Druckkündigung – und die Anforderungen an den Arbeitgeber

Im Fall einer echten Druck(änderungs)kündigung (hierzu zuletzt BAG 18.07.2013 – 6 AZR 420/12) ist das Ausmaß der Bemühungen des Arbeitgebers, sich schützend vor den Arbeitnehmer zu stellen, auch davon abhängig, in welchem Umfang der Arbeitnehmer zu dem eingetretenen tiefgreifenden Zerwürfnis mit anderen Arbeitnehmer und Dritten einen Verursachungsbeitrag geleistet hat.

Druckkündigung – und die Anforderungen an den Arbeitgeber

In dem hier vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschiedenen Fall hatten sich Schlachthofbetreibern, Lohnschlachtgruppen und Amtstierärzte geweigert, mit einer bestimmten, in der Fleischbeschau eingesetzten Tierärztin weiter zusammenzuarbeiten. Das Landesarbeitsgericht wies die wegen der daraufhin vom Landkreis erklärten Änderungskündigung erhobene Kündigungsschutzklage der Tierärztin ab. Die Änderungskündigung war weder sozial ungerechtfertigt noch aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam:

Die Tierärztin rügt hinsichtlich der Änderungskündigung nicht, dass das Änderungsangebot dem Bestimmtheitserfordernis nicht genügt. Der beklagte Landkreis hat in dieser Änderungskündigung sein Änderungsangebot „nachgebessert“, indem er sich auf ein einziges Angebot beschränkt und dieses Änderungsangebot mit seinen Vertragsbedingungen konkret bezeichnet hat.

Zwischen den Parteien steht außerdem nicht im Streit, dass die Änderungskündigung as gebotene rechtliche Instrument war, um die Arbeitsbedingungen der Tierärztin anzupassen. Ein Fall der sogenannten überflüssigen Änderungskündigung liegt nicht vor, auch wenn sich der beklagte Landkreis in § 4 des Arbeitsvertrags die Zuweisung des jeweiligen Kontrollgebiets sowie Änderungen, insbesondere die Übertragung weiterer Aufgaben, im Rahmen seines Direktionsrechts vorbehalten hatte.

Dies folgt im Streitfall daraus, dass die Zuweisung des neuen Kontrollgebiets mit einer Verringerung der arbeitsvertraglichen Vergütung verbunden war. Während ihrer Tätigkeit in den beiden großen Schlachtbetrieben bezog die Tierärztin ein Stundenentgelt nach § 7 TV-Fleischuntersuchung. Ihre Arbeitszeit richtete sich nach § 5 TV-Fleischuntersuchung nach dem Arbeitsanfall; allerdings war die Tierärztin nach § 6 Abs. 1 Satz 1 TV-Fleischuntersuchung durchschnittlich wöchentlich 10 Stunden zur Arbeit heranzuziehen. Das monatliche Mindesteinkommen der Tierärztin belief sich somit auf 1.584,78 € brutto (10 x 4,33 x 36,60 €).

Demgegenüber bedeutete das Änderungsangebot, dass die Tierärztin nach § 8 TV-Fleischuntersuchung eine Stückvergütung erhalten sollte. Diese Stückvergütung schwankt naturgemäß je nach der Anzahl der Schlachttiere. Der beklagte Landkreis bezifferte den monatlichen Bruttoverdienst auf 800,00 bis 1.000,00 € brutto. Eine so erhebliche Veränderung der Vergütung hätte die Grenzen des Direktionsrechts überschritten.

Die ordentliche Änderungskündigung ist sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 LSGchG.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet unstreitig das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Demnach bedarf die Änderungskündigung der sozialen Rechtfertigung nach § 1 Abs. 2 LSGchG. Nach dieser Vorschrift ist eine Änderungskündigung sozial gerechtfertigt, wenn das Änderungsangebot des Arbeitgebers durch Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 LSGchG bedingt ist und sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss1. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das Änderungsangebot abgelehnt oder – wie im Streitfall – unter Vorbehalt angenommen hat. Ob der Arbeitnehmer eine ihm vorgeschlagene Änderung der Arbeitsbedingungen billigerweise akzeptieren muss, ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beurteilen. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für alle vorgesehenen Änderungen vorliegen. Ausgangspunkt ist die bisherige vertragliche Regelung. Die angebotenen Änderungen dürfen sich von deren Inhalt nicht weiter entfernen, als zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist2.

