Die unzulässige Privatliquidation eines Chefarztes

Der Chefarzt muss die Patienten vor Abschluss einer Vertretervereinbarung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes1 umfassend aufklären. Bei Verletzung der Aufklärungspflicht steht dem Honoraranspruch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

Die unzulässige Privatliquidation eines Chefarztes

Die Abrechnung ärztlicher Leistungen unter Verstoß gegen § 4 Abs. 2 GOÄ)durch einen zur Privatliquidation berechtigten Chefarzt kann einen Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Eine vorherige Abmahnung vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ist insbesondere dann entbehrlich, wenn der Chefarzt durch den Arbeitgeber mehrfach auf den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung hingewiesen wurde und er weiterhin unter Verstoß gegen § 4 Abs. 2 GOÄ abrechnet.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist dabei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Sodann ist im Wege einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen, ob unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles ein wichtiger Grund vorliegt2.

Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Er muss alle Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, die den Vorwurf begründen, der Arbeitnehmer habe vertragswidrig gehandelt. Im Vertragsrecht indiziert ein bestimmter Sachverhalt, der den objektiven Voraussetzungen für eine Vertragsverletzung entspricht, nicht zugleich ein rechts- bzw. vertragswidriges Verhalten; vielmehr muss die Rechtswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens besonders begründet werden. Deshalb muss der Arbeitgeber ggf. auch die Tatsachen beweisen, welche einen Rechtfertigungsgrund für das Verhalten des Arbeitnehmers ausschließen. Das Fehlen eines solchen Grundes gehört zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen3.

Der Arbeitgeber braucht nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal und ohne nähere Substantiierung vorbringt. Vielmehr ist er nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, die Tatsachen, aus denen er eine Rechtfertigung seines Verhaltens herleiten will, ausführlich vorzutragen. Erst eine substantiierte Einlassung des Arbeitnehmers ermöglicht dem Arbeitgeber die Überprüfung dieser tatsächlichen Angaben und auch einen erforderlichen Beweisantritt, falls er sie für unrichtig hält4.

Der Krankenhausträger (Arbeitgeber) kann die außerordentliche Kündigung darauf stützen, dass der Chefarzt ärztliche Leistungen abgerechnet hat, zu deren Abrechnung er nach der § 4 Abs. 2 GOÄ nicht berechtigt war.

Der von der Arbeitgeberin vorgetragene Sachverhalt des Abrechnungsbetruges bei den Herzschrittmacher-Implantationen ist an sich ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflicht liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszweckes dienen, kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Dies gilt umso mehr, wenn berechtigte Belange des Arbeitgebers erheblich gestört werden, weil das Verhalten des Arbeitnehmers geeignet ist, den Ruf des Arbeitgebers im Geschäftsverkehr zu gefährden5. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht verlangt von den Parteien eines Arbeitsverhältnisses, gegenseitig auf die Rechtsgüter und die Interessen der jeweils anderen Partei Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise erwartet werden kann. Der konkrete Inhalt der Rücksichtnahmepflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis. Insbesondere bei Arbeitnehmern in leitender Position hat deren Stellung unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Pflichtenstruktur6. Gerade diese Mitarbeiter sind verpflichtet, zur Förderung des Vertragszweckes ihr Verhalten in der Weise einzurichten, dass es das Ansehen des Arbeitgebers nicht beschädigt.

Bei insgesamt sieben Herzschrittmacher-Implantationen im Zeitraum April 2009 bis Oktober 2009 war Dr. P. als Operateur tätig. Der Chefarzt hat die vorgenannten Herzschrittmacherimplantationen als Wahlleistungen gegenüber dem Patienten abgerechnet, obgleich die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ nicht vorgelegen haben.

Gemäß § 4 Abs. 2 GOÄ kann der Arzt Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht wurden (eigene Leistungen).

Die erstgenannte Alternative liegt nicht vor. Die vorgenannten Herzschrittmacherimplantationen wurden sämtlichst von Dr. P. vorgenommen.

Auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative sind nicht erfüllt.

Nach den Grundsätzen der gebührenrechtlichen Delegation kann der Chefarzt gem. § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die unter seiner Aufsicht nach fachlicher Weisung erbracht werden. Hierfür reicht es allerdings nicht aus, dass der Chefarzt allgemeine organisatorische Weisungen gibt oder die Mitarbeiter sorgfältig auswählt oder überwacht. Er muss vielmehr an der Leistungserbringung im Einzelfall mitwirken und die nach der jeweiligen Art der Leistung gebotene Aufsicht führen. Der Chefarzt muss der Verantwortlichkeit für die Durchführung der delegierten Leistungen im Einzelfall tatsächlich und fachlich gerecht werden. Eine derartige Aufsicht setzt aber – wenn schon nicht Anwesenheit – dann jedenfalls die Möglichkeit, unverzüglich persönlich einwirken zu können, voraus. Dagegen reicht es nicht aus, dass der Chefarzt die Behandlung nur supervisiert und fachlich begleitet. Dadurch werden die eigenverantwortlich durch Dritte durchgeführten Behandlungsmaßnahmen noch nicht zu eigenen Leistungen des Chefarztes, zumal die Oberaufsicht, unabhängig von einer Wahlleistungsvereinbarung, ohnehin dem Chefarzt obliegt. Es reicht nicht aus, dass er lediglich im Sinne einer Oberaufsicht die grundlegende Entscheidung einer Behandlung von Wahlleistungspatienten selbst trifft, deren Vollzug überwacht und entsprechende Weisungen erteilen kann. Es kann nicht angenommen werden, dass ein Patient den Behandlungsvertrag mit einem Chefarzt abschließt, um die ohnehin im Rahmen der allgemeinen Krankenhausleistungen geschuldete ärztliche Leistung nochmals zu vereinbaren und zu bezahlen. Zur Erfüllung der Verpflichtung aus dem Wahlarztvertrag ist es erforderlich, dass der Chefarzt durch sein eigenes Tätigwerden der wahlärztlichen Behandlung sein persönliches Gepräge gibt, d. h. er muss sich zu Beginn, während und zum Abschluss der Behandlung mit dem Patienten befassen. Kernleistungen hat er stets persönlich zu erbringen. Dabei ist bei jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu fragen, ob sie dem Wahlarzt nach herkömmlichem Verständnis zur eigenen Verantwortung zuzurechnen ist7. Ist dies nicht gewährleistet, so handelt es sich nicht um eine zulässige gebührenrechtliche Delegation. Der Honoraranspruch des Chefarztes besteht nicht, weil es sich nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ nicht um eine eigene Leistung handelt.

