01.2009 – 8 AZR 906/07, Rn. 74, BAGE 129, 181[]
  36. BAG 12.12.2013 – 8 AZR 838/12[]
  37. KR/Treber 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 27 mwN; vgl. auch BT-Drs. 16/1780 S. 38[]
  38. vgl. Stahlhacke/Preis 10. Aufl. Rn.190; Blessing Rechtsfolgen diskriminierender Kündigungen unter Geltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes S. 173[]
  39. vgl. Blessing aaO S.193[]
  40. vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 54; Wenckebach AuR 2010, 499, 502[]
  41. vgl. für die Versetzung BAG 22.01.2009 – 8 AZR 906/07, BAGE 129, 181[]
  42. Wenckebach AuR 2010, 499, 502; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 262a[]
  43. vgl. Wenckebach AuR 2010, 499, 502[]
  44. vgl. KR/Treber 10. Aufl. § 22 AGG Rn. 6; Däubler/Bertzbach/Bertzbach AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 48 mwN[]
  45. BAG 28.04.2011 – 8 AZR 515/10, Rn. 34[]
  46. BAG 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 28[]
  47. vgl. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 16; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 3 Rn. 13[]
  48. vgl. BAG 7.06.2011 – 1 AZR 34/10, Rn. 23, BAGE 138, 107; vgl. EuGH 12.10.2010 – C-499/08 – [Andersen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343; vgl. zu der für die Schwangerschaft klarstellenden Normierung dieser Rechtsfigur in § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG BAG 27.01.2011 – 6 AZR 526/09, Rn.20 f., BAGE 137, 80[]
  49. vgl. EuGH 4.10.2001 – C-109/00 – [Tele Danmark] Rn.20, 31, Slg. 2001, I-6993[]
  50. vgl. Kamanabrou RdA 2006, 321, 324[]
  51. zu diesem Erfordernis BAG 7.06.2011 – 1 AZR 34/10, Rn. 29, BAGE 138, 107[]
  52. Schiek/Schiek AGG § 3 Rn. 11[]
  53. vgl. in diesem Sinne auch EGMR 3.10.2013 – 552/10, Rn. 77[]
  54. BAG 28.04.2011 – 8 AZR 515/10[]
  55. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 66, 68; 11.07.2006 – C-13/05 – [Chacón Navas] Rn. 52, Slg. 2006, I-6467[]
  56. vgl. BAG 27.01.2011 – 8 AZR 580/09, Rn. 34 ff.[]
  57. EuGH 04.07.2013 – C-312/11 – [Kommission/Italien][][]
  58. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring][][]
  59. Beschluss 2010/48/EG vom 26.11.2009 ABl. EU L 23 vom 27.01.2010 S. 35[]
  60. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 53 bis 56[]
  61. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 59 f.[]
  62. EuGH 4.07.2013 – C-312/11 – [Kommission/Italien] Rn. 60 ff. der franz. Fassung; Beyer/Wocken DB 2013, 2270[]
  63. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 28 ff.[]
  64. aA v. Roetteken jurisPR-ArbR 33/2013 Anm. 1 unter D; zur unmittelbaren Anwendung von Völkerrecht vgl. Schmahl JuS 2013, 961, 965; Aichele AnwBl.2011, 727, 728[]
  65. vgl. zu dieser Vorschrift BAG 13.08.2009 – 6 AZR 330/08, BAGE 131, 325; 19.05.2010 – 5 AZR 162/09, BAGE 134, 296; vgl. auch Beyer/Wocken DB 2013, 2270, 2272[]
  66. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 57; Däubler/Bertzbach/Brors AGG 3. Aufl. § 8 Rn. 33; KR/Treber 10. Aufl. § 8 AGG Rn. 29; Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 30[]
  67. vgl. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 43; 17.08.2010 – 9 AZR 839/08, Rn. 45; 24.04.2008 – 8 AZR 257/07, Rn. 33 f.; Stiebert/Pötters aaO; Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33 f.[]
  68. vgl. Däubler/Bertzbach/Brors aaO Rn. 33; KR/Treber aaO[]
  69. ähnlich Däubler/Bertzbach/Brors aaO[]
  70. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 32[]
  71. Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 40[]
  72. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 37[]
  73. BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 32; BR-Drs. 329/06 S. 31[]
  74. BT-Drs. 14/5074 S. 98; vgl. BAG 3.04.2007 – 9 AZR 823/06, Rn.20, BAGE 122, 54[]
