Die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats bei Versetzungen

Das Rechtsschutzbedürfnis für einen Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG setzt voraus, dass der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei einer vom Arbeitgeber beabsichtigten personellen Einzelmaßnahme hat1.

Die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats bei Versetzungen

Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG liegt eine nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. „Arbeitsbereich“ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Er umfasst neben der Arbeitsleistung auch die Art der Tätigkeit und den gegebenen Platz in der betrieblichen Organisation. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine „andere“ anzusehen ist2. Dies kann sich aus dem Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben und der mit ihnen verbundenen Verantwortung ergeben, kann aus einer Änderung des Arbeitsortes oder der Art der Tätigkeit, dh. der Art und Weise folgen, wie die Arbeitsaufgabe zu erledigen ist, und kann mit einer Änderung der Stellung und des Platzes des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit verbunden sein3.

Voraussetzung für die gerichtliche Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist eine ordnungsgemäße Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber. Nur diese setzt die Frist für die Zustimmungsverweigerung in Lauf. Dazu hat der Arbeitgeber den Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG über die beabsichtigte personelle Einzelmaßnahme unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen ausreichend zu unterrichten. Der Betriebsrat muss aufgrund der mitgeteilten Tatsachen in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG genannten Zustimmungsverweigerungsgründe vorliegt4. Die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG wird grundsätzlich auch dann nicht in Lauf gesetzt, wenn der Betriebsrat es unterlässt, den Arbeitgeber auf die offenkundige Unvollständigkeit der Unterrichtung hinzuweisen5. Das gilt selbst dann, wenn der Betriebsrat zum Zustimmungsersuchen in der Sache Stellung nimmt und seine Zustimmung mit Bezug auf Gründe nach § 99 Abs. 2 BetrVG verweigert6. Durfte der Arbeitgeber allerdings davon ausgehen, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, kann es Sache des Betriebsrats sein, innerhalb der Frist um Vervollständigung der Auskünfte zu bitten7.

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Nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG gilt die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme als erteilt, wenn er seine Zustimmungsverweigerung dem Arbeitgeber nicht innerhalb einer Woche nach ordnungsgemäßer Unterrichtung unter Angabe von Gründen schriftlich mitteilt. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung nicht fristgerecht mit beachtlicher Begründung, so ist auf den Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers hin auszusprechen, dass die Zustimmung als erteilt gilt8. Der Betriebsrat genügt der gesetzlichen Begründungspflicht, wenn es als möglich erscheint, dass mit seiner schriftlich gegebenen Begründung einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Verweigerungsgründe geltend gemacht wird. Eine Begründung, die offensichtlich auf keinen der gesetzlichen Verweigerungsgründe Bezug nimmt, ist dagegen unbeachtlich. Die Begründung des Betriebsrats braucht nicht schlüssig zu sein. Konkrete Tatsachen und Gründe müssen nur für die auf § 99 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 6 BetrVG gestützte Verweigerung angegeben werden9.

 Die einvernehmliche Verlängerung der Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG durch die Betriebsparteien ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zulässig10. Die Betriebsparteien können diese Frist jedoch nicht völlig aufheben. Vielmehr muss das Fristende anhand der getroffenen Abreden eindeutig bestimmbar sein. Anderenfalls wäre die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit eines Eintretens der Zustimmungsfiktion nach § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG dauerhaft ausgeschlossen; die gesetzliche Grundentscheidung für ein beschleunigtes innerbetriebliches Verfahren bliebe gänzlich unbeachtet. Das ist mit dem Rechtssicherheitsinteresse gerade von Arbeitgeber und Betriebsrat selbst und im Übrigen mit den Belangen der betroffenen Arbeitnehmer nicht vereinbar11.

