Eingruppierung einer Kassiererin im Möbelhandel – das Einrichtungshaus als „SB-Laden“

Ist ein Einrichtungshaus ein „SB-Laden“? Diese Frage stellte sich jetzt dem Bundesarbeitsgericht im Rahmen der Eingruppierungsklage einer dort beschäftigten Kassiererin.

Eingruppierung einer Kassiererin im Möbelhandel – das Einrichtungshaus als „SB-Laden“

Für die Eingruppierung und das Entgelt der Kassiererin waren kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien die Bestimmungen des Entgelttarifvertrags für den Einzelhandel im Bundesland Schleswig-Holstein vom 01.05.2009 (ETV) maßgebend. Hierin wurde für die Eingruppierung bestimmt:

§ 3
Gehaltsgruppen
Gehaltsgruppe 1

Tätigkeiten für Arbeitnehmer, die über keine entsprechende Berufsausbildung verfügen.

Gehaltsgruppe 2
Arbeiten, die im Rahmen bestehender Anweisungen selbständig erledigt werden und eine entsprechende Berufsausbildung erfordern.

Beispiele:
Verkäufer/in, Kassierer/in, Schauwerbegestalter/in, Angestellte am Packtisch mit Waren- und Preiskontrolle, Fachkräfte für Kontrollarbeiten im Lager, Warenein-/Ausgang.
Sachbearbeitung in der Buchhaltung, im Einkauf, in der Lohnbuchhaltung, der Rechnungsprüfung, der Registratur und den Bereichen Kalkulation, Statistik, Kreditwesen, Auftragsabwicklung, Empfang und Telefongesprächsvermittlung.

Gehaltsgruppe 3
Gehobene Tätigkeiten, die erweiterte Fachkenntnisse und Fähigkeiten erfordern.

Beispiel:
Erste Kraft, Abteilungsaufsicht, Empfangspersonal, Leiter/in von unselbständig geführten Filialen, Schaugewerbegestalter/in in gehobener Funktion, Kassierer/in, deren Tätigkeit über die Merkmale der Gehaltsgruppe 2 hinausgeht (z.B. Tätigkeiten an Sammelkassen, Ausgangskassen in Supermärkten bzw. SB-Läden mit regelmäßig mehr als einer Ausgangskasse), …“

Das Bundearbeitsgericht hat vorrangig das Tätigkeitsbeispiel der Gehaltsgruppe 3 ETV überprüft1 und zunächst festgestellt, dass das Einrichtungshaus kein „Supermarkt“ im Sinne des Tätigkeitsbeispiels ist.

Da die tariflichen Bestimmungen des ETV keine eigenständige Definition des Begriffs „Supermarkt“ enthalten und die Tarifvertragsparteien hier auch keinen in der Rechtsterminologie feststehenden Begriff in seiner allgemeinen Bedeutung benutzt haben, ist bei einer branchenspezifischen Verwendung eines Begriffs nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon auszugehen, dass sie den Begriff so angewendet wissen wollen, wie er im Handelsverkehr und Wirtschaftsleben verstanden wird und den Anschauungen der beteiligten Berufskreise und dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entspricht2.

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Im Wirtschaftsleben wird unter einem Supermarkt ein Einzelhandelsbetrieb verstanden, der auf einer Verkaufsfläche von mindestens 400 qm Nahrungs- und Genussmittel einschließlich Frischwaren (Obst, Gemüse, Südfrüchte, Fleisch uä.) und ergänzend „problemlose Waren“ anderer Branchen vorwiegend in Selbstbedienung anbietet. Unter dem Begriff „problemlose Waren“ werden allgemein bekannte Güter des Massenbedarfs verstanden, bei deren Auswahl und Erwerb der Verbraucher im Allgemeinen keine Beratung erwartet oder wünscht, und die für den Absatz im Wege der Selbstbedienung geeignet sind. Ein Supermarkt ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der sog. Non-Food-Bereich nicht mehr als 25 % der Verkaufsfläche in Anspruch nimmt3.

Danach handelt es sich bei dem Einrichtungshaus nicht um einen Supermarkt. Dort werden allenfalls marginal Lebensmittel angeboten.

Sodann bejaht das Bundesarbeitsgericht, dass das Einrichtungshaus ein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne sein kann:

Differenzieren Tarifvertragsparteien zwischen verschiedenen Begriffen, ist in der Regel davon auszugehen, dass sie mit den unterschiedlichen Begriffen auch voneinander abweichende Tarifinhalte zum Ausdruck bringen wollen. Dass die Tarifvertragsparteien vorliegend mit der Formulierung, „Supermärkten bzw. SB-Läden“ eigentlich „Supermarkt bzw. Supermarkt“ gemeint hätten und der Begriff „SB-Läden“ keinerlei eigenständige Bedeutung haben sollte, ist deshalb nicht anzunehmen.

