Die weisungswidrige Aneignung auch einer wirtschaftlich geringwertigen Sache im Betrieb durch einen Arbeitnehmer ist – je nach Lage des Einzelfalls – grundsätzlich geeignet, einen Kündigungsgrund „an sich“ für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.

Gerade bei der weisungswidrigen Aneignung wirtschaftlich geringwertiger oder wertloser Sachen durch einen Arbeitnehmer ist im Rahmen einer abschließenden Interessenabwägung bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers ein überwiegendes Gewicht hat.
Mit dieser Begründung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg – wie zuvor bereits das Arbeitsgericht Mannheim1- die fristlose Kündigung eines Müllmanns für unwirksam erklärt, der ein auf den Sperrmüll ausrangiertes Kinderreisebett mitgenommen hatte.
Gemäß § 626 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen der Parteien die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
Es ist dabei zunächst zu untersuchen, ob durch die Umstände und Verhaltensweisen, auf welche die Kündigung gestützt wird, betriebliche Interessen konkret beeinträchtigt wurden2 und der danach kündigungsrechtlich erhebliche Sachverhalt für sich genommen geeignet ist, einen wichtigen Grund zu bilden3. Bei der in diesem Zusammenhang vorzunehmenden Wertung ist ein objektiver Maßstab anzulegen4. Werden dem Arbeitnehmer Vertragsverletzungen vorgeworfen, dann muss grundsätzlich gegen die Pflichten aus dem Vertrag rechtswidrig und schuldhaft verstoßen worden sein5.
Auch zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung aus wichtigem Grund ist eine negative Zukunftsprognose erforderlich6. Da durch die Kündigung weitere Vertragsverletzungen verhindert werden sollen, sind die Kündigungsgründe zukunftsgerichtet. Auch die verhaltensbedingte Kündigung hat keinen Sanktionscharakter7.
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt eine außerordentliche Kündigung nur dann in Betracht, wenn alle anderen möglichen und milderen Mittel erschöpft sind8. Als milderes Mittel ist bei einer Vertragsverletzung zunächst eine Abmahnung zu erwägen9. Insbesondere bei Störungen im Leistungsbereich ist eine Abmahnung aufgrund ihrer Warnfunktion zur Vorbereitung einer Kündigung erforderlich10.
Wirksam ist die außerordentliche Kündigung ferner nur dann, wenn das Interesse des Kündigenden an der vorzeitigen Beendung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Gekündigten an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegt (Interessenabwägung), wie § 626 Abs. 1 BGB in seinem Wortlaut ausdrücklich hervorhebt11.
Darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, aus denen sich der wichtige Grund im Sinne des § 626 BGB ergibt, ist der Kündigende12. Dies betrifft grundsätzlich auch das Nichtvorliegen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen13.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann erweist sich die umstrittene außerordentliche Kündigung wegen der Mitnahme des Kinderreisebettes vom Sperrmüll als unwirksam.
Dabei kann – wie im Ergebnis auch erstinstanzlich vom Arbeitsgericht Mannheim angenommen – zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass das Herausnehmen des Kinderreisebetts aus dem Müll und das weisungswidrige Behaltenwollen für sich durch den Kläger ohne Erlaubnis durch die Geschäftsführung der Beklagten einen so genannten „Kündigungsgrund an sich“ darstellt. Unabhängig von der Frage der Eigentumsverhältnisse im Einzelnen ist die Aneignung einer Sache, die Objekt der vom Kläger arbeitsvertraglich durchzuführenden Tätigkeiten ist, ohne Erlaubnis des Arbeitgebers grundsätzlich geeignet, eine auch außerordentliche Kündigung zu begründen. Dabei kann – ebenfalls zu Gunsten der Beklagten – unterstellt werden, dass das Verbot der Mitnahme zur Entsorgung vorgesehener Gegenstände ohne Erlaubnis der Geschäftsführung aufgrund der Betriebsversammlung vom 14.02.2005 auch dem Kläger bekannt gemacht worden ist. Sein Verhalten verstößt damit gegen die Weisungen der Beklagten, die sie aufgrund ihres Direktionsrechtes (vgl. § 106 Satz 2 GewO) gerade auch auf die Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beziehen durfte. Eine solche Weisung widerspricht auch nicht grundsätzlich billigem Ermessen, da die Beklagte durchaus ein berechtigtes Interesse daran haben kann, dass zu entsorgende Gegenstände auch tatsächlich entsorgt und nicht weiter genutzt werden, sei es – wie von ihr geschildert – im Interesse industrieller Kunden, um zur Entlastung des Marktes eine Überproduktion abzuschöpfen, oder im Interesse der Allgemeinheit, um Gefahren durch gefährliche Gegenstände auszuschließen. Ferner ist die unerlaubte Aneignung einer Sache – wobei ein (Übergangs-) Eigentum der Beklagten an dem Kinderreisebett ebenfalls zu ihren Gunsten unterstellt werden kann – ohne Rücksicht auf deren materiellen Wert grundsätzlich dazu geeignet, eine auch außerordentliche Kündigung „an sich“ zu rechtfertigen.
