Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, vor Ausspruch einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Beschäftigten innerhalb der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen, um diskriminierungsrechtliche Ansprüche zu vermeiden. Die Unterlassung des Präventionsverfahrens hat somit nicht nur kündigungsschutzrechtlich, sondern auch diskriminierungsrechtlich keine Rechtsfolgen [1].

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Dies wird zwar in § 15 Abs. 2 AGG nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen in § 15 AGG [2].
Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin ist Beschäftigte im Sinne des § 6 Abs. 1 AGG. Das beklagte Land ist als Arbeitgeber nach § 6 Abs. 2 AGG passiv legitimiert.
Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin hat ihren Entschädigungsanspruch rechtzeitig innerhalb der Fristen des § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Im Streitfall hat die Frist frühestens mit dem Zugang der Kündigung vom 08.03.2013 begonnen. Denn frühestens zu diesem Zeitpunkt konnte die Arbeitnehmerin erkennen, dass das beklagte Land die Kündigung ohne die vorherige Durchführung des Präventionsverfahrens und eine – nach Auffassung der Arbeitnehmerin – ungenügende Beteiligung des Hauptpersonalrats sowie der Hauptschwerbehindertenvertretung ausgesprochen hatte. Zum Zeitpunkt des Personalgesprächs zwischen der Arbeitnehmerin und dem Präsidenten des LAs, Herrn S., am 11.02.2013, hatte die Arbeitnehmerin noch keine Anhaltspunkte dafür, dass ein – aus ihrer Sicht – Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG vorliege. Demzufolge hat die Arbeitnehmerin die zweimonatige Frist zur schriftlichen Geltendmachung mit ihrem Schreiben vom 18.04.2013 gewahrt. Die weitere dreimonatige Frist zur Klageerhebung nach § 61b Abs. 1 ArbGG hat die Arbeitnehmerin durch ihre am 13.05.2013 eingegangene Klage ebenfalls eingehalten.
Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin war nicht gehalten, vorrangig eine Bestandsschutzklage zu erheben, um die Unterlassung des Präventionsverfahrens und die – aus ihrer Sicht – unzureichende Beteiligung des Hauptpersonalrats und der Hauptschwerbehindertenvertretung zu rügen. Das Arbeitsgericht hat insoweit Zweifel geäußert, ob sich die Arbeitnehmerin nicht zunächst gegen die Kündigung des beklagten Landes vom 08.03.2013 hätte zur Wehr setzen müssen. Jedenfalls könne sich die Arbeitnehmerin nicht darauf berufen, der Hauptpersonalrat und die Hauptschwerbehindertenvertretung seien nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Diese Zweifel teilt die Kammer nicht.
Das Verhältnis von Kündigungsschutz und Diskriminierungsschutz regelt § 2 Abs. 4 AGG dahingehend, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Welche Bedeutung dieser Vorschrift zukommt, war bislang bei Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, umstritten. Mit Urteil vom 19.12.2013 [3] hat sich das Bundesarbeitsgericht der Auffassung angeschlossen, dass § 2 Abs. 4 AGG Kündigungen während der Wartezeit von vorneherein nicht erfasst. Zur Vermeidung von Wiederholungen schließt sich die Kammer der ausführlich begründeten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts an.
Hieraus folgt, dass die Arbeitnehmerin weder mit ihren diskriminierungsrechtlichen Einwendungen, das beklagte Land habe das Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt und den Hauptpersonalrat sowie die Hauptschwerbehindertenvertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt, in einem eventuellen Bestandsschutzprozess ausgeschlossen gewesen wäre noch erst recht im vorliegenden Entschädigungsprozess mit diesen Einwendungen ausgeschlossen ist, weil sie sich nicht gegen die Kündigung des beklagten Landes vom 08.03.2013 gerichtlich gewandt hat. Das Kündigungsschutzgesetz und das allgemeine Entschädigungsgesetz verfolgen unterschiedliche Zwecke. Mit der Kündigungsschutzklage erstrebt der Arbeitnehmer Bestandschutz, also die Erhaltung des gekündigten Arbeitsverhältnisses. Mit der Entschädigungsklage verlangt der Arbeitnehmer einen Ausgleich des immateriellen Schadens, den er durch den behaupteten Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG erlitten hat. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG knüpft nicht an eine diskriminierungsbedingte Unwirksamkeit der Kündigung, sondern ausschließlich daran an, dass der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf ein benachteiligungsfreies Verfahren nicht gewahrt hat. So hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), entschieden, der Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG sei, das Recht des schwerbehinderten Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren zu schützen [4]. Der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG sanktioniert somit das durch eine Diskriminierung erlittene „Verfahrensunrecht“.
