Die Schließung der City BKK und die Arbeitsverhältnisse

Wurden mit der Schließung der Betriebskrankenkasse City BKK alle bestehenden Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes beendet? Über diese Frage streiten sich die Juristen – und auch das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entscheidet diese Frage – je nach der damit befassten Spruchkammer – uneinheitlich.

Die Schließung der City BKK und die Arbeitsverhältnisse

Die City BKK ist aus einer Fusion der ehemaligen BKK Berlin und der BKK Hamburg am 1. Januar 2004 entstanden und fusionierte danach am 1. Januar 2005 mit der BKK Bauknecht und BKK beneVita. Sie hatte Stand 1. April 2011 rund 168.000 Versicherte, davon waren ca. 136.000 Mitglieder der City BKK.

Nach § 153 Satz 1 Nr. 3 SGB V eine Krankenkasse von der Aufsichtsbehörde geschlossen, wenn ihre Leistungsfähigkeit nicht mehr auf Dauer gesichert ist. Nach Feststellung dieses Sachverhalts hat das Bundesversicherungsamt mit Bescheid vom 4. Mai 2011 die Schließung der City BKK wegen Leistungsunfähigkeit und Überschuldung unter Anordnung des Sofortvollzugs zum 30. Juni 2011 verfügt.

Gesetzliche Folge der von der City BKK akzeptierten behördlichen Schließung ist, dass nach §§ 164 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten mit dem Tag der Schließung automatisch, d.h. ohne Ausspruch einer Kündigung und Einhaltung der gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen, enden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Arbeitnehmer aufgrund eines für bestimmte Beschäftigtengruppen – Dienstordnungsangestellte und ordentlich nicht kündbare Beschäftigte – vorgesehenen Unterbringungsverfahrens bei anderen Betriebskrankenkassen untergebracht werden.

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Hiergegen haben zahlreiche Beschäftigte Klage u.a. vor dem Arbeitsgericht Stuttgart im Wesentlichen mit der Begründung erhoben, die gesetzlich angeordnete Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sei mit dem für Arbeitnehmer ansonsten geltenden Kündigungsschutz nicht zu vereinbaren. Ihnen stünde jedenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen ebenfalls Kündigungsschutz zu. Die City BKK hat sich mit dem Argument verteidigt, die Erhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems rechtfertige die Beendigung der Arbeitsverhältnisse ohne Ausspruch einer Kündigung und Einhaltung von Kündigungsfristen.

Das erstinstanzlich hiermit befasste Arbeitsgericht Stuttgart hat die Klagen unter Hinweis auf die gesetzlich angeordnete, verfassungsrechtlich seiner Ansicht nach nicht zu beanstandende Gesetzeslage Beendigungsfolge abgewiesen. Die hiergegen gerichteten Berufungen sind bei der 1. und der 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg anhängig.

In diesen Berufungsverfahren kommen nun die 1. Kammer und die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts zu gegenläufigen Antworten:

Gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse?

Den Anfang machte die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, die die Urteile des Arbeitsgerichts Stuttgart bestätigte und am 18. Mai 2012 entschied, dass mit Schließung der City BKK zum 30. Juni 2011 alle Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes geendet haben.

Soweit die jeweils klagende Partei ordentlich kündbar war, bestand keine sog. Unterbringungsverpflichtung, d.h. unbeschadet der Frage, wer überhaupt Verpflichteter dafür wäre, bestand kein Recht für den Beschäftigten in den BKK Landesverband Baden-Württemberg oder in eine andere BKK übernommen zu werden. Das folgt aus § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V, der ordentlich kündbare Beschäftigte hiervon ausdrücklich ausnimmt.

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Ordentlich unkündbaren Beschäftigten gegenüber hat der BKK Landesverband Baden-Württemberg in allen Fällen eine Unterbringung in einer anderen BKK angeboten. Unbeschadet der Frage, ob das Unterbringungsangebot im Einzelfall zumutbar ist oder nicht, endeten jedenfalls die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes.

Die gesetzlich angeordnete Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist auch mit dem Grundgesetz vereinbar. Zwar greift die Bestimmung mit ihrer Wirkung des Arbeitsplatzverlusts in das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes ein. Jedoch ist der unmittelbare Eingriff insofern gerechtfertigt, als der Gesetzgeber über die Beendigungsfolge die Sicherung des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung und damit wichtige Gemeinwohlinteressen zum Ziel hat. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht gegeben.

Keine gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse?

Dieser juristischen Einschätzung widersprach drei Tage später die erste Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, änderte in den bei ihr anhängigen beiden Berufungsverfahren die erstinstanzlichen Urteile des Arbeitsgerichts Stuttgart, gab den Kündigungsschutzklagen statt und entschied in Abweichung von den Urteilen der 7. Kammer, dass mit Schließung der City BKK zum 30. Juni 2011 die Arbeitsverhältnisse der bei der City BKK beschäftigten Klägerinnen nicht kraft Gesetzes geendet haben.

Die 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vertritt hierbei die Rechtsauffassung, dass – soweit die Arbeitnehmer tarifvertraglich ordentlich kündbar waren – die gesetzliche Beendigung der Arbeits-verhältnisse nicht eintritt, weil für diese Arbeitnehmergruppe keine Unterbringungspflicht besteht und daher die Vorschrift des § 164 Abs. 4 SGB V überhaupt keine Anwendung findet. Was die tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Beschäftigten angeht, so hat der BKK-Landesverband Baden-Württemberg jedenfalls in den hier entschiedenen Fällen keine zumutbare Unterbringung bei einer anderen Betriebskrankenkasse angeboten, weil die Weiterbeschäftigung jeweils ohne Anerkennung der bisherigen Dienstzeiten angeboten wurde. Da ein unzumutbares Beschäftigungsangebot der Unterbringungspflicht nicht genügt, ist die gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse nach Ansicht der 1. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ebenfalls nicht eingetreten.

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Immerhin: Beide Kammern des Landesarbeitsgericht haben in ihren Urteilen die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Das letzte Urteil ist also noch nicht gesprochen. Zuvor hatte bereits in mehreren Entscheidungen das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eine durch die Schließung der City BKK eingetretene gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse abgelehnt1.

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 18. Mai 2012 – 7 Sa 13/12 ff.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 21. Mai 2012 – 1 Sa 2/12 f.

  1. LAG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 04.04.2012 – 4 Sa 2440/11; und vom 12.04.2012 – 2 Sa 15/12; 2 Sa 14/12; 5 Sa 142/12; 5 Sa 2554/11 und 5 Sa 2555/11[]