Die außerordentliche Kündigung erweist sich, so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in seinen Urteilsgründen weiter, aber als unverhältnismäßig im engeren Sinne, wie aus einer abschließenden Interessenabwägung folgt.
Der Vortrag des Klägers, er habe subjektiv angenommen, dass es keine Einwendungen gegen eine Mitnahme des Kinderreisebetts gebe, ist jedenfalls nicht unplausibel. Für ein mangelndes subjektives Unrechtsbewusstsein des Klägers spricht auch der offene Umgang mit der Sache, die entgegen der Ansicht der Beklagten gerade nicht auf Verheimlichung angelegt war. Der Kläger hat das Kinderreisebett nach Entnahme aus dem Müll vor einem anwesenden Arbeitskollegen und vor den ihm bekannten Videokameras – an denen mindestens vier weitere Mitarbeiter das Geschehen verfolgten – aufgebaut und dann abtransportiert, wobei er es in seinem auf den Betriebsgrundstück der Beklagten stehenden Pkw offen auf dem Rücksitz abstellte. Dass der Kläger einen möglichst kurzen Weg zu seinem Pkw wählte, hat nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinen erkennbaren Bezug zu einem auf Heimlichkeit angelegten Verhalten, sondern ist dem praktischen Bedürfnis geschuldet, den nicht ganz handlichen Gegenstand schnell und einfach zu transportieren; anders beispielsweise, als wenn der Kläger statt eines üblichen, beobachteten Weges einen längeren, umständlicheren Weg ohne Beobachtungsmöglichkeit gewählt hätte. Angesichts dieser Umstände spricht die Mitnahme des Kinderreisebetts durch den Kläger, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, eher für eine Gedankenlosigkeit des Klägers oder auch für einen Rechtsirrtum, der durchaus nicht unverschuldet gewesen sein muss. Im Rahmen der Interessenabwägung ist aber zu berücksichtigen, dass keine rechtsfeindliche Gesinnung des Klägers erkennbar ist, mit welcher er Interessen der Beklagten bewusst hätte zuwider handeln wollen.
Das Interesse der Beklagten an einer generellen Durchsetzung ihrer nicht ermessenfehlerhaften Anweisungen in Bezug auf den Umgang mit zu entsorgenden Gegenständen war bei der Abwägung durchaus zu ihren Gunsten zu berücksichtigen. Allerdings war dabei im konkreten Einzelfall auch zu beachten, dass es sich gerade nicht um eine Konstellation wie bei dem zu recycelnden Toilettenpapier handelt, in dem Kundeninteressen beeinträchtigt sein können, da das Kinderreisebett unmittelbar zur Entsorgung anstand. Zu einer Gefährdung der Allgemeinheit durch die Mitnahme des Kinderreisebetts hat die Beklagte nichts vorgetragen. Dies scheint aufgrund der vom Kläger beabsichtigten Eigennutzung für sein neugeborenes Kind auch fernliegend. Insoweit hat der Verstoß des Klägers gegen das generelle Verbot der Mitnahme von zu entsorgenden Gegenständen ohne Erlaubnis der Geschäftsführung durchaus Einfluss auf betriebliche Interessen der Beklagten, weil sie ihre Weisungen – für die es abstrakt gute Gründe geben kann – nicht durch eigenmächtiges Handeln der Arbeitnehmer untergraben sehen will. Im Rahmen des dem Kläger vorgeworfenen Verstoßes betreffend das Kinderreisebett spielen aber die Aspekte des Interesses der Kunden oder der Allgemeinheit keine konkrete Rolle, wozu auch die Beklagte nichts vorgetragen hat.
