Eine Stadt ist nicht verpflichtet, einem bei dem städtischen Symphonieorchester angestellten Orchestermusiker eine Ruhezeit von fünf Stunden vor jeder Aufführung zu gewähren, wenn sie den Musiker anweist, am selben Tag an zwei Vorstellungen an verschiedenen Aufführungsstätten in Düsseldorf mitzuwirken. Der Anspruch findet weder in § 13 Abs. 2 Satz 1 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern vom 31.10.2009 (TVK) noch in den Vorschriften des ArbZG eine Rechtfertigung.

Der TVK, der kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden ist, enthält keine Bestimmung, die für den Fall, dass der Arbeitgeber einen Musiker an einem Tag in zwei Vorstellungen an unterschiedlichen Aufführungsstätten einsetzt, eine Ruhezeit von fünf Stunden vorsieht.
Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 TVK ist dem Musiker vor Beginn einer Aufführung eine Ruhezeit von fünf Stunden, nach Hauptproben und nach Generalproben von vier Stunden zu gewähren. Die Ruhezeit beträgt zwischen „identischen Doppelvorstellungen“ eine Stunde, zwischen „verschiedenen Doppelvorstellungen“ zwei Stunden (§ 13 Abs. 2 Satz 4 TVK).
Der Umfang der dem Orchestermusiker zustehenden Ruhezeit richtet sich im Streitfall nicht nach der grundsätzlichen Bestimmung des § 13 Abs. 2 Satz 1 TVK, sondern nach der Ausnahmevorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 4 Alt. 2 TVK. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zumindest der Begriff der „verschiedenen Doppelvorstellungen“ iSv. § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK auch die Fälle erfasst, in denen Vorstellungen zwar am selben Tag, aber an verschiedenen Aufführungsstätten stattfinden. Dies ergibt die Auslegung der Tarifnorm1.
Spätestens mit Verkündung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.03.19842 hat das Tarifmerkmal der „Doppelvorstellung“ den Bedeutungsgehalt erlangt, den das Landesarbeitsgericht im Streitfall angenommen hat. Der Dritte Bundesarbeitsgericht hat in der genannten Entscheidung den Begriff der „Doppelvorstellung“ iSv. § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK vom 01.07.1971 idF vom 26.01.1978 (TVK 1978) ausgelegt und ihm damit für den Rechtsverkehr verbindliche Konturen verliehen. Die Tarifregelung des § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK 1978 hatte seinerzeit folgenden Wortlaut: „Außer bei Doppelvorstellungen ist dem Musiker vor Beginn einer Aufführung eine Ruhezeit von fünf Stunden, nach Hauptproben und nach Generalproben von vier Stunden zu gewähren.“ Obwohl der Arbeitgeber des damaligen Rechtsstreits einen Orchestermusiker angewiesen hatte, am selben Tag an zwei Aufführungen in unterschiedlichen Gemeinden, nämlich vormittags bei einem Konzert in K und nachmittags bei einer Opernaufführung in M, mitzuwirken, ging das Bundesarbeitsgericht – wie zuvor auch das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht – davon aus, es liege eine „Doppelvorstellung“ mit der Folge vor, dass der Arbeitnehmer eine Ruhezeit im Umfang von fünf Stunden nicht beanspruchen könne. Verwenden Tarifvertragsparteien ohne Erläuterung einen in der Rechtssprache gebräuchlichen Begriff, so kann davon ausgegangen werden, dass sie ihn im allgemein anerkannten Sinne verstanden wissen wollen3. Hätten die Tarifparteien bei der Paraphierung der Nachfolgeregelung, des § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK, dieser Vorschrift einen von § 17 Abs. 2 Satz 1 TVK 1978 abweichenden Inhalt geben wollen, hätte es nahe gelegen, dies klarzustellen. Stattdessen haben sie an der überkommenen Begrifflichkeit festgehalten und diese durch die Hinzusetzung der Adjektive „identisch“ und „verschieden“ noch einmal erweitert. Dies spricht deutlich gegen ein enges Verständnis des Begriffs „Doppelvorstellung“.
Soweit die Revision darauf hinweist, der Dritte Bundesarbeitsgericht habe in der besagten Entscheidung keinen diesbezüglichen ausdrücklichen Rechtssatz formuliert, übersieht sie, dass die Zurückweisung der damals von dem Orchestermusiker eingelegten Revision, soweit die Frage der Ruhezeiten im Streit stand, nur möglich war, wenn eine „Doppelvorstellung“ im damaligen Tarifsinne zwei Aufführungen am selben Tag an zwei Aufführungsstätten umfasste.
