Ein im Rahmen eines vom Johanniter-Hilfsdienst angebotenen Hausnotrufdienstes eingesetztem Fahrer kann als Mitarbeiters im HNR-Einsatzdienst mit Betreuungsaufgaben nach Entgeltgruppe 3 AVR-Johanniter einzugruppieren sein.

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall streiten die Arbeitsvertragsparteien über die zutreffende Eingruppierung des Arbeitnehmers und über die Vergütung der sog. Hausnotruf-Bereitschaft (HNR-Bereitschaft). Der beklagte Verein (Arbeitgeber) gehört zum Johanniterorden und betreibt soziale Dienstleistungen. Er bietet ua. einen ganztägigen Hausnotrufdienst in Mittelthüringen an. Der Arbeitnehmer war ausweislich des Arbeitsvertrags seit Februar 2013 bei dem Arbeitgeber als „Fahrer BFD/HNR-Bereitschaft“ tätig. Im April 2014 nahm er an einem von der Johanniter-Akademie durchgeführten Seminar zum Thema „Einsatzkräfte im Hausnotruf der JUH“ teil. Dieses vermittelte ua. Kenntnisse in der Kundenbetreuung und in Lagerungstechniken. Auf das zwischenzeitlich beendete Arbeitsverhältnis fanden kraft einzelvertraglicher Bezugnahme die Arbeitsvertragsrichtlinien der Johanniter (im Folgenden AVR-J) in der jeweils geltenden Fassung Anwendung. Die für den Rechtsstreit maßgeblichen Bestimmungen der AVR-J in der Fassung vom 01.01.2016 lauten auszugsweise:
D. Eingruppierung
§ 15 Eingruppierung
Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter ist nach den Merkmalen der übertragenen Tätigkeiten in die Entgeltgruppe gemäß der Anlage 1 eingruppiert. Die Tätigkeiten müssen ausdrücklich übertragen sein (z.B. im Rahmen von Aufgaben- oder Stellenbeschreibungen). Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in die sie bzw. er eingruppiert ist. …
Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters erfolgt in die Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmale sie bzw. er erfüllt und die der Tätigkeit das Gepräge geben. Gepräge bedeutet, dass die entsprechende Tätigkeit unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitsauftrages ist.
…
Die Eingruppierung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters richtet sich nach den Obersätzen der Entgeltgruppe, die für die Tätigkeitsbereiche in den Untersätzen näher beschrieben werden. Den Sätzen sind Richtbeispiele zugeordnet, die häufig anfallende Tätigkeiten in dieser Eingruppierung benennen.
Die Anlage 1 zu den AVR-J lautet auszugsweise:
Anlage 1 Eingruppierungskatalog
…
Entgeltgruppe 2 (Anm. 2)
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die nach einer fachlichen Einarbeitung ausgeführt werden könnenHierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sehr einfachen Tätigkeiten (Anm. 2) in den Tätigkeitsbereichen
- Hauswirtschaft/Handwerk/Technik;
…
Richtbeispiele: … Technische Hilfskraft im HNR-Bereich, …
Entgeltgruppe 3 (Anm. 2, 3, 12, 13)
A. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Tätigkeiten, die Fertigkeiten und einfache Kenntnisse voraussetzen
Hierzu gehören Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
- mit einfachen Tätigkeiten (Anm. 3) in den Tätigkeitsbereichen
- Pflege/Betreuung/Erziehung,
…
Richtbeispiele: … Mitarbeiterin im HNR-Einsatzdienst mit Betreuungsaufgaben, …
…
Anmerkungen:
…
Einfache Tätigkeiten setzen Fertigkeiten und einfache Kenntnisse voraus. Fertigkeiten und einfache Kenntnisse werden in erweiterter fachlicher Einarbeitung über einen längeren Zeitraum, in Schulungen oder durch einschlägige Tätigkeitserfahrungen erlangt. Durch das so erlangte Wissen kann auf unterschiedliche Arbeitssituationen und -anforderungen angemessen reagiert werden.
