Verurteilungen, die im Bundeszentralregister getilgt sind, braucht ein Stellenbewerber auf die pauschale Frage nach dem Vorliegen von Vorstrafen auch dann nicht anzugeben, wenn er sich um eine Stelle im Justizvollzugsdienst bewirbt.

Keine Anfechtung wegen arglistischer Täuschung[↑]
Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war1.
Der Arbeitgeber darf beim Arbeitnehmer bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses Informationen zu Vorstrafen einholen, wenn und soweit die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes dies „erfordert“, dh. bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheinen lässt. Auch die Frage nach noch laufenden Straf- oder Ermittlungsverfahren kann – je nach den Umständen, zulässig sein2. Eine Einschränkung des Fragerechts kann sich insbesondere aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Bewerbers, speziellen datenschutzrechtlichen Bestimmungen und den dabei zu berücksichtigenden Wertentscheidungen des BZRG ergeben3. Entsprechendes gilt, soweit dem Arbeitnehmer bei der Einstellung vom künftigen Arbeitgeber vorformulierte Erklärungen abverlangt werden, die sich auf Vorstrafen und/oder staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren beziehen4.
Das Verschweigen von Tatsachen, nach denen nicht gefragt wurde, stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich dieser Tatsachen eine Offenbarungspflicht besteht. Eine solche Pflicht ist an die Voraussetzung gebunden, dass die betreffenden Umstände entweder dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen arbeitsvertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder doch seine Eignung für den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz entscheidend berühren5.
Arglistig ist die Täuschung, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen und deshalb oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim (künftigen) Arbeitgeber entstehen oder aufrechterhalten werden. Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit – genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Arbeitgeber. Dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen6.
Danach hat der Stellenbewerber das beklagte Land nicht arglistig getäuscht, weil er angegeben hat, er sei nicht vorbestraft und nicht „gerichtlich bestraft“. Die Verurteilung aus dem Jahr 2003 war im Bundeszentralregister getilgt, als er sich beim beklagten Land bewarb. Der Stellenbewerber musste die an ihn gerichteten Fragen und erbetenen Erklärungen nicht so verstehen, dass er Auskunft auch über tilgungsreife oder getilgte Vorstrafen geben sollte. Unabhängig davon hatte das beklagte Land kein berechtigtes Interesse an der Offenbarung entsprechender Verurteilungen.
Nach § 53 Abs. 1 BZRG darf sich der Verurteilte gegenüber Behörden und Privatpersonen als unbestraft bezeichnen und braucht den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt nicht zu offenbaren, wenn die Verurteilung nicht in das Führungszeugnis oder nur in ein Führungszeugnis für Behörden nach § 32 Abs. 3, Abs. 4 BZRG aufzunehmen (§ 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG) oder wenn sie zu tilgen ist (§ 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG).
Gemäß § 53 Abs. 2 BZRG kann sich der Verurteilte zwar – falls er hierüber belehrt wurde – gegenüber Gerichten oder Behörden nicht auf seine Rechte aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG berufen, soweit diese einen Anspruch auf unbeschränkte Auskunft haben. Die Ausnahme vom sog. Verschweigerecht bezieht sich nach der klaren gesetzlichen Vorgabe aber nur auf die von Abs. 1 Nr. 1 der Vorschrift erfassten Sachverhalte, nicht auf Verurteilungen iSv. § 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG, dh. auf tilgungsreife oder bereits getilgte Vorstrafen. Um eine solche Verurteilung handelt es sich hier. Das Amtsgericht Köln hatte gegen den Stellenbewerber am 29.07.2003 eine Jugendstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Die Verurteilung unterlag gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c BZRG einer Tilgungsfrist von fünf Jahren. Diese Frist war zu Beginn des Bewerbungsverfahrens verstrichen. Die Vorstrafe war überdies bereits aus dem Register entfernt (§ 45 Abs. 2 BZRG). Sie unterlag damit auch nicht mehr einer unbeschränkten Auskunft iSv. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG, die Justizvollzugsbehörden für Zwecke des Strafvollzugs einschließlich der Überprüfung aller im Strafvollzug tätigen Personen beanspruchen können7.
