Eingruppierung eines Schiffsführers – und das Große Rheinpatent

Das Große Rheinpatent ist kein internationales Befähigungszeugnis iSd Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schifffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes.

Eingruppierung eines Schiffsführers – und das Große Rheinpatent

So verneinte das Landesarbeitsgericht Niedersachsen im hier entschiedenen Fall einen Anspruch des Schiffsführers auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes, denn er verfügt nicht über ein internationales nautisches Befähigungszeugnis im Tarifsinne.

Die Tarifvertragsparteien haben eine von sonstigen Bestimmungen, ggf. auch vom Sprachgebrauch abweichende Regelung getroffen; sie haben eigenständig festgelegt, welche nautischen Befähigungszeugnisse im Sinne des Tarifvertrages für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD als international gelten sollen. Dafür spricht schon der Umstand, dass das große Rheinpatent in der hier anzuwendenden Tabelle des Teils V1, als internationaler Befähigungsnachweis nicht aufgeführt ist, hingegen an anderer Stelle, nämlich dem der Tabelle des Teils V folgenden Abschnitt (Beschäftigte auf Schiffen und schwimmenden Geräten im Bereich der Binnenschifffahrtsstraßen) genannt wird. Das schließt zudem die Annahme aus, es läge eine unbewusste Regelungslücke vor; die Tarifvertragsparteien hätten „schlichtweg nicht bedacht, dass auch Binnenschiffer im Bereich der Seeschifffahrtsstraßen unterwegs“ seien. Gerade diesen Umstand berücksichtigen sie hier.

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Unerheblich ist die Einstufung der nautischen Patente in der Richtlinie 91/672 EWG des Rates vom 16.12 1991 und der Richtlinie 96/50 des LEG des Rates vom 23.07.1996. Es ist den Tarifvertragsparteien nicht verwehrt, in eigener Verantwortung und im Wesentlichen ohne staatliche Einflussnahme Anforderungen der tariflichen Eingruppierung festzulegen.

Für die in der Vorinstanz vom Arbeitsgericht Oldenburg2 vorgenommene Auslegung spricht zudem die gesetzliche Definition der Wasserstraßen, die unter die SeeSchStrO fallen. Das Einsatzgebiet des Schiffsführers ist der Zone 2 der Binnenschiffs-Untersuchungsordnung zugeordnet; es gilt die Binnenschifferpatentverordnung, sodass für das Befahren der Weser im Fahrgebiet des Schiffsführers ein internationales Befähigungszeugnis im Tarifsinne nicht erforderlich ist.

Die Weser ist verfassungsrechtlich eine Bundeswasserstraße i.S.v. Art. 89 Abs. 2 GG. Die Bundeswasserstraßen sind in Binnen- und Seewasserstraßen unterteilt. Die Grenze zwischen beiden verläuft bei der Weser am Mündungstrichter. Die Binnenwasserstraßen wiederum sind unterteilt in „dem allgemeinen Verkehr dienend“ oder „nicht dienend“. Die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen sind in der Anlage 1 zum Bundeswasserstraßengesetz (§ 1 WaStrG) aufgeführt. In deren Ziffer 64 findet sich die Weser. Gemäß § 1 SeeSchStrO (Seeschifffahrtsstraßenordnung) ist die Weser bis zur Nordwestkante der Eisenbahnbrücke in Bremen mit dem Nebenarmen Schweiburg, Rechter Nebenarm, Rekumer Loch eine Seewasserstraße.

Für das Fahrgebiet des Schiffsführers auf der Weser gilt damit zwar die SeeSchStrO. Dennoch bleibt die Weser bis zur Mündung eine Binnenwasserstraße, für die nach § 1 Ziffer 1 Anlagen 1 und 3 der Binnenschiffs-Untersuchungsordnung die Binnenschifferpatentverordnung gilt: Die Weser ist von der Untergrenze des Hafens Brake bis zur Verbindungslinie zwischen den Kirchtürmen Langwarden und Cappel mit den Nebenarmen der Zone 2 – See zugeordnet; von der Nordwestkante der Eisenbahnbrücke in Bremen bis zur unteren Grenze des Hafens Brake mit dem Nebenarm Rekumer Loch ist die Weser der Zone 2 – Binnen zugeordnet.

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Grundsätzlich gilt die Unterscheidung zwischen See- und Binnenwasserstraßen. Eine Seeschifffahrtsstraße kann aber, wie im vorliegenden Fall, durchaus Teil einer Binnenwasserstraße sein. Alle Schiffe, mit denen der Schiffsführer als Kapitän fährt, sind Binnenschiffe, die den Bereich der Binnenwasserstraße nicht überschreiten dürfen. Das berücksichtigt die Tarifordnung.

Auch die Vorbemerkungen des Teils V zu den Abschnitten 1 bis 4 in der Anlage 1 der Entgeltordnung unterstützen das Ergebnis. Sie unterscheiden hinsichtlich der Befähigungszeugnisse im Küstenbereich zwischen internationalem und nationalem nautischen Befähigungszeugnis sowie den internationalen und den schiffsmaschinentechnischen Befähigungszeugnissen. Im Binnenbereich dagegen unterscheiden sie zwischen nautischen Befähigungszeugnissen ohne und solchen mit Einschränkungen.

Unter einem internationalen nautischen Befähigungszeugnis sind die Zeugnisse für den nautischen Dienst in der Seeschifffahrt nach der Seeleute-Befähigungsverordnung (See-BV) zu verstehen; die Befähigungszeugnisse des Kapitäns in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) und des nautischen Wachoffiziers in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) gelten als internationales Befähigungszeugnis, wenn das Schiff in küstennaher Fahrt mit Einsätzen in Gewässern des europäischen Teils der Niederlande, Polens und Dänemarks (mit Ausnahme der Färöer und Grönland) eingesetzt wird. Dazu befähigt das Große Rheinpatent nicht. Nationale nautische Befähigungszeugnisse hingegen sind die Befähigungszeugnisse des Kapitäns in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) und des nautischen Wachoffiziers in der küstennahen Fahrt bis 500 BRZ (See-BV) mit Einsätzen in deutschen Hoheitsgewässern und weitere nationale Befähigungszeugnisse. Dazu wohl befähigt auch das Große Rheinpatent.

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Da der Schiffsführer damit nicht über ein internationales Befähigungszeugnis im Tarifsinne verfügt, für die ihm übertragene Tätigkeit ein solches auch nicht erforderlich ist, besteht ein Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe 9 b Ziffer 1 TVöD für Beschäftigte bei der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Küstenbereich für Besatzungen von Schiffen und schwimmenden Geräten gemäß Ziffer 1.1 des Teils V der Entgeltordnung des Bundes nicht.

Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 12. Juni 2017 – 8 Sa 1249/16 E

  1. Besondere Tätigkeitsmerkmale im Bereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur, Bl. 90f. d. A.[]
  2. ArbG Oldenburg 20.10.2016 – 5 Ca 419/15 E[]