  75. BT-Drs. 14/5074 S. 98[]
  76. Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 37; Welti DÖV 2013, 795, 797[]
  77. Schiek/Welti aaO Rn. 43[]
  78. Schiek/Welti aaO Rn. 37, vgl. auch v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159b[]
  79. zur bisherigen Auslegung siehe EuGH 11.07.2006 – C-13/05 – [Chacón Navas] Rn. 37, Slg. 2006, I-6467[]
  80. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 41 f., 47, 75[]
  81. zur Kritik an dieser Beschränkung siehe Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 24 bis 27[]
  82. v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 42[]
  83. v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161e, 165; Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 75; aA KR/Treber 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 49; BeckOK ArbR/Roloff Stand 1.12 2013 AGG § 1 Rn. 7[]
  84. gegen eine gespaltene Auslegung des Behindertenbegriffs gleichwohl Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 33[]
  85. v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 161f[]
  86. siehe dazu Stiebert/Pötters Anm. EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 31 S. 27, die darauf hinweisen, dass etwa 40 % der Bevölkerung in Deutschland an Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arthrose oder Rheuma leiden; zur Häufigkeit chronischer Krankheiten siehe auch Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 16[]
  87. vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 67[]
  88. Welti DÖV 2013, 795, 797; vgl. auch ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 21 f. unter 4.3; Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 68[]
  89. v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 159a, 164[]
  90. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 45 f.[]
  91. ebenso Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 72 f., 77 f.; Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43; aA nur bei Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 135; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164; nur unter Berücksichtigung künftiger Beeinträchtigungen: Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 54; auf den Einzelfall abstellend: Antwort der Bundesregierung BT-Drs. 17/7283 S. 4 f.[]
  92. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 265. Aufl. Stichwort: HIV-Erkrankung[]
  93. vgl. zu dieser Definition die ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 18 unter 4.1 Ziff. 5[]
  94. BT-Drs. 14/5074 S. 98; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 1 Rn. 164b[]
  95. vgl. für die RL 2000/78/EG EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 42[]
  96. vgl. ausdrücklich für eine HIV-Infektion ICF Stand Oktober 2005 Einführung S. 24 unter 5.1; vgl. auch Schiek/Welti AGG § 1 Rn. 43[]
  97. zum Begriff des Stigmas Stürmer/Salewski in Beelmann/Jonas Diskriminierung und Toleranz S. 263, 267 f.; vgl. auch Empfehlung 200 der ILO vom 17.06.2010 unter I Ziff. 1 Buchst. d[]
  98. Stürmer/Salewski aaO S. 264 f., 273; vgl. auch EGMR 3.10.2013 – 552/10, Rn. 79 ff.; EGMR 10.03.2011 – 2700/10 – [Kiyutin/Russland] Rn. 64[]
  99. Pärli/Naguib/Kuratli Schutz vor Benachteiligung aufgrund chronischer Krankheit 2012 S. 27[]
  100. Stürmer/Salewski aaO S. 273; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 25[]
  101. Stürmer/Salewski aaO S. 272 f.[]
  102. vgl. EuGH 11.04.2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 37 f.; Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 70[]
  103. vgl. Pärli/Naguib/Kuratli aaO S. 35[]
  104. EGMR 3.10.2013 – 552/10, Rn. 39, 82 f. unter Hinweis auf eine in dreißig Mitgliedstaaten des Europarats durchgeführte Vergleichsstudie[]
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