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Diese Voraussetzung der Leistungserbringung unter Ausübung der Aufsichtspflicht liegen nicht vor. Erforderlich ist zumindest, dass der Arzt erreichbar und in der Lage ist, unverzüglich persönlich einwirken zu können, falls dies notwendig ist. Der Chefarzt hat sich jedoch trotz des zulässigen einfachen Bestreitens der Arbeitgeberin – diese hat keine Kenntnis der maßgebenden Tatsachen, welche auf eine Ausübung der Aufsicht nach fachlicher Weisung durch den Chefarzt schließen lassen könnten – auf den substanzlosen Vortrag beschränkt, er habe bei den Implantationen Dr. P. „unsteril“ assistiert, mit ihm in einem fachlichen Dialog gestanden und sich mit ihm abgesprochen. Aufgrund der großen Erfahrung von Dr. P. seien Anweisungen nur erfolgt, wenn sie auch notwendig gewesen seien. Der Chefarzt hat die von ihm behaupteten Weisungen nicht näher vorgetragen, insbesondere nicht dargelegt, wann, wo und wie er bei welchen Herzschrittmacherimplantationen Dr. P. Weisungen erteilt haben will, obgleich er durch die Arbeitgeberin und nochmals durch das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung auf seinen mangelnden Vortrag hingewiesen worden ist. Ein weiterer Hinweis der Kammer war deshalb entbehrlich8. Unabhängig davon ist tragend auszuführen, dass der Chefarzt weder erstinstanzlich noch in der Berufung (§ 138 Abs. 3 ZPO) dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht entgegengetreten ist, Dr. P. habe in seiner Anhörung am 28.08.2011 erklärt, der Chefarzt sei regelmäßig nicht anwesend gewesen, weil er während des Eingriffs abgerufen worden sei, weil andere Aufgaben hätten erfüllt werden müssen. Der Chefarzt habe sich lediglich bei den Patienten auf der Station nach deren Befinden erkundigt. Vorliegend fehlt deshalb jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass der Chefarzt im Falle der Implantationen leitend und eigenverantwortlich tätig geworden ist. Besprechungen der Krankheitsverläufe mit Dr. P. oder den Patienten sind hierfür nicht ausreichend.

Die in der „Wichtigen Patienteninformation vor der Vereinbarung von wahlärztlichen Leistungen“ enthaltene Vertreterregelung für den Fall der unvorhergesehenen Verhinderung ist nicht einschlägig. Diese Klausel betrifft lediglich die Fälle, bei denen im Zeitpunkt des Abschlusses der Wahlleistungsvereinbarung die Verhinderung des Wahlarztes – hier des Chefarzts – nicht bereits feststand, etwa weil die Verhinderung (Krankheit, Urlaub, etc.) selbst noch nicht absehbar war9.

In den streitbefangenen Fällen hat es sich nicht um eine unvorhersehbare Verhinderung des Chefarzts gehandelt. Dagegen spricht schon die langjährige Praxis, dass nämlich Herzschrittmacherimplantationen immer durch Dr. P. durchgeführt worden sind. Die Arbeitgeberin hat unwidersprochen durch den Chefarzt vorgetragen, Dr. P. habe in seiner Befragung ausgeführt, dass er bis November 2010 Herzschrittmacher meistens allein, gegebenenfalls mit Unterstützung von zwei Assistenzärzten, implantiert habe. Die Leistungen des Chefarzts seien bei Privatpatienten in diesen Fällen auf schlichte Erkundigungen nach dem Befinden im Anschluss auf der Station reduziert gewesen. Diesem Vortrag ist der Chefarzt nicht entgegengetreten. Vielmehr hat er selbst im Rahmen seiner Rüge gemäß § 626 Abs. 2 BGB betont, dass Herzschrittmacherimplantationen immer durch Dr. P. durchgeführt worden seien. Angesichts dieser jahrelang mit Dr. P. geübten Praxis hätte dem Chefarzt ihm nun oblegen, im Einzelnen vorzutragen, dass es sich bei dem streitbefangenen Implantationen um unvorhersehbare Vertretungsfälle im Sinne von Ziffer 3 des Informationsblattes gehandelt hat. Dies ist nicht erfolgt.

