Elektronisch eingereichte Schriftsätze – im Word-Format

Ein als Word-Dokument übermittelter Schriftsatz ist nicht im Sinne von § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG aF für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und damit formunwirksam eingereicht. Das gilt auch, wenn das Gericht ein IT-System nutzt, das im konkreten Fall die Bearbeitung eines solchen Dokuments zulässt.

Elektronisch eingereichte Schriftsätze – im Word-Format

Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts erging in einem Rechtsstreit, auf den noch das bis zum 31.12.2021 geltende Recht und damit § 46c ArbGG (entsprechende Regelungen enthalten § 130a ZPO, § 55a VwGO, § 65a SGG, § 52a FGO) sowie § 46g ArbGG (entsprechende Regelungen enthalten § 130d ZPO, § 55d VwGO, § 65d SGG, § 52d FGO) iVm. Art. 24 Abs. 2 ERVGerFöG Anwendung fanden. Die streitgegenständliche Kündigung wurde der Arbeitnehmerin am Mittwoch, dem 26.02.2020, ausgehändigt. Die Frist des § 4 Satz 1 KSchG endete damit am Mittwoch, dem 18.03.2020 (§ 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1 BGB).

Der anwaltliche Vertreter der Arbeitnehmerin war verpflichtet, die Klageschrift als elektronisches Dokument beim Arbeitsgericht einzureichen, weil das Land Schleswig-Holstein, in dem die Klage erhoben wurde, von der Öffnungsklausel nach Art. 24 Abs. 2 Satz 1 ERVGerFöG Gebrauch gemacht und mit § 1 ERNPflV die Bestimmung des Art. 3 Nr. 5 ERVGerFöG und damit der Sache nach § 46g ArbGG bereits mit Wirkung zum 1.01.2020 in Kraft gesetzt hatte.

Die durch § 46g Satz 1 ArbGG begründete aktive Nutzungspflicht für Rechtsanwälte verstößt, auch soweit sie durch die ERNPflV in Schleswig-Holstein vorgezogen worden ist, jedenfalls bei – wie im vorliegenden Fall – führender elektronischer Akte nicht gegen das sich aus dem Justizgewährungsanspruch aus Art.20 Abs. 3 iVm. Art. 2 Abs. 1 GG ergebende Gebot des effektiven Rechtsschutzes1.

Zwar ist der Zugang zu den Gerichten durch die Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs von der Erfüllung bestimmter formaler Voraussetzungen abhängig. Durch das niedrigschwellige Erfordernis, die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung lediglich glaubhaft iSv. § 294 Abs. 1 ZPO machen zu müssen2, was auch im Wege einer anwaltlichen Versicherung erfolgen kann3, ist dieser Zugang jedoch nicht in unzumutbarer Weise eingeschränkt. Das trifft umso mehr zu, als die Möglichkeit einer Ersatzeinreichung nicht nur bei Fehlern in der Sphäre des Gerichts oder Störungen des beA besteht, sondern auch dann, wenn die Ursache für die technische Unmöglichkeit, den Anforderungen des § 46g Satz 1 ArbGG zu genügen, in der Sphäre des Einreichenden liegt4. Dies gilt jedoch nicht bei bloßen Bedienungsfehlern des Einreichenden5.

