Einbehaltene Betriebsrente im öffentlichen Dienst

Die Ruhensregelungen in der Zusatzversorgung des Öffentlichen Dienstes gemäß § 41 Abs. 4 VBLS verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.

Einbehaltene Betriebsrente im öffentlichen Dienst

Im hier vom Landgericht Karlsruhe entschiedenen Fall begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung einer wegen Ruhens gemäß § 41 Abs. 4 der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder einbehaltenen Betriebsrente. Nun hat das Landgericht die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Betriebsrente in der Zeit vom 01.10.2008 bis 31.05.2009 ohne Anwendung der Ruhensregelung in § 41 Abs. 4 VBLS.

§ 41 Abs. 4 VBLS wurde von der Beklagten richtig angewandt. Der Kläger erhielt vom 06.10.2008 bis 10.11.2008 und vom 10.12.2008 bis 29.05.2008 Krankengeld gezahlt, das nicht nach § 96 a Abs. 3 SGB VI auf die gesetzliche Rente angerechnet wurde. Auch nach der Verrechnung des Krankengelds mit der gesetzlichen Rente verblieb dem Kläger noch ein monatliches Krankengeld in Höhe von 483,65 EUR bis zu 1.453,06 EUR (AH 29-31). Somit überstieg auch das dem Kläger für die Monate Oktober, November und Dezember 2008 gezahlte Krankengeld, das dem Kläger nach der Verrechnung mit der gesetzlichen Rente verblieb, die monatliche Betriebsrente in Höhe von 139,04 EUR brutto (AH 29), so dass diese unter Anwendung des § 41 Abs. 4 VBLS vollständig ruhte.

Eine andere Auslegung des § 41 Abs. 4 VBLS ist nicht geboten, d. h. ergibt sich weder aufgrund eines Verstoßes gegen die §§ 305 ff. BGB noch aus höherrangigem Recht.

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Ein Verstoß gegen die AGB-rechtlichen Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB liegt nicht vor.

Ein Vergleich von § 12 Abs. 5 des Tarifvertrages Altersversorgung vom 01. März 2002 mit der im Wesentlichen identischen Regelung in § 41 Abs. 4 VBLS zeigt, dass die Satzungsbestimmung auf einer maßgeblichen Grundentscheidung der Tarifvertragsparteien beruht. Diese Entscheidung entspringt damit dem Kernbereich der von Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Tarifautonomie. Der Grundrechtsschutz ist nicht für alle koalitionsmäßigen Betätigungen gleich intensiv. Die Wirkkraft des Grundrechts nimmt vielmehr in dem Maße zu, in dem eine Materie aus Sachgründen am besten von den Tarifvertragsparteien geregelt werden kann, weil sie nach der dem Art. 9 Abs. 3 GG zugrunde liegenden Vorstellung des Verfassungsgebers die gegenseitigen Interessen angemessener zum Ausgleich bringen können als der Staat. Das gilt vor allem für die Festsetzung der Löhne und der anderen materiellen Arbeitsbedingungen1.

Auch die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst hat Entgeltcharakter, zählt mithin im weiteren Sinne zum Bereich der Löhne und materiellen Arbeitsbedingungen. Vor diesem Hintergrund betrifft die Festlegung von Kriterien für das Auszahlen bzw. Ruhen der Betriebsrente nicht lediglich einen peripheren Regelungsgegenstand, sondern einen wesentlichen Teil der Versorgungszusage. Die dieser tarifvertraglichen Vorgabe folgende Satzungsbestimmung des § 41 Abs. 4 VBLS ist deshalb der Inhaltskontrolle nach den AGB-rechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches entzogen2. Bei der Umsetzung und inhaltlichen Ausgestaltung solcher Entscheidungen der Tarifvertragsparteien genießt auch der Satzungsgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit, die die Gerichte grundsätzlich zu respektieren haben3. Insoweit wirkt der Schutz der Tarifautonomie fort, die den Tarifvertragsparteien besondere Beurteilungs-, Bewertungs- und Gestaltungsspielräume eröffnet.