Aus der Verwendung der unterschiedlichen Begriffe ergibt sich vielmehr, dass die Tarifvertragsparteien die Kassentätigkeit iSd. Gehaltsgruppe 3 ETV mit der Verwendung des im Wirtschaftsleben eindeutig definierten Begriffs des „Supermarkts“ nicht nur auf Einzelhandelsgeschäfte dieser Branche beschränken wollten. Mit dem sachlich weiter gefassten Tarifbegriff „bzw. SB-Läden“ – verbunden mit der Einschränkung „mit regelmäßig mehr als einer Ausgangskasse“ – sollte erkennbar eine Erweiterung des Anwendungsbereichs dieses Tätigkeitsmerkmals über die Lebensmittelbranche hinaus erreicht werden. Damit sollten vor allem Geschäfte mit Selbstbedienung ab einer bestimmten Größe erfasst werden, ohne dass die – im Wirtschaftsleben präziser definierten – Voraussetzungen eines „SB-Warenhauses“4 vorliegen müssen.

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Eine Verkaufsstelle im Einzelhandel ist dann ein „SB-Laden“, wenn sie von der Vertriebsform der Selbstbedienung geprägt ist.

Es ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff „SB-Laden“ in seiner allgemeinen wirtschaftlichen Bedeutung verstehen wollten. Zwar ist dieser Begriff im Wirtschaftsleben nicht präzise bestimmt. Die Verwendung der Abkürzungsbuchstaben „SB“ verbunden mit dem Begriff „Laden“ richtet sich jedoch eindeutig auf die Beschreibung einer Verkaufsstelle des Einzelhandels, die, zunächst – allein dadurch gekennzeichnet ist, dass sie in der Vertriebsform der Selbstbedienung organisiert ist. So hat auch der Zehnte Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts eine tarifliche Zuschlagsregelung für Kassierer/-innen, die „überwiegend an SB-Kassen“ tätig sind, dahin ausgelegt, dass sich die Kasse in einer Verkaufsstelle befindet, „die als Selbstbedienungsladen, Selbstbedienungsmarkt oder Selbstbedienungswarenhaus zu bezeichnen ist“, ohne dass die Verkaufsstelle einer bestimmten Branche zugeordnet sein müsse5.

Der Selbstbedienung als Verkaufsmethode im Einzelhandel steht die traditionelle Fremdbedienung gegenüber, bei der das Verkaufspersonal die Waren präsentiert, den Kunden berät und weitere Tätigkeiten wie Rechnungsstellung, Verpackung der Ware und Inkasso übernimmt. Ferner sind bei der Selbstbedienung als Verkaufsmethode kombinierte Vertriebs- und Zwischenformen verbreitet. So können Teile des Sortiments (zB Frischwaren) in Fremdbedienung, andere in Selbstbedienung angeboten werden. Im typischen Selbstbedienungsladen (SB) herrscht die Bedienungsform der Selbstauswahl oder -vorwahl vor. Beim Vorwahlsystem kann sich der Kunde selbst bedienen, kann aber auch je nach Wunsch verschiedene Dienste des Verkaufspersonals in Anspruch nehmen (fakultative Bedienung). Der Kunde wählt aus dem offen präsentierten Angebot meist wenig erklärungsbedürftige Waren eigenständig aus und prüft diese. Das Verkaufspersonal steht gegebenenfalls zur Beratung, sonst nur für den Verkaufsabschluss zur Verfügung. Danach bringt der Kunde die gewählten und von ihm im Wege der Selbstbedienung entnommenen Waren zur Kasse, an der die Warenausgangskontrolle und die Bezahlung vorgenommen werden6.

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Werden Waren sowohl in Selbst- als auch in Fremdbedienung angeboten, kommt es für die Erfüllung des Merkmals „SB-Laden“ darauf an, welche der Verkaufsformen die für die Verkaufsstelle prägende ist. Ein „Fremdbedienungsladen“ wird nicht dadurch zu einem SB-Laden, dass neben der normalen Bedienung des Kunden vereinzelte Artikelgruppen in Selbstbedienung zum Verkauf stehen. Ebenso wird ein „Supermarkt“ nicht dadurch zu einem „Fremdbedienungsladen“, dass lediglich einzelne Waren an einer Frischetheke angeboten werden. Auch die lediglich partielle Selbstbedienung wird noch vom Begriff der Selbstbedienung erfasst7. Es kommt letztlich darauf an, inwieweit der Warenauswahl- und Kaufvorgang durch die Mitwirkung eines beratenden, bedienenden und in sonstiger Weise für den Kunden tätigen Mitarbeiters geprägt ist oder durch die „Selbstbedienungs“-Handlungen des Kunden.

Ob danach ein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne vorliegt, ist anhand der Eigenart der Verkaufsstelle im konkreten Einzelfall zu beurteilen.