Etwas anderes ergibt sich auch dann nicht, wenn dem Prozessbevollmächtigten die im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits eingeführte Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs in Schleswig-Holstein nicht oder nur kurzzeitig bekannt gewesen sein sollte. Ein Rechtsanwalt hat Gesetze und Verordnungen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen, zur Kenntnis zu nehmen6 und sich – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – erforderlichenfalls in der Fachpresse sachkundig zu machen. Dies trifft auch zu, wenn ein Rechtsanwalt ein Mandat in einem anderen Bundesland annimmt. Insoweit ist er aus anwaltlicher Sorgfaltspflicht gehalten, gerade die dort geltenden Regelungen im Zusammenhang mit Fristen zu überprüfen. Ungeachtet dessen war dem Prozessbevollmächtigten jedenfalls nach dem gerichtlichen Hinweis vom 18.03.2020 bekannt, dass das Land Schleswig-Holstein den elektronischen Rechtsverkehr bereits zum 1.01.2020 zwingend eingeführt hatte. Im Übrigen verfügte er, worauf die noch vor Erhalt des gerichtlichen Hinweisschreibens am 19.03.2020 auf elektronischem Wege erfolgte Übermittlung der Klageschrift am 18.03.2020 hinweist, sowohl über die technische Ausstattung als auch über entsprechende Rechtskenntnisse, um die erforderliche Form wahren zu können.

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Die Kündigungsschutzklage ist im vorliegenden Fall nicht am 18.03.2020, dem letzten Tag der Frist nach § 4 Satz 1 KSchG, fristwahrend an das Arbeitsgericht übermittelt worden. Das auf elektronischem Wege als Word-Datei eingereichte Dokument erfüllt nicht die Anforderungen an eine formwirksame Einreichung iSv. § 46c Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF, da es nicht im Dateiformat PDF übermittelt worden ist.

Nach § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Gemäß § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG bestimmt die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die entsprechenden Anforderungen an ein solches elektronisches Dokument. Davon hat sie in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF Gebrauch gemacht und im Wege einer „Muss-Vorschrift“ („ist“) ua. geregelt, dass das Dokument im Dateiformat PDF zu übermitteln ist und daran auch in § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV nF festgehalten. Diese Regelung ist zwingend7.

Danach handelt es sich bei einer Word-Datei um ein nicht formwirksam eingereichtes Dokument8. Entgegen der Auffassung der Arbeitnehmerin führt auch die Möglichkeit, dass im Einzelfall durch das bei einem Gericht eingesetzte IT-System die Bearbeitung eines nicht den Formatvorgaben iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF entsprechenden elektronischen Dokuments erfolgen kann, nicht zu seiner Formwirksamkeit. Der Gesetzgeber hat die für die Bearbeitung der elektronischen Dokumente maßgeblichen Anforderungen bundeseinheitlich und verbindlich festgelegt und hierdurch Rechtssicherheit in der elektronischen Kommunikation mit der Justiz geschaffen9. Neben dem Gericht soll auch der Verfahrensgegner mit dem eingereichten Schriftsatz arbeiten können. Ihm ist zwar zuzumuten, seine technische Ausstattung auf die Vorgaben der ERVV aF auszurichten, nicht aber, sich zusätzlich auf weitere Formate einstellen zu müssen10. Der Gesetzgeber hat sich bewusst gerade für das Dateiformat PDF entschieden, weil dieses von den verbreiteten Computersystemen gelesen und regelmäßig ohne Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes dargestellt werden kann. Es bietet Schutz vor Schadsoftware, ist barrierefrei und auch insoweit für die Kommunikation im elektronischen Rechtsverkehr gut geeignet11. Bereits dieser eindeutig erkennbare Wille des Gesetzgebers steht der von der Arbeitnehmerin angestrebten teleologischen Reduktion der Formanforderungen des § 46c Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF entgegen. Eine „Aufweichung“ des Verständnisses der „Bearbeitbarkeit“ iSv. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF etwa dahin, es genügen zu lassen, wenn sich aus dem eingereichten elektronischen Dokument ein sog. Repräsentat erstellen lässt12, hätte zudem zur Folge, dass die Formanforderungen vom jeweiligen Empfänger und damit von der technischen Ausstattung der Gerichte und ihrem Umgang mit der Beurteilung, welche Dokumente als bearbeitbar angesehen werden, abhingen13. Dies würde die bezweckte Rechtssicherheit unterlaufen und insbesondere bei Verweisungen an andere Gerichte und Gerichtsbarkeiten zu Zweifelsfragen führen. Die Gefahr, dass technische Vorgaben im elektronischen Rechtsverkehr zum bloßen Selbstzweck degradiert werden, besteht deshalb nicht14. Insoweit ist es entgegen der Auffassung der Arbeitnehmerin auch unbeachtlich, dass die Zivilprozessordnung zB in § 298 Abs. 1 Satz 1 und § 371b ZPO eine Überführung von Dokumenten in andere „Formate“ kennt.

