Die Zahlungsklage des Paketzustellers – und der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten

Grundsätzlich übt ein Frachtführer im Sinne der §§ 407 ff HGB ein selbstständiges Gewerbe aus. Jedoch ist ein solches Rechtsverhältnis dann als Arbeitsverhältnis anzusehen, wenn die Tätigkeit des Transporteurs durch den Auftraggeber stärker eingeschränkt wird, als es auf Grund der gesetzlichen Regelungen geboten ist.

Die Zahlungsklage des Paketzustellers – und der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Als Arbeitnehmer im Sinne der genannten Norm ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Abs. 2 HGB insbesondere derjenige anzusehen, der auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist und seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen kann1.

Allerdings ist in diesem Zusammenhang ebenfalls anerkannt, dass die Weisungsgebundenheit sowie das Merkmal der fremdbestimmten Arbeitszeitgestaltung keine Ausschließlichkeitskriterien darstellen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt immer auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Merkmale lassen sich nicht aufstellen. Letztendlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt2.

Diese Grundsätze sind auch im Bereich Transport und Verkehr anzuwenden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Frachtführer als selbstständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet hat, obwohl der Frachtführer schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliegt (§ 418 HGB). Der Frachtführer ist regelmäßig auch dann selbstständiger Gewerbetreibender, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Aufraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht und das Fahrzeug – wie in der Branche üblich – die Farben und das Firmenzeichen eines anderen Unternehmers aufweist.

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Insoweit ist die gesetzgeberische Wertung, wonach Frachtführer Gewerbetreibende und damit Selbstständige sind (§ 407 HGB) zu Grunde zu legen. Ein Arbeitsverhältnis kann aber dann zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert werden, die zur Folge haben, dass der betreffende Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weit weniger frei ist, als ein Frachtführer im Sinne des HGB, er also nicht mehr im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wirtschaftliche Zwänge allein können die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche Gestaltungsspielräume den Beschäftigen in dem System noch verbleiben und ob seine persönliche Abhängigkeit das für Arbeitsverhältnisse typische Maß erreicht3.

Gemessen an den benannten Voraussetzungen ist der Paketzusteller vorliegend Arbeitnehmer der Arbeitgeberin (hier: DHL).

Zwar wird gemäß § 407 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 HGB auch der gewerbsmäßig tätige Frachtführer durch den Frachtvertrag gegenüber dem Absender verpflichtet, das Gut zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern. Danach setzt der Frachtvertrag ein Gewerbe und damit auch eine selbstständige Tätigkeit des Frachtführers nach dem Willen des Gesetzgebers voraus. Der selbstständige Frachtführer ist – im Vergleich zu anderen selbstständigen Unternehmen – nach seinem Berufsbild zudem in hohem Maße weisungsabhängig. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeit. Die Beförderung von Gütern ist zumeist abhängig von einzuhaltenden Lieferterminen. Insoweit kann der Frachtführer nicht frei festlegen, wann er das Gut zum Empfänger befördert. Er ist allenfalls darin frei, den angebotenen Beförderungsauftrag anzunehmen oder nicht anzunehmen, um gegebenenfalls einen lukrativeren Fuhrauftrag zu realisieren4.

Jedoch ergibt sich vorliegend aus der gebotenen Gesamtschau der tatsächlichen Handhabung bzw. der tatsächlichen Vertragsgestaltung, dass der Umfang sowie die Art und Weise der Vertragsdurchführung den Paketzusteller in einem noch stärkeren Maß an die Arbeitgeberin gebunden hat, als dies ohnehin für einen Frachtführervertrag nach den §§ 407 ff HGB üblich und notwendig ist. Dabei ist zunächst der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit beizutreten, als eine isolierte Betrachtung der in diesen Fällen in der Rechtsprechung üblicherweise herangezogenen einzelnen Kriterien für sich genommen keine eindeutigen Rückschlüsse auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zulassen. Denn sowohl eine umfassende zeitliche Gebundenheit bei der Auftragsverrichtung, als auch die Eigenschaft als sogenannter „Selbstfahrer“ und die Verpflichtung, das eigene Fahrzeug mit den Farben und dem Firmenzeichen des Auftraggebers (hier DHL) auszustatten und von diesem gestellte technische Arbeitsmittel zu nutzen, verhalten sich jeweils für sich betrachtet im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung eines Frachtführervertrages nach den §§ 407 ff HGB. Dies gilt grundsätzliche ebenfalls für die Umstände einer unbefristeten vertraglichen Tätigkeit für nur einen Unternehmer sowie die tägliche Weisungsmöglichkeit zur Erledigung bestimmter Aufgaben wie z. B. hier die Abholung bestimmter Post- und Paketsendungen durch den Auftraggeber (hier DHL) an den (Unter)Frachtführer (hier Paketzusteller).