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Der beklagte Landkreis hat die Änderungskündigung ausdrücklich als „echte“ Druckkündigung ausgesprochen. Er hat sich nicht darauf berufen, die Tierärztin habe bei ihren Arbeitseinsätzen ab dem 7.09.2014 verhaltens- oder personenbedingte Kündigungsgründe veranlasst.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt bei einer derartigen Sachlage eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in Betracht. An die Zulässigkeit einer solchen „echten“ Druckkündigung sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Der Arbeitgeber hat sich in diesem Fall zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer zu stellen. Nur wenn auf diese Weise die Drohung nicht abgewendet werden kann und bei Verwirklichung der Drohung schwere wirtschaftliche Schäden für den Arbeitgeber drohen, kann die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei ist jedoch Voraussetzung, dass die Kündigung das einzig praktisch in Betracht kommende Mittel ist, um die Schäden abzuwenden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, inwieweit der Arbeitgeber die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat. Typische Fälle einer echten Druckkündigung sind Drohungen der Belegschaft mit Streik oder Massenkündigungen oder die Androhung des Abbruchs von Geschäftsbeziehungen für den Fall der Weiterbeschäftigung eines bestimmten Arbeitnehmers3.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat auch in neuerer Zeit Zustimmung und Ablehnung gefunden4. Nach Auffassung von Hamacher lässt sich die echte Druckkündigung nicht in das System der Kündigungsgründe integrieren, weil es an einem vom Gesetz anerkannten Kündigungsgrund fehle. Demgegenüber meinen Bergwitz/Vollstädt, die Druckkündigung sei eine betriebsbedingte Kündigung und als solche zu prüfen. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg steht der vorliegende Fall exemplarisch dafür, wie problematisch die echte Druckkündigung ist. Denn kaum war das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 28.08.2014 im Kündigungsrechtsstreit 18 Sa 76/13 verkündet worden, fanden sich die Kolleginnen und Kollegen der Tierärztin sowie die Schlachthofbetreiber und das dort beschäftigte Schlachtpersonal zu einer „konzertierten Aktion“ zusammen, um eine weitere Zusammenarbeit mit der Tierärztin in einem der beiden großen Schlachtbetriebe des Landkreises zu verhindern5. Mit der Tierärztin ist das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg der Auffassung, dass es die Rechtsordnung grundsätzlich nicht hinnehmen darf, wenn Arbeitnehmer und Dritte den Versuch unternehmen, den Arbeitgeber an der Befolgung arbeitsgerichtlicher Entscheidungen zu hindern. Würde man eine solche Verhaltensweise tolerieren, hätte dies eine bedenkliche Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze zur Folge.

Auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, dass überall da, wo Menschen zusammenarbeiten, Konflikte eskalieren und unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten auftreten können. In diesen Fällen werden aus den im Arbeitsleben üblichen Konfliktsituationen im Laufe der Zeit tiefgreifende menschliche Zerwürfnisse. Erfahrungsgemäß lassen sich in derartigen Konfliktsituationen die wechselseitig geleisteten Verursachungsbeiträge kaum mehr feststellen, erst recht nicht in Form von gerichtlich verwertbaren Kündigungsgründen. In diesen Fällen sieht sich der Arbeitgeber vor die schwierige Situation gestellt, einerseits für ein geordnetes Zusammenwirken im Betrieb Sorge zu tragen und andererseits die betroffenen Arbeitnehmer vor einer Ausgrenzung zu schützen. Im Ergebnis wird man deshalb vor allem dann, wenn auch der betroffene Arbeitnehmer einen gewichtigen Verursachungsbeitrag für das eingetretene menschliche Zerwürfnis gesetzt hat, eine betriebsbedingte Kündigung unter engen Voraussetzungen akzeptieren müssen.