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Der in der Übermittlung der Word-Datei liegende Formmangel gilt auch nicht durch die Einreichung der erneuten Klageschrift am 27.03.2020 gemäß § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG rückwirkend zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift am 18.03.2020 als geheilt.

Nach § 46c Abs. 6 Satz 1 ArbGG hat das Gericht, wenn sich ein elektronisches Dokument nicht zur Bearbeitung iSv. § 46c Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. der ERVV eignet, dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und der geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Der Prozessbevollmächtigter hat zwar am 27.03.2020 eine Klageschrift im Dateiformat PDF eingereicht. Allerdings hat er nicht glaubhaft gemacht, dass dieser Schriftsatz vom 27.03.2020 inhaltlich mit der Klageschrift vom 18.03.2020 übereinstimmt. Dieses Erfordernis war auch nicht entbehrlich.

Das Arbeitsgericht hat am 27.03.2020 den Hinweis erteilt, dass die auf elektronischem Wege eingegangene Klage vom 18.03.2020 unzulässig sein dürfte, weil sie als Word-Datei und nicht im Dateiformat PDF übermittelt worden sei. Gleichzeitig hat es in Fettdruck über die Heilungsmöglichkeit nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG informiert und ausdrücklich auf die Pflicht zur Glaubhaftmachung der inhaltlichen Übereinstimmung des ersten Schriftsatzes mit dem formwirksam nachzureichenden Schriftsatz hingewiesen. Ein einmaliger Hinweis genügt15.

Unschädlich ist, dass der gerichtliche Hinweis vom 27.03.2020 selbst nicht unverzüglich iSd. § 46c Abs. 6 Satz 1 ArbGG erfolgte. Dies kann der nachreichenden Partei zwar nicht zum Nachteil gereichen, indem durch den verspäteten Hinweis die Heilungsmöglichkeiten entfielen. Die Arbeitnehmerin war durch die verzögerte Handlung des Arbeitsgerichts aber nicht von ihrer Obliegenheit entbunden, nach dem erteilten Hinweis ihrerseits unverzüglich die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Heilung eines Formverstoßes zu ergreifen. Die Unverzüglichkeit des gerichtlichen Hinweises ist keine Voraussetzung für die Notwendigkeit der Fristwahrung der Partei nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG, wonach allein der Nachreichende unverzüglich handeln muss. Der Hinweis dient ausschließlich dazu, ein Handeln der Partei innerhalb der noch nicht abgelaufenen Frist oder aber nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG zu ermöglichen. Die Position der Gegenpartei ist insoweit nicht schutzbedürftig. Sie kann daher im Fall eines nicht mehr unverzüglichen Hinweises des Gerichts nicht darauf vertrauen, der Formfehler wirke sich zu ihren Gunsten aus16.

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Die Arbeitnehmerin hat die inhaltliche Übereinstimmung der Schriftsätze vom 18.03.2020; und vom 27.03.2020 nicht glaubhaft gemacht. Eine solche Glaubhaftmachung war entgegen der Auffassung der Revision unentbehrlich. Das ergibt die Auslegung von § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG.

Bereits der Wortlaut verdeutlicht, dass die Glaubhaftmachung der inhaltlichen Übereinstimmung unverzichtbare Tatbestandsvoraussetzung ist17. Mit dem Wort „sofern“, welches „vorausgesetzt, dass“ bedeutet, hat der Gesetzgeber klar zum Ausdruck gebracht, dass die in der Folge bezeichneten Anforderungen zwingend sein sollen. Durch die Verwendung der Konjunktion „und“ werden beide Tatbestandsvoraussetzungen gleichrangig nebeneinandergestellt. Eine Gewichtung hinsichtlich ihrer Wertigkeit bzw. Bedeutung für den Eintritt der angeordneten Rechtsfolge einer Eingangsfiktion ist dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu entnehmen.

