Eingruppierung eines Wachpolizisten im Objektschutz

Für die Eingruppierung eines (hier:) seit 1993 in dieser Funktion beschäftigten Wachpolizisten im Objektschutz sind die §§ 22, 23 BAT-O sowie die Tätigkeitsmerkmale des Teils I der Anlage 1a zum BAT-O für Angestellte im Büro, Buchhalterei, sonstigen Innendienst und im Außendienst maßgebend. 

Eingruppierung eines Wachpolizisten im Objektschutz

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen und infolge der Tarifsukzession im öffentlichen Dienst für den Bereich der Länder1 nach dem TV-L sowie nach dem Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der Länder in den TV-L und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Länder). Beide Tarifverträge sind nach § 17 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 des vom Land Berlin geschlossenen – und damit von der Bezugnahmeklausel in Absatz 2 Satz 2 des Arbeitsvertrags erfassten – Angleichungs-TV Land Berlin am 1.11.2010 in Kraft getreten. Der Wachpolizist ist Angestellter iSv. § 1 TVÜ-Länder und Beschäftigter iSv. § 1 TV-L.

Für die Eingruppierung des Wachpolizisten sind die §§ 22, 23 BAT-O sowie die Tätigkeitsmerkmale des Teils I der Anlage 1a zum BAT-O für Angestellte im Büro, Buchhalterei, sonstigen Innendienst und im Außendienst maßgebend. Der Wachpolizist übt seit dem Jahr 1993 eine unveränderte Tätigkeit als Wachpolizist im Objektschutz aus.

§ 17 Abs. 1 TVÜ-Länder ordnet zunächst die Weitergeltung von §§ 22, 23 BAT-O einschließlich der Anlage 1a bis zum 31.12.2011 an. Diese Bestimmungen sind für die Eingruppierung weiterhin maßgebend. Die ursprünglich nur als vorübergehend angesehene Überleitung der Angestellten entsprechend der Anlage 2 zum TVÜ-Länder im Sinne einer formalen Zuordnung der bisherigen Vergütungsgruppen des BAT-O zu den neuen Entgeltgruppen des TVÜ-Länder ist mit Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung zum TV-L am 1.01.2012 als grundsätzlich dauerhaft bestimmt worden (§ 29a Abs. 2 TVÜ-Länder). Eine Überprüfung und ggf. Neufeststellung der mit der Überleitung erfolgten Eingruppierungen sollte für die Dauer der unverändert auszuübenden Tätigkeit nicht mehr stattfinden2. Danach verbleibt es grundsätzlich – soweit sich die Tätigkeit nicht ändert – auch nach dem 1.01.2012 bei der zuvor zutreffenden Eingruppierung3.

Die Tätigkeit des Wachpolizisten hat sich mit dem Wechsel des Einsatzes vom sog. Springer zum schwerpunktmäßigen Einsatz an bestimmten Objekten ab November 2017 nicht im Tarifsinne verändert.

Von einer unverändert auszuübenden Tätigkeit iSd. § 29a Abs. 2 Satz 1 TVÜ-Länder ist nicht mehr auszugehen, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer Tätigkeitsänderung unabhängig vom Inkrafttreten der neuen Entgeltordnung zum TV-L gehalten gewesen wäre, die Eingruppierung des Arbeitnehmers zu überprüfen, also dann, wenn sich die geänderte Tätigkeit auf die Eingruppierung auswirken kann. Die bereits bestehenden Arbeitsverhältnisse sollen bei Veränderungen der – auch sonst geltenden – Tarifautomatik unterworfen sein. Nicht maßgebend ist demgegenüber, ob sich durch die Änderung der Tätigkeit tatsächlich eine andere Eingruppierung ergibt. Die Tarifvertragsparteien haben mit dem Begriff der „auszuübenden Tätigkeit“ die gleiche Begrifflichkeit wie in § 22 BAT-O und § 12 TV-L gewählt, so dass die gleichen Maßstäbe anzuwenden sind. § 29a TVÜ-Länder stellt auf die Tätigkeit und nicht auf die Eingruppierung ab. Daher kann eine veränderte Tätigkeit ua. beim Wechsel des Inhalts der Arbeitsaufgaben oder bei der Änderung der Art und Weise, wie die Tätigkeit zu erledigen ist, vorliegen4.