Angesichts der jahrelang geübten Praxis kann sich der Chefarzt auch hinsichtlich des 14.10.2010 nicht auf eine unvorhergesehene Verhinderung berufen. Es ist davon auszugehen, dass der Chefarzt auch – wenn er nicht erkrankt gewesen wäre – die Implantation nicht durchgeführt hätte. Gegen die entsprechenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (§ 529 ZPO) hat der Chefarzt keinen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt. Unabhängig davon ist die behauptete Erkrankung des Chefarzts auch irrelevant, weil die Patientin B. auch nach dem Vorbringen des Chefarzts bereits zuvor Dr. P. als Operateur ausgewählt hatte. Demzufolge ist die vom Chefarzt behauptete Verhinderung infolge einer Erkältung aber kein unvorhergesehener Vertretungsfall im Sinne der Wahlleistungsvereinbarung, sondern eine vorhersehbare Verhinderung des Chefarzts, die eine entsprechende schriftliche Vertretungsvereinbarung erfordert hätte.

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Es ist deshalb von einer vorhersehbaren Verhinderung des Chefarzts in den streitbefangenen Fällen auszugehen, die von der vorgenannten Wahlarztvereinbarung nicht umfasst wird.

Der Chefarzt hat in den vorgenannten Fällen mit den Patienten keine wirksame Stellvertretervereinbarung im Wege der Individualabrede getroffen.

Der Wahlarzt kann sich durch eine Individualvereinbarung mit dem Patienten von seiner Pflicht zur persönlichen Leistung befreien und deren Ausübung einem Stellvertreter übertragen. Die Tatsache, dass die Auslegungsregel des § 613 Satz 1 BGB dispositiv ist, ermöglicht es mit dem Patienten des Arzt-Zusatzvertrages eine Regelung zu treffen, dass die geschuldeten Leistungen nicht nur von dem vertragschließenden Chefarzt, sondern auch von einem anderen Arzt erbracht werden dürfen. Für derartige Vereinbarungen gelten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes10 strenge Anforderungen: Da sich der Patient oftmals in der bedrängenden Situation einer schweren Sorge um seine Gesundheit oder gar sein Überleben befindet und daher zu einer ruhigen und sorgfältigen Abwägung vielfach nicht in der Lage sein wird, bestehen ihm gegenüber nach Treu und Glauben (§ 242 BGB, siehe ferner § 241 Abs. 2 BGB n. F.) vor Abschluss einer solchen Vereinbarung ganz besondere Aufklärungspflichten, bei deren Verletzung dem Honoraranspruch des Wahlarztes der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegensteht. Der Patient ist so früh wie möglich über die Verhinderung des Wahlarztes zu unterrichten und ihm das Angebot zu unterbreiten, dass an dessen Stelle ein bestimmter Vertreter zu den vereinbarten Bedingungen die wahlärztlichen Leistungen erbringt. Soll die Vertretervereinbarung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Abschluss des Wahlleistungsvertrages getroffen werden, ist der Patient auf diese gesondert ausdrücklich hinzuweisen. Er ist in der ohnehin psychisch belastenden Situation der Aufnahme in das Krankenhaus bereits mit der umfangreichen Lektüre der schriftlichen Wahlleistungsvereinbarung und der in diesem Zusammenhang notwendigen Belehrungen befasst11. Dies begründet die nicht unerhebliche Gefahr, dass er der Vertretervereinbarung, die der durch die Wahlleistungsvereinbarung erweckten Erwartung, durch den Wahlarzt behandelt zu werden, widerspricht, nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lässt. Weiter ist der Patient über die alternative Option zu unterrichten, auf die Inanspruchnahme wahlärztlicher Leistungen zu verzichten und sich ohne Zuzahlung von dem jeweils diensthabenden Arzt behandeln zu lassen. Ein nochmaliger Hinweis, dass er auch in diesem Fall die medizinisch notwendige Versorgung durch hinreichend qualifizierte Ärzte erfüllt, ist allerdings nicht erforderlich, da eine solche Belehrung bereits vor Abschluss der Wahlleistungsvereinbarung erteilt werden muss. Ist die jeweilige Maßnahme bis zum Ende der Verhinderung des Wahlarztes verschiebbar, so ist dem Patienten auch dies zur Wahl zu stellen. Weiterhin muss die Vertretervereinbarung schriftlich geschlossen werden, da sie einen Vertrag beinhaltet, durch den die Wahlleistungsvereinbarung geändert wird, für die gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KHEntgG das Schriftformerfordernis gilt.

Diese Voraussetzungen hat der Chefarzt nicht eingehalten.

Schriftliche Vertretervereinbarungen liegen nicht vor. Der Einwand des Chefarzts, die Vertretervereinbarung müsse nicht schriftlich abgeschlossen werden, geht ins Leere. Zum einen ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs eindeutig, zum anderen hatte die Arbeitgeberin in ihrem persönlich an den Chefarzt gerichteten Schreiben vom 25.06.2010 auf die Schriftform besonderen Wert gelegt. Diese Notwendigkeit hatte der Chefarzt auch durch seine Bestätigung vom 11.10.2010 anerkannt.