Für dieses Auslegungsverständnis sprechen auch systematische Erwägungen sowie Sinn und Zweck des § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG. Die Norm dient dem Ausgleich des „Spannungsverhältnisses“18, das sich aus der nach § 46g Satz 1 ArbGG ergebenden Pflicht zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr sowie den aus § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF folgenden besonderen formellen Anforderungen und dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ergibt. Hierdurch soll eine Stärkung des Nutzervertrauens bewirkt werden19. Die Heilungsmöglichkeit nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG stellt nur äußerst niedrigschwellige Anforderungen. Sie verlangt lediglich die unverzügliche Übermittlung eines formatfehlerfreien elektronischen Dokuments auf Hinweis des Gerichts und besteht im Übrigen unabhängig davon, ob der Absender die Einreichung eines ungeeigneten elektronischen Dokuments verschuldet hat20. Damit stellt sie formal und inhaltlich deutlich geringere Anforderungen an den Zugang zu Gericht als die Bestimmungen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ff. ZPO21. Angesichts derart geringer Anforderungen bedarf es zur Verhinderung von Manipulationen – zB im Wege einer nachträglichen Bearbeitung des Dokuments durch den Einreicher – jedoch eines zusätzlichen Kontrollinstruments. Dieses hat der Gesetzgeber mit der Verpflichtung, die inhaltliche Übereinstimmung des nachgereichten Schriftsatzes mit dem zuerst eingereichten Dokument glaubhaft zu machen, geschaffen und dadurch das erforderliche Maß an unverzichtbarer Rechtssicherheit für alle Beteiligten gewährleistet. Gleichzeitig hat er dadurch die Einhaltung anwaltlicher Sorgfaltspflichten gefördert.

Durch die formellen Anforderungen des § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV aF, elektronische Dokumente im Dateiformat PDF einreichen zu müssen, und die Sanktion, formatfehlerhafte elektronische Dokumente als nicht eingereicht anzusehen, wenn sie nicht auf gerichtlichen Hinweis unverzüglich formgerecht nachgereicht werden und die Übereinstimmung beider Dokumente glaubhaft gemacht wird, wird der Zugang zu den Gerichten für den Rechtsuchenden nach der zu respektierenden Einschätzung des Gesetzgebers nicht unverhältnismäßig erschwert. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Rechtsschutzsystem auszugestalten und insbesondere die prozessualen Voraussetzungen für den Zugang zu Gericht festzulegen. Dabei hat er in Abwägung und unter Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Prozessbeteiligten die Verfahrensordnung so auszugestalten, dass effektiver Rechtsschutz ermöglicht wird22. Die Grenzen einer zulässigen Ausgestaltung der Rechtsschutzgewährung durch eine Verfahrensordnung sind erst dann überschritten, wenn der Zugang zu Gericht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird23. Der Gesetzgeber hat das Spannungsverhältnis von formellen Anforderungen an den Zugang zu Gericht bei Einreichung elektronischer Dokumente und effektivem Rechtsschutz erkannt24. Er hat es dadurch aufgelöst, dass er den Rechtsuchenden die Möglichkeit eingeräumt hat, den Formatfehler unverzüglich zu korrigieren, wobei er die Gerichte verpflichtet hat, auf den Formatfehler vorab hinzuweisen. Diese Anforderungen an eine ordnungsgemäße Einreichung elektronischer Dokumente bzw. an eine Heilung von Formatfehlern sind für den Personenkreis, für den aktuell § 46g ArbGG eine Pflicht zur Einreichung vorbereitender Schriftsätze in elektronischer Form vorsieht, ohne Weiteres zu erfüllen. Jedenfalls bei führender elektronischer Akte ist daher in der Gesamtschau der gesetzlichen Ausgestaltung der Zugang zu Gericht durch die Anforderung, vorbereitende Schriftsätze im Dateiformat PDF einzureichen, nicht unverhältnismäßig erschwert25.