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Nach diesen Grundsätzen ist auch für die Zeit nach dem 31.10.2017 von einer unveränderten Tätigkeit des Wachpolizisten auszugehen. Durch den schwerpunktmäßigen Einsatz an bestimmten Bewachungsobjekten hat sich die auszuübende Tätigkeit des Wachpolizisten lediglich hinsichtlich der Anzahl der zu überwachenden Objekte, nicht aber als solche geändert. Der Wachpolizist übt dieselben Überwachungsaufgaben aus.

Die gesamte durch den Wachpolizisten auszuübende Tätigkeit macht einen einheitlichen Arbeitsvorgang aus.

Nach § 22 Abs. 2 BAT-O ist für die Bestimmung des Arbeitsvorgangs das Arbeitsergebnis maßgebend. Für die Beurteilung, ob eine oder mehrere Einzeltätigkeiten zu einem Arbeitsergebnis führen, sind eine natürliche Betrachtungsweise und die durch den Arbeitgeber vorgenommene Arbeitsorganisation ausschlaggebend. Dabei kann die gesamte vertraglich geschuldete Tätigkeit einen einzigen Arbeitsvorgang ausmachen. Einzeltätigkeiten können dann nicht zusammengefasst werden, wenn die verschiedenen Arbeitsschritte von vornherein getrennt sind. Hierfür reicht jedoch die theoretische Möglichkeit, einzelne Arbeitsschritte oder Einzelaufgaben verwaltungstechnisch isoliert auf andere Beschäftigte zu übertragen, nicht aus. Bei der Zuordnung zu einem Arbeitsvorgang können wiederkehrende und gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden. Die tarifliche Wertigkeit der verschiedenen Einzeltätigkeiten oder Arbeitsschritte bleibt dabei zunächst außer Betracht. Erst nachdem die Bestimmung des Arbeitsvorgangs erfolgt ist, ist dieser anhand des in Anspruch genommenen Tätigkeitsmerkmals zu bewerten5.

Danach besteht die gesamte auszuübende Tätigkeit aus einem einheitlichen Arbeitsvorgang. Davon ist im vorliegenden Fall das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz zutreffend ausgegangen6. Sämtliche Aufgaben sind auf ein einheitliches Arbeitsergebnis gerichtet. Der Wachpolizist hat die ihm zugewiesenen Bereiche zu überwachen, die Objekte zu sichern und zu schützen, um Vorbereitungshandlungen zu Straftaten und Ordnungswidrigkeiten gegen die Objekte zu erkennen und deren Begehung gegenüber Bewohnern und Besuchern sowie auf die Gesamtheit der Objekte zu verhindern. Ergebnis seiner Tätigkeit ist die Gewährleistung der Sicherheit der jeweiligen Objekte. Dabei kann dahinstehen, ob der Wachpolizist die Tätigkeiten im Objektschutz auch im Rad- oder motorisierten Streifendienst oder – wie von den Parteien in der Revision übereinstimmend vorgetragen – ausschließlich als Fußstreife ausübt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Tätigkeiten dann auf unterschiedliche Arbeitsergebnisse gerichtet wären.

Der Wachpolizist übt als Angestellter eine Tätigkeit aus, die gründliche Fachkenntnisse erfordert (Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1b BAT-O). Das hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg im Ergebnis zutreffend erkannt.

Bei dem Tarifmerkmal der „gründlichen Fachkenntnisse“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg den Rechtsbegriff als solchen erkannt und ihn bei der Subsumtion beibehalten hat, ob es Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat sowie darauf, ob es in sich widerspruchsfrei ist7.

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Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat seiner Prüfung den zutreffenden Rechtsbegriff zugrunde gelegt.

Nach der Klammerdefinition zur Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1b BAT-O setzen „gründliche Fachkenntnisse“ nähere Kenntnisse von ua. Gesetzen, Verwaltungsvorschriften und Tarifbestimmungen des fraglichen Aufgabenkreises voraus. Die Fachkenntnisse müssen sich nicht notwendig auf Rechtsvorschriften beziehen, wie sich bereits aus dem Zusatz „usw.“ zu der Klammerdefinition zur Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1b BAT-O ergibt. Vielmehr zählen hierzu auch alle sonstigen zur Ausübung der Tätigkeit benötigten Fachkenntnisse wie Erfahrungswissen oder Wissen der Allgemeinbildung. Es sind Fachkenntnisse von nicht ganz unerheblichem Ausmaß und nicht nur oberflächlicher Art zu verlangen. Das Tätigkeitsmerkmal erfordert danach erweiterte Fachkenntnisse sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht8.