Für die Auffassung, der Bestandsschutzprozess entfalte eine Sperrwirkung für Einwendungen im Entschädigungsprozess, gibt es keine rechtliche Grundlage. In der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG kommt der – unvollkommen geäußerte – Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, den Vorrang der Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes im Kündigungsschutzprozess klarzustellen [5]. Nicht abgeleitet werden kann aus der Vorschrift im Umkehrschluss, dass der Arbeitnehmer mit Einwendungen, die er im Bestandsschutzprozess hätte erheben können, im Entschädigungsprozess ausgeschlossen ist. Ein derartiges Verständnis der Norm ergibt sich weder aus den Gesetzesmaterialien noch lässt es sich aus dem Zweck der Vorschrift herleiten. Wenn § 2 Abs. 4 AGG bei Kündigungen, die mangels Erfüllung der Wartezeit des § 1 Abs. 1 LSGchG noch nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen, keine „Sperrwirkung“ entfaltet, dann „sperrt“ die Norm den Arbeitnehmer erst recht nicht mit Einwendungen im Entschädigungsprozess.
Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin ist nicht wegen ihrer Behinderung bei Ausspruch der Kündigung vom 08.03.2013 benachteiligt worden. Die schwerbehinderte Arbeitnehmerin hat keine Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass das beklagte Land gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 AGG verstoßen hat.
Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfahren hat, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Anders als im Bewerbungsverfahren, bei dem die weniger günstige Behandlung des schwerbehinderten Bewerbers im Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren, also in der Versagung einer Chance liegt [6], lässt sich im vorliegenden Fall die weniger günstige Behandlung nicht an einer konkreten anderen Person festmachen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG stellt jedoch nicht ausschließlich auf eine konkrete andere Vergleichsperson ab, sondern lässt eine hypothetische Vergleichsperson genügen. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG entspricht damit der Legaldefinition der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 Abs. 2a der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000. Folgerichtig verlangt der Europäische Gerichtshof nicht, dass die beschwerte Person, die behauptet, Opfer einer Diskriminierung geworden zu sein, identifizierbar ist [7]. Allerdings ist auch nach dieser Rechtsprechung erforderlich, dass konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, wie eine solche Vergleichsperson tatsächlich behandelt werden würde [8].
Bei dieser Betrachtungsweise kann eine weniger günstige Behandlung der Arbeitnehmerin nicht bereits mit dem Argument verneint werden, das beklagte Land hätte auch bei einem nichtbehinderten Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 LSGchG bei den festgestellten Eignungsmängeln durch Ausspruch einer Kündigung beendet. Ausweislich des Eignungsberichts ergaben sich im Laufe der Probezeit verschiedene fachliche Defizite bei der Arbeitnehmerin. Diese bestanden in der unreflektierten Übernahme von Ergebnissen und Erklärungen aus den Organisationseinheiten, der Nichteinhaltung von Terminen, der mangelnden Eigeninitiative, der wenig ausgeprägten analytischen Fähigkeiten und der unzureichenden Fähigkeiten zur parallelen Bearbeitung verschiedener Vorgänge unter Zeitdruck. Zumindest ein Teil dieser Defizite kann mit der Behinderung der Arbeitnehmerin in Zusammenhang gebracht werden. Diese resultierte jedenfalls auch daraus, dass die Arbeitnehmerin im Jahr 2009 einen Burnout erlitten hatte. Unter einem Burnout ist ein Zustand der emotionalen Erschöpfung mit verringerter Leistungsfähigkeit zu verstehen. Nach den – bestrittenen – Angaben der Arbeitnehmerin war der erlittene Burnout zumindest auch ein Grund, weshalb im weiteren Verlauf ein Grad der Behinderung von 50 % anerkannt wurde. Diese Behinderung konnte die Ursache dafür bilden, dass die Arbeitnehmerin weniger belastbar war als ein nicht behinderter Mensch.