…
Die Anlage 8b zu den AVR-J lautet auszugsweise:
Anlage 8b Mitarbeitende im Fahrdienst
§ 1 Geltungsbereich
Für Mitarbeitende im Fahrdienst, die gemäß § 2 dieser Regelung eingesetzt sind, gelten die AVR-J mit den nachfolgend festgehaltenen Abweichungen.
§ 2 Eingruppierung
Mitarbeitende, die als Fahrerin bzw. Fahrer im
…
- Hausnotrufdienst
tätig sind, … sind in die Entgeltgruppe F eingruppiert.
Absatz 1 gilt nicht für Fahrerinnen und Fahrer, die einen Führerschein der Klassen C1/C/D1/D/BE/C1E/CE/D1E oder DE benötigen oder Mitarbeitende, für deren Tätigkeit eine bestimmte Qualifikation vorausgesetzt wird (z.B. als Rettungshelfer, Einsatzkraft im Hausnotrufdienst).
…
Der hier klagende Arbeitnehmer war im streitgegenständlichen Zeitraum in Entgeltgruppe 3 AVR-J eingruppiert. Ihm steht deshalb die geltend gemachte und der Höhe nach unstreitige Entgeltdifferenz zwischen Entgeltgruppe F AVR-J und Entgeltgruppe 3 AVR-J zu:
Die Vergütung des Arbeitnehmers richtete sich unstreitig nach den arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Regelungen der AVR-J. Der Eingruppierungskatalog der Anlage 1 AVR-J sieht für die Tätigkeit eines Mitarbeiters im HNR-Einsatzdienst mit Betreuungsaufgaben eine Vergütung nach Entgeltgruppe 3 AVR-J vor. Dies folgt aus dem entsprechenden Richtbeispiel in Teil A der Entgeltgruppenregelung. Die Tätigkeit des Arbeitnehmers entsprach den Anforderungen dieses Richtbeispiels.
Die Erfordernisse eines Tätigkeitsmerkmals einer Entgeltgruppe sind regelmäßig als erfüllt anzusehen, wenn der Arbeitnehmer eine dem in der Entgeltgruppe genannten Regel- oder Richtbeispiel entsprechende Tätigkeit ausübt1.
Dies ist vorliegend gegeben. Der Arbeitnehmer übte eine dem in Teil A der Entgeltgruppe 3 AVR-J genannten Richtbeispiel „Mitarbeiterin im HNR-Einsatzdienst mit Betreuungsaufgaben“ entsprechende Tätigkeit aus. Das folgt aus der Auslegung der AVR-J.
Dabei kann unentschieden bleiben, ob es sich bei den für den Rechtsstreit maßgeblichen AVR-J um Arbeitsrechtsregelungen des Dritten Weges handelt2 und damit die für solche Regelungen geltenden Auslegungsmaßstäbe zur Anwendung kommen3 oder ob sich die Auslegung nach den für allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Maßgaben richtet4. Beide Auslegungswege führen zum selben Ergebnis.
Der Arbeitnehmer war im HNR-Einsatzdienst beschäftigt und hatte dabei Betreuungsaufgaben zu erfüllen. Der Begriffsbestandteil „Betreuung“ in dem Richtbeispiel bedeutet „Fürsorge“, „Pflege“, „Versorgung“5. Bei den vom Arbeitnehmer im Rahmen der HNR-Bereitschaft unstreitig wahrgenommenen Aufgaben wie zB aus dem Bett oder dem Rollstuhl gefallenen Notrufenden aufzuhelfen, sie zurückzubetten bzw. in den Rollstuhl oder auf eine andere Sitzgelegenheit zu setzen, mit ihnen auf die Toilette zu gehen und sie bei Inkontinenz auch zu waschen, handelt es sich um Maßnahmen mit eindeutig versorgendem Charakter. Diese Verrichtungen dienen der Hilfeleistung und gehen erkennbar über das bloße Einschätzen der vorgefundenen Situation, also ob bspw. ein Arzt bzw. der Rettungsdienst zu benachrichtigen ist oder Hilfsmittel zu besorgen sind, hinaus. Dabei ist unerheblich, dass es sich nicht um jeweils länger andauernde Pflegetätigkeiten, sondern um eher kurzzeitige Hilfestellungen handelt, da Letzteres in der Natur von Hausnotruf-Einsätzen liegt.