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Entgegen der Auffassung der Revision kommt vorliegend auch eine teleologische Reduktion des § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG dahingehend, dass die Glaubhaftmachung entbehrlich war, weil sofort erkennbar gewesen sei, dass identische Schriftsätze vorgelegen hätten und darum keine Umgehungsgefahr bestanden habe, nicht in Betracht.

Mit der teleologischen Reduktion, die zu den von Verfassungs wegen anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört, wird der ausgehend vom Gesetzeszweck zu weit gefasste Wortlaut auf den Anwendungsbereich reduziert, welcher der ratio legis entspricht26.

Im Streitfall sind keine Umstände ersichtlich, die belegen, dass die Verpflichtung zur Glaubhaftmachung der inhaltlichen Übereinstimmung der beiden Schriftsätze zu zweckwidrigen Ergebnissen führt. § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG sieht gerade keine Einschränkung vor, dass die Glaubhaftmachung nur bei nicht abrufbaren bzw. nicht zu öffnenden Dokumenten oder bei konkreten Anhaltspunkten für einen Missbrauch erfolgen soll. Die Gerichte sollen nach der gesetzgeberischen Konzeption nur dann – im Wege des Freibeweises27 – gehalten sein, die entsprechenden Dokumente auf ihre inhaltliche Übereinstimmung zu überprüfen, wenn diese von der gegnerischen Partei substantiiert bestritten ist oder sich dem Gericht selbst Zweifel hieran aufdrängen. Allenfalls für die Fälle, in denen der Inhalt der Schriftsätze von allen Beteiligten mit einem kurzen Blick erfasst werden kann, etwa bei der bloßen Einlegung eines Rechtsmittels ohne jeden Ansatz einer Begründung, kommt die Entbehrlichkeit der Glaubhaftmachung in Betracht. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Klageschrift umfasst zehn Seiten zuzüglich Anlagen. Zudem trug jede Klageschrift das jeweils aktuelle Datum.

Da die Kündigung nach § 7 Halbs. 1 KSchG bereits als von Anfang an rechtswirksam gilt, weil die Arbeitnehmerin die inhaltliche Übereinstimmung der Klageschrift vom 27.03.2020 mit dem zuerst elektronisch als Word-Datei übermittelten Schriftsatz vom 18.03.2020 nicht glaubhaft gemacht hat und der Schriftsatz vom 27.03.2020 deshalb nicht gemäß § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG auf den letzten Tag der Frist nach § 4 Satz 1 KSchG zurückwirkt, kam es für die Entscheidung nicht auf die – allerdings rechtsfehlerhafte – Annahme des Landesarbeitsgerichts an, die Schriftsätze vom 27.03.2020; und vom 31.03.2020 hätten nicht den rechtlichen Vorgaben des § 46c Abs. 2 ArbGG iVm. § 5 ERVV aF und Nr. 1 der Bekanntmachung zu § 5 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom 20.12.201828 entsprochen, weil sie zwar im Dateiformat PDF übermittelt worden seien, jedoch nichteingebettete Schriftarten enthielten. Dass ein elektronisches Dokument nach diesen Bestimmungen nicht deshalb formunwirksam ist, weil nicht sämtliche Schriftarten eingebettet sind, hat der Dritte Bundesarbeitsgericht des Bundesarbeitsgerichts bereits mit Beschluss vom 25.04.202229 entschieden. Dem schließt sich das Bundesarbeitsgericht an.