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Im Streitfall erweist sich die Änderungskündigung des beklagten Landkreises trotz der genannten strengen Anforderungen als rechtswirksam.

Die von der Rechtsprechung geforderte Drucksituation in Form der Androhung erheblicher Nachteile lag vor. Nach der Arbeitsaufnahme der Tierärztin am 7.09.2014 hatten sich sämtliche Amtstierärzte und verschiedene amtliche Fachassistenten geweigert, mit der Tierärztin nochmals zusammenzuarbeiten bzw. darum gebeten, nicht mehr mit der Tierärztin in einem der großen Schlachthöfe eingeteilt zu werden. Die Betreiber der beiden großen Schlachthöfe hatten der Tierärztin mit Schreiben vom 14. und 16.10.2014 Hausverbot erteilt. Sie hatten darauf hingewiesen, dass die bei ihnen beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie die in ihrem Haus tätigen Lohnschlachtgruppen sich geweigert hätten, ihre Arbeit aufzunehmen, solange die Tierärztin im Betrieb für die Hygieneüberwachung und Fleischbeschau zuständig sei. Weder die Leiterin des Hauptamts noch der Landrat selbst konnten die Schlachthofbetreiber und die Amtstierärzte von dem angekündigten Verhalten abbringen.

Der beklagte Landkreis hat sich – noch – hinreichend schützend vor die Tierärztin gestellt. Er hat mit der Änderungskündigung auch eine Maßnahme ergriffen, die möglichst schonend in die Belange der Tierärztin eingriff.

Der beklagte Landkreis hat, nachdem sowohl die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als auch die Schlachthofbetreiber und deren Mitarbeiter die weitere Zusammenarbeit mit der Tierärztin verweigert hatten, dem Schlachthofbetreiber St. (Firma M.) mit Schreiben vom 15.10.2014 eine nochmalige Supervision vorgeschlagen. Außerdem führte der Landrat mit den Vertretern der beiden großen Schlachtbetriebe und dem Leiter des Veterinäramts am 13.11.2014 ein Gespräch. In diesem Gespräch ergab sich, dass die Schlachthofbetreiber die vorgeschlagene Supervision ablehnten. Der Landrat schlug daraufhin im Hinblick auf eine mögliche Verbindung zwischen der Tierärztin und der zwischenzeitlich beim Regierungspräsidium eingestellten Frau P. ein Gespräch mit dem Regierungspräsidenten vor. Er schlug außerdem die Einladung des Regierungspräsidenten in den Landkreis vor, wozu es allerdings nach den Mitteilungen der Parteien in der Berufungsverhandlung vom 26.08.2016 nicht kam. Schließlich fand am 17.11.2014 eine Besprechung des zuständigen Dezernatsleiters mit den Amtsärzten statt. Auch in dieser Besprechung schlossen die Amtstierärzte eine weitere Zusammenarbeit mit der Tierärztin aus.

Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hätte der beklagte Landkreis die angekündigte Weigerung der weiteren Zusammenarbeit durch die Amtstierärzte nicht wie geschehen „kommentarlos“ hinnehmen dürfen. Die Weigerung der Amtstierärzte stellt eine menschlich sicherlich verständliche, rechtlich aber nicht akzeptable Verletzung ihrer Amtspflichten dar. Da der beklagte Landkreis aufgrund des Urteils des Landesarbeitsgerichts vom 28.08.2014 verpflichtet war, die Tierärztin arbeitsvertraglich zu beschäftigen, stand den Amtstierärzten kein Leistungsverweigerungsrecht zu. Der beklagte Landkreis hätte daher grundsätzlich, bevor er eine echte Druckkündigung gegenüber der Tierärztin in Erwägung zog, die Amtstierärzte an ihre rechtlichen Pflichten in geeigneter Form erinnern müssen. Ausweislich der vorgelegten Unterlagen ist dies nicht geschehen. In der Besprechung vom 17.11.2014 begründete der zuständige Dezernatsleiter „nur“ die Notwendigkeit einer weiteren Beschäftigung der Tierärztin am Schlachthof oder einer geeigneten Alternative und bat die Mitarbeiter des Veterinäramts um eine Stellungnahme. Nachdem diese erneut jede weitere Zusammenarbeit mit der Tierärztin ausschlossen, ließ er es offenbar damit bewenden.

