Dienstvereinbarung – und ihr späterer Verstoß gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Verstößt eine Dienstvereinbarung zunächst nicht gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, kann sich dies durch spätere Entwicklungen ändern.

Dienstvereinbarung – und ihr späterer Verstoß gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz

Dienststelle und Personalrat müssen beim Abschluss von Dienstvereinbarungen nach § 61 Abs. 1 Satz 1 HPVG dafür sorgen, dass alle in der Dienststelle tätigen Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden. Das schließt eine Pflicht zur Gleichbehandlung ein; es gilt der personalvertretungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende personalvertretungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen1. Sind in einer Dienstvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten2. Jedenfalls im Bereich der betrieblichen Altersversorgung führt ein Verstoß gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu einem Anspruch auf „Angleichung nach oben“3.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen, die Landeskreditkasse zu Kassel, eine Niederlassung der Landesbank Hessen-Thüringen, betreffenden Fall bedeutet dies: Ausgehend von diesen Grundsätzen steht nicht fest, ob die Herausnahme der vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 am Standort Kassel eingestellten und zur Zusatzversorgungskasse der Gemeinden und Gemeindeverbände des Regierungsbezirks Kassel (im Folgenden: ZVK) angemeldeten Arbeitnehmer aus der Betriebsvereinbarung 1957 in der Fassung der Dienstvereinbarung 1976 nach der Umstellung der ZVK von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktemodell zum 1.01.2001 und der Streichung des § 55 Abs. 5 Satzung ZVK 1967 noch sachlich gerechtfertigt ist oder eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den in diesem Zeitraum eingestellten anderen Arbeitnehmern der Arbeitgeberin vorliegt.

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Die Betriebsparteien konnten die vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 am Standort Kassel eingestellten und zur ZVK angemeldeten Mitarbeiter nach der zum 1.01.1967 erfolgten Umstellung der ZVK auf ein Gesamtversorgungssystem und der damit einhergehenden Einführung des § 55 Abs. 5 Satzung ZVK 1967 wirksam aus dem Anwendungsbereich der BV 1957 idF der DV 1976 herausnehmen. Durch die Bestimmung in § 55 Abs. 5 Satzung ZVK 1967, dass die Versorgungsrente der ZVK insoweit ruht, als der Berechtigte von einem Mitglied der Kasse Versorgungsbezüge aus einem Arbeitsverhältnis erhält, wären die zugesagten Versorgungsleistungen, die über die ZVK erbracht werden sollten, allein zu Lasten der Arbeitgeberin gegangen. Denn sie hätte ihren Mitarbeitern im Versorgungsfall eine Gesamtversorgung zahlen und zusätzlich – ohne eine entsprechende Gegenleistung – Beiträge zur ZVK entrichten müssen. Entgegen der Auffassung des Arbeitnehmers wäre der Arbeitgeberin eine Kündigung der Mitgliedschaft bei der ZVK wegen der damit verbundenen Ausgleichszahlung nicht zumutbar gewesen.

Die Herausnahme der in der Zeit vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 in Kassel eingetretenen und zur ZVK pflichtversicherten Beschäftigten aus dem Anwendungsbereich der Dienstvereinbarung führte damals auch nicht zu einer Schlechterstellung gegenüber den übrigen während dieses Zeitraums eingestellten Mitarbeitern. Die herausgenommenen Beschäftigten erhielten im Versorgungsfall durch die Leistungen der ZVK eine Gesamtversorgung, die dem Niveau der den anderen Arbeitnehmern zugesagten Gesamtversorgung entsprach.

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Mit der Umstellung der ZVK von einem Gesamtversorgungs- auf ein Punktesystem zum 1.01.2001 und der Streichung des § 55 Abs. 5 Satzung ZVK 1967 änderte sich die Rechtslage.

Mit ihr ist der anfängliche Grund für die Differenzierung zwischen den vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 am Standort Kassel eingestellten und zur ZVK angemeldeten und den in diesem Zeitraum an anderen Standorten eingetretenen Arbeitnehmern entfallen. Ein Festhalten an der ursprünglich wirksamen Herausnahme der streitgegenständlichen Arbeitnehmergruppe aus der BV 1957 idF der DV 1976 nach § 11 Abs. 3 könnte zu einer gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlung bei der Altersversorgung führen. Dies wäre nur gerechtfertigt, wenn Personalrat und Dienststelle noch davon ausgehen konnten, dass die bei der ZVK pflichtversicherten Arbeitnehmer eine mit den anderen Arbeitnehmern desselben Einstellungszeitraums zumindest annähernd gleichwertige Versorgung erhalten4.

Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn die ab dem 1.01.1986 in Kassel eingestellten und zur ZVK pflichtversicherten Arbeitnehmer gegenüber den an anderen Standorten ab diesem Zeitpunkt eingestellten Mitarbeitern sogar eine bessere Versorgung hätten. Denn diese Mitarbeiter unterfallen wegen ihres Eintrittsdatums bei der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin nicht den streitgegenständlichen Vergleichsgruppen.