Demnach hat der Stellenbewerber hinsichtlich der fraglichen Verurteilung selbst dann keine falsche Auskunft erteilt, wenn man die in einigen Fragen des beklagten Landes vorgenommene zeitliche Einschränkung auf die „letzten drei Jahre“ unberücksichtigt lässt. Ein Bewerber, der allgemein nach „Vorstrafen“ oder „gerichtlichen Bestrafungen“ befragt wird, darf regelmäßig davon ausgehen, dass der zukünftige Arbeitgeber das Verschweigerecht achten will und sich die Frage/erbetene Erklärung auf den Umfang der Auskunftspflicht beschränkt. Bezüglich der Bewerbung des Stellenbewerbers ist davon umso mehr auszugehen, als das beklagte Land ihn im Rahmen der erbetenen Erklärung vom 01.06.2010 ausdrücklich auf die Regelungen des BZRG, einschließlich des reklamierten „erweiterten Auskunftsrechts“, hingewiesen hat.
Im Übrigen ist ein schutzwürdiges berechtigtes Interesse des beklagten Landes, Auskunft über getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen zu erhalten, nicht zu erkennen.
Das sich aus der Vertrags- und Abschlussfreiheit ableitende Fragerecht des Arbeitgebers ist zivilrechtlich durch den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers begrenzt. Der Ausgleich der widerstreitenden Interessen erfolgt im Rahmen der sich aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 und § 242 BGB ergebenden vorvertraglichen Pflichten8.
Datenschutzrechtliche Bestimmungen, wie sie in §§ 179 ff. StVollzG, im BDSG und im DSG NRW normiert sind, konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Sie regeln, in welchem Umfang im jeweiligen Anwendungsbereich der Gesetze Eingriffe in diese Rechtspositionen zulässig sind9. Liegt keine Einwilligung des Betroffenen vor, ist die Datenverarbeitung nur zulässig, wenn eine ihrerseits verfassungsgemäße Rechtsvorschrift sie erlaubt. Fehlt es an der erforderlichen Ermächtigungsgrundlage oder liegen deren Voraussetzungen nicht vor, ist die Erhebung, Verarbeitung und/oder Nutzung personenbezogener Daten verboten. Das gilt für Datenerhebungen nach dem BDSG und DSG NRW ebenso wie für Erhebungen im Bereich des Strafvollzugs10. Für Beschäftigte, zu denen nach § 3 Abs. 11 Nr. 1, Nr. 7 BDSG und § 29 Abs. 1 Satz 1 DSG NRW neben Arbeitnehmern auch Bewerber zählen, enthalten § 32 Abs. 1 BDSG und § 29 Abs. 1 DSG NRW einen solchen Erlaubnistatbestand. Danach dürfen personenbezogene Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist. Die Regelungen schließen nicht automatisierte Datenerhebungen ein11. Nach § 179 Abs. 1 StVollzG darf die Vollzugsbehörde personenbezogene Daten erheben, soweit deren Kenntnis für den ihr nach dem Gesetz aufgegebenen Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich ist. Gemäß § 179 Abs. 2 Satz 1 StVollzG sind personenbezogene Daten bei dem Betroffenen zu erheben. Daten über Personen, die nicht Gefangene sind, dürfen ohne ihre Mitwirkung bei Personen oder Stellen außerhalb der Vollzugsbehörde nur erhoben werden, wenn sie ua. für die Sicherheit der Anstalt unerlässlich sind und die Art der Erhebung schutzwürdige Interessen der Betroffenen nicht beeinträchtigt.
Es kann dahinstehen, ob die bereichsspezifischen Regelungen in §§ 179 ff. StVollzG auch den Beschäftigtendatenschutz umfassen und in ihrem Anwendungsbereich die allgemeinen Regelungen im BDSG und DSG NRW verdrängen. „Erforderlich“ iSv. § 179 Abs. 1 StVollzG und § 32 Abs. 1 BDSG bzw. § 29 Abs. 1 DSG NRW ist die Informationsgewinnung nur, wenn ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Beantwortung seiner Fragen bzw. der sonstigen Informationsbeschaffung besteht und das Interesse des Arbeitnehmers an der Geheimhaltung der Daten das Interesse des Arbeitgebers an ihrer Erhebung nicht überwiegt12. Davon ist auf der Grundlage sämtlicher hier in Betracht zu ziehenden Ermächtigungsgrundlagen nur dann auszugehen, wenn die nachgefragten Umstände für die Bewertung der Eignung des Beschäftigten von maßgebender Bedeutung sind13. Deshalb darf der Arbeitgeber bei der Einstellung in der Regel nur nach „einschlägigen“, dh. hinsichtlich der Eignung für einen ins Auge gefassten künftigen Aufgabenbereich relevanten Vorstrafen fragen14.
