In den Fällen, in denen das Schadensersatz- und/oder Entschädigungsverlangen auf eine verbotene Benachteiligung nach dem AGG in Form der Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG gestützt wird, beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 AGG wegen des typischerweise prozesshaften Charakters der Belästigung mit dem Abschluss des letzten von der klagenden Partei geschilderten Vorfalls zu laufen.

Dieser Fristbeginn entspricht dem Zeitpunkt, zu dem regelmäßig Ausschlussfristen für einen auf „Mobbing“ gestützten Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch zu laufen beginnen. Dieser Zeitpunkt ist in sog. „Mobbingfällen“ regelmäßig auch für die Bestimmung des verjährungsrelevanten Zeitpunkts maßgeblich. Auch dort kommt es wegen der Prozesshaftigkeit des Mobbings, die die Qualifizierung eines bestimmten Gesamtverhaltens als Verletzungshandlung im Rechtssinne erforderlich macht, regelmäßig auf den „Abschluss der zeitlich letzten vorgetragenen Mobbinghandlung“ an1.
§ 15 Abs. 4 AGG knüpft für den Fristbeginn an die Kenntnis von der Benachteiligung an. Kenntnis von der Benachteiligung hat der Beschäftigte dann, wenn er Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen hat2 und damit erkennen kann, dass und in welchem Umfang er diskriminiert wurde, so dass ihm die in der Richtlinie 2000/78/EG vorgesehene Rechtsverfolgung möglich ist3.
Nach § 3 Abs. 3 AGG ist eine Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Danach bedarf es sowohl einer bezweckten oder tatsächlich bewirkten Würdeverletzung als auch der Schaffung eines sog. feindlichen Umfelds als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“. Beide Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen4. Dies entspricht den Vorgaben von Art. 2 Abs. 3 der Richtlinien 2000/78/EG und 2000/43/EG sowie von Art. 2 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/54/EG, die mit § 3 Abs. 3 AGG umgesetzt wurden.
Da ein durch unerwünschte Handlungen gekennzeichnetes Umfeld aber in der Regel nicht durch ein einmaliges, sondern durch ein fortdauerndes Verhalten geschaffen wird, in dem fortlaufend neue Tatsachen eintreten, die für die Annahme einer Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 3 AGG von Bedeutung sind, sind zugunsten der durch diese Bestimmung geschützten Personen alle Handlungen oder Verhaltensweisen, die diesem Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfelds zuzuordnen sind, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Deshalb dürfen auch hier – wie beim „Mobbing“ – einzelne zurückliegende Handlungen/Verhaltensweisen, auch wenn ihnen bei isolierter Betrachtung keine rechtliche Bedeutung zukommt, bei der Beurteilung nicht unberücksichtigt gelassen werden5.
Vor diesem Hintergrund kommt es in den Fällen, in denen – wie hier – das Schadensersatz- und/oder Entschädigungsverlangen auf eine verbotene Benachteiligung nach dem AGG in Form der Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG gestützt wird, für den Beginn der Frist nach § 15 Abs. 4 AGG auf den Abschluss des letzten von der betreffenden Person geschilderten Vorfalls an. Erst dann liegt Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen vor. Andernfalls würde vom Anspruchsteller verlangt zu erkennen, wann aufgrund einzelner Tatsachen die Grenze zur Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG überschritten ist6. Dem Anspruchsteller würde das Risiko einer Fehleinschätzung aufgebürdet. Dies wäre unvereinbar mit den unionsrechtlichen Vorgaben, wonach die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden darf7.
Die Arbeitgeberin kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, im Streitfall wirke sich für den Beginn der Ausschlussfrist nach § 15 Abs. 4 AGG aus, dass sich nach dem eigenen Vorbringen der Arbeitnehmerin in einem Zeitraum von nahezu zwei Jahren seit ihrer Erkrankung keine weiteren Ereignisse zugetragen hätten, so dass von einem fortdauernden, einheitlichen Geschehen keine Rede sein könne. Vielmehr handele es sich bei dem Zeitraum bis zur Erkrankung der Arbeitnehmerin um einen abgeschlossenen Zeitraum, so dass diesbezüglich die Frist zur Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 AGG mit dem letzten Vorfall aus diesem Zeitraum zu laufen begonnen habe. Die Frage, ob einzelne Handlungen oder Verhaltensweisen dem Prozess der Schaffung eines bestimmten Umfelds iSv. § 3 Abs. 3 AGG zuzuordnen sind oder ob insoweit eine rechtserhebliche Unterbrechung eingetreten ist, ist keine Frage des Beginns der Frist nach § 15 Abs. 4 AGG, sondern eine Frage der Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Mai 2017 – 8 AZR 74/16
- BAG 11.12 2014 – 8 AZR 838/13, Rn. 18; 16.05.2007 – 8 AZR 709/06, Rn. 58 ff., BAGE 122, 304[↩]
- vgl. etwa BAG 15.03.2012 – 8 AZR 37/11, Rn. 62, BAGE 141, 48[↩]
- vgl. im Ergebnis EuGH 8.07.2010 – C‑246/09 – [Bulicke] Rn. 39 bis 41, Slg. 2010, I‑7003[↩]
- vgl. etwa BAG 22.06.2011 – 8 AZR 48/10, Rn. 43 mwN, BAGE 138, 166[↩]
- vgl. BAG 22.07.2010 – 8 AZR 1012/08, Rn. 90[↩]
- vgl. – auch zur Darlegungs- und Beweislast – EuGH 17.07.2008 – C‑303/06 – [Coleman] Rn. 58 und 61 f., Slg. 2008, I‑5603; zu den Vorgaben der Darlegungs- und Beweislast vgl. etwa: BAG 15.12 2016 – 8 AZR 418/15, Rn. 23 ff. mwN; 11.08.2016 – 8 AZR 4/15, Rn. 63 ff. mwN, BAGE 156, 71[↩]
- st. Rspr. des EuGH, vgl. nur 15.03.2017 – C‑3/16 – [Aquino] Rn. 48 mwN; 20.10.2016 – C‑429/15 – [Danqua] Rn. 30 f.; 28.01.2015 – C‑417/13 – [Starjakob] Rn. 61 mwN; 8.07.2010 – C‑246/09 – [Bulicke] Rn. 22 und 25 mwN, Slg. 2010, I‑7003[↩]