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Bei der gebotenen Durchführung der Gesamtbetrachtung der Einzelfallumstände ergibt sich jedoch eine deutlich stärkere Einbindung des Paketzustellers in die betriebliche Organisation und in die betrieblichen Abläufe der Arbeitgeberin, als dies für die Durchführung eines Frachtführervertrages nach den gesetzlichen Vorgaben notwendig und erforderlich gewesen wäre. Diesbezüglich ist vorab zu bedenken, dass die Arbeitgeberin vertraglich von der DHL die Aufgabe der Zustellung bzw. Abholung termingebundener Sendungen für von der DHL vorgegebene „Zustellbezirke“ übernommen hat und nach dem Vortrag der Parteien in diesem Zusammenhang von dem von ihr insoweit zur eigenen Vertragserfüllung eingesetzten Personen vertraglich die Nutzung der von der DHL gestellten Betriebsablaufstrukturen (Art und Weise der Warenannahme, technische Ausrüstung der Fahrzeuge, zeitliche Staffelung der Zustellreihenfolge etc.) erwartet. Die Arbeitgeberin hat sich mithin im Rahmen der vertraglichen Verpflichtung gegenüber der DHL die dortigen Vorgaben zu den Tätigkeitsabläufen im Verhältnis der vertraglichen Ausgestaltung zu diesbezüglich selbst eingesetzten Personen zu Eigen gemacht.

Davon ausgehend erbringt der Paketzusteller die vertraglich gegenüber der Arbeitgeberin geschuldeten Tätigkeiten unter Berücksichtigung des hier gegebenen Sach- und Streitstandes im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses.

Der Paketzusteller war auf der Grundlage der vertraglichen Verpflichtungen der Arbeitgeberin gegenüber der DHL gehalten, die anfallenden Zustellungen bzw. Abholungen von überwiegend Post- und Paketsendungen in einem von der Arbeitgeberin zugewiesenen Zustellbezirk zu realisieren. Dazu war es tatsächlich notwendig, sich um 05:00 Uhr morgens im Zentraldepot der DHL in B-Stadt einzufinden, um die ersten zuzustellenden Gegenstände entgegenzunehmen und sodann in einem engen zeitlichen Rahmen die Zustellungen vorzunehmen, zur Aufnahme neuer Waren zurückzukehren und diese dann wiederum zuzustellen u. s. w., und zwar nach den Prioritätenvorgaben der DHL (1. Fahrzeug ist einsatzfähig und sauber; 2. Fahrerausstattung ist vollständig; 3. Scanner + Handy sind funktionsfähig und aufgeladen; Zeitoptionen/AA – vor 08:00 Uhr/A – vor 09:00 Uhr/B – vor 10:00 Uhr/C – vor 12:00 Uhr/D – über Nacht/F – 17:00 Uhr bis 22:00 Uhr/ZP – Zeitpunktzustellung/E – 12:00 Uhr bis 17:00 Uhr – nur als ZZ möglich). Zudem muss sich die Arbeitgeberin im Rahmen ihrer Verpflichtungen gegenüber der DHL die in den sogenannten „Handouts“ der DHL enthaltenen Tätigkeitshinweise an die Fahrer – und so auch an den Paketzusteller – zurechnen lassen. Diese sogenannten „Handouts“ enthalten hinsichtlich der jeweiligen Tätigkeitsschritte zum Teil sehr exakte Hinweise. Das „Handout – Sendungsübergabe“ beinhaltet, wie die Zustellung in unterschiedlichen Konstellationen zu erfolgen und welche Meldungen der Fahrer in die EDV einzustellen hat, wobei es für die jeweiligen Zustellarten jeweils spezielle Regelungen gibt. In dem „Handout – Zustellhindernisse“ wird den Fahrern aufgegeben, wie im Falle von Zustellhindernissen zu verfahren ist und welche Meldungen in die EDV einzustellen sind. In dem „Handout – Packstation“ wird den Fahrern vorgegeben, wie zu verfahren ist, wenn Sendungen in die Packstation bei der DHL zu legen sind. In Problemfällen ist die bei der DHL eingerichtete Hotline anzurufen, um sich von dort das weitere Vorgehen erläutern zu lassen. Nach dem „Handout – Abholung“ werden den Fahrern die Abholungen per elektronischer Mitteilung übersandt. Vorgegeben wird die Abholzeit, die ein Zeitfenster von 90 bzw. 120 Minuten hat. Die Fahrer haben diesbezüglich feste Vorgaben, wie die Abholsendungen erfasst werden und gegebenenfalls abzurechnen sind. In dem „Handout – Qualität und Kundenorientierung“ werden die Fahrer auf Verhaltensmöglichkeiten im Umgang mit den Kunden der DHL hingewiesen. Dazu gehört beispielsweise die Anweisung, dass das Fahrzeug stets abzuschließen ist oder die Verpflichtung, den Ausweis stets sichtbar zu tragen. Auch besteht insoweit ein Rauchverbot. Im Einzelnen heißt es in der „Information für Fahrer/Handout – Qualität und Kundenorientierung“ wie folgt:

„BEI JEDER FAHRT DABEI:
DIE 10 GOLDENEN REGELN.