Handelt es sich um Bewerbungen für Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, sind bei der vorzunehmenden Abwägung die Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG zu berücksichtigen. Geeignet im Sinne der Bestimmung ist nur, wer dem angestrebten Amt in körperlicher, psychischer und charakterlicher Hinsicht gewachsen ist. Zur Eignung gehören die Fähigkeit und innere Bereitschaft, die dienstlichen Aufgaben nach den Grundsätzen der Verfassung wahrzunehmen, insbesondere die Freiheitsrechte der Bürger zu wahren und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten15.
In Anbetracht dessen erscheint es erwägenswert, den öffentlichen Arbeitgeber als berechtigt anzusehen, Bewerber für eine Tätigkeit im Justizvollzugsdienst ohne gegenständliche Einschränkung nach Vorstrafen zu fragen. Strafrechtliche Verurteilungen sind unabhängig von dem ihnen zugrunde liegenden Delikt geeignet, Zweifel an der Rechtstreue und damit der Eignung des Bewerbers zu begründen. Das gilt allerdings nur für Verurteilungen, die nicht bereits der Tilgung unterliegen. Ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse des beklagten Landes; vom Stellenbewerber auch Auskunft über getilgte und zu tilgende Vorstrafen zu erlangen, ist nicht zu erkennen.
Hinsichtlich getilgter oder tilgungsreifer Verurteilungen steht dem Betroffenen nicht nur das „Verschweigerecht“ aus § 53 Abs. 1 Nr. 2 BZRG zu. Er kann sich außerdem auf § 51 Abs. 1 BZRG berufen. Danach darf dem Betroffenen die Tat und die Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn die Eintragung über die Verurteilung im Strafregister getilgt worden oder zu tilgen ist. Auf diese Weise soll der Verurteilte vom Strafmakel befreit und seine Resozialisierung gefördert oder manifestiert werden16. Das Verbot erfasst alle Bereiche des Rechtslebens17. Es ist auch im privatrechtlichen Bereich zu achten.
Zwar sieht das Gesetz in § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG eine Ausnahme vom Vorhalte- und Verwertungsverbot vor, wenn die Einstellung des Betroffenen in den öffentlichen Dienst sonst zu einer erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit führen würde. Das erweitert aber nicht dessen Auskunftspflicht. Dem öffentlichen Arbeitgeber wird vielmehr nur die Möglichkeit eingeräumt, die Verurteilung in Fällen zu berücksichtigen, in denen ihm getilgte oder tilgungsreife Verurteilungen auf andere Weise als durch eine Registerauskunft bekannt geworden sind, und auch dies nur wenn schwerwiegende Gründe vorliegen. Die Begrenzung der Offenbarungspflichten des Betroffenen durch das „Verschweigerecht“ gemäß § 53 BZRG wird hierdurch nicht berührt18.
Eine Verpflichtung, Angaben zu getilgten Strafen zu machen, ergibt sich nicht aus dem Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Landes Nordrhein-Westfalen19. Im Rahmen einer einfachen Sicherheitsüberprüfung gemäß § 9 SÜG NRW, wie sie beim Stellenbewerber offenbar durchgeführt wurde, hat der Beschäftigte lediglich anhängige Straf- und Disziplinarverfahren anzugeben (§ 14 Abs. 1 Nr. 16 SÜG NRW). Das sieht das beklagte Land offenbar selbst nicht anders. Es beruft sich für das reklamierte – weitergehende – Auskunftsrecht nicht auf die fragliche Vorschrift.
Es spricht einiges dafür, angesichts der in §§ 51 bis 53 BZRG getroffenen Wertentscheidungen des Gesetzgebers ein berechtigtes und schutzwürdiges Interesse auch des öffentlichen Arbeitgebers, beim Stellenbewerber Informationen über getilgte oder tilgungsreife Vorstrafen einzuholen, generell zu verneinen20. Selbst unterstellt, in den Fällen des § 51 Abs. 1 Nr. 4 BZRG käme ein Fragerecht in Betracht, ist zu berücksichtigen, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit nicht allein auf das Vorliegen einer Verurteilung als solche gestützt werden kann21. Daraus folgt zumindest das Erfordernis, eine Frage oder erbetene Erklärung sachlich auf Taten oder Deliktsbereiche zu begrenzen, die potentiell geeignet erscheinen, eine Ausnahme vom Verbot des § 51 Abs. 1 BZRG zu rechtfertigen. Dem genügt das Ersuchen des beklagten Landes nicht. Es hat seine Frage gegenständlich nicht eingeschränkt. Im Übrigen erscheint es ausgeschlossen, aus einer gegen den Stellenbewerber verhängten Jugendstrafe auf eine Gefährdung der Allgemeinheit iSv. § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG zu schließen.