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Dem beklagten Landkreis ist allerdings einzuräumen, dass er sich insoweit in einer schwierigen Lage befand. Verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so Frau Dr. H., Frau B., Herr Bu. und Herr Me. hatten mitgeteilt, dass für sie die Zusammenarbeit mit der Tierärztin psychisch sehr belastend sei. Sie hatten zum Ausdruck gebracht, dass für sie das Arbeitsklima in Anwesenheit der Tierärztin untragbar sei und sie dem psychischen Druck nicht standhalten könnten. In dieser Situation musste sich der beklagte Landkreis die Frage stellen, ob arbeits- oder dienstrechtliche Maßnahmen das geeignete Mittel sein würden, um die Drucksituation aufzulösen. Der beklagte Landkreis musste befürchten, dass sich ein erheblicher Teil der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter krank melden würde, sobald eine Arbeitseinteilung mit der Tierärztin erfolgen sollte. In dieser Situation hat der beklagte Landkreis angemessen reagiert, indem er das Arbeitsverhältnis mit der Tierärztin zwar kündigte, dieser aber eine anderweitige Beschäftigung anbot.

Bei dieser Abwägung durfte der beklagte Landkreis auch berücksichtigen, dass die Tierärztin einen erheblichen Verantwortungsbeitrag zu dem eingetretenen menschlichen Zerwürfnis gesetzt hatte. Ein maßgeblicher Beitrag war hierbei die von der Tierärztin und Frau P. erhobene Fachaufsichtsbeschwerde vom 15.03.2013 an das Regierungspräsidium. In dieser Beschwerde hatten beide Tierärztinnen schwere Vorwürfe gegenüber dem Veterinäramt erhoben. In deutlichen, wenn auch nicht beleidigenden Äußerungen warfen sie den Amtstierärzten und dem Leiter des Veterinäramts vor, gravierende Missstände zu tolerieren. Als Folge der Fachaufsichtsbeschwerde sah sich das Veterinäramt gehalten, sich gegenüber dem Regierungspräsidium zu rechtfertigen. In der Stellungnahme des Veterinäramts kommt zum Ausdruck, dass nach Auffassung der Amtsärzte aufgrund des rigorosen Prüfverhaltens der Tierärztin und von Frau P. mittlerweile gravierende atmosphärische Störungen eingetreten waren.

Mit der Einschätzung, dass die Tierärztin mit ihrer Fachaufsichtsbeschwerde einen erheblichen Verantwortungsbeitrag für das eingetretene menschliche Zerwürfnis geleistet hat, setzt sich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg nicht in Widerspruch zum Urteil vom 28.08.2014. In dieser Entscheidung hat die 18. Kammer die Auffassung vertreten, die Einlegung der Fachaufsichtsbeschwerde sei entgegen der Auffassung der 7. Kammer nicht als illoyales Verhalten zu werten, weil die Tierärztin die Grenzen der Meinungsfreiheit nicht überschritten habe. Darin ist der 18. Kammer durchaus zuzustimmen. Eine andere Frage ist jedoch, ob die Tierärztin mit der Fachaufsichtsbeschwerde nicht doch einen erheblichen Beitrag dazu geleistet hat, um das Verhältnis mit den Amtstierärzten zu belasten.