Auch der Regelungszusammenhang, in den § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK eingebettet ist, indiziert, dass das vom Landesarbeitsgericht gefundene Auslegungsergebnis zutreffend ist.
In Nr. 3 Satz 1 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK findet sich der Begriff „Doppeldienst“, in Nr. 3 Satz 2 und Satz 3 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK der Begriff der „Doppeldienstzählung“. Die Protokollnotizen beziehen sich auf die in § 12 Abs. 4 Satz 3 und Satz 4 TVK geregelten Proben für Neuinszenierungen, die im Regelfalle länger dauern als andere Proben. „Doppel-“ bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich „zwei“. Auch dies ist ein Hinweis darauf, dass die Tarifvertragsparteien das Präfix „Doppel-“ im Sinne des Zahlworts „zwei“ verstehen („Doppelvorstellung“ = „zwei Vorstellungen“). Erst die attributiv verwendeten Adjektive „identisch“ und „verschieden“ kennzeichnen das Verhältnis der beiden Aufführungen zueinander im Hinblick auf den Inhalt und die Aufführungsstätte.
Eine Gesamtschau der tariflichen Regelungen belegt, dass der TVK in örtlicher Hinsicht drei Kategorien von Aufführungsstätten kennt: Die Aufführung in der am „Sitzort üblichen Aufführungsstätte“ als Normalfall, die Aufführung „in einer von der am Sitzort üblichen Aufführungsstätte abweichenden Spielstätte“ (beispielsweise Nr. 1 Satz 1 Buchst. b und Satz 2 der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK) und Aufführungen im Rahmen eines „auswärtigen Gastspiels“ (beispielsweise Nr. 1 Satz 1 Buchst. b der Protokollnotizen zu § 12 Abs. 4 TVK, vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TVK). Dementsprechend staffelt der TVK den Umfang der Ruhezeit. Der TVK unterscheidet insbesondere zwischen der am „Sitzort“ üblichen und einer hiervon abweichenden Spielstätte, die sich aber am „Sitzort“ des Orchesters befindet. Mit dieser im Tarifvertrag angelegten Differenzierung nach Aufführungsstätten korrespondiert die Ruhezeitenregelung in § 13 Abs. 2 Satz 4 TVK, die vor „identischen Doppelvorstellungen“ eine, vor „verschiedenen Doppelvorstellungen“, also auch solchen an verschiedenen Aufführungsstätten, zwei Stunden Ruhezeit vorsieht.
Seinem Sinn und Zweck nach ist die Bestimmung des § 13 TVK letztlich eine Konkretisierung des tariflichen Rücksichtnahmegebots, dem zufolge der Arbeitgeber bei der Gestaltung des Dienstplans der hohen physischen und psychischen Belastung von Orchestermusikern Rechnung zu tragen hat. Dem Musiker soll vor einer Vorstellung Zeit gegeben werden, um sich zu erholen, zu entspannen und zu „sammeln“. Das Erholungsbedürfnis eines Musikers ist nach dem Verständnis der Tarifvertragsparteien abhängig von den Umständen, unter denen er seine Arbeitsleistung erbringt. Zu diesen Umständen zählen zum einen inhaltliche Gesichtspunkte, zum anderen die Beanspruchung in zeitlicher wie räumlicher Hinsicht. Im Falle von „Doppelvorstellungen“, also Vorstellungen, die an ein und demselben Tag stattfinden, ist eine auf eine Stunde verkürzte Ruhezeit einzuhalten, wenn die beiden Aufführungen „identisch“ sind. Im Falle „verschiedener Doppelvorstellungen“ hat der Arbeitgeber dem Musiker eine Ruhezeit von zwei Stunden zu gewähren.
Der Ruhezeitanspruch, den der Orchestermusiker festgestellt wissen will, findet auch in den Vorschriften des ArbZG keine Rechtfertigung.
Nach § 5 Abs. 1 ArbZG müssen Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.
Im Falle von „Doppelvorstellungen“, die an demselben Tag stattfinden, endet die Arbeitszeit des Orchestermusikers nicht mit dem Schluss der ersten, sondern erst mit dem Schluss der zweiten Aufführung. Über die von der Stadt zu gewährende Ruhezeit zwischen zwei Aufführungen, die am selben Tag stattfinden, verhält sich das ArbZG nicht.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Juni 2015 – 9 AZR 272/14