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Das ist aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls jedoch deshalb unschädlich, weil sich die Betriebsparteien darüber einig waren, dass die Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor dem 24.04.2019 zu erfolgen hatte und der Betriebsrat seine Zustimmung noch vor diesem Zeitpunkt am 15.04.2019 verweigert hat. Die durch die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geschützten Interessen des Arbeitgebers werden nicht beeinträchtigt, wenn eine Stellungnahme des Betriebsrats zwar nach Ablauf der gesetzlichen Wochenfrist, aber noch vor einem Zeitpunkt erfolgt, bis zu dem die Frist aufgrund einer Absprache mit dem Betriebsrat jedenfalls verlängert wurde, auch wenn das danach liegende Fristende nicht genau bestimmt werden kann.

er Betriebsrat kann bei einer personellen Einzelmaßnahme seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG verweigern, wenn die personelle Maßnahme gegen die dort genannten Rechtsvorschriften – und damit auch gegen ein Gesetz oder einen Tarifvertrag – verstoßen würde. Es muss sich bei der maßgeblichen Rechtsnorm nicht um ein Verbotsgesetz im technischen Sinne handeln, das unmittelbar die Unwirksamkeit der Maßnahme herbeiführt. Es muss aber hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen, dass der Zweck der betreffenden Norm darin besteht, die personelle Maßnahme selbst zu verhindern. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist bei Versetzungen deshalb nur gegeben, wenn das Ziel der Norm allein dadurch erreicht werden kann, dass die Versetzung insgesamt unterbleibt12. Neben – hier nicht interessierenden – Verletzungen von Einstellungsnormen kommen vor allem Beschäftigungsverbote in Betracht, die eine Beschäftigung mit bestimmtem Inhalt oder unter bestimmten Voraussetzungen untersagen13. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen ist dagegen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kein Instrument zur umfassenden Vertragsinhaltskontrolle14. Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats im Rahmen des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, die Einhaltung des Inhalts des Arbeitsvertrags zu überwachen15.

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Nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme verweigern, wenn der betroffene Arbeitnehmer durch die personelle Maßnahme benachteiligt wird, ohne dass dies aus betrieblichen oder in seiner Person liegenden Gründen gerechtfertigt ist.

Sinn und Zweck des Zustimmungsverweigerungsgrundes nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG ist es, den betroffenen Arbeitnehmer vor Benachteiligungen zu schützen16. Eine Versetzung, die durch den Vollzug einer unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers bedingt ist, wird in der Regel aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sein. Denn die unternehmerische Entscheidung ist im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG nicht auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen17, sondern als vorgegebener betrieblicher Grund hinzunehmen. Der Betriebsrat kann deshalb nicht über einen auf diese Vorschrift gestützten Widerspruch nach § 99 Abs. 3 BetrVG erzwingen, dass die unternehmerische Entscheidung rückgängig gemacht wird18. Die Zustimmungsverweigerung kann bei Vorliegen einer die Versetzung bedingenden unternehmerischen Entscheidung nicht auf eine Interessenabwägung zwischen den Nachteilen des Arbeitnehmers und den Belangen der Arbeitgeberin gestützt werden19. Dagegen dient das Beteiligungsrecht nicht dazu, die Maßnahme des Arbeitgebers einer umfassenden Kontrolle zu unterziehen20.

 Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und der darauf beruhende Versetzungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten im Rahmen von § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG berechtigte Vermutung, die Versetzung sei aus betrieblichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen21. Der mit dem Zustimmungsverweigerungsrecht des § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG beabsichtigte individuelle Schutz des von der Versetzung betroffenen Arbeitnehmers liefe weitgehend leer, wenn dem Betriebsrat in Fällen, in denen die unternehmerische Entscheidung quasi mit der Entscheidung über die Versetzung inhaltlich zusammenfällt, keine Möglichkeit mehr bliebe, den Eintritt ungerechtfertigter Nachteile zu beanstanden. Die Versetzung ist daher bei Deckungsgleichheit von Organisations- und Versetzungsentscheidung nur dann als iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt anzusehen, wenn der Arbeitgeber seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit verdeutlicht22 und die Organisationsmaßnahme auf sachlich nachvollziehbaren, plausiblen Gründen beruht.

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Eine Benachteiligung iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG kann sich auch aus tatsächlichen Nachteilen von nicht unerheblichem Gewicht ergeben, wie sie etwa bei ungünstigen Auswirkungen auf die Umstände der Arbeit durch erheblich längere Wege23 anzunehmen sind24. Diese Nachteile können aber aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung der Arbeitgeberin iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sein.