Das ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zu bejahen. Mit ihren Vorwürfen, die Amtstierärzte tolerierten gravierende Missstände in den Schlachthöfen, rüttelten die Tierärztin und Frau P. an den Grundlagen des Berufsethos der Amtstierärzte. Nach deren Verständnis gab es keine Missstände in den Schlachthöfen, sondern nur eine überzogene Überwachungspraxis der beiden Tierärztinnen. Der beklagte Landkreis durfte diesen Umstand bei dem Ausmaß seiner Bemühungen, sich schützend vor die Tierärztin stellen, berücksichtigen.

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Der beklagte Landkreis war nicht verpflichtet, den Einsatz der Tierärztin in einem der beiden großen Schlachthöfe mit einer Duldungsverfügung durchzusetzen. Zwar ist zutreffend, dass der beklagte Landkreis als Sonderpolizeibehörde die rechtliche Möglichkeit gehabt hätte, die ausgesprochenen Hausverbote zu überwinden und den Zugang der Tierärztin zu den beiden Schlachthöfen durchzusetzen. Wie die Tierärztin aber auf der Seite 15 ihrer Berufungsbegründung selbst einräumt, hätte sich hiermit die Situation nicht entschärft, sondern verschärft. Wie die beiden Schlachthofbetreiber in ihren Schreiben vom 14. und 16.10.2014 zum Ausdruck brachten, ging es ihnen keinesfalls darum, sich der Hygieneüberwachung und Fleischbeschau zu entziehen. Sie wehrten sich aber vehement gegen den Einsatz der Tierärztin in ihren Betrieben.

Der beklagte Landkreis durfte bei dieser Sachlage in Rechnung stellen, dass es bei einem erzwungenen Einsatz der Tierärztin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu neuen Auseinandersetzungen zwischen der Tierärztin und dem Schlachtpersonal gekommen wäre. Diese Auseinandersetzungen hatten in der Vergangenheit einen gewissen Höhepunkt darin gefunden, dass nach den Angaben der Tierärztin und Frau P. ein Metzgergehilfe einen Schlachthaken nach der Tierärztin geworfen hatte und die Tierärztin und Frau P. von einem herumpendelnden Wasserschlauch getroffen wurden. Zwar hatte das Amtsgericht G. mit Beschluss vom 19.07.2013 die Eröffnung des Hauptverfahrens mangels eines hinreichenden Tatverdachts gegen die Angeschuldigten G.S. und D.E. abgelehnt. Angesichts der aufgeflammten Emotionen war es aber nicht auszuschließen, dass es bei einem erzwungenen Einsatz der Tierärztin erneut zu Aggressionen kommen könnte.

Im Hinblick auf den Vorschlag des Landrats, den Regierungspräsidenten in den Landkreis einzuladen, hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg erwogen, ob nicht diese Maßnahme vor Ausspruch der Änderungskündigung hätte ergriffen werden müssen. Sie ist jedoch zum Ergebnis gelangt, dass es keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wenn der Konflikt auf eine weitere Eskalationsstufe gehoben worden wäre. Bereits am 22.03.und 16.08.2011 hatte eine Mediation zwischen der Tierärztin und Frau P. einerseits und Vertretern des Veterinäramts und der Betreiber andererseits stattgefunden. Am 2. und 8.10.2012 erfolgte eine weitere Mediation zwischen der Tierärztin und Frau P. einerseits und den Leitern des Veterinäramts und des Hauptamts andererseits. Beide Mediationen scheiterten.

Ein Grund hierfür ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg jedenfalls auch in der ausgeprägten Prinzipientreue der Tierärztin zu sehen. Die Tierärztin hinterließ in der Berufungsverhandlung vom 26.08.2016 den Eindruck einer Persönlichkeit, für die es ein hoher Wert darstellt, den selbstgesetzten Grundsätzen treu zu bleiben. Eine solche Lebenseinstellung verdient Respekt, kann sich aber im Konfliktfall hinderlich für eine Verständigung auswirken. Damit möchte das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg keinesfalls in der Prinzipientreue der Tierärztin den einzigen Grund in dem aufgetretenen menschlichen Zerwürfnis sehen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg ist aber der Meinung, dass es nicht zu einer Lösung des Konflikts beigetragen hätte, wenn zusätzlich der Regierungspräsident eingeschaltet worden wäre.