Weiterhin hat der Chefarzt auch nicht dargelegt, dass er die Patienten in dem vom Bundesgerichtshof verlangten erforderlichen Maße aufgeklärt hat. Er hat lediglich angegeben, bei einer entsprechenden medizinischen Indikation mit dem Patienten gesprochen und sie in dem Gespräch darauf hingewiesen zu haben, dass Dr. P. über eine große Expertise und langjährige Erfahrung in der Implantation von Herzschrittmachern verfüge. Der Patient habe sodann die Wahl, sich für den besseren Operateur zu entscheiden. Damit hat der Chefarzt seiner Aufklärungspflicht nicht genügt. Mangels ausreichender Information ist das Einverständnis der Patienten mit einer Delegation auf Dr. P. für die Liquidationsbefugnis des Chefarzts rechtlich nicht relevant. Der Chefarzt hat schon nicht vorgetragen, dass er entsprechend der jahrelangen Praxis die Implantation nicht durchführen werde. Er hätte die Patienten darauf hinweisen müssen, dass Dr. P. auch bei Nichtabschluss der Wahlarztvereinbarung die Operation durchführen werde. Auch hat der Chefarzt nicht vorgetragen, dass er mit den Patienten über die Möglichkeit der Verschiebung der Implantation bis zu einer Vornahme des Eingriffes durch ihn gesprochen hat. Obgleich die Arbeitgeberin durchgängig im Prozess auf die mangelnde Aufklärung der Patienten durch den Chefarzt hingewiesen hat, hat er insoweit seinen Vortrag nicht weiter präzisiert. Die Arbeitgeberin hat deshalb bereits erstinstanzlich zu Recht gerügt, dass völlig offen ist, auf welcher Informationsbasis letztlich die Patienten einverstanden waren, dass Dr. P. die Operation ausführen wird. Auch aus den von dem Chefarzt zu den Akten gereichten Stellungnahmen der Patienten A., W. und V. ist nicht zu entnehmen, dass der Chefarzt sie entsprechend den Voraussetzungen des Bundesgerichtshofes aufgeklärt hat. Der Chefarzt ist in der angefochtenen Entscheidung nochmals auf das Urteil des Bundesgerichtshofes vom 20.12.2007 – III ZR 144/07 hingewiesen worden. Ferner heißt es in der angefochtenen Entscheidung auf Seite 13, „es hätte nahe gelegen, für all die Fälle, in denen ohnehin eine Übernahme der Operation durch Dr. P. erfolgt wäre, auf diesen Umstand hinzuweisen“. Die von dem Bundesgerichtshof für die Wirksamkeit einer Vertretervereinbarung verlangten Anforderungen an eine Aufklärung der Patienten hinsichtlich der Wirksamkeit einer Vertretervereinbarung waren dem Chefarzt deshalb bekannt. Trotz der Hinweise des Gerichtes und der Ausführungen der Arbeitgeberin hat der Chefarzt auch in der Berufungsinstanz seinen diesbezüglichen Vortrag nicht weiter spezifiziert. Angesichts dessen war ein weiterer Hinweis des Gerichtes auf die nicht hinreichend durch den Chefarzt vorgetragene Aufklärung der Patienten nicht erforderlich12.

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Der Chefarzt hat gegenüber den Patienten/Krankenkassen über das Vorliegen der den geltend gemachten Zahlungsanspruch begründenden Tatsachen getäuscht. Bei der privatärztlichen Liquidation ist eine gemäß § 12 GOÄ (Fälligkeit und Abrechnung der Vergütung; Rechnung) zu spezifizierende Rechnung zu erstellen, in der die erbrachte Leistung anzugeben ist. Soweit der Chefarzt nicht selbst erbrachte ärztliche Leistungen als eigene abgerechnet, hat er nicht lediglich behauptet, zu deren Abrechnung berechnet zu sein, sondern er hat damit zumindest konkludent auch behauptet, dass die Voraussetzungen der der Abrechnung zu Grunde liegenden Rechtsvorschriften (GOÄ) eingehalten worden sind. Wer eine Leistung einfordert, bringt damit zugleich das Bestehen des zu Grunde liegenden Anspruchs, hier also die Abrechnungsfähigkeit der in Rechnung gestellten ärztlichen Leistungen zum Ausdruck13. Darin sieht der Bundesgerichtshof in vergleichbaren Fällen einen strafrechtlich relevanten Abrechnungsbetrug14. Vorliegend beträgt die monetäre Differenz zwischen einer „normalen“ Implantation und einer wahlärztlichen Leistung ca. 350 € (wovon der Chefarzt die Hälfte als Nutzungsentgelt an die Arbeitgeberin abzuführen hatte). Hierbei handelt es sich um einen erheblichen Betrag.

Die Pflichtverletzung ist dem Chefarzt auch vorzuwerfen.

Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der Umfang der ihm obliegenden Darlegungslast ist allerdings davon abhängig, wie sich der Arbeitnehmer auf einen bestimmten Vortrag einlässt. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung darzulegen. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, er sei aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen gehindert gewesen, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen, muss er diese Gründe genau angeben15.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass der Chefarzt in ihm vorwerfbarer Weise gehandelt hat. Er hat nicht substantiiert vorgetragen, dass er gehindert war, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Der Chefarzt hat geltend gemacht, er habe sich bei privaten Krankenversicherungen und der Ärztekammer Niedersachsen rückversichert, dass die von ihm praktizierte und im Prozess vorgetragene Vorgehensweise mit den Abrechnungsvorschriften in Einklang stehe. In diesem Zusammenhang hat der Chefarzt zwar unter Beweisantritt vorgetragen, welcher Gesprächspartner ihm welche Auskunft gegeben habe, dass seine Vorgehensweise § 4 Abs. 2 GOÄ konform gehe. Den Beweisantritten war indes nicht nachzugehen. Die Arbeitgeberin musste auch ihrerseits nicht Beweis dafür anbieten, dass der Vortrag des Chefarzts unrichtig ist. Die Arbeitgeberin hat das Vorbringen des Chefarzts mit Nichtwissen bestritten. Dies war zulässig gemäß § 138 Abs. 4 ZPO, weil es sich um Tatsachen außerhalb des Wahrnehmungsbereiches der Arbeitgeberin handelt. Die Arbeitgeberin hat zulässigerweise weiterhin gerügt, dass der Chefarzt es unterlassen habe, vorzutragen, welche konkreten Fragen er den behaupteten Gesprächspartnern gestellt haben will und mit Schriftsatz vom 03.01.2012 im Einzelnen problematisiert, ob der Chefarzt gefragt habe, ob es der Rechtslage entspräche, die Durchführung von Herzschrittmacher-Implantationen bei Wahlleistungsvereinbarungen auf Dr. P. zu delegieren, ohne hierbei eine schriftliche Vereinbarung mit den Patienten abzuschließen; ob es zulässig sei, eine von Dr. P. erbrachte Leistung als Wahlleistung abzurechnen, wenn er als Chefarzt überhaupt nicht in der Lage sei, diese Leistung zu erbringen und Dr. P. diese Leistung auch ohne ergänzende Vereinbarung mit den Patienten erbracht hätte und ob es zulässig sei, die Implantation von Herzschrittmachern abzurechnen, obwohl er den Patienten über den vorgenannten Sachverhalt nicht aufgeklärt habe. Im Hinblick auf vorgenannte Regeln zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätte es nunmehr dem Chefarzt oblegen, zu dem Vorbringen der Arbeitgeberin Stellung zu nehmen und im Einzelnen zu schildern, mit welchen konkreten Fragestellungen er sich an die behaupteten Gesprächspartner gewandt haben will. Der Chefarzt hat nicht weiter präzisiert, mit welchen Fragestellungen er sich an die Gesprächspartner gewandt haben will. Die im Prozess von ihm vorgetragene Vorgehensweise entspricht – wie oben ausgeführt – nicht den Regelungen der GOÄ. Der mangelnde konkrete Vortrag des Chefarzts zu den Inhalten seiner Anfragen geht zu seinen Lasten. Ohne genaue Schilderung des Inhaltes der Anfragen entlasten die behaupteten Aussagen der Gesprächspartner den Chefarzt nicht. Unabhängig von Vorstehendem ist tragend auszuführen, dass dem Chefarzt als langjährigem praktizierenden Arzt die Regelungen der GOÄ, insbesondere die Voraussetzung des § 4 Abs. 2 GOÄ bekannt sein mussten und auch deshalb ein schuldhaftes Handeln des Chefarzts vorliegt.

Unabhängig von den Pflichtverstößen des Chefarzts hinsichtlich der Herzschrittmacher-Implantationen stellen auch die nachfolgend benannten, von der Arbeitgeberin nachgeschobenen Gründe an sich einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar.

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Entgegen der Auffassung des Chefarzts war die Arbeitgeberin auch hinsichtlich der im Wege der zweiten Stichprobe festgestellten Pflichtverletzungen des Chefarzts nicht gehindert, diese im vorliegenden Prozess nachzuschieben, weil sie sämtlich vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung am 7.09.2011 entstanden sind. Die Kündigungsgründe waren auch nicht verbraucht, weil die streitbefangene Kündigung die erste Kündigung ist, die die Arbeitgeberin gegenüber dem Chefarzt ausgesprochen hat und die Arbeitgeberin insoweit sämtliche Kündigungsgründe heranziehen kann, die vor dem 07.09.2011 entstanden sind.

Auf Basis der von der Arbeitgeberin im Rahmen der zweiten bis vierten Stichprobe vorgetragenen Auszüge aus den Patientenakten ist davon auszugehen, dass die Liquidationen des Chefarzts unter Verstoß gegen § 4 Satz 2 GOÄ erfolgt sind. Der Chefarzt hat in den nachfolgend aufgeführten Fällen gegenüber Patienten wahlärztliche Leistungen abgerechnet, die er nicht persönlich erbracht hat, obwohl er bei der Vornahme der Leistungen entweder im Hause anwesend war oder jedenfalls kein unvorhersehbarer Vertretungsfall vorgelegen hat. Für keine der abgerechneten Leistungen liegt eine schriftliche individuelle Vertretervereinbarung vor.

Sonach ist festzuhalten, dass hinsichtlich jeder einzelnen vom Chefarzt abgerechneten streitbefangenen Herzschrittmacherimplantation an sich ein Kündigungsgrund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Unabhängig davon ist zumindest die Gesamtheit der Verstöße bei den Implantationen ein Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB. Im Hinblick auf die Häufigkeit der Verstöße liegt ein Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB auch dann noch vor, wenn der Chefarzt tatsächlich – wovon die Kammer nicht ausgeht – am 14.10.2010 unvorhergesehen verhindert gewesen wäre. Davon unabhängig stellen die benannten Verstöße der Chefarzts, die die Arbeitgeberin als Kündigungsgrund nachgeschoben hat, an sich einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar. Unabhängig davon ist tragend auszuführen, dass zumindest die Gesamtheit aller Verstöße des Chefarzts einen wichtigen Grund an sich gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellt.