Zum Ausgleich von Nachteilen der schwerbehinderten Menschen im Erwerbsleben hat der Gesetzgeber verschiedentlich „Chancenvorteile“ für diesen Personenkreis geschaffen. So muss ein schwerbehinderter Bewerber bei einem öffentlichen Arbeitgeber nach § 82 Satz 2 SGB IX die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, auch wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der schwerbehinderte Bewerber soll den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ist eine Benachteiligung, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht [9].
Bei dieser Betrachtungsweise kann auch in der Durchführung des Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX ein „Chancenvorteil“ gesehen werden, der dazu dient, gleiche Chancen des schwerbehinderten Arbeitnehmers gegenüber anderen nichtbehinderten Arbeitnehmern während der Dauer der Probezeit sicherzustellen. Auf diesen Gesichtspunkt hat die Arbeitnehmerin in ihrem Schriftsatz vom 13.08.2013 Seite 4 f. hingewiesen. Sie hat vorgetragen, ihrer größeren Unterstützungsbedürftigkeit sei nicht durch die Durchführung des Präventionsverfahrens und die Beteiligung der Personalvertretungen Rechnung getragen worden. Damit hat die Arbeitnehmerin eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG zumindest schlüssig dargelegt. Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und dem Merkmal der Behinderung liegt bereits dann vor, wenn die Behinderung der Arbeitnehmerin Bestandteil eines Motivbündels für die Kündigung gewesen wäre [10]. Die Einwendung des beklagten Landes, die Kündigung sei nicht im Zusammenhang mit der Schwerbehinderung der Arbeitnehmerin erfolgt, greift nicht durch, weil das Präventionsverfahren als „Chancenvorteil“ für schwerbehinderte Menschen gerade dazu dienen soll, die Ursache für die aufgetretenen Schwierigkeiten in Erfahrung zu bringen.
Das beklagte Land traf jedoch keine Rechtspflicht, innerhalb der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies gilt nicht nur – wie vom Bundesarbeitsgericht bereits entschieden – für den Kündigungsschutzprozess, sondern auch für den vorliegenden Entschädigungsprozess.
Mit Urteil vom 07.12.2006 [11] hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, die Durchführung des Präventionsverfahrens sei keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen. Die Vorschrift stelle jedoch eine Konkretisierung des dem gesamten Kündigungsschutzrecht innewohnenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Eine Kündigung könne damit wegen Verstoßes gegen dieses Prinzip sozial ungerechtfertigt sein, wenn bei gehöriger Durchführung des Präventionsverfahrens Möglichkeiten bestanden hätten, die Kündigung zu vermeiden.
Zur weiteren Frage, ob die Durchführung des Präventionsverfahrens Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit einer Kündigung in der Wartezeit entfaltet, hat das Bundesarbeitsgericht [12] in konsequenter Fortführung seiner Rechtsprechung entschieden, dass die unterbliebene Durchführung des Verfahrens insoweit keine kündigungsrechtlichen Folgen habe. Wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, finde der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Anwendung. Es komme hinzu, dass auch der präventive Kündigungsschutz für schwerbehinderte Arbeitnehmer nach § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht für Kündigungen gelte, die in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses erfolgten. Der Arbeitgeber habe solche Kündigungen lediglich nach § 90 Abs. 3 SGB IX innerhalb von 4 Tagen dem Integrationsamt anzuzeigen.
Unter Auseinandersetzung mit einer gegenteiligen Meinung im Schrifttum [13] hat sich das Bundesarbeitsgericht zudem mit der Frage befasst, ob die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG eine andere Betrachtungsweise verlange. Hierzu hat es ausgeführt, es seien zwar nach Art. 5 der Richtlinie angemessene Vorkehrungen zu treffen, um die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung zu gewährleisten. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung sei aber zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber die Möglichkeit zur Erprobung des neu eingestellten Mitarbeiters haben müsse. Der geltende Sonderkündigungsschutz nach §§ 85 ff.
SGB IX werde dem gerecht, weil er erst nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses einsetze.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist im Schrifttum im Wesentlichen auf Zustimmung gestoßen [14]. Auch die Kammer hält sie für sie überzeugend. Angesichts der in § 1 Abs. 1 LSGchG und § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX normierten Kündigungsfreiheit wäre es widersprüchlich, eine Kündigung von schwerbehinderten Arbeitnehmern innerhalb der Wartezeit – von dem verfassungsrechtlichen Mindestmaß an Bestandsschutz abgesehen – an die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu binden.
