Die zu niedrig berechneten Lohnabzüge

Eine ungerechtfertigte Bereicherung des Arbeitnehmers setzt voraus, dass die Arbeitgeberin mehr Entgelt gezahlt hat, als sie angesichts des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer schuldet. Der Lohnanspruch des Arbeitnehmers bezieht sich im Regelfall auf einen Bruttobetrag, den zu zahlen der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag verspricht.

Die zu niedrig berechneten Lohnabzüge

Die Schuld des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer besteht in der Begleichung des kompletten Bruttolohns1.

Bezogen auf diese Entgeltschuld kann bei einer fehlerhaften Berechnung des Arbeitnehmeranteils am Sozialversicherungsbeitrag eine Über-zahlung nicht festgestellt werden. Allenfalls hat die Arbeitgeberin das der Arbeitnehmerin zuste-hende Bruttoentgelt falsch aufgeteilt, soweit sie – letztlich im Auftrag der Arbeitnehmerin – Teile des klägerischen Entgelts an das Finanzamt und an die Krankenkasse als Ein-zugsstelle des dem klägerischen Entgelt zuordenbaren Anteils am Gesamtsozialver-sicherungsbeitrag abgeführt hat.

Rein gedanklich könnte man zwar annehmen, der Arbeitnehmer sei ungerechtfertigt bereichert, wenn der an ihn ausgezahlte Nettobetrag wegen einer zu geringen Abfüh-rung an die Sozialversicherung zu hoch ausgefallen ist. Einer Rückforderung dieser scheinbaren Überzahlung nach § 812 BGB steht aber § 28g SGB IV entgegen. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber zwar einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf Tragung des von ihm zu zahlenden Anteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28g Satz 1 SGB IV). Er kann diesen Anspruch laut ausdrücklicher gesetzlicher Regelung aber nur im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt geltend machen (§ 28g Satz 2 SGB IV) und zwar zeitlich begrenzt nur rückwirkend für maximal drei Zahlungs-perioden (§ 28g Satz 3 SGB IV). Damit scheidet eine Rückforderung ausgezahlten Nettoentgelts mit Rücksicht auf eine ungenügende Abführung von Sozialversiche-rungsbeiträgen auf Basis von § 812 BGB schon vom Ansatz her aus.

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Die Beschränkung des Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers auf das Lohnabzugs-verfahren und die Begrenzung der Nachholmöglichkeiten haben nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den Zweck, den Arbeitnehmer vor einer Aufhäufung der von ihm zu erstattenden Beitragsanteile und vor einer künftigen Erstattungsklage zu bewahren. Die im Interesse des Arbeitnehmers geschaffene Sozialversicherung soll nicht mit der sozial unerwünschten und den Gesetzeszweck beeinträchtigenden Begleiterscheinung der drückenden Beitragslast und der Beitrags-verschuldung des Arbeitnehmers sowie der daraus sich ergebenden Klage, Voll-streckungs- und sonstigen Druckmöglichkeiten des Arbeitgebers verbunden sein2.

Die im Rahmen von § 28g SGB IV vorgesehen Ausnahmen von diesem Grundsatz sind vorliegend nicht erfüllt.

Etwas anders kann nach § 28g Satz 3 SGB IV gelten, wenn der Abzug im gesetzlich gebotenen Umfang ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, sich kundig zu machen, in welchem Umfang das Entgelt seiner Arbeitnehmer dem sozialversiche-rungsrechtlichen Abzug unterliegt. Daher deutet jede fehlerhafte Abführung auf ein Verschulden des Arbeitgebers hin.

Vorliegend sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die die Arbeitgeberin entlasten könnten. Der Hinweis auf die jahrelange falsche Behandlung durch die Steuerberaterin ist wenig hilfreich, denn deren Versagen müsste sich die Arbeitgeberin im Zweifel zurechnen lassen. Im Übrigen ist nicht mitgeteilt worden, über welche Detailkenntnisse von der tatsäch-lichen Durchführung der beiden Arbeitsverhältnisse die Steuerberaterin bei ihrer Bewertung der Verträge verfügt hat.

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Eine weitere Ausnahme macht das Gesetz für den Fall, dass der Beschäftigte seinen Pflichten nach § 28o Absatz 1 SGB IV vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nach-kommt. Nach dieser Vorschrift hat der Beschäftigte – hier die Arbeitnehmerin – dem Arbeit-geber die zur Durchführung des Meldeverfahrens und der Beitragszahlung erforder-lichen Angaben zu machen und, soweit erforderlich, Unterlagen vorzulegen; dies gilt bei mehreren Beschäftigungen sowie bei Bezug weiterer in der gesetzlichen Kranken-versicherung beitragspflichtiger Einnahmen gegenüber allen beteiligten Arbeitgebern.

Verstöße der Arbeitnehmerin hiergegen sind im hier entschiedenen Fall nicht feststellbar. Da beide Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerin zur Arbeitgeberin bestanden, war diese zu jedem Zeitpunkt über alle Umstände unterrichtet, die sie zum korrekten Abzug der Sozialversicherungsbeiträge benötigt.

Landesarbeitsgericht Mecklenburg -Vorpommern, Urteil vom 21. Juli 2015 – 2 Sa 140/14

  1. BAG 30.04.2008 – 5 AZR 725/07 – BAGE 126, 325 = AP Nr. 4 zu § 28g SGB IV = DB 2008, 2600 unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Großer Verwaltungsgerichtshofs des BAG vom 07.03.2001 – GS 1/00 – BAGE 97, 150 = AP Nr. 4 zu § 288 BGB = DB 2001, 2196[]
  2. so ausdrücklich BAG 15.12 1993 – 5 AZR 326/93 – BAGE 75, 225 = AP Nr. 9 zu §§ 394, 395 RVO = DB 1994, 889[]