Die Tarifzuständigkeit der vertragschließenden Gewerkschaft ist für den Tarifvertrag entscheidungserheblich. Fehlte sie, wäre der Vertrag kein Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG, sondern lediglich eine Kollektivvereinbarung ohne normative Wirkung1, die das Arbeitsverhältnis der -tarifgebundenen- Parteien nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung gestalten könnte.

Die Tarifzuständigkeit einer Arbeitnehmervereinigung richtet sich nach dem in ihrer Satzung autonom festgelegten Organisationsbereich. Dies ist Ausdruck der in Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG verfassungsrechtlich garantierten Vereins- und Koalitionsfreiheit. Dementsprechend kann eine Gewerkschaft ihren Organisationsbereich betriebs- oder unternehmensbezogen, branchen- oder berufsbezogen, regional- oder personenbezogen festlegen. Ebenso gut kann sie eine Kombination mehrerer Kriterien wählen oder die Tarifzuständigkeit für die Arbeitnehmer bestimmter, konkret bezeichneter Unternehmen beanspruchen2.
Gemessen daran bestehen für das Bundesarbeitsgericht an der Tarifzuständigkeit der IG Metall für die streitgegenständlichen Hilfs- und Hauptbetriebe der Automobil-Zulieferindustrie keine vernünftigen Zweifel.
Nach ihrer bei Abschluss des hier streitgegenständlichen Tarifvertrags über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie vom 22.05.2012 (TV BZ ME) geltenden Satzung ist die IG Metall betriebsbezogen für die in § 1 Nr. 2 Satz 2 TV BZ ME genannten Betriebe zuständig. Dies folgt aus § 3 Ziff. 1 lit. a der Satzung iVm. dem Organisationsbereich I des Satzungsbestandteils bildenden Organisationskatalogs. Personenbezogen beansprucht sie nach dessen Ziff. 2 Alt. 1 die Zuständigkeit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von einem Verleihbetrieb an die vom Organisationsbereich der IG Metall erfassten Betriebe (Entleihbetriebe) zur Arbeitsleistung überlassen sind.
Die Beschränkung der personenbezogenen Tarifzuständigkeit auf einen Teilausschnitt der Leiharbeitsbranche, nämlich auf die Leiharbeitnehmer, die Betrieben aus dem Organisationsbereich der IG Metall überlassen sind, folgt den Besonderheiten des Leiharbeitsverhältnisses und vermag vernünftige Zweifel an der Tarifzuständigkeit der IG Metall nicht zu begründen. Der Leiharbeitnehmer hat – bei Fehlen abweichender tariflicher Regelungen – einen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt und gleiche sonstige wesentliche Arbeitsbedingungen nach § 10 Abs. 4 AÜG stets nur für die Dauer der Überlassung und nach den für vergleichbare Stammarbeitnehmer geltenden Arbeitsbedingungen. Es liegt deshalb in der Natur des Leiharbeitsverhältnisses, dass er im Verlaufe seines Arbeitsverhältnisses in unterschiedliche Einsatzbranchen überlassen werden kann. Differenziert schon das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zwischen den Phasen der Überlassung und der überlassungsfreien Zeit, und bei der Überlassung wiederum nach den im Betrieb des jeweiligen Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen, ist kein Grund ersichtlich, warum den Tarifvertragsparteien eine entsprechende Differenzierung verwehrt sein sollte, wenn sie das Gebot der Gleichbehandlung ergänzende tarifliche Regelungen schaffen wollen.
Soweit die Beklagte die Tarifzuständigkeit der IG Metall für Logistik- und Dienstleistungsbetriebe in Frage stellt, vermag das vernünftige Zweifel an der Tarifzuständigkeit nicht zu begründen. Der TV BZ ME erfasst nicht generell Logistik- oder Dienstleistungsbetriebe, sondern – entsprechend § 3 Ziff. 1 lit. c der Satzung der IG Metall – nur solche, die zu Wirtschaftszweigen gehören, für die die IG Metall Tarifzuständigkeit beansprucht. Selbst wenn es dabei zu einer Überschneidung der Zuständigkeiten mehrerer Gewerkschaften käme, führte dies nicht zu einer Einschränkung der Tarifzuständigkeit, weil es keinen tarifrechtlichen Grundsatz gibt, der solche Überschneidungen verböte3. Bei im DGB verbundenen Gewerkschaften wäre allenfalls verbandsintern auf eine Vermeidung von Doppelzuständigkeiten hinzuwirken4.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. Februar 2017 – 5 AZR 252/16
- BAG 17.04.2012 – 1 ABR 5/11, Rn. 69; 13.03.2013 – 5 AZR 954/11, Rn. 21 mwN, BAGE 144, 306[↩]
- BAG 17.04.2012 – 1 ABR 5/11, Rn. 53, BAGE 141, 110; hM, vgl. aus dem Schrifttum etwa ErfK/Franzen 17. Aufl. § 2 TVG Rn. 34 ff.; HWK/Henssler 7. Aufl. § 2 TVG Rn. 40 ff.; JKOS/Schubert Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 2 Rn. 169 ff.[↩]
- BAG 25.09.1996 – 1 ABR 4/96, zu B III 4 b der Gründe, BAGE 84, 166[↩]
- zu einem Kooperationsabkommen zwischen der IG Metall und ver.di zur Kontraktlogistik ua. im Bereich Automobilindustrie und Fahrzeugbau aus dem Jahr 2016 sh. Rieble RdA 2017, 26, 32[↩]