Eine solche nachträgliche Ungleichbehandlung würde zu einem Verstoß gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz führen. Anderes folgt auch nicht daraus, dass die durch eine Dienstvereinbarung erfolgte Herausnahme der bei der ZVK pflichtversicherten Arbeitnehmer aus der von der Arbeitgeberin aufgrund einer früheren Dienstvereinbarung zugesagten Gesamtversorgung ursprünglich nicht gleichheitswidrig war. Entscheidend für eine Ungleichbehandlung ist der sachliche Gehalt einer Vorschrift und ihre Wirkung. Ergibt sich aus der praktischen Auswirkung einer Norm eine sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Ungleichbehandlung und ist diese Ungleichbehandlung gerade auf die rechtliche Gestaltung der Norm zurückzuführen, so widerspricht dies dem Gleichheitssatz5. Eine Rechtsnorm kann daher auch durch eine spätere Veränderung der von ihr geregelten tatsächlichen Verhältnisse nachträglich gleichheitswidrig werden6. Dadurch ist die ursprünglich sachlich gerechtfertigte und damit zunächst wirksame Bestimmung in § 11 Abs. 3 BV 1957 idF der DV 1976 ab diesem Zeitpunkt insgesamt unwirksam geworden und darf nicht mehr angewandt werden7.

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Dies steht nicht im Widerspruch zu der im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang ergangenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Zwar können Arbeitnehmer, die im Wege des Betriebsübergangs übernommen werden; vom Geltungsbereich einer beim Erwerber Anwendung findenden Versorgungsordnung ausgenommen werden. Der sachliche Grund für diese Herausnahme aus dem Geltungsbereich liegt in der besonderen Situation, in der sich die Arbeitsvertragsparteien nach dem Betriebsübergang befinden. Es ist nicht von vornherein absehbar, welche Versorgungsregelungen in derartigen Arbeitsverhältnissen gelten und welche Unterschiede zu denen der anderen Arbeitnehmer bestehen. Die Berücksichtigung der konkreten Situation nach dem Eintritt in die Arbeitsverhältnisse erleichtert eine sachgerechte und angemessene Regelung der Betriebsrentenansprüche8. Hiermit ist aber die vorliegende Konstellation nicht vergleichbar, in der in einer für alle Beschäftigten eines Unternehmens geltenden Versorgungsordnung eine Arbeitnehmergruppe ursprünglich deshalb ausgenommen war, weil ihr eine andere, aber vergleichbare Versorgung zugesagt war, sich diese zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund von Änderungen der Leistungsbestimmungen jedoch nicht mehr als gleichwertig erweist.

Ein Differenzierungsgrund, der einen Anspruch wegen Verstoßes gegen den personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz ausschließt, kann darin liegen, dass die Arbeitgeberin für die streitbefangene Arbeitnehmergruppe – und damit auch für den Arbeitnehmer – die Beiträge zur Zusatzversorgung losgelöst von einer Systemumstellung bei der ZVK und ungeachtet einer ansonsten geltenden Wartezeit von 20 Dienstjahren bereits ab dem 1.01.1986 vollständig übernommen und damit die Möglichkeit eröffnet hat, die ersparten Beiträge, soweit diese dem Betrag entsprechen, den vergleichbare Arbeitnehmer typischerweise selbst tragen mussten, zum Aufbau einer weiteren betrieblichen Altersversorgung zu nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass die von der Herausnahme erfassten Mitarbeiter – ungeachtet ihrer jeweiligen tatsächlichen Handhabung – die Möglichkeit hatten, aufgrund der insoweit ersparten Umlagebeträge zur ZVK in der Zeit vom 01.01.1986 bis zur Vollendung einer 20-jährigen Dienstzeit bei der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin eine Versorgung zu erwirtschaften, die zusammen mit den Leistungen der ZVK und der gesetzlichen Rentenversicherung eine vergleichbare Versorgung darstellt, wie sie die unter den Anwendungsbereich der Dienstvereinbarung fallenden Arbeitnehmer haben. Dann wären sie diesen gegenüber gleichgestellt.