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Im Falle einer Weiterbeschäftigung der Tierärztin hätten für den beklagten Landkreis schwere Schäden gedroht. Nach der vom Bundesarbeitsgericht zuletzt im Urteil vom 18.07.2013 verwendeten Formulierung müssen dem Arbeitgeber allerdings schwere wirtschaftliche Schäden drohen. Diese Formulierung ist aber ersichtlich auf die Verhältnisse in der Privatwirtschaft zugeschnitten. Verweigern dort die Arbeitnehmer des Betriebs die weitere Zusammenarbeit oder lehnen wichtige Geschäftspartner die weitere Zusammenarbeit ab, so können einem Unternehmen der Privatwirtschaft schwere wirtschaftliche Schäden drohen, indem die Produktion ganz oder teilweise gestoppt werden muss oder wichtige Aufträge verloren gehen.

Diese Grundsätze können nicht uneingeschränkt auf die Verwaltungen des öffentlichen Dienstes übertragen werden. Jedenfalls in aller Regel drohen der öffentlichen Verwaltung keine Produktionsausfälle oder Auftragsverluste. Dennoch ist eine echte Druckkündigung auch im öffentlichen Dienst nicht von vorneherein ausgeschlossen6. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg hat das Bundesarbeitsgericht den Eintritt eines wirtschaftlichen Schadens auch nur beispielhaft für die Schäden angeführt, die im Falle einer Drucksituation eintreten können.

Im vorliegenden Fall bestand die Drucksituation für den beklagten Landkreis darin, dass er einerseits zwar die Aufgabe einer Sonderpolizeibehörde innehatte, andererseits die beiden großen Schlachthöfe für den Landkreis eine wichtige wirtschaftliche Funktion bei der Versorgung der Bevölkerung erfüllten. Die Schlachthöfe gaben und geben noch heute den Landwirten der Region die Möglichkeit, ihre Schlachttiere ortsnah zu vermarkten. Da die meisten Metzgereibetriebe im Landkreis nicht mehr selbst schlachten, sondern ihre Fleischwaren direkt von den Schlachthöfen beziehen, hätte sich ein zeitweiser „Produktionsstillstand“ negativ auf die Vermarktung der Schlachttiere ausgewirkt. Der beklagte Landkreis musste befürchten, dass ihn die Schlachthofbetreiber für Einbußen verantwortlich machen, die etwa dadurch entstehen, dass Lohnschlachtgruppen die Zusammenarbeit mit der Tierärztin verweigern. Die Einschätzung der Tierärztin, die Lohnschlachtgruppen seien im Subunternehmereinsatz zu jeder Zeit zu bekommen, trifft den Kern des Problems nicht. Die Schlachthofbetreiber haben naturgemäß ein Interesse daran, mit eingespielten Lohnschlachtgruppen zusammenzuarbeiten.

Schließlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es der Zusammenarbeit mit den Schlachthofbetreibern nicht dienlich war, als diese durch die zahlreichen Ermittlungs, Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren mit Rechtsverteidigungskosten und in der Folge dieser Verfahren auch mit den Kosten von arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen belastet waren. Der beklagte Landkreis durfte annehmen, dass bei erneut aufflammenden Konflikten zwischen den Betreibern und der Tierärztin derartige Kosten erneut anfallen und die gute Zusammenarbeit belasten würden.