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Die Arbeitnehmerin hat weder einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand iSv. § 233 ZPO noch auf eine nachträgliche Zulassung ihrer Kündigungsschutzklage nach § 5 KSchG.

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §§ 233 ff. ZPO vorliegend nicht in Betracht kommt. Die Bestimmungen der §§ 233 ff. ZPO finden auf Kündigungsschutzklagen keine Anwendung, weil die Frist des § 4 Satz 1 KSchG keine der in § 233 Satz 1 ZPO genannten Fristen ist. § 5 KSchG regelt abschließend den Sonderfall einer unverschuldeten Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG30.

Die Kündigungsschutzklage war auch nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG nachträglich zuzulassen.

§ 5 Abs. 1 Satz 1 KSchG verlangt, dass der Arbeitnehmer trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, die Klage rechtzeitig zu erheben. Dabei ist ihm das Verschulden eines (Prozess-)Bevollmächtigten an der Versäumung der gesetzlichen Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen31.

Vorliegend trifft – wie das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen hat – den Prozessbevollmächtigten ein Verschulden, weil er es unterlassen hat, von der Heilungsmöglichkeit nach § 46c Abs. 6 Satz 2 ArbGG Gebrauch zu machen und glaubhaft zu versichern, dass der Schriftsatz vom 27.03.2020 mit dem Schriftsatz vom 18.03.2020 inhaltlich übereinstimmt. Als Rechtsanwalt hat er – wie ausgeführt – die Pflicht, die Gesetze und Rechtsverordnungen zu kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Zudem stellt die Verpflichtung zur Glaubhaftmachung keine unzumutbaren Anforderungen an den Rechtsanwalt, da insoweit eine anwaltliche Versicherung genügt32. Das Arbeitsgericht hat mit Schreiben vom 27.03.2020 auf die Heilungsmöglichkeit und die hierfür zu beachtenden Anforderungen auch hingewiesen. Das Versäumnis ihres Prozessbevollmächtigten ist der Arbeitnehmerin zuzurechnen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.08.2022 – 6 AZR 499/21