Das eher junge Lebensalter des Klägers wirkt sich im Rahmen der Interessenabwägung nicht zu seinen Gunsten aus. Ebenso sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg keine Veranlassung, den Unterhaltspflichten des Klägers eine ausschlaggebende Bedeutung einzuräumen. Anders als von der Beklagten angenommen, kann aber nicht zu ihren Gunsten und zu Lasten des Klägers bei der Interessenabwägung angenommen werden, dem pflichtwidrigen Verhalten des Klägers komme deshalb besonderes Gewicht zu, weil er eine „Vertrauensstellung“ bekleide. Solches mag insbesondere bei Arbeitnehmern angenommen werden, die unmittelbar mit der Einnahme, der Abrechnung und dem Verwalten von Geld betraut sind, oder denen der Arbeitgeber in besonderer Weise Zugriff auf bedeutende Werte oder die Einflussnahme auf die Geschicke des Unternehmens eröffnet, oder die ohne weitere Kontrollmöglichkeiten durch den Arbeitgeber verhältnismäßig frei und selbständig ihre Arbeitsleistung ausführen und dabei die Vermögensinteressen des Arbeitgebers zu wahren haben. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger wird von der Beklagten als Hofarbeiter bei der Altpapierentsorgung und mit Hilfsarbeiten unter deren ständiger Beobachtung und Kontrolle beschäftigt. Eine Vertrauensstellung, der bei der Interessenabwägung besonderes Gewicht zukommen könnte, erschien der Kammer vor diesem Hintergrund fernliegend.
Von besonderem Gewicht bei der Interessenabwägung waren für das Landesarbeitsgericht folgende Umstände: Zum einen hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits über 8½ Jahre bestanden, von denen auch nach Angaben der Beklagten über 7 Jahre störungsfrei verlaufen sind. Ferner geht es um die – wenn auch weisungswidrige – Aneignung einer Sache durch den Kläger, die für die Beklagte nicht einmal einen minimalen, sondern überhaupt keinen wirtschaftlichen Wert hatte, die zur unmittelbaren Entsorgung anstand und im Anschluss an den Vorfall auch tatsächlich vernichtet wurde. Dabei sind auch – über die Durchsetzung der von ihr vorgegebenen Betriebsordnung hinaus – keine weiteren nicht-vermögensrechtlichen Interessen der Beklagten im konkreten Fall zu erkennen, die in irgendeiner Form eine Außenwirkung gehabt hätten. Auch eine Unterhöhlung der betrieblichen Disziplin durch die Mitnahme eines bereits im Müll befindlichen Kinderreisebetts, welches schließlich dort auch wieder landete, hat die Beklagte weder vorgetragen, noch wäre diese ersichtlich.
Angesichts dessen sah das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg bei der Interessenabwägung ein überwiegendes Gewicht des Bestandsschutzinteresses des Klägers gegenüber dem Beendigungsinteresse der Beklagten. Zwar sind durch den Vorfall Interessen der Beklagten berührt, doch nur in einem geringen Maße und ohne wirtschaftliche Nachteile14. Demgegenüber ist das Arbeitsverhältnis langjährig ohne Störung verlaufen und auch die jetzige Störung wurzelt nicht in einer Absicht des Klägers, die Beklagte zu schädigen oder ihr Nachteile zuzufügen.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2010 – 13 Sa 59/09
- ArbG Mannheim, Urteil vom 30.07.2009 – 15 Ca 278/08[↩]
- BAG AP Nr. 58 und 87 zu § 626 BGB; APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 26[↩]
- vgl. ErfK-Müller-Glöge, 10. Auflage 2010, § 626 BGB Rn. 15 ff.[↩]
- vgl. KR-Fischermeier, 8. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 109[↩]
- BAG NZA 1992, S. 212[↩]
- BAG AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung, AP Nr. 25, 27, 34 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; ErfK-Müller-Glöge, 10. Auflage 2010, § 626 BGB Rn. 19[↩]
- v. Hoyningen-Huene/Linck, KSchG, 14. Auflage 2007, § 1 Rn. 274[↩]
- BAG, Urteil vom 30.05.1978, AP BGB § 626 Nr. 70[↩]
- APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 84, 88 m.w.N.[↩]
- KR-Fischermeier, 8. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 256 ff.[↩]
- vgl. auch APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 96 ff.[↩]
- BAGE 2, 333; BAG AP BGB § 626 Nr. 97[↩]
- vgl. APS-Dörner, 3. Auflage 2007, § 626 BGB Rn. 175 m.w.N.[↩]
- vgl. zur Interessenabwägung bei der unerlaubten Mitnahme von zu entsorgenden Gegenständen auch BAG vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04 – AP § 626 BGB Nr. 191[↩]