Eine Verpflichtung des Stellenbewerbers, die Verurteilung von sich aus zu offenbaren, bestand nicht. Das folgt aus seinem Verschweigerecht und dem zu seinen Gunsten bestehenden Verbot des § 51 Abs. 1 BZRG.
Der Stellenbewerber hat das beklagte Land nicht dadurch iSv. § 123 Abs. 1 BGB arglistig getäuscht, dass er die gegen ihn geführten, im Zeitpunkt der Bewerbung bereits eingestellten Ermittlungsverfahren verschwieg.
Soweit dem Arbeitgeber – je nach den Umständen – das Recht zugebilligt wird, Stellenbewerber nach laufenden Ermittlungsverfahren zu fragen, beruht dies auf der Erwägung, dass die Verfahren Zweifel an der Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers für den konkreten Arbeitsplatz und die Besorgnis begründen können, er werde die in Aussicht genommene Stelle womöglich nicht antreten können, zumindest in seiner Verfügbarkeit eingeschränkt sein22.
Dagegen hat auch der öffentliche Arbeitgeber grundsätzlich kein berechtigtes Interesse, den Bewerber unspezifiziert nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu fragen23. Dies folgt aus der in § 53 BZRG iVm. § 41 Abs. 1 BZRG getroffenen Wertentscheidung des Gesetzgebers. Dass die Bestimmungen auf Ermittlungsverfahren nicht unmittelbar anwendbar sind, steht dieser Bewertung nicht entgegen.
Eingestellte Ermittlungsverfahren sind nicht in das Zentralregister einzutragen. Sie zählen demnach nicht zu den Verfahren, über die Gerichte und Behörden nach § 41 Abs. 1 BZRG uneingeschränkt Auskunft verlangen können. Ohne Schuldnachweis ist es nicht vertretbar, den Betroffenen mit den möglichen nachteiligen Folgen einer Eintragung zu belasten24. Besteht ein Verschweigerecht bereits in den von § 53 BZRG ausdrücklich geregelten Fällen, gilt dies umso mehr, wenn nach Vorgängen gefragt wird, die von vornherein nicht in ein Führungszeugnis aufzunehmen sind und über die auch den in § 53 Abs. 2, § 41 Abs. 1 BZRG genannten Stellen keine Auskunft erteilt wird25.
Dabei ist unerheblich, welcher Sachverhalt den Ermittlungen zugrunde lag. Endet ein Strafverfahren durch Einstellung nach §§ 153 ff. StPO, steht der Betroffene weiter unter dem Schutz der Unschuldsvermutung26. Diese gilt zwar auch während noch laufender Ermittlungsverfahren. Doch steht für deren Dauer nicht fest, ob dem Arbeitnehmer das Verschweigerecht aus § 53 BZRG auch künftig noch zukommt27.
Dem Recht, über eingestellte Ermittlungsverfahren zu schweigen, steht nicht entgegen, dass bei Einstellungen nach §§ 153 ff. StPO der Straftatverdacht nicht zwingend ausgeräumt sein muss und deshalb Nachteile durch ein solches Verfahren nicht schlechthin zu unterbleiben haben. Bei Einstellungen nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO tritt ein Strafklageverbrauch sogar überhaupt nicht ein – das Verfahren kann jederzeit auch bei gleicher Sach- und Rechtslage wieder aufgenommen werden28. Dennoch überwiegt auch in diesem Fall das Recht des Betroffenen, sich nicht offenbaren zu müssen, das Informationsinteresse des Arbeitgebers. Es kommt hinzu, dass Ermittlungsverfahren, die mangels hinreichenden Anlasses zur Erhebung der öffentlichen Klage eingestellt wurden, typischerweise keine geeignete Grundlage für eine Beurteilung der Eignung des Bewerbers bieten. Entsprechendes gilt, wenn die Verfahren auf den Privatklageweg verwiesen wurden. Der Arbeitgeber hat kein schützenswertes Interesse, den Bewerber nach Ermittlungsverfahren zu befragen, in deren Verlauf die Ermittlungsbehörden einen hinreichenden Tatverdacht oder angesichts geringer Schuld ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung nicht erkannt haben. Für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten gilt, wie die Wertungen in § 9 SÜG NRW zeigen, nichts anderes.