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20. Oktober 2021 – 7 ABR 34/20

  1. BAG 9.04.2019 – 1 ABR 25/17, Rn.19; 14.04.2015 – 1 ABR 58/13, Rn. 14 mwN[]
  2. BAG 29.09.2020 – 1 ABR 21/19, Rn. 24; 9.04.2019 – 1 ABR 25/17, Rn. 21 mwN; 8.11.2016 – 1 ABR 56/14, Rn. 13 mwN[]
  3. vgl. BAG 29.09.2020 – 1 ABR 21/19 – aaO; 23.06.2009 – 1 ABR 23/08, Rn. 28 mwN, BAGE 131, 145[]
  4. BAG 9.04.2019 – 1 ABR 25/17, Rn. 28; 13.03.2013 – 7 ABR 39/11, Rn. 31 f. mwN[]
  5. BAG 13.03.2013 – 7 ABR 39/11, Rn. 34 mwN[]
  6. BAG 14.12.2004 – 1 ABR 55/03, zu B II 2 d bb der Gründe, BAGE 113, 109[]
  7. BAG 9.04.2019 – 1 ABR 25/17 – aaO; 13.03.2013 – 7 ABR 39/11, Rn. 34 mwN[]
  8. vgl. BAG 9.10.2013 – 7 ABR 1/12, Rn. 35; 10.10.2012 – 7 ABR 42/11, Rn. 50[]
  9. vgl. BAG 10.10.2012 – 7 ABR 42/11 – aaO; 19.04.2012 – 7 ABR 52/10, Rn. 45 mwN; 16.03.2010 – 3 AZR 31/09, Rn. 41, BAGE 133, 307; 9.12.2008 – 1 ABR 79/07, Rn. 48 mwN, BAGE 128, 364[]
  10. BAG 5.05.2010 – 7 ABR 70/08, Rn. 30; 16.11.2004 – 1 ABR 48/03, zu B II 2 der Gründe mwN, BAGE 112, 329[]
  11. BAG 3.05.2006 – 1 ABR 2/05, Rn. 21, BAGE 118, 141[]
  12. BAG 10.10.2012 – 7 ABR 42/11, Rn. 65; 17.06.2008 – 1 ABR 20/07, Rn. 23, BAGE 127, 51; 18.03.2008 – 1 ABR 81/06, Rn. 29, BAGE 126, 176[]
  13. BAG 10.08.1993 – 1 ABR 22/93, zu B II 2 a der Gründe[]
  14. BAG 27.10.2010 – 7 ABR 86/09, Rn. 23, BAGE 136, 123; 25.01.2005 – 1 ABR 61/03, zu B II 4 b bb (3) (a) der Gründe mwN, BAGE 113, 218[]
  15. BAG 10.08.1993 – 1 ABR 22/93 – aaO[]
  16. BAG 1.06.2011 – 7 ABR 117/09, Rn. 50[]
  17. BAG 10.10.2012 – 7 ABR 42/11, Rn. 47; 16.01.2007 – 1 ABR 16/06, Rn. 47[]
  18. BAG 16.01.2007 – 1 ABR 16/06 – aaO; 10.08.1993 – 1 ABR 22/93, zu B II 3 a der Gründe[]
  19. Raab in GK-BetrVG 11. Aufl. § 99 Rn. 225[]
  20. vgl. BAG 8.12.2009 – 1 ABR 41/09, Rn. 22, BAGE 132, 324[]
  21. vgl. zur Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die auf einer mit dem Kündigungsentschluss deckungsgleichen unternehmerischen Entscheidung beruht: BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12, Rn. 16, BAGE 147, 237; 20.12.2012 – 2 AZR 867/11, Rn. 34; 24.05.2012 – 2 AZR 124/11, Rn. 22[]
  22. vgl. zur Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die auf einer deckungsgleichen unternehmerischen Entscheidung beruht: BAG 20.02.2014 – 2 AZR 346/12, Rn. 16 mwN, aaO[]
  23. vgl. ErfK/Kania 21. Aufl. BetrVG § 99 Rn. 32; Thüsing in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 99 Rn. 258[]
  24. vgl. BAG 2.04.1996 – 1 ABR 39/95, zu B I 3 a der Gründe[]
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