Damit ist aber noch nicht die Frage geklärt, ob auch im Entschädigungsprozess die Unterlassung des Präventionsverfahrens innerhalb der Wartezeit ohne Rechtsfolgen bleibt.
Die vom Bundesarbeitsgericht für den Bestandsschutzprozess angestellten Erwägungen können nicht ohne weiteres auf den Entschädigungsprozess übertragen werden. Wie bereits oben ausgeführt, besitzen das Kündigungsschutzrecht und das Diskriminierungsrecht unterschiedliche Schutzzwecke. Während es im Kündigungsrecht um die Wirksamkeit einer Beendigungserklärung geht, soll das Diskriminierungsrecht ein benachteiligungsfreies Verfahren sicherstellen [15]. Hieraus könnte gefolgert werden, dass das Präventionsverfahren diskriminierungsrechtlich eine angemessene Vorkehrung im Sinne von Art. 5 der Rahmenrichtlinie darstellt, auch wenn es kündigungsrechtlich für die Rechtswirksamkeit einer Wartezeitkündigung keine Auswirkungen hat.
Gegen diese Betrachtungsweise spricht aber entscheidend, dass das Präventionsverfahren keine angemessene Vorkehrung im Sinne des Art. 5 der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG sein kann, wenn es innerhalb des zur Verfügung stehenden Zeitraums nicht sinnvoll durchgeführt werden kann. § 84 Abs. 1 SGB IX regelt nicht, welche Anforderungen an das Präventionsverfahren zu stellen sind. Es bestimmt lediglich, dass der Arbeitgeber bei Eintreten von personen, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt einschaltet, um mit diesen Stellen die Möglichkeiten zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Ebenso wie das Betriebliche Eingliederungsmanagement handelt es sich bei dem Präventionsverfahren um ein dialogisches, kooperatives und ergebnisoffenes Verfahren [16]. Der Arbeitgeber soll unter Beteiligung von fachlich zuständigen Stellen und der Arbeitnehmervertretungen sondieren, auf welche Weise die aufgetretenen Schwierigkeiten beseitigt werden können. Dieses Verfahren ist – sorgfältig durchgeführt – fachlich anspruchsvoll und zeitlich aufwändig. Der Arbeitgeber genügt seinen Verpflichtungen nicht bereits dadurch, dass er die verschiedenen Stellen anhört. Die in § 84 Abs. 1 SGB IX genannten Stellen und Personen müssen in die Lage versetzt werden, den Sachverhalt zu prüfen und fundierte Empfehlungen zu geben. Ein derartiges Verfahren erfordert Zeit.
Diese Zeit steht aber innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 LSGchG, § 90 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nicht zur Verfügung. Im Allgemeinen wird sich der Arbeitgeber ein Bild über die Eignung des Arbeitnehmers nicht innerhalb der ersten Zeit des Arbeitsverhältnisses machen können. Nach der Einarbeitungsphase wird er die ersten Arbeitsergebnisse prüfen bzw. sich von den zuständigen Vorgesetzten Bericht erstatten lassen. Sodann wird er entweder Gespräche mit dem Arbeitnehmer führen, um festgestellte Mängel zu beheben oder aber, falls die Defizite zu gravierend sind, den Ausspruch einer Kündigung vorbereiten.
Bei dieser Sachlage ist das rechtliche Spannungsfeld offenkundig: Entweder führt der Arbeitgeber das Präventionsverfahren entsprechend den geschilderten Anforderungen durch; dann wird er eine dennoch erforderlich werdende Kündigung zeitlich nicht mehr innerhalb der Wartezeit aussprechen können. Oder er führt das Präventionsverfahren im „Schnelldurchgang“ durch; dann wird er den Vorwurf auf sich ziehen, das Präventionsverfahren nur der Form halber durchgeführt zu haben, um entschädigungsrechtliche Nachteile zu vermeiden. Bei dieser Sachlage ist die Kammer der Auffassung, dass die Rechtsordnung keine Anforderung stellen darf, die der Arbeitgeber bei ordnungsgemäßer Handlungsweise nicht erfüllen kann. Es verhält sich insoweit anders als in dem von der Arbeitnehmerin herangezogenen Fall der Entlassung eines schwerbehinderten Richters während der Probezeit. Hierzu der Bundesgerichtshof [17] entschieden, die Unterlassung des Präventionsverfahrens führe zwar nicht zur Rechtswidrigkeit der Entlassung, könne aber bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die richterliche Probezeit nach § 12 Abs. 2 DRiG bis zu fünf Jahren beträgt.