Von diesem Rechtsbegriff ist das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg bei seiner Prüfung ausgegangen. Entgegen der Auffassung der Revision hat es die Tiefe der erforderlichen Kenntnisse nicht eingeschränkt, indem es ausgeführt hat, es sei nicht erforderlich, dass der Angestellte die anzuwendenden Normen voll beherrschen müsse. Dies dient lediglich der Abgrenzung zu den – für gründliche Fachkenntnisse nicht zwingend erforderlichen – Detailkenntnissen. Gleiches gilt, soweit das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg davon ausgegangen ist, Fachkenntnisse nicht ganz unerheblichen Ausmaßes lägen dann vor, wenn „mehr als nur minimale Fachkenntnisse verlangt“ würden. Damit soll – lediglich – der Unterschied zu den „vielseitigen Fachkenntnissen“ verdeutlicht werden, an die andere Anforderungen zu stellen sind9.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat allerdings rechtsfehlerhaft bei der Subsumtion ua. auf die Muster-BAK abgestellt. Diese käme als Grundlage für die Bewertung der Tätigkeit allenfalls dann in Betracht, wenn sie sich auf die konkrete; vom Wachpolizisten auszuübende Tätigkeit bezöge. Dies ist aber nicht der Fall. Sie stellt lediglich eine generelle Vorgabe für die Tätigkeit von Polizeiangestellten im Objektschutz dar10, die zudem nach der eigenen Auffassung des Wachpolizisten seine Tätigkeit nicht (mehr) zutreffend wiedergibt.

Das Bundesarbeitsgericht kann die erforderliche Prüfung jedoch selbst vornehmen, da das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg alle erforderlichen Feststellungen getroffen hat (§ 563 Abs. 3 ZPO). Danach erfordert die Tätigkeit des Wachpolizisten gründliche Fachkenntnisse.

Die zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse ergeben sich zunächst aus den Posten-/Streifenanweisungen. Die für die darin beschriebenen Maßnahmen erforderlichen Rechtskenntnisse sind der PDieVO sowie der PAng OS – dort insbesondere Nr. 5, zu entnehmen. Diese werden den Polizeiangestellten im Objektschutz nach den vorgelegten Unterrichtsmaterialien ua. im Modul 2 „Rechtskunde“ des Grundlehrgangs vermittelt.

Sie erfassen nach § 3 Nr. 1 PDieVO Ermittlungen, Befragungen und Datenerhebungen (§ 18 Allgemeines Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Berlin idF vom 11.10.2006, GVBl. S. 930 – ASOG), Identitätsfeststellung (§ 21 ASOG), die Prüfung von Berechtigungsscheinen (§ 22 ASOG), Platzverweisungen (§ 29 ASOG), Ingewahrsamnahmen von Personen (§ 30 ASOG), Durchsuchung von Personen (§ 34 ASOG) und Sachen (§ 35 ASOG), das Betreten von Arbeits, Betriebs- und Geschäftsräumen sowie anderen der Öffentlichkeit zugänglichen Räumen und Grundstücken (§ 36 ASOG) sowie die Sicherstellung von Sachen (§ 38 ASOG). Ferner sind nach § 3 Nr. 2 PDieVO Kenntnisse zur Ausübung unmittelbaren Zwangs (§ 12 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz vom 27.04.1953, GVBl. S. 361 – VwVG) erforderlich.

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Dem Wachpolizisten sind zudem nach § 3 Nr. 3 PDieVO aufgrund des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin vom 22.06.197011 Befugnisse nach § 19 UZwG zum Gebrauch von Hiebwaffen und Reizstoffen, nach § 20 UZwG zur Fesselung von Personen und nach § 11 UZwG zum Schusswaffengebrauch zur Verhinderung von Verbrechen oder Vergehen unter Anwendung oder Mitführung von Schusswaffen oder Explosionsmitteln übertragen. Diese Vorschriften muss der Wachpolizist kennen.

Nach § 3 Nr. 3a PDieVO erfordert die Tätigkeit des Wachpolizisten darüber hinaus Kenntnisse über die Möglichkeit des Schusswaffengebrauchs zur Notwehr und Nothilfe nach § 32 StGB und § 227 BGB.