Durch sein Verhalten hat der Chefarzt in jedem einzelnen Fall, davon unabhängig zumindest aber in der Gesamtheit der Verstöße bei den Herzschrittmacher-Implantationen, davon unabhängig zumindest aber bei Berücksichtigung aller Verstöße seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht verletzt, denn er hat alles zu unterlassen, was das Ansehen und den Ruf des Arbeitgeberin schädigen kann. Der Chefarzt war bei der Arbeitgeberin in einer herausgehobenen Position beschäftigt, nämlich seit Mai 1999 als Chefarzt und in der Zeit vom Juli 2010 bis etwa Ende Juli 2011 überdies als ärztlicher Direktor. Allein aus dieser herausgehobenen Position war er verpflichtet, sein Verhalten in der Weise einzurichten, dass er das Ansehen der Arbeitgeberin nicht beschädigt. Dazu gehört auch, dass er im Rahmen des ihm durch § 8 Abs. 2 des Arbeitsvertrages eingeräumten Rechts, gesondert berechenbare Wahlleistungen zu liquidieren, die Voraussetzungen der GOÄ beachtet. Aufgrund seiner langjährigen Berufserfahrung und seiner herausgehobenen Position als Chefarzt musste der Chefarzt in besonderem Maße um eine korrekte Liquidation bemüht sein. Er war gehalten, das Vertrauen Außenstehender – hier der Patienten – in die korrekte Abrechnung der medizinischen Leistungen nicht zu erschüttern und auf diese Weise den Ruf der Arbeitgeberin zu belasten. Unzulässige Abrechnungen fallen negativ auf die Arbeitgeberin zurück. Diese setzt sich damit dem Verdacht aus, aus ihrer Sphäre heraus, durch ihre Mitarbeiter, würden Patienten und Krankenkassen betrogen16.

Die außerordentliche Kündigung verstößt nicht gegen das ultima-ratio-Prinzip. Danach kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind.

Angesichts der Schwere der Vertragsverletzungen bedurfte es keiner vorherigen Abmahnung.

Aufgrund des im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des für verhaltensbedingte Kündigungen geltende Prognoseprinzips ist vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitnehmers ausgesprochen wird, grundsätzlich eine Abmahnung erforderlich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn damit gerechnet werden kann, dass die Abmahnung zu einem vertragsgemäßen Verhalten in der Zukunft führen wird und eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwartet werden kann. Eine Abmahnung ist jedoch dann entbehrlich, wenn es um schwerwiegende Pflichtverletzungen geht, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist und bei dem eine Hinnahme oder Duldung dieses Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist17. In einem solchen Fall kann durch eine bloße Abmahnung als milderes Mittel die Wiederherstellung des für ein Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens nicht erwartet werden18.

Gemessen an diesen Voraussetzungen war eine vorherige Abmahnung des Chefarzts wegen der Schwere der Pflichtverletzungen entbehrlich. Der Chefarzt hat planvoll und zielgerichtet gehandelt. Angesichts der Häufigkeit der falschen Abrechnungen liegt kein Flüchtigkeitsfehler oder ein einmaliger Ausrutscher vor. Der Chefarzt hat den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung beharrlich missachtet hat. Ihm mussten die Voraussetzungen des § 4 GOÄ als langjährig praktizierendem Arzt bekannt sein. Dennoch hat er auch nach den Hinweisen und Anordnungen der Arbeitgeberin sein pflichtwidriges Handeln fortgesetzt. Die Arbeitgeberin hatte den Chefarzt mit E-Mail vom 22.06.2010 und mit persönlichem Schreiben vom 25.06.2010 ausdrücklich auf die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung hingewiesen. Insbesondere in dem Schreiben vom 25.06.2010 führt die Arbeitgeberin aus, dass Abrechnungen nach GOÄ, die nicht persönlich erbrachte Leistungen beinhalten, einen strafbaren Tatbestand und somit einen Abrechnungsbetrug darstellen. Dadurch hat die Arbeitgeberin gegenüber dem Chefarzt nochmals deutlich gemacht, dass sie Verstöße gegen die GOÄ nicht dulden werde. Weiterhin hat die Arbeitgeberin den Chefarzt am 12.07.2010 im Rahmen einer Klinikkonferenz auf das Erfordernis der persönlichen Leistungserbringung hingewiesen.

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Diese mehrfachen Hinweise hat der Chefarzt unbeachtet gelassen. Er hat eine am 30.09.2010 durch Dr. P. durchgeführte Herzschrittmacherimplantation als wahlärztliche Leistung abgerechnet. Auch nachdem der Chefarzt am 11.10.2010 die Erklärung unterschrieben hatte, nach der er den Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung beachte, hat er nur wenige Tage später, nämlich am 14.10.2010 wiederum die von Dr. P. durchgeführte Herzschrittmacherimplantation als wahlärztliche Leistung abgerechnet. Bereits durch das Verhalten des Chefarzts im Hinblick auf die Herzschrittmachertransplantation vom 30.09.2010 war die für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage endgültig zerstört. Eine Hinnahme des vorsätzlichen Fehlverhaltens durch die Arbeitgeberin war aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung – für den Chefarzt erkennbar – ausgeschlossen. Unabhängig davon ist – ebenfalls tragend – auszuführen, dass spätestens durch die Unterzeichnung der Erklärung am 11.10.2010 zur persönlichen Leistungserbringung dem Chefarzt die Einstellung der Arbeitgeberin zum Umgang mit § 4 GOÄ deutlich geworden sein musste. Nichtsdestotrotz er Chefarzt bereits mehrere Tage später wiederum eine nicht durch ihn durchgeführte Herzschrittmacherimplantation als wahlärztliche Leistung abgerechnet. Angesichts des mehrfachen vorherigen ausdrücklichen Hinweises durch die Arbeitgeberin kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Chefarzt sein Verhalten nach einer Abmahnung geändert hätte. Dies zeigt sich unabhängig von den Herzschrittmacher-Implantationen im Bereich der nachgeschobenen Kündigungsgründe. Hierzu ist zur Entbehrlichkeit der Abmahnung auszuführen, dass die Vorfälle betreffend die Patienten H. H., M. H., S. S., C. A., Dr. H. H., I. G., W. F., A. B., C. Z., H. B. sämtlich nach den mehrfachen Hinweisen der Arbeitgeberin zur persönlichen Leistungserbringung erfolgt sind. Unabhängig von dem Verhalten des Chefarzts hinsichtlich der Herzschrittmacherimplantationen ist deshalb tragend auszuführen, dass allein in Bezug auf die nachgeschobene Kündigungsgründe eine Abmahnung entbehrlich war, weil es sich um schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt. Eine Wiederherstellung des für das Arbeitsverhältnis notwendigen Vertrauens konnte durch den Ausspruch einer Abmahnung nicht erwartet werden. Unabhängig davon ist zumindest bei Gesamtbetrachtung aller Verstöße eine Abmahnung entbehrlich gewesen.