Eine Vermutung für eine Benachteiligung der Arbeitnehmerin folgt auch nicht aus einer unzureichenden Beteiligung der Personalvertretungen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können Verstöße gegen gesetzliche Verfahrensregelungen, die zur Förderung der Chancen der schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden, eine Indizwirkung für eine Benachteiligung begründen [18]. Es handelt sich hierbei um Förderpflichten im Sinne von § 5 AGG und Art. 5 der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG. Im Stellenbesetzungsverfahren ergibt sich aus § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen (insbesondere Betriebs- und Personalrat) über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit und die vorliegenden Bewerbungen zu unterrichten hat. Was die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung betrifft, so hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 SGB IX über seine Kündigungsabsicht zu unterrichten und die Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung anzuhören. Damit handelt es sich auch bei dieser Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung um eine Förderpflicht im Sinne von § 5 AGG und Art. 5 der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG. Da schließlich auch die Personalvertretung nach § 68 Abs. 1 Nr. 4 LPVG BW die allgemeine Aufgabe hat, die Eingliederung und berufliche Entwicklung von schwerbehinderten Beschäftigten zu fördern, stellt auch die Beteiligung des Personalrats eine Förderpflicht im Sinne der genannten Vorschriften dar.
Landesarbeitsgericht Baden ‑Württemberg, Urteil vom 17. März 2014 – 1 Sa 23/13
- im Anschluss an BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 und BAG 24.01.2008 – 6 AZR 96/07[↩]
- BAG 25.04.2013 – 8 AZR 287/08 – NZA 2014, 224[↩]
- BAG 19.12.2013 – 6 AZR 190/12, Rn 22 ff.[↩]
- BAG 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 – NZA 2011, 153; BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – NZA 2012, 667; BVerwG 03.03.2011 – 5 C 16/10 – NJW 2011, 2452[↩]
- BAG 19.12.2013 aaO Rn 30[↩]
- zuletzt BAG 22.08.2013 – 8 AZR 563/12 – NZA 2014, 82 Rn. 36[↩]
- EuGH 10.07.2008 – C‑54/07 – AP Richtlinie 2000/43/EG Nr. 1 (Feryn); EuGH 25.04.2013 – C‑81/12 – (Asocatia ACCEPT); ebenso Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2. Aufl. Rn 231; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG 3. Aufl., § 3 Rn 11[↩]
- Erfurter Kommentar-Schlachter, 14. Aufl., § 3 Rn 5[↩]
- BAG 07.04.2011 – 8 AZR 679/09, Rn. 35; BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – NZA 2012, 667 Rn 48; BAG 22.08.2013 – 8 AZR 563/12 – NZA 2014, 82 Rn 59[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 25.04.2013 aaO Rn 34[↩]
- bag 07.12.2006 – 2 AZR 182/06 – AP LSGchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 56[↩]
- BAG 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 – AP BGB § 307 Nr. 27; BAG 24.01.2008 – 6 AZR 97/07 – NZA-RR 2008, 405[↩]
- Deinert, NZA 2010, 969; ders. in: Deinert/Neumann, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen, 2. Aufl. § 18 Rn. 4[↩]
- Erfurter Kommentar 14. Aufl. § 84 Rn. 3; Knittel, SGB IX, 5. Aufl. § 84 Rn. 49; Lachwitz/Schellhorn/Welti-Trenk-Hinterberger, SGB IX, 3. Aufl. § 84 Rn. 25[↩]
- BAG 16.02.2012 aaO Rn 59; BAG 22.08.2013 aaO Rn 59; BVerwG 03.03.2011 aaO Rn 29; VGH Baden-Württemberg 10.09.2013 – 4 S 547/12 – NZA-RR 2014, 159[↩]
- Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Aufl. § 84 Rn 24[↩]
- BGH 20.12.2006 – RiZ ® 2/06[↩]
- BAG 17.08.2010 – 9 AZR 839/08 – AP AGG § 15 Nr. 4; BAG 21.02.2013 – 8 AZR 180/12 – NZA 2013, 840 Rn 37[↩]
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