Er muss ferner nach § 3 Nr. 4 und Nr. 5 PDieVO über Kenntnisse zu §§ 81a und 81c StPO (körperliche Untersuchung des Beschuldigten, Zulässigkeit körperlicher Eingriffe und Untersuchung anderer, nicht beschuldigter Personen), § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO (vorläufige Festnahme) und § 36 Abs. 1 StVO (Zeichen und Weisungen der Polizeibeamten) verfügen.

Zudem sind zur Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse nach § 3 Nr. 6 PDieVO Kenntnisse über die Möglichkeiten zur Datenerhebung (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 163 Abs. 1 Satz 2 StPO) und Identitätsfeststellung (§ 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 163b Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 StPO) vorzuhalten, soweit die Angehörigen der Wachpolizei zur Erteilung von Verwarnungen nach dem OWiG ermächtigt sind (§§ 57, 58 OWiG).

Darüber hinaus benötigt der Wachpolizist Rechtskenntnisse über Straftatbestände wie Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Sachbeschädigung (§ 303 StGB) und unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB). Dies ergibt sich aus den vom Wachpolizisten vorgelegten Unterrichtsmaterialien12.

Der Wachpolizist muss als Waffenträger zudem Kenntnisse über die Zulässigkeit der Anwendung, die praktische Handhabung und die sichere Verwahrung und Pflege der Waffe13 besitzen.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass er nach Nr. 4.1 Abs. 2 PAng OS überwiegend in Einzelverantwortung tätig wird und in jeder Situation bei der Prüfung von Sachverhalten mit „psychologischem Einfühlungsvermögen“ und „polizeilichem Gespür“ eigene Überlegungen anstellen, die Initiative ergreifen und selbstständig die erforderlichen Maßnahmen treffen muss. Auch das hierfür erforderliche Erfahrungswissen stellt Fachkenntnisse iSd. Tarifmerkmals dar.

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Zudem muss der Wachpolizist zur Ausübung seiner Tätigkeit den Inhalt der jeweiligen Objektschutzbefehle erfassen. Diese vermitteln, zusammen mit den Posten-/Streifenanweisungen – Kenntnisse über die Lage, örtlichen Gegebenheiten und Sicherheitseinrichtungen der jeweiligen Objekte. Sie enthalten Informationen über Bewohner und Besucher.

Diese Fachkenntnisse erreichen ein nicht ganz unerhebliches Ausmaß und sind damit in quantitativer Hinsicht „gründlich“ iSd. Tarifmerkmals.

Der Wachpolizist muss, um seine Tätigkeit ausüben zu können, nicht nur verschiedene Normen aus verschiedenen Gesetzen kennen, sondern darüber hinaus auch – wie dargelegt – über Praxiswissen verfügen. Bereits diese Vielfalt an Kenntnissen führt dazu, dass diese ein nicht ganz unerhebliches Ausmaß erreichen. Zudem beschränken sich die erforderlichen (Rechts-)Kenntnisse entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht auf die in der PDieVO aufgeführten „22 Normen“. Die dort ausdrücklich aufgeführten Normen können nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und damit unter Berücksichtigung der jeweils gefährdeten und durch einen etwaigen Eingriff beeinträchtigten Grundrechte Dritter zutreffend angewendet werden. Zudem kann der Wachpolizist ohne Kenntnis der die jeweiligen Eingriffsnormen flankierenden Verfahrensvorschriften seine Befugnisse nicht rechtmäßig ausüben. Aus der reinen Anzahl der anzuwendenden Normen lässt sich ohnehin nicht der Rückschluss ziehen, es handele sich um Fachkenntnisse von unerheblichem Ausmaß. Für die Bestimmung des Ausmaßes der Normenkenntnisse ist ihr Inhalt, ihre Komplexität und der Umfang der durch sie begründeten Befugnisse maßgebend. Bei den vorliegend vom Wachpolizisten anzuwendenden Normen handelt es sich um vielschichtige Eingriffsnormen, die bereits in geringer Anzahl ein nicht unerhebliches Ausmaß an Fachkenntnissen begründen können. Zudem muss er in der Lage sein, sowohl präventiv zur Gefahrenabwehr als auch repressiv zur Strafverfolgung tätig zu werden.