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Das Landesarbeitsgericht wird bei seiner Prüfung, ob und gegebenenfalls mit welchen Maßgaben der Arbeitnehmer im Versorgungsfall einen Anspruch auf Gewährung einer Gesamtversorgung nach den Grundsätzen des personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes hat, Folgendes zu beachten haben:

Es wird zu klären sein, ob die von der Herausnahme aus dem Anwendungsbereich der Dienstvereinbarung betroffenen Arbeitnehmer mit den in der Zeit vom 01.01.1986 bis zur Vollendung einer 20-jährigen Dienstzeit bei der Arbeitgeberin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin ersparten Beiträgen zur ZVK eine Versorgung hätten erwirtschaften können, die zusammen mit den Leistungen der ZVK und der gesetzlichen Rentenversicherung eine der Gesamtversorgung gleichwertige Versorgung darstellt. Bei der Ermittlung der Höhe dieser ersparten Beiträge ist darauf abzustellen, in welchem Umfang sich diejenigen Mitarbeiter typischerweise an ihrer Altersversorgung beteiligt haben, die bis zum 31.12 1985 an den anderen Standorten der Arbeitgeberin eingestellt worden sind und unter die BV 1957 idF der DV 1976 fallen. Der Arbeitgeberin wird Gelegenheit zu entsprechendem Sachvortrag zu geben sein.

Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass es den herausgenommenen Arbeitnehmern – und damit auch dem Arbeitnehmer – danach nicht möglich gewesen wäre, eine der Gesamtversorgung iSd. BV 1957 idF der DV 1976 vergleichbare Altersversorgung zu erlangen, stünde dem Arbeitnehmer der geltend gemachte Anspruch nach den Grundsätzen des personalvertretungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes zu.

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Anders als zB bei Ansprüchen auf – wiederkehrende – freiwillige Leistungen wie Prämien oder Zulagen kann bei der streitgegenständlichen Gesamtversorgung die Gleichstellung der zu Unrecht benachteiligten Arbeitnehmer jedoch nur dadurch erreicht werden, dass die Regelungen in § 11 Abs. 1 DV 1987 ALT iVm. der BV 1957 idF der DV 1976 über die Gesamtversorgung unter Berücksichtigung ihres gesamten Arbeitsverhältnisses, einschließlich der Zeiten vor dem 1.01.2001, angewendet werden. Damit finden diese Bestimmungen auf Zeiten Anwendung, in denen die Herausnahme der bei der ZVK versicherten Arbeitnehmer gerechtfertigt war, die in der Zeit vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 eingestellt wurden. Dies führt vorliegend jedoch nicht zu einer ungerechtfertigten Belastung der Arbeitgeberin. Denn ihr kommt der vor dem 1.01.2001 entstandene Anteil der vom Arbeitnehmer erworbenen Anwartschaften nach der gleichwertigen Gesamtversorgung bei der ZVK zugute, der als Startgutschrift in das Punktemodell übertragen wurde. Denn die ZVK-Rente ist nach § 1 Abs. 2 Buchst. b BV 1957 idF der DV 1976 auf die Gesamtversorgung anrechenbar.

Sofern das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis kommt, dem Arbeitnehmer stehe im Versorgungsfall ein Anspruch auf eine Gesamtversorgung zu, wird es zu berücksichtigen haben, dass er einen Vorteil erlangt hat, weil die Arbeitgeberin die Umlage zur ZVK bereits ab dem 1.01.1986 und nicht erst ab Vollendung einer Wartezeit von 20 Dienstjahren in voller Höhe übernommen hat. Ein hieraus folgender zusätzlicher Nutzen steht dem Arbeitnehmer nicht zu. Daher ist die Arbeitgeberin berechtigt, ihre monatliche Leistung um den Betrag zu kürzen, der dem Teil der von der ZVK geleisteten Betriebsrente entspricht, den sie mit den Beiträgen in der Höhe erwirtschaftet hat, die typischerweise von den Arbeitnehmern, die in der Zeit vom 01.01.1967 bis zum 31.12 1985 eingetreten sind und nicht selbst bei der ZVK versichert waren, aufgebracht wurden.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. August 2019 – 3 AZR 251/17

  1. zu Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayPVG vgl. BAG 24.10.2018 – 10 AZR 285/16, Rn. 97 mwN, BAGE 164, 82[]
  2. zu § 75 Abs. 1 BetrVG vgl. BAG 26.04.2016 – 1 AZR 435/14, Rn. 25 mwN[]
  3. zu § 75 BetrVG vgl. BAG 16.02.2010 – 3 AZR 216/09, Rn. 55 ff., BAGE 133, 158[]
  4. vgl. BAG 19.07.2016 – 3 AZR 134/15, Rn. 34, BAGE 155, 326[]
  5. BVerfG 9.08.1978 – 2 BvR 831/76, zu B I 2 d bb der Gründe, BVerfGE 49, 148[]
  6. für Gesetze vgl. BVerfG 10.04.2018 – 1 BvL 11/14 ua., Rn. 149 ff. [152], BVerfGE 148, 147 – sog. Hineinwachsen in die Verfassungswidrigkeit[]
  7. vgl. etwa BAG 26.01.2017 – 2 AZR 405/16, Rn. 16 mwN; ErfK/Kania 19. Aufl. BetrVG § 77 Rn. 25[]
  8. vgl. BAG 19.01.2010 – 3 ABR 19/08, Rn. 34 f.[]