Bei der Abwägung, welche Schutzmaßnahmen zugunsten des Arbeitnehmers ergriffen werden müssen und welche Schäden für den Arbeitgeber noch hinnehmbar sind, muss ferner berücksichtigt werden, dass der beklagte Landkreis keine Beendigungskündigung gegenüber der Tierärztin ausgesprochen hat, sondern „nur“ eine Änderungskündigung. Diese war zudem mit noch überschaubaren wirtschaftlichen Einbußen für die Tierärztin verbunden. Als nichtvollbeschäftigte Tierärztin hatte die Tierärztin keinen Rechtsanspruch auf das früher bezogene Entgelt von EUR 3.500, 00 brutto. Der Tarifvertrag-Fleischuntersuchung garantierte ihr in seinem § 6 Abs. 1 Satz 1 lediglich einen Arbeitsumfang von durchschnittlich 10 Stunden pro Woche. Bei den aktuellen Stundensätzen beläuft sich hiernach das monatliche Entgelt auf 1.584, 78 EUR brutto. Demgegenüber kann die Tierärztin in der ambulanten Fleischbeschau einen Bruttoverdienst von 800, 00 bis 1.000, 00 EUR brutto erzielen.

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In beiden Fällen ist das Arbeitsentgelt nicht ausreichend, um den Lebensunterhalt sicherzustellen. So stellen die Entgelte aus der Fleischbeschau nach den Erörterungen in der Berufungsverhandlung meist nur Nebeneinkünfte für im Übrigen selbständige Tierärzte dar. Mit seiner Änderungskündigung hat es der beklagte Landkreis der Tierärztin immerhin ermöglicht, gewisse Nebeneinkünfte weiterhin zu erzielen. Nach der Mitteilung der Tierärztin in der Berufungsverhandlung baut sie sich derzeit eine selbständige Existenz auf. Dies hätte sie auch dann tun müssen, wenn sie weiterhin in einem der großen Schlachtbetriebe eingesetzt worden wäre.

Zuletzt muss zugunsten des beklagten Landkreises berücksichtigt werden, dass dieser die Drucksituation nicht selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat. Er hat vielmehr auf vielfältige Weise versucht, den Konflikt zwischen den Amtstierärzten, den Schlachthofbetreibern und der Tierärztin gütlich beizulegen.

Die Tierärztin musste die ihr angebotene Änderung der Arbeitsbedingungen billigerweise hinnehmen. Unstreitig verfügt der beklagte Landkreis über Einsatzmöglichkeiten für nichtvollbeschäftigte Tierärzte entweder in den beiden großen Schlachtbetrieben oder in der ambulanten Fleischbeschau. Nachdem die erstgenannte Einsatzmöglichkeit ausscheidet, verbleibt nur die zweite Einsatzmöglichkeit.

Ist die Änderungskündigung somit weder sozial ungerechtfertigt noch aus sonstigen Gründen rechtsunwirksam, ist die Änderung der Arbeitsbedingungen mit Ablauf der Kündigungsfrist des § 21 Abs. 1 TV-Fleischuntersuchung wirksam geworden. Die maßgebliche Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Quartalsende. Somit ist die Änderung der Arbeitsbedingungen zum 30.06.2015 wirksam geworden.

Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 26. August 2016 – 1 Sa 14/16

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 10.04.2014 – 2 AZR 812/12, Rn. 24[]
  2. ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 20.06.2013 – 2 AZR 396/12, Rn. 17[]
  3. zuletzt BAG 18.07.2013 – 6 AZR 420/12, Rn. 39; zuvor: BAG 19.07.1986 – 2 AZR 536/85, Rn. 26; BAG 4.10.1990 – 2 AZR 201/90, Rn. 43; BAG 31.01.1996 – 2 AZR 158/95, Rn. 29; BAG 26.06.1997 – 2 AZR 502/96, Rn. 22; KR-FischerMe. 11. Aufl. § 626 BGB Rn. 220 ff; APS-Dörner/Vossen 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 336 ff; HaKo-Mestwerdt/Zimmermann 5. Aufl. § 1 LSGchG Rn. 796 ff[]
  4. pro: Bergwitz/Vollstädt DB 2015, 2635; contra: Hamacher NZA 2014, 134[]
  5. ähnlich im Fall des LAG Bremen 17.06.2015 – 3 Sa 129/14[]
  6. vgl. BAG 4.10.1990 – 2 AZR 201/90 – und 31.01.1996 – 2 AZR 158/95 – betr. die Kündigung einer Krankenschwester bzw. die Leiterin eines Kindergartens[]