Darüber hinaus erfordert der – jederzeit mögliche – Waffengebrauch nicht lediglich in relativ kurzer Zeit erlernbare praktische Fähigkeiten. Die dabei erforderlichen Kenntnisse lassen sich – anders als vom beklagten Land behauptet – nicht auf die Vorgabe „Waffe im Notfall verwenden, möglichst wenig Schaden anrichten“ reduzieren. Der Waffeneinsatz erfordert vielmehr neben den Kenntnissen für den Einsatz und sicheren Umgang mit der jeweiligen Waffe umfassende Kenntnis der Verhältnismäßigkeit des Vorgehens in verschiedenen Situationen. Damit handelt es sich nicht lediglich um „schwierigere Tätigkeiten“ iSd. Vergütungsgruppe VIII Fallgruppe 1a BAT-O.

Entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist die Dauer des Grundlehrgangs kein Indiz für erforderliche Fachkenntnisse in nur unerheblichem Ausmaß. Aus dem vorgegebenen Unterrichtsstoff einer Schulung, die – wie vorliegend – gezielt der Qualifizierung für eine konkret auszuübende Tätigkeit dient, können zwar unter Umständen Rückschlüsse auf die für die Tätigkeit erforderlichen Fachkenntnisse gezogen werden14. Allein die Dauer der Schulung lässt aber nicht den Schluss auf Art und Umfang der erforderlichen Fachkenntnisse zu.

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Die zur Ausübung der Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse sind zudem nicht nur oberflächlicher Art und erfüllen damit ebenso in qualitativer Hinsicht die Anforderungen an „gründliche Fachkenntnisse“.

Der Wachpolizist muss den Inhalt und die Bedeutung der von ihm anzuwendenden Normen so detailliert kennen, dass er in der Lage ist, diese im Falle des Eintritts einer Gefahr und der Begehung einer Straftat schnell anzuwenden. Das betrifft nicht nur die Voraussetzungen der Normen und die für den Wachpolizisten daraus folgenden Befugnisse, sondern auch die erforderlichen Abwägungen mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit der jeweiligen Maßnahme. Bereits dies ist ausreichend, um Kenntnisse nicht nur oberflächlicher Art anzunehmen. Entgegen der Auffassung des beklagten Landes liegen solche nicht erst dann vor, wenn Kenntnisse von Aufbau, Systematik und Entstehungsgeschichte eines Gesetzes erforderlich sind und Normen derart tiefgründig beherrscht werden müssen, dass der Anwender „Anklage erheben“ und „alle … Tatbestandsvoraussetzungen nachweisen“ kann. Ein derartiges Wissen erfordert regelmäßig ein Hochschulstudium und damit weit über das Tarifmerkmal „gründlich“ hinausgehende Fachkenntnisse.

Die Kenntnisse des Wachpolizisten beschränken sich weiterhin nicht deshalb auf solche oberflächlicher Art, weil er die Möglichkeit hat, die Abschnittspolizei zur Unterstützung heranzuziehen. Der Wachpolizist muss zur Gefahrenabwehr uU sofort tätig werden. Er hat nicht die Möglichkeit, grundsätzlich das Eintreffen der Abschnittspolizei abzuwarten.

Etwas Anderes ergibt sich – anders als das beklagte Land annimmt – nicht daraus, dass in der Entgeltordnung zum TV-L eine Tätigkeit, die gründliche Fachkenntnisse erfordert, ebenso wie eine Tätigkeit eines Beschäftigten mit erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf zu einer Eingruppierung in Entgeltgruppe 5 TV-L führt. Selbst wenn sich dem eine Wertung der Tarifvertragsparteien für eine Eingruppierung nach der Entgeltordnung zum TV-L entnehmen ließe, erlaubt dies keinen Rückschluss auf das Verständnis der für die Eingruppierung des Wachpolizisten maßgebenden (älteren) Tarifmerkmale des BAT-O.

Der Wachpolizist war am 31.10.2010, dem gemäß § 39 Abs. 1 Angleichungs-TV Land Berlin iVm. § 8 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder maßgebenden Stichtag, in die Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 2 BAT-O nach Aufstieg aus der Vergütungsgruppe VII Fallgruppe 1b BAT-O eingruppiert. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-Länder iVm. Anlage 2 TVÜ-Länder war er zum 1.11.2010 in die Entgeltgruppe 6 TV-L überzuleiten.