  1. zu diesem Gebot vgl. zB: BVerfG 29.09.2010 – 1 BvR 2649/06, Rn. 21; BAG 10.12.2020 – 2 AZN 82/20, Rn. 5; sh. auch Oltmanns/Fuhlrott NZA 2020, 897, 900 f.; vgl. auch BAG 12.03.2020 – 6 AZM 1/20 -Rn. 10[]
  2. zu den allgemeinen Anforderungen an die Glaubhaftmachung vgl. zB BGH 2.08.2022 – VIII ZB 3/21, Rn. 14 f.[]
  3. vgl. BGH 5.07.2017 – XII ZB 463/16, Rn. 14; OLG Dresden 10.03.2022 – 4 W 94/22, Rn. 6; OLG Hamm 19.08.2021 – I-4 U 57/21 ua., Rn. 47[]
  4. BT-Drs. 17/12634 S. 27[]
  5. BayVGH 1.07.2022 – 15 ZB 22.286, Rn. 14; GK-ArbGG/Horcher § 46g Stand Dezember 2021 Rn. 8[]
  6. st. Rspr., zB BAG 30.07.2020 – 2 AZR 43/20, Rn. 38 mwN, BAGE 172, 18; 18.01.2000 – 9 AZN 959/99, zu II 1 der Gründe; BGH 3.11.2010 – XII ZB 197/10, Rn.19; 9.07.1993 – V ZB 20/93, zu II 2 b der Gründe; 30.06.1971 – IV ZB 41/71; OVG Schleswig-Holstein 25.01.2022 – 4 MB 78/21, Rn. 8; Ulrich/Schmieder NJW 2019, 113, 117[]
  7. vgl. hierzu auch BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn. 23; Helml/Pessinger/Helml ArbGG 5. Aufl. § 46c Rn. 6[]
  8. GK-ArbGG/Horcher § 46c Stand Dezember 2021 Rn. 47; BeckOK ArbR/Hamacher Stand 1.09.2022 ArbGG § 46c Rn.07.1; aA LG Mannheim 4.09.2020 – 1 S 29/20, zu II 1 der Gründe[]
  9. vgl. BR-Drs. 818/12 S. 32; BR-Drs. 645/17 S. 11 f.; OLG Koblenz 23.11.2020 – 3 U 1442/20, Rn. 10; ErfK/Koch 22. Aufl. ArbGG § 46c Rn. 3[]
  10. Radke jM 2020, 461, 463[]
  11. BR-Drs. 645/17 S. 12; Schindler NJW 2020, 2943, 2944[]
  12. in diesem Sinne LG Mannheim 4.09.2020 – 1 S 29/20, zu II 1 a der Gründe[]
  13. Müller NJW 2021, 3281[]
  14. aA LG Mannheim 4.09.2020 – 1 S 29/20, zu II 1 b der Gründe[]
  15. vgl. BAG 12.03.2020 – 6 AZM 1/20, Rn. 10[]
  16. vgl. BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn. 28 zum wortgleichen § 130a Abs. 6 ZPO aF[]
  17. vgl. BAG 12.03.2020 – 6 AZM 1/20, Rn. 9; LAG Schleswig-Holstein 15.07.2021 – 5 Sa 8/21, zu II 3 a der Gründe; OLG Zweibrücken 9.11.2020 – 6 UF 109/20, Rn. 5; für die wortgleiche Regelung in § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO sh. auch Anders/Gehle/Anders ZPO 80. Aufl. § 130a Rn. 24; MünchKomm-ZPO/Fritsche 6. Aufl. § 130a Rn. 22[]
  18. vgl. hierzu Radke jM 2020, 461, 462[]
  19. vgl. BT-Drs. 17/12634 S. 26 zum wortgleichen § 130a Abs. 6 ZPO[]
  20. BeckOK ArbR/Hamacher Stand 1.09.2022 ArbGG § 46c Rn. 11; für die wortgleiche Bestimmung in § 130a ZPO BeckOK ZPO/von Selle Stand 1.09.2022 ZPO § 130a Rn. 27[]
  21. BeckOK ZPO/von Selle aaO Rn. 27 mwN; vgl. auch NK-ArbR/Kloppenburg ArbGG § 46c Rn. 47[]
  22. vgl. BVerfG 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02, zu C I 4 der Gründe, BVerfGE 107, 395[]
  23. BVerfG 18.04.2007 – 1 BvR 110/07, Rn.20 f.[]
  24. BT-Drs. 17/12634 S. 26[]
  25. vgl. Radke jM 2020, 461, 462; aA bei führender Papierakte und druckbarem sowie zur Papierakte genommenem elektronischen Dokument BAG 1.08.2022 – 2 AZB 6/22, Rn. 11 f.; zweifelnd bei führender Papierakte hinsichtlich des Ausschlusses druckbarer Dokumente auch BAG 25.04.2022 – 3 AZB 2/22, Rn.19 f.[]
  26. BAG 27.01.2022 – 6 AZR 216/21, Rn.20 mwN[]
  27. vgl. hierzu BAG 3.06.2020 – 3 AZR 730/19, Rn. 36, BAGE 171, 1[]
  28. BAnz. AT 31.12.2018 B3[]
  29. 3 AZB 2/22, Rn. 29 ff.[]
  30. MHdB ArbR/Rachor 5. Aufl. Bd. 2 § 130 Rn. 59 mwN; MünchKomm-BGB/Hergenröder 8. Aufl. § 5 KSchG Rn. 2; APS/Hesse 6. Aufl. KSchG § 5 Rn. 5[]
  31. BAG 30.07.2020 – 2 AZR 43/20, Rn. 37, BAGE 172, 18[]
  32. BAG 3.06.2020 – 3 AZR 730/19, Rn. 35, BAGE 171, 1[]
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