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§ 41 Abs. 4 VBLS ist nicht überraschend im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Die Regelung ist nicht so ungewöhnlich, dass ein Versicherter in der Situation des Klägers mit ihr nicht zu rechnen brauchte. Eine entsprechende Ruhensbestimmung enthielt bereits § 65 Abs. 3 a Buchst. a VBLS a. F.

§ 41 Abs. 4 VBLS ist auch hinreichend klar und verständlich (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichte seines Vertragspartners im Rahmen des Möglichen klar, einfach und präzise darzustellen, wobei die Anforderungen nicht überspannt werden dürfen. Bei der Beurteilung, ob eine Klausel dem Transparenzgebot genügt, ist auf den aufmerksamen und sorgfältigen Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr abzustellen4.

§ 41 Abs. 4 VBLS erfüllt die dargestellten Anforderungen an eine transparente Regelung. Der Regelungsgehalt der Norm ist hinreichend klar zu erfassen. Sie stellt verständlich dar, dass gezahltes Krankengeld unter den dort genannten Voraussetzungen auf die Betriebsrente anzurechnen ist.

Auch der Verweis in § 41 Abs. 4 VBLS auf § 96a Abs. 3 SGB VI führt nicht zur Intransparenz. Das Bestimmtheitsgebot als hier maßgebliche Ausprägung des Transparenzgebots verlangt lediglich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen und der Gefahr vorgebeugt wird, dass der Vertragspartner von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird5. Ungerechtfertigte Beurteilungsspielräume entstehen hier durch den Verweis auf eine Regelung des SGB VI nicht.

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Eine andere Auslegung des § 41 Abs. 4 VBLS ergibt sich nicht aus höherrangigem Recht.

Da die Beklagte als Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Satz 1 VBLS) eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, ist die gerichtliche Kontrolle ihrer Satzungsbestimmungen nach ständiger Rechtsprechung neben der Prüfung, ob die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft beachtet sind, darauf zu erstrecken, ob ein Verstoß gegen das Grundgesetz vorliegt6. Da die Rechtssetzung durch Tarifvertrag in Ausübung eines Grundrechts der Tarifvertragsparteien (Art. 9 Abs. 3 GG) erfolgt, es sich um eine privatautonome Gestaltung auf kollektiver Ebene handelt und dabei die auf der einzelvertraglichen Ebene bestehenden Vertragsparitätsdefizite typischerweise ausgeglichen werden, sind den Tarifvertragsparteien allerdings größere Freiheiten einzuräumen als dem Gesetzgeber. Ihre größere Sachnähe eröffnet ihnen Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber verschlossen sind7.

Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit und die sich daraus ergebende Tarifautonomie werden durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt8. Entgegenstehende, verfassungsrechtlich begründete Positionen können sich insbesondere aus den Grundrechten der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben. Das Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG und die Grundrechte der vom Tarifvertrag erfassten Personen begrenzen sich mithin wechselseitig. Die Grenzen sind durch einen möglichst schonenden Ausgleich zu ermitteln, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Diese Maßstäbe sind auch bei der Überprüfung der Satzungsregelungen der Beklagten heranzuziehen9.

Gemessen daran hält die Regelung des § 41 Abs. 4 VBLS der gerichtlichen Kontrolle stand.

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Insbesondere liegt kein Eingriff in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition vor10. Der Bundesgerichtshof hat die mit Eintritt des Versicherungs- bzw. Versorgungsfalles bestehenden Rentenansprüche aus der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes – ebenso wie das BAG die Rentenansprüche aus der betrieblichen Altersversorgung11 – dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG unterstellt12. Ob Versorgungsanwartschaften aus einer betrieblichen Altersversorgung von der Eigentumsgarantie erfasst werden, hat das BVerfG13 offen gelassen. Ein Eingriff läge aber auch dann nicht vor, wenn nicht nur Ansprüche auf (Mindest-) Versorgungsrenten in den Eigentumsschutz aus Art. 14 Abs. 1 GG einbezogen wären, sondern auch die entsprechenden Rentenanwartschaften als wesengleiches Minus14.