keine Irrtumsanfechtung[↑]
Das beklagte Land war zur Anfechtung des Arbeitsvertrags nicht wegen des Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Stellenbewerbers nach § 119 Abs. 2 Alt. 1 BGB berechtigt. Zwar kann eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung die Anfechtung wegen Irrtums in sich schließen. Dem Anfechtenden ist es dann grundsätzlich nicht verwehrt, sich nachträglich auf diesen Grund zu berufen29. Voraussetzung ist aber, dass auch die Frist des § 121 Abs. 1 BGB gewahrt ist. Die Anfechtung muss in den Fällen des § 119 BGB ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, sobald der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Das ist hier nicht geschehen. Das beklagte Land hat das Arbeitsverhältnis der Parteien am 17.12 2010 wegen des Verschweigens einer Vorstrafe und mehrerer Ermittlungsverfahren ordentlich gekündigt. Die auf die nämlichen Gründe gestützte Anfechtung des Arbeitsvertrags hat es erst einen Monat später erklärt. Dies war – auch mit Blick auf eine ihm einzuräumende Überlegungsfrist – nicht mehr unverzüglich, ohne dass geklärt werden müsste, zu welchem genauen, allemal aber vor der Kündigung liegenden Zeitpunkt ihm die maßgebenden Tatsachen bekannt geworden waren. Darauf, ob die behauptete Unzuverlässigkeit des Stellenbewerbers und eine ihm zugeschriebene „Gewalttätigkeit“ verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person sein können, kommt es nicht an.
Keine ordentliche Kündigung[↑]
Die Kündigung vom 17.12 2010 ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG und deshalb unwirksam.
Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Dieses bestand bei Zugang der Kündigung schon länger als sechs Monate iSv. § 1 Abs. 1 KSchG; der betriebliche Geltungsbereich des Gesetzes nach § 23 Abs. 1 KSchG ist eröffnet.
Die Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten des Stellenbewerbers bedingt. Dieser hat seine vorvertraglichen Aufklärungspflichten nicht verletzt.
Die Kündigung ist ebenso wenig durch Gründe in der Person des Stellenbewerbers bedingt.
Hat sich der Arbeitnehmer außerdienstlich strafbar gemacht, kann dies Zweifel an seiner Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit begründen. Das außerdienstliche Verhalten kann – abhängig von seiner Funktion – dazu führen, dass dem Arbeitnehmer künftig die Eignung für die Erledigung seiner Aufgaben fehlt. Ob daraus ein in der Person liegender Kündigungsgrund folgt, hängt von der Art des Delikts und der konkreten Aufgabenstellung des Arbeitnehmers ab. So können außerdienstlich begangene Straftaten eines mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Arbeitnehmers auch dann zu einem Eignungsmangel führen, wenn es an einem unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis fehlt30. Das gilt grundsätzlich auch für ein Verhalten vor Begründung des Arbeitsverhältnisses, wenn es die Eignung des Arbeitnehmers tatsächlich (noch) berührt.
Das beklagte Land hat sich für einen Eignungsmangel des Stellenbewerbers nicht auf die gegen ihn verhängte Jugendstrafe berufen. Sie wäre in der Tat ungeeignet, einen solchen Mangel zu begründen.
Das beklagte Land stützt die Kündigung auf den Gegenstand der gegen den Stellenbewerber geführten Ermittlungsverfahren. Sein Vorbringen rechtfertigt die Kündigung nicht. Das gilt auch angesichts seiner Behauptung, der Stellenbewerber habe sich in einem Fall selbst angezeigt und dabei angegeben, er habe seine Ehefrau wiederholt körperlich verletzt und sie in der gemeinsamen Wohnung eingesperrt.
Das beklagte Land durfte diese Erkenntnisse zwar verwerten. Sein Vortrag ist aber nicht hinreichend substantiiert. Um darzulegen, der Stellenbewerber sei wegen dieses Verhaltens für eine Tätigkeit im Strafvollzugsdienst ungeeignet, reicht es nicht aus, auf einzelne nicht weiter aufgeklärte Umstände zu verweisen und das Verhalten pauschal, ohne konkrete Angaben zur Tatzeit und zum Tathergang zu umschreiben.