Sie sind das Aushängeschild von DHL Express in Deutschland. Daher empfehlen wir Ihnen die folgenden 10 Goldenen Regeln, die für die Zufriedenheit der Kunden, ihr Tagesgeschäft, Ihre Sicherheit und einen reibungslosen Betriebsablauf wichtig sind.

  1. Begegnen Sie den Kunden mit Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt.
  2. Helfen Sie Kunden und Kollegen, immer dann wenn es nötig ist.
  3. Bleiben Sie auch bei wütenden Kunden ruhig. Lassen sie sich nie provozieren.
  4. Verzichten Sie darauf vor Kunden und in deren Räumen zu rauchen.
  5. Tragen Sie die Fahrerkleidung und achten Sie auf ein gepflegtes Erscheinungsbild.
  6. Beladen Sie Ihr Fahrzeug sicher, so dass während der Fahrt und beim Ausladen keine Sendung beschädigt wird.
  7. Schließen Sie Ihr Fahrzeug immer ab, wenn Sie es verlassen.
  8. Beachten Sie alle Verkehrsregeln und verhalten Sie sich im Straßenverkehr angemessen.
  9. Tragen Sie Ihren Legitimationsausweis immer sichtbar.
  10. Gehen Sie mit der Ihnen anvertrauten Ausstattung wie dem Scanner vorsichtig um.“

Bereits die vorstehenden Umstände ergeben nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern eine deutlich höhere Einschränkung des Paketzustellers, als dies bei Frachtführern nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 407 ff HGB der Fall ist.

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Zusätzlich wird dieses Ergebnis noch dadurch verstärkt, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien auch die als selbstständig geführten Fahrer der Arbeitgeberin – und so auch der Paketzusteller – im Falle der krankheitsbedingten und freizeitbedingten Abwesenheit verpflichtet sind, ihre Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, damit diese von anderen Fahrern genutzt werden können, um die vertraglichen Verpflichtungen der Arbeitgeberin gegenüber der DHL zu erfüllen. Auch dieser Umstand geht deutlich über die gesetzlich vorgegebene Einschränkung eines Frachtführers nach §§ 407 ff HGB hinaus.

Soweit die Arbeitgeberin dem entgegenhält, der Paketzusteller habe – unstreitig – ein Gewerbe angemeldet, berechne ihr gegenüber die Umsatzsteuer und könne selbst entscheiden, ob er die Frachtbeförderung annehmen wolle oder nicht, so rechtfertigen diese Überlegungen ein anderes Ergebnis nicht. Nach den geschilderten Gepflogenheiten der konkreten Vertragsdurchführung war der Paketzusteller in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht so stark in die sich aus der vertraglichen Verpflichtung der Arbeitgeberin gegenüber der DHL ergebenden Arbeitsabläufe eingebunden, wie dies für ein Arbeitsverhältnis typisch ist.

Auch der Vortrag der Arbeitgeberin, dem Paketzusteller habe es frei gestanden, eigene Mitarbeiter einzusetzen, überzeugt das Gericht nicht.

Ob ein Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist oder nicht, hängt eben maßgeblich auch davon ab, inwieweit der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat. Dabei ist die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis. Ist der zur Leistung verpflichtete dagegen berechtigt, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, so steht ihm ein eigener Gestaltungsspielraum zu, der gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, wegen der Berechtigung des Vertragspartners, die vertraglich geschuldete Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, von vornherein ein Arbeitsverhältnis auszuschließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die persönliche Leistungserbringung die Regel ist und – wie hier – eine (theoretische) Leistungserbringung durch Dritte tatsächlich während der Vertragslaufzeit zu keinen Zeitpunkt erfolgt ist5. In diesem Fall stellt die Möglichkeit, Dritte zur Leistungserbringung einsetzen zu dürfen, lediglich eines von mehreren im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigendes Anzeichen dar.

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Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Beschluss vom 13. Juli 2015 – 3 Ta 6/15

  1. BAG vom 20.01.2010 – 5 AZR 99/09[]
  2. BAG vom 20.01.2010, a. a. O.[]
  3. BAG vom 13.03.2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, Seite 878[]
  4. LAG Rheinland-Pfalz vom 05.03.2010 – 10 Ta 10/10 16, 17[]
  5. vgl. insoweit auch BAG vom 19.11.1997 – 5 AZR 653/96 125[]