Einseitige Erledigterklärung im arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren

§ 83a Abs. 2 ArbGG – hier iVm. § 90 Abs. 2 ArbGG – gilt nur für den Fall übereinstimmender Erledigterklärungen1. Dies ist nicht der Fall, wenn ein am Verfahren beteiligter Arbeitnehmer den Erledigterklärungen von Arbeitgeberin und Betriebsrat widersprochen hat.

Einseitige Erledigterklärung im arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren

Dieser Widerspruch war nicht etwa unbeachtlich. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1993 mit Blick auf entsprechende Auffassungen im Schrifttum – ohne sich festzulegen – erwogen, dass das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG schon dann wegen Vorliegens übereinstimmender Erledigterklärungen einzustellen sein könnte, wenn jedenfalls der Betriebsrat sich der Erledigterklärung des Arbeitgebers angeschlossen hat2. Es hat aber schon seinerzeit auf Bedenken an dieser Ansicht hingewiesen.

Diese Bedenken greifen durch. Es widerspräche prozessrechtlichen Grundsätzen, dass eine Person am Beschlussverfahren zwar mit allen Rechten – etwa der Befugnis, selbständig Rechtsmittel einzulegen – beteiligt ist, einer Beendigung des Verfahrens durch Erledigterklärungen der übrigen Beteiligten aber nicht sollte widersprechen können. Das Gesetz kennt keine Beteiligung „zweiter Klasse“3. Die von den Befürwortern der Gegenansicht angestellte Überlegung, es solle nicht der betroffene Arbeitnehmer gleichsam im „Alleingang“, obwohl der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt und der Arbeitgeber diese – wie es die Regel sein dürfte – bereits ausgesprochen hat, den ohnehin unvermeidbaren, möglicherweise schon anhängigen Kündigungsschutzprozess im Beschlussverfahren inhaltlich vorwegnehmen können, entbehrt der sachlichen Grundlage. Gegenstand des Verfahrens nach § 103 Abs. 2 BetrVG ist nach der einseitigen, zumindest nicht auf allseitige Zustimmung stoßenden Erledigterklärung des Arbeitgebers nicht mehr dessen bis dahin angebrachter Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung. Mit der einseitigen Erledigterklärung des Klägers im Urteils- bzw. des Antragstellers im Beschlussverfahren ist vielmehr stets, zumindest konkludent – eine Änderung des bisherigen Sachantrags in den neuen Sachantrag verbunden festzustellen, dass das Verfahren erledigt ist. Die darauf gerichtete materiell-rechtliche Prüfung erstreckt sich im Beschlussverfahren gerade nicht auf die Frage, ob der Antrag bis zur Erledigterklärung zulässig und begründet war4.

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Dies gilt auch für das Verfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG. Der dessen Erledigung widersprechende Arbeitnehmer hält nicht „systemwidrig“ ein Beschlussverfahren aufrecht, dessen Gegenstand weiterhin das Vorliegen materieller Kündigungsgründe wäre. Vielmehr zwingt der widersprechende Arbeitnehmer die Beteiligten lediglich zur Fortsetzung eines Verfahrens, dessen Gegenstand der Eintritt eines erledigenden Ereignisses ist. Ihm auch diese Befugnis abzusprechen und ihm damit die Möglichkeit zu nehmen, den Eintritt eines solchen Ereignisses in Frage zu stellen, ist mit seiner gesetzlichen Beteiligtenstellung unvereinbar.

Das Verfahren bei einseitiger Erledigterklärung des Antragstellers, der nicht sämtliche Beteiligten zustimmen, ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen5.

Ihnen entsprechend ist inhaltlich darüber zu entscheiden, ob das Verfahren sich tatsächlich erledigt hat. Anders als bei übereinstimmenden Erledigterklärungen aller Beteiligten hat einer möglichen Einstellung des Verfahrens die materiell-rechtliche Prüfung und Entscheidung voraus zu gehen, ob der mit der Erledigterklärung des Antragstellers (konkludent) verbundene geänderte Antrag – festzustellen, dass das Verfahren sich erledigt hat – begründet ist. Diese Entscheidung wird im Erkenntnisverfahren nach § 84 bzw. § 91 ArbGG getroffen. Sie hat unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter zu ergehen5.

Ob im Tenor der zu treffenden Kammerentscheidung – wenn nicht der Antrag mangels Erledigung abgewiesen wird – lediglich der Eintritt der Erledigung festgestellt und sodann das Verfahren vom Vorsitzenden allein in einem eigenständigen Beschluss analog § 83a Abs. 2 ArbGG förmlich eingestellt werden sollte, ob neben der Feststellung der Erledigung auch die Einstellung des Verfahrens von der Kammer tenoriert werden sollte oder ob sich schon der Tenor der Kammerentscheidung lediglich über die Einstellung verhalten und die Erledigung in den Gründen festgestellt werden sollte, bedarf hier keiner Klärung.

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 2 AZB 116/14

  1. BAG 23.01.2008 – 1 ABR 64/06, Rn. 9, BAGE 125, 300; Schwab/Weth/Weth 4. Aufl. § 83a ArbGG Rn.20[]
  2. BAG 23.06.1993 – 2 ABR 58/92[]
  3. ähnlich GK-ArbGG/Dörner § 83a Rn. 23[]
  4. BAG 26.04.1990 – 1 ABR 79/89, BAGE 65, 105 und seitdem in st. Rspr.[]
  5. BAG 23.01.2008 – 1 ABR 64/06, Rn. 9, BAGE 125, 300[][]