Wie weit der Schutz der Eigentumsgarantie reicht, hängt nämlich vom Inhalt der die Versorgung bestimmenden privatrechtlichen Vereinbarungen ab15. Über die eingeräumten Ansprüche hinausgehende Rechtspositionen gewährleistet Art. 14 Abs. 1 GG nicht. Auch bloße Chancen und Erwartungen werden nicht geschützt16. Art. 14 GG schützt nur Ansprüche oder Anwartschaften, die bereits erworben wurden. Für diesen Erwerb bildet Art. 14 GG keine Anspruchsgrundlage17.

Der Anspruch auf Gewährung einer Betriebsrente stand hier von Anfang an unter dem Vorbehalt der Anwendung der Ruhensvorschrift (eine entsprechende Ruhensbestimmung enthielt bereits § 65 Abs. 3 a Buchst. a VBLS a. F.), so dass der Anspruch auch nur beschränkt erworben werden konnte18. Durch § 41 Abs. 4 VBLS wird der Inhalt des Versorgungsanspruchs ausgestaltet. Der Kläger hatte zu keinem Zeitpunkt weitergehende Anwartschaften erworben.

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Auch das Oberlandesgericht Karlsruhe19 geht davon aus, dass es in der Gestaltungsmacht der Beklagten und der ihr vorgelagerten Tarifvertragsparteien liegt, einen Betriebsrentenanspruch für wenige Monate, während derer dem Versicherten Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung gezahlt wird, das ihm endgültig verbleibt und ihm auch nicht auf seine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet wird, teilweise oder gänzlich zum Ruhen zu bringen.

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gibt keinen Anlass, für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung von den dargestellten Grundsätzen abzurücken17. Auch im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung wird der Schutzbereich des Art. 14 GG durch das einfache Recht geprägt. Gegenstand dieses Schutzes ist dort die Anwartschaft, wie sie sich insgesamt aus der jeweiligen Gesetzeslage ergibt. Rentenanwartschaften beruhen auf verschiedenen Elementen, die erst in ihrem funktionalen Zusammenwirken zu einer dem Schutz des Art. 14 GG unterfallenden Rechtsposition führen. Die Einzelelemente können nicht losgelöst voneinander behandelt werden, als seien sie selbständige Ansprüche. Auch im Rentenversicherungsrecht schützt Art. 14 GG demnach keine (vermeintliche) Rechtsposition, die nach dem (einfachen) Rentenversicherungsrecht so nie bestand oder die sich auf das Festhalten an einem bestimmten Berechnungselement beschränkt20.

Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 4. März 2011 – 6 S 13/10

  1. vgl. BVerfGE 94, 268, 284 f.[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 14.11.2007 – IV ZR 74/06, BGHZ 174, 127 Tz. 32 m.w.N.[]
  3. BGHZ 174 a.a.O. m.w.N.[]
  4. vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl., § 307, Rn. 16-19[]
  5. vgl. BGH, NJW 2004, 1598[]
  6. vgl. BGHZ 174 a.a.O. Tz. 33 f. m.w.N.[]
  7. vgl. dazu BGHZ 174 aaO Tz. 36; BAGE 69, 257, 269 f. unter Hinweis auf BVerfGE 82, 126, 154[]
  8. vgl. u.a. BVerfGE 100, 271, 283 f.; 103, 293, 306 ff.; BAGE 99, 112, 118 ff.[]
  9. BGHZ 174 aaO Tz. 38[]
  10. so bereits LG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2008 – 6 S 41/07[]
  11. vgl. BAGE 101, 186, 194[]
  12. vgl. BGHZ 155, 132, 140[]
  13. vgl. BVerfGE 98, 365[]
  14. vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2008 – 12 U 103/07[]
  15. vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2009 – IV ZR 340/07; BGHZ 174 a.a.O.; BAGE 101 a.a.O. 194 f.; BAG, Urteil vom 21.08.2007 – 3 AZR 102/06[]
  16. vgl. BGH, Beschluss vom 25.11.2009 – IV ZR 340/07; BGHZ 174 a.a.O.; BAGE 101 a.a.O.; BAG, Urteil vom 21.08.2007 a.a.O. Tz. 34[]
  17. vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09.05.2007 – 1 BvR 1700/02[][]
  18. vgl. BVerfG, Urteil vom 28.06.2000 – 1 BvR 387/00[]
  19. OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.05.2008 – 12 U 103/07[]
  20. vgl. BVerfG, a.a.O.[]
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