Die Kündigung scheitert auch nicht an dem Grundsatz des Vorranges einer Änderungskündigung vor Ausspruch einer Beendigungskündigung.

Das Landesarbeitsgericht hat in Betracht gezogen, ob im Hinblick auf den vorgenannten Grundsatz die Arbeitgeberin darauf zu verweisen wäre, den Chefarzt als Chefarzt oder Arzt weiter zu beschäftigen, ohne ihm jedoch die Möglichkeit einer Privatliquidation einzuräumen. Die Kammer ist der Auffassung, dass dies der Arbeitgeberin nicht zuzumuten ist, weil der Chefarzt durch sein Verhalten das Integritätsinteresse der Arbeitgeberin erheblich beschädigt hat. Um sich jeglichen Verdacht einer irgendwie gearteten Duldung von Verstößen gegen die Regelungen der GOÄ entledigen zu können, scheidet eine Weiterbeschäftigung des Chefarzts als (nachgeordneter) Arzt aus. Die Unzumutbarkeit folgt hiervon unabhängig und tragend auch aus den nachfolgenden Ausführungen.

Die abschließende Abwägung der beiderseitigen Interessen führt zu dem Ergebnis, dass vorliegend das Interesse der Arbeitgeberin an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Chefarzts an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der vereinbarten Kündigungsfrist überwiegt.

Bei der umfassenden Interessenabwägung kommt insbesondere der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreier Verlauf ein besonderes Gewicht zu. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist auch dann zu berücksichtigen, wenn die Kündigung auf deliktisches Handeln des Arbeitnehmers gestützt wird. Lebensalter und Familienstand/Unterhaltspflichten sind ebenfalls berücksichtigungsfähige Gesichtspunkte. Weiterhin ist im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigen, mit welchem Verschuldensgrad bzw. welcher Verwerflichkeit der Arbeitnehmer gehandelt hat, welche Nachteile und Auswirkungen die Vertragspflichtverletzungen im Bereich des Arbeitgebers gehabt haben und inwieweit eine Wiederholungsgefahr besteht. Der von einem Arbeitgeber reklamierte Aspekt der Generalprävention gegenüber anderen Mitarbeitern bzw. negative Ausstrahlungswirkung im Falle einer Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers ist für das Kündigungsrecht im Allgemeinen und für die Interessenabwägung im Besonderen zwar ein anerkannter, jedoch nur begrenzt tragfähiger Gesichtspunkt19.

Zugunsten des Chefarzts sind neben der langen Betriebszugehörigkeit sein Alter und sein Familienstand zu berücksichtigen. Er ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Des Weiteren ist auch nicht auszuschließen, dass sein Lebensalter die Aussichten verschlechtert, auf dem Arbeitsmarkt einen adäquaten Arbeitsplatz zu finden, zumal eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung wegen ihrer diskriminierenden Wirkungen seine Chancen weiter herabsetzt. Der Chefarzt hat über mehr als zwölf Jahre hinweg Loyalität zur Arbeitgeberin gezeigt. Das in dieser Zeit von dem Chefarzt erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit seiner Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Interessen der Arbeitgeberin schlägt hoch zu Buche. Der Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass der Chefarzt ein hohes, aufgrund langer Betriebszugehörigkeit erworbenes Bestandsschutzinteresse aufweist. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 10.06.201020. darauf abgestellt, dass bei langjährig Beschäftigten vor Ausspruch einer (außer-)ordentlichen Kündigung der bereits erworbene Vorrat an Vertrauen zu beachten ist. Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner werde nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung bestanden habe, desto eher könne die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt werde. Maßgeblich sei, ob aus der Sicht eines objektiven Betrachters der Arbeitgeber noch hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben könne. Der Chefarzt ist seit mehr als 12 Jahren bei der Arbeitgeberin beschäftigt und ist selbst nach dem Vorbringen der Arbeitgeberin in dieser Zeit niemals abgemahnt worden.

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Die insoweit für den Chefarzt ins Feld zu führenden Gesichtspunkte müssen hinter den Interessen der Arbeitgeberin zurücktreten. Der vorliegende Kündigungssachverhalt belastet den Chefarzt so stark, dass aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers angesichts der Schwere des Fehlverhaltens nur die Möglichkeit bestand, sich mit sofortiger Wirkung zu trennen. Auch in Ansehung der langen Betriebszugehörigkeit des Chefarzts stellt sich sein Fehlverhalten nicht als Bagatellfall dar. Unabhängig davon, dass feste Wertgrenzen schwerlich zu bestimmen sind, handelt es sich bei der Schädigung der Patienten bzw. deren Krankenversicherung allein im Bereich der Herzschrittmacher-Implantationen im Bereich von mehreren 100,– € nicht mehr um eine Geringfügigkeit21.