Die Entgeltansprüche des Wachpolizisten sind nicht verfallen. Das Schreiben seines Prozessbevollmächtigen vom 28.12.2012 hat die tarifliche Ausschlussfrist nach § 37 Abs. 1 TV-L für eine Vergütung nach Entgeltgruppe 6 TV-L ab dem 1.06.2012 gewahrt.

Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von dem Beschäftigten oder von der Arbeitgeberin schriftlich geltend gemacht werden. Tarifliche Ausschlussfristen dienen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Der Anspruchsgegner soll sich auf die aus Sicht des Anspruchstellers noch offene Forderung rechtzeitig einstellen, Beweise sichern und ggf. Rücklagen bilden können. Er soll vor der Verfolgung von Ansprüchen, mit deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht rechnen muss, geschützt werden. Ausgehend von ihrem Sinn und Zweck ist die Ausschlussfrist nur gewahrt, wenn der Anspruchsteller unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er Inhaber einer nach Grund und Höhe spezifizierten Forderung ist und auf der Erfüllung dieser Forderung besteht. Einer ausdrücklichen Zahlungsaufforderung bedarf es zur Geltendmachung nicht15.

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Mit dem Schreiben vom 28.12.2012 ist der Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe 6 TV-L ab dem 1.06.2012 durch die Aufforderung „meine Mandanten aus den vorgenannten Gründen mit Wirkung ab dem 1.01.2012 in die Vergütungsgruppe E 4 bzw. E 8 höherzugruppieren“ ausreichend geltend gemacht worden. Der Wachpolizist hat für das beklagte Land erkennbar eine Höhergruppierung verlangt. Dieses Verlangen konnte sich nur auf die Entgeltgruppe 8 TV-L, nicht aber auf die Entgeltgruppe 4 TV-L beziehen, da er zu diesem Zeitpunkt bereits nach Entgeltgruppe 5 TV-L vergütet wurde. Damit ist zugleich die Ausschlussfrist für eine Vergütung nach Entgeltgruppe 6 TV-L gewahrt worden16.

Die durch das beklagte Land erhobene Einrede der Verjährung ist unbegründet. Die Verjährung für die mit der Feststellungsklage geltend gemachten Vergütungsansprüche ab dem 1.06.2012 ist nach den §§ 195, 199 Abs. 1 BGB aufgrund der im Jahr 2015 erhobenen Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30. November 2022 – 4 AZR 195/22

  1. vgl. dazu BAG 3.07.2013 – 4 AZR 41/12, Rn. 12 ff. mwN[]
  2. sh. Protokollerklärung zu § 29a Abs. 2 TVÜ-Länder[]
  3. BAG 22.06.2022 – 4 AZR 495/21, Rn. 23 mwN[]
  4. BAG 9.09.2020 – 4 AZR 195/20, Rn.20 f. mwN, BAGE 172, 130[]
  5. umfassend zum inhaltsgleichen § 12 TV-L BAG 9.09.2020 – 4 AZR 195/20, Rn. 27 ff., BAGE 172, 130[]
  6. LAG Berlin-Brandenburg 24.03.2022 – 21 Sa 1313/21[]
  7. zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zB BAG 13.11.2019 – 4 AZR 490/18, Rn. 50, BAGE 168, 306[]
  8. BAG 27.02.2019 – 4 AZR 562/17, Rn. 34; grdl. 24.08.1983 – 4 AZR 32/81 – mwN[]
  9. vgl. hierzu zB BAG 21.03.2012 – 4 AZR 266/10, Rn. 36[]
  10. vgl. BAG 27.02.2019 – 4 AZR 562/17, Rn. 26 zur Tätigkeitsdarstellung[]
  11. GVBl. S. 921 – UZwG[]
  12. zu deren Berücksichtigung BAG 27.02.2019 – 4 AZR 562/17, Rn. 42[]
  13. vgl. Nr. 3.3 PAng OS[]
  14. vgl. bereits BAG 27.02.2019 – 4 AZR 562/17, Rn. 42; 22.11.2017 – 4 AZR 629/16, Rn. 44[]
  15. BAG 27.04.2022 – 4 AZR 463/21, Rn. 59 mwN[]
  16. vgl. BAG 3.08.2005 – 10 AZR 559/04, zu II 1 c aa der Gründe[]

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