Ohne nähere Aussagekraft sind dabei regelmäßig die jeweiligen Personalkosten in den einzelnen Bereichen des Betriebs. Zweck der Verkaufsmethode „Selbstbedienung“ ist es gerade, die Personalkosten zu verringern. Einem geringeren Personalkostenanteil kann deshalb im SB-Bereich eines Betriebs grundsätzlich keine Aussagekraft für die Entscheidung zukommen, welche Vertriebsform den jeweiligen Betrieb prägt. Ebenfalls außer Betracht zu bleiben haben andere angebotene Dienstleistungen, die für den unmittelbaren Warenverkauf nicht maßgebend sind. Hierzu zählen bspw. zusätzlich unterhaltene Restaurationsabteilungen oder weitere Leistungen, wie etwa eine angebotene Kinderbetreuung, ein entgeltlicher Transport von Waren zum Wohnsitz des Kunden oder der Auf- und Einbau von Geräten und Möbeln.

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Demgegenüber kommt einerseits der Anzahl der Artikel, die der eigenständigen Auswahl und Entnahme durch den Kunden zur Verfügung stehen, und andererseits der Anzahl der Artikel, die eine – ggf. ergänzende – Beratung oder Bedienung regelmäßig erforderlich machen, eine indizielle Wirkung für die abgrenzende Beurteilung zu. Auch das Verhältnis der tatsächlich verkauften Artikel aus den jeweiligen Warengruppen kann dabei zu berücksichtigen sein. Schließlich kann die Verkaufs- bzw. Angebotsfläche, die auf die in Selbstbedienung angebotenen Waren einerseits und auf die mit Beratung und Bedienung angebotenen Waren andererseits entfallen, mit herangezogen werden, wenn eine solche Zuordnung möglich ist.

Nach den vorstehenden Grundsätzen konnte das Bundesarbeitsgericht nicht darüber befinden, ob das Einrichtungshaus der Arbeitgeberin in Kiel ein „SB-Laden“ im tariflichen Sinne ist. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts:

Für die Eigenschaft des Betriebs als „SB-Laden“ spricht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, dass die Artikel, die sich in der Markthalle (ua. Küchenartikel, Lampen, Teppiche, Pflanzen, Elektroartikel, Stoffe, Bettwäsche uvm.) befinden, in Selbstbedienung erworben werden. Dies trifft auch für die bereits so bezeichnete Selbstbedienungshalle zu, in der die in der „Möbelausstellung“ zur Ansicht zusammengebauten Möbel in verpackter und transportfähiger Form aus den Regalen geholt und auf dem Einkaufswagen zur Kasse gebracht werden.

Dies entspricht auch dem Selbstverständnis der Arbeitgeberin, das sowohl in den für den Kunden bestimmten Handzetteln zum Ausdruck kommt als auch aus deren Schulungsunterlagen für die Arbeitnehmer, in denen es ua. heißt:

„Grundlagen für die Vermarktung eines Produkts in der Möbelausstellung

Wie zuvor erwähnt basiert das mechanische IKEA Verkaufssystem auf einem einfachen, aber grundlegenden Prinzip: alle Produkte müssen so vorbereitet sein, dass die Besucher ihren Kauf selbst durchführen können. Die gesamte Vermarktung im IKEA EH beginnt mit dem einzelnen Produkt. Es ist sehr wichtig, dass jedes Produkt so vorbereitet ist, dass es sich von allein verkauft. …“

Nicht unmittelbar in Selbstbedienung können lediglich die Artikel in der Möbelausstellung erworben werden, die mit einem „gelben Anhänger“ gekennzeichnet sind. Sie werden auf Anforderung speziell im Lager kommissioniert und an den Kunden ausgehändigt.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2013 – 4 AZR 259/12

  1. zur vorrangigen Prüfung von tariflichen Tätigkeitsbeispielen vgl. BAG 22.09.2010 – 4 AZR 33/09, Rn. 23 mwN[]
  2. vgl. nur BAG 5.09.2012 – 4 AZR 584/10, Rn. 14 f. mwN[]
  3. BAG 5.09.2012 – 4 AZR 584/10, Rn. 16 f. mwN[]
  4. s. dazu Ausschuss für Definitionen zu Handel und Distribution Katalog E – Definitionen zu Handel und Distribution 5. Aufl. Stichwort „Selbstbedienungswarenhaus“ (SB-Warenhaus); Gabler Wirtschaftslexikon 16. Aufl. Stichwort „Selbstbedienungswarenhaus“[]
  5. BAG 17.03.2004 – 10 AZR 294/03, zu II 2 a bb der Gründe[]
  6. vgl. BAG 17.03.2004 – 10 AZR 294/03, zu II 2 b aa der Gründe mwN[]
  7. BAG 17.03.2004 – 10 AZR 294/03, zu II 2 b bb der Gründe[]