Auch der durch die längere und beanstandungsfreie Beschäftigung erworbene Vertrauensvorrat steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Der Chefarzt hat planvoll und zielgerichtet gehandelt, um unter Zuhilfenahme der Einrichtung der Arbeitgeberin, ihrer Arbeitnehmer und Material die Patienten und Krankenkassen zu schädigen. Dieses planvolle, zielgerichtete und beharrliche Handeln des Chefarzts ist im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen. Die Arbeitgeberin hat den Chefarzt mehrfach auf die Regelung des § 4 Abs. 2 GOÄ hingewiesen. Der Chefarzt hat diese Hinweise unbeachtet gelassen und auch in der Kammerverhandlung kein Unrechtsbewusstsein gezeigt. Auch entlasten den Chefarzt die Anrufe bei den Krankenversicherungen nicht, weil er nicht vorgetragen hat, dass er sie umfassend über den tatsächlichen Sachverhalt informiert hat. Im Hinblick darauf konnte der Chefarzt auch nicht auf die behaupteten Aussagen seiner Gesprächspartner vertrauen. Letztlich kann sich der Chefarzt auch nicht damit entlasten, dass er die Abrechnungen von Dritten hat durchführen lassen. Der Chefarzt ist verantwortlich für die Ordnungsgemäßheit seiner Rechnungen. Diese Verantwortung kann er nicht auf Dritte delegieren. Zutreffend weist die Arbeitgeberin auch darauf hin, dass der Chefarzt auch nicht damit gehört werden kann, die Krankenversicherungen hätten seine Abrechnungen nicht beanstandet. Der Chefarzt hat selbst ausgeführt, dass die privaten Krankenversicherungen lediglich eine Plausibilitätskontrolle durchführen. Sie können anhand der eingereichten Abrechnungen nicht erkennen, ob der abrechnende Arzt tatsächlich die abgerechneten Leistungen persönlich erbracht hat oder ob eine wirksame schriftliche Vertretervereinbarung nach vorangegangener umfassender Aufklärung der Patienten vorliegt. Der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin – so vom Chefarzt, wenn auch nur unsubstantiiert behauptet – möglicherweise in vergleichbaren Fällen von dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung abgesehen haben mag. Dem Chefarzt ist entgegenzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis dem Arbeitgeber keine Gleichbehandlung im Unrecht gebietet.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen 2. Kammer, Urteil vom 17.04.2013, 2 Sa 179/12

  1. BGH, 20.12.2007 – III ZR 144/07[]
  2. BAG, 27.04.2006 – 2 AZR 386/05, AP BGB 626 Nr.202; BAG, 25.03.2004 – 2 AZR 331/03, AP BGB § 626 Nr. 189; BAG, 14.09.1994 – 2 AZR 164/94, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 24[]
  3. BAG, 17.06.2003 – 2 AZR 123/02, AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13[]
  4. BAG, 19.12.1991 – 2 AZR 367/91 – RzK I 6a Nr. 82[]
  5. BAG, 02.03.2006 – 2 AZR 53/05 – AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14[]
  6. BAG, 07.09.1995 – 8 AZR 828/93 – BAGE 81, 15; BAG, 11.03.1999 – 2 AZR 507/98 – AP BGB § 626 Nr. 149[]
  7. vgl. Genzel/Degener/Hencke in Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl., § 82 RdNr. 131; OLG Oldenburg, 14.12.2011 – 5 O 183/11, NJW 2012, 1597; OLG Frankfurt, 4.08.2011 – 8 O 226/10 – GesR 2011, 680, Uleer/Miebach/Patt, 3. Aufl., § 4 GOÄ RdNr. 58[]
  8. vgl. BAG, 25.04.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223; BGH 23.04.2009 – IX ZR 95/06, NJW-RR 2010, 70[]
  9. vgl. hierzu BGH, 20.12.2007 – III ZR 144/07 – BGHZ 175, 76[]
  10. BGH, 20.12.2007 – III ZR 144/07 – BGHZ 175, 76[]
  11. vgl. BGH, 8.01.2004 – III ZR 375/02, NJW 2004, 686; BGH, 22.07.2004 – III ZR 355/03, NJW–RR 2004, 1428; § 17 Abs. 2 Satz 1 KHEntgG[]
  12. vgl. BAG, 25.04.2012 – 2 AZR 124/11, NZA 2012, 1223; BGH, 23.04.2009 – IX ZR 95/06; BGH, 22.11.2006 – VIII ZR 72/06, WM 2007, 984, 986; BGH, 20.12.2007 – IX ZR 207/05, NJW-RR 2008, 581[]
  13. vgl. Schuhr in Spickhoff, Medizinrecht, § 263 StGB RdNr. 16[]
  14. vgl. BGH, 25.02.2012, – 1 StR 45/11, BGHSt 57, 95 m. w. N.[]
  15. BAG, 3.11.2011 – 2 AZR 748/10, NZA 2012, 607[]
  16. vgl. LAG Schleswig-Holstein, 19.08.2009 – 6 Sa 459/08 – juris[]
  17. BAG, 23.06.2009 – 2 AZR 103/08, AP KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59[]
  18. BAG, 12.08.1999 – 2 AZR 123/98, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 28; BAG, 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32[]
  19. BAG, 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7[]
  20. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff.[]
  21. vgl. hierzu BAG, 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff.[]