Dieses Verständnis entspricht auch dem Gesamtzusammenhang der Eingruppierungsregelungen. Die AVR-J enthalten ein ausdifferenziertes Eingruppierungssystem für Tätigkeiten im Bereich des Hausnotrufs. Die Entgeltgruppen 2 und 3 der Anlage 1 AVR-J sowie § 2 Abs. 1 und Abs. 2 der Anlage 8b AVR-J weisen diesbezügliche Tätigkeitsmerkmale und Richtbeispiele mit unterschiedlichen Inhalten aus.
Entgegen der Annahme der Revision unterfällt der vom Arbeitnehmer geleistete Hausnotrufdienst nicht der Spezialregelung in § 2 Abs. 1 der Anlage 8b AVR-J und war folglich nicht nach Entgeltgruppe F AVR-J zu vergüten. § 2 Abs. 1 der Anlage 8b AVR-J erfasst nur die reine Fahrtätigkeit im Hausnotrufdienst. Gemäß § 2 Abs. 2 AVR-J gilt die Regelung demgegenüber nicht für Mitarbeitende, für deren Tätigkeit eine bestimmte Qualifikation vorausgesetzt wird, zB als Einsatzkraft im Hausnotrufdienst. Eine solche Tätigkeit unterfällt vielmehr dem allgemeinen Eingruppierungskatalog der Anlage 1 AVR-J. Dies betrifft auch den Arbeitnehmer, denn seine Tätigkeit als Einsatzkraft im Hausnotrufdienst setzte bzgl. der Betreuung der Kunden des Notrufdienstes eine weitere Qualifikation voraus. Dies ergibt sich schon aus der notfallbezogenen Aufgabenstellung und wird zudem dadurch belegt, dass das Bildungsinstitut der Johanniter ein auch vom Arbeitnehmer besuchtes Seminar zum Thema „Einsatzkräfte im Hausnotruf der JUH“ angeboten hat, welches sich ua. mit den Themen Kundenbetreuung und Lagerungstechniken befasst.
Die Anlage 1 AVR-J unterscheidet ausdrücklich zwischen technischen Hilfskräften im HNR-Bereich, die ausweislich des entsprechenden Richtbeispiels der Entgeltgruppe 2 AVR-J zugeordnet sind, und – wie dargelegt – den nach Entgeltgruppe 3 AVR-J zu vergütenden Mitarbeitern im HNR-Einsatzdienst mit Betreuungsaufgaben. Hierdurch wird klar zum Ausdruck gebracht, dass im HNR-Einsatzdienst tätige Mitarbeiter, die nicht im technischen Bereich eingesetzt sind, sondern Betreuungsaufgaben wahrnehmen, nach Entgeltgruppe 3 AVR-J zu vergüten sein sollen, weil diese Tätigkeit als höherwertig eingeschätzt wird.
Einer Eingruppierung des Arbeitnehmers in die Entgeltgruppe 3 AVR-J steht nicht entgegen, dass er außerhalb des Hausnotrufdienstes als Fahrer eingesetzt war. Die Tätigkeit des Arbeitnehmers in der HNR-Bereitschaft war unverzichtbarer Bestandteil des ihm im Arbeitsvertrag übertragenen Arbeitsauftrags und gab daher seiner Tätigkeit das Gepräge iSv. § 15 Abs. 2 Satz 2 AVR-J.
Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 AVR-J ist das „Gepräge“ erst heranzuziehen, wenn mehrere Tätigkeitsmerkmale erfüllt sind und festzustellen ist, welches der – erfüllten – Tätigkeitsmerkmale bzw. der zugrundeliegenden Teiltätigkeiten der gesamten Tätigkeit (dem „Arbeitsauftrag“) das Gepräge gibt6. Zur Beurteilung des Gepräges kann die zu Eingruppierungsordnungen des öffentlichen Dienstes ergangene und damit auf den Arbeitsvorgang bezogene Rechtsprechung nicht herangezogen werden7. Nach den Eingruppierungsgrundsätzen der AVR-J erfolgt keine Aufspaltung der Gesamttätigkeit in einzelne Arbeitsvorgänge. Die überwiegend auszuübende Tätigkeit ist nicht ausschlaggebend. Darum kommt es dafür, ob Tätigkeiten das für die Eingruppierung erforderliche Gepräge aufweisen, auch nicht auf das zeitliche Ausmaß der Tätigkeit, sondern gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AVR-J allein darauf an, dass die Tätigkeit unverzichtbarer Bestandteil des Arbeitsauftrags ist. Tätigkeiten, die nur einen geringen Anteil der Gesamttätigkeit ausmachen und ihr deshalb nicht das Gepräge geben können, sind allerdings außer Acht zu lassen (vgl. zu § 12 Abs. 2 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD BAG 21.06.2018 – 6 AZR 38/17, Rn. 44 mwN).
Nach § 3 des Arbeitsvertrags setzte sich die dem Arbeitnehmer übertragene Arbeitsaufgabe aus der Beschäftigung als „Fahrer BFD“ und dem Einsatz in der HNR-Bereitschaft zusammen. Damit gehörte die Tätigkeit „HNR-Bereitschaft“ zu seinem Arbeitsauftrag. Sie kann bezogen auf die ihm übertragene Aufgabe in ihrer Gesamtheit nicht hinweggedacht werden und war deshalb ihr unverzichtbarer Bestandteil iSd. § 15 Abs. 2 Satz 2 AVR-J. Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Arbeitgebers auch nicht daraus, dass die HNR-Bereitschaft nicht in Form von Vollarbeit, sondern als Bereitschaft geleistet wurde, in die inaktive Zeiten fielen. Für die Zuordnung zu einer Entgeltgruppe kommt es nicht darauf an, in welchem Ausmaß der Arbeitnehmer aufgrund ausgelöster Notrufe zu aktiven Einsätzen herangezogen wurde. Dies hätte sonst zur Folge, dass die Eingruppierung nicht von der inhaltlichen Wertigkeit der übertragenen Tätigkeit, sondern von unkalkulierbaren und ggf. wechselnden äußeren Umständen abhinge. Daher ist nur bedeutsam, ob der Umfang der Einteilung zur HNR-Bereitschaft so gering war, dass er nicht prägend sein konnte. Dies trifft hier nicht zu. Der Arbeitnehmer war in der Regel ein- bis zweimal im Monat für je sieben Schichten zu 24 Stunden, mithin 168 Stunden bzw. 336 Stunden pro Monat zur HNR-Bereitschaft eingeteilt. Damit hat die HNR-Bereitschaft nicht nur einen zu vernachlässigenden Anteil an der Gesamttätigkeit des Arbeitnehmers eingenommen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2022 – 6 AZR 251/21
- vgl. hierzu BAG 21.06.2018 – 6 AZR 38/17, Rn. 44; 12.04.2016 – 6 AZR 284/15, Rn. 25 mwN[↩]
- zweifelnd KGH.EKD 10.12.2012 – II-0124/U5-12, Rn. 33 ff.; 8.09.2011 – I-0124/S67-10, Rn. 49; vgl. auch BAG 15.01.2014 – 10 AZR 403/13, Rn. 34 ff. mwN[↩]
- vgl. hierzu BAG 16.12.2021 – 6 AZR 377/20, Rn. 24[↩]
- vgl. hierzu BAG 23.09.2020 – 5 AZR 193/19, Rn. 17[↩]
- Duden Das Bedeutungswörterbuch 5. Aufl. Stichwort „Betreuung“[↩]
- so zu § 12 Abs. 2 AVR DWM BAG 20.06.2012 – 4 AZR 438/10, Rn. 25[↩]
- aA zu § 12 Abs. 2 AVR: DD Joussen/Steuernagel/Steuernagel AVR.DD § 12 Rn. 9[↩]