Das beklagte Land hat zudem den fraglichen Sachverhalt dem Personalrat nicht unterbreitet. Es hat diesem im Rahmen der schriftlichen Unterrichtung nach § 74 Abs. 1 PersVG NRW lediglich mitgeteilt, der Stellenbewerber habe im Verlauf des Bewerbungsverfahrens falsche Angaben gemacht; der Verstoß gegen die Wahrheitspflicht stelle einen schweren Vertrauensbruch dar und sei als arglistige Täuschung zu werten. Zum Gegenstand der Ermittlungsverfahren hat es – so sein Vorbringen – „in Ergänzung“ des Unterrichtungsschreibens „dem Personalrat weitere Einzelheiten (…) mitgeteilt“. Um welche „Einzelheiten“ es sich dabei handelte, hat es nicht vorgetragen. Dies bedeutet zwar nicht notwendig, dass die Beteiligung des Personalrats fehlerhaft war. Die Mängel in der Unterrichtung verwehren es dem beklagten Land jedoch, sich auf das den Ermittlungsverfahren zugrunde liegende Verhalten des Stellenbewerbers eigenständig zu berufen31.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 24; 7.07.2011 – 2 AZR 396/10, Rn. 16[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 24; 27.07.2005 – 7 AZR 508/04, zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 296; 20.05.1999 – 2 AZR 320/98, zu B I 1 b cc der Gründe, BAGE 91, 349[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11 – aaO; 21.02.1991 – 2 AZR 449/90, zu II 1 b der Gründe; zur Frage nach eingestellten Ermittlungsverfahren vgl. BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 14 ff., BAGE 143, 343[↩]
- für Erklärungen zur „Verfassungstreue“ eines Bewerbers vgl. BAG 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, Rn. 45[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 25; 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, Rn. 41; jeweils mwN[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 26; 12.05.2011 – 2 AZR 479/09, Rn. 43; jeweils mwN[↩]
- vgl. Hase BZRG § 41 Rn. 1[↩]
- vgl. Riesenhuber NZA 2012, 771, 772 f.[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 16, BAGE 143, 343[↩]
- zu Letzterem vgl. Calliess/Müller-Dietz StVollzG 11. Aufl. § 179 Rn. 2[↩]
- BAG 20.06.2013 – 2 AZR 546/12, Rn. 24; 15.11.2012 – 6 AZR 339/11 – aaO[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 22, BAGE 143, 343[↩]
- vgl. BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 28, aaO[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 28[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 22, BAGE 143, 343; 27.07.2005 – 7 AZR 508/04, zu I 1 b bb (1) der Gründe, BAGE 115, 296[↩]
- Kuhn JA 2011, 855, 856[↩]
- Hase BZRG § 51 Rn. 2[↩]
- BeckOK StPO/Bücherl BZRG § 52 Rn. 7; Hase BZRG § 52 Rn. 2[↩]
- SÜG NRW[↩]
- zur Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, ein Strafurteil aus den Personalakten zu entfernen, soweit die Verurteilung im BZRG gelöscht ist vgl. BAG 9.02.1977 – 5 AZR 2/76[↩]
- BeckOK StPO/Bücherl BZRG § 52 Rn. 7; Hase BZRG § 52 Rn. 5[↩]
- vgl. BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 28; 20.05.1999 – 2 AZR 320/98, zu B I 1 b cc der Gründe, BAGE 91, 349; ErfK/Preis 14. Aufl. § 611 Rn. 281; Joussen NZA 2012, 776, 777; Linnenkohl AuR 1983, 129[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 17 ff., BAGE 143, 343[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 25 mwN, BAGE 143, 343[↩]
- BAG 15.11.2012 – 6 AZR 339/11 – aaO; Schaub/Linck 15. Aufl. § 26 Rn. 35[↩]
- für eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO vgl. BVerfG 19.12 1983 – 2 BvR 1731/82, zu II 3 b (2) der Gründe; Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 170 Rn. 18[↩]
- BAG 15.12 2012 – 6 AZR 339/11, Rn. 26, BAGE 143, 343; 27.07.2005 – 7 AZR 508/04, zu I 1 b bb (2) der Gründe, BAGE 115, 296[↩]
- BAG 29.09.2011 – 2 AZR 674/10, Rn. 35; 5.04.2001 – 2 AZR 217/00, zu II 2 c der Gründe; Moldenhauer in Karlsruher Kommentar zur StPO 7. Aufl. § 170 Rn. 23 mwN[↩]
- BAG 6.09.2012 – 2 AZR 270/11, Rn. 38 mwN[↩]
- BAG 20.06.2013 – 2 AZR 583/12, Rn. 14; 10.09.2009 – 2 AZR 257/08, Rn. 24, BAGE 132, 72[↩]
- vgl. dazu BAG 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 41 mwN[↩]