Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verpflichtet den Verleiher, dem Leiharbeitnehmer das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, das der Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt ("equal pay"). Von diesem Gebot der Gleichbehandlung erlaubt das AÜG ein Abweichen durch Tarifvertrag, wobei im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung der tariflichen Regelungen arbeitsvertraglich vereinbaren können (§ 9 Nr. 2 AÜG) mit der Folge, dass der Entleiher grundsätzlich nur das tariflich vorgesehene Arbeitsentgelt gewähren muss (§ 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG).

Das Gebot der Gleichbehandlung ist bindend. § 10 Abs. 4 AÜG verstößt insoweit weder gegen Grundrechte noch gegen Unionsrecht.
§ 10 Abs. 4 AÜG verletzt die Koalitionsfreiheit der Arbeitgeberverbände ebenso wenig wie die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden 1. Auch im Hinblick auf die kollektive Koalitionsfreiheit der in der Leiharbeitsbranche tätigen Arbeitnehmervereinigungen und die individuelle Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer gilt nichts anderes.
Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet einer Arbeitnehmerkoalition deren Bildung, Bestand und Betätigung, wobei letztere alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen umfasst 2. Zu der koalitionsmäßigen Betätigung gehört auch die Tarifautonomie als das Recht, Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mit der Arbeitgeberseite auszuhandeln. In diesen Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG greift das Gebot der Gleichbehandlung nicht ein, weil die Tariföffnungsklausel es den Koalitionen ermöglicht, für ihre Mitglieder verbindliche abweichende Regelungen zu treffen. Das Bestreben der Arbeitgeberseite, über für sie wirtschaftlich günstigere tarifliche Regelungen dem Gebot der Gleichbehandlung nicht nachkommen zu müssen, wird es einer Arbeitnehmerkoalition in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche eher erleichtern als erschweren, Tarifverträge auszuhandeln. Zudem wäre ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG wegen der damit vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke nicht nur gegenüber Arbeitgeber‑, sondern auch gegenüber Arbeitnehmerkoalitionen verfassungsrechtlich gerechtfertigt 3.
Die Koalitionsfreiheit umfasst als individuelles Freiheitsrecht auch das Recht des Einzelnen, sich einer Koalition anzuschließen. Ein – feststellbarer – Druck auf Leiharbeitnehmer zum Austritt aus bzw. zum Nichteintritt in eine Arbeitnehmerkoalition geht von § 10 Abs. 4 AÜG nicht aus. Ist der Verleiher bereit, dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsentgelt zu zahlen, so wie es der Entleiher seinen Stammarbeitnehmern gewährt, kann dies unbeschadet einer Tarifbindung arbeitsvertraglich wirksam (§ 4 Abs. 3 TVG) vereinbart werden.
Ob Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit hinsichtlich des Arbeitsentgelts von der Ermächtigungsgrundlage des Art. 153 AEUV (ex Art. 137 EGV) gedeckt ist, kann dahingestellt bleiben. Dem nationalen Gesetzgeber bleibt es unbenommen, über die in Art. 5 Leiharbeit-RL vorgesehenen Maßnahmen hinauszugehen. Eine Vorlage der aufgeworfenen Frage nach der Reichweite des Art. 5 Leiharbeit-RL an den Gerichtshof der Europäischen Union hatte mangels Entscheidungserheblichkeit zu unterbleiben 4.
Das Gebot der Gleichbehandlung nach § 10 Abs. 4 Satz 1 und Satz 4 AÜG wird nicht gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG durch arbeitsvertragliche Bezugnahme auf von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge ausgeschlossen. Die CGZP konnte keine wirksamen Tarifverträge schließen.
Nach den Entscheidungen des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010 5, dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 09.01.2012 6 sowie der Zurückweisung der hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde 7 ist rechtskräftig und mit bindender Wirkung gegenüber jedermann festgestellt, dass die CGZP seit ihrer Gründung und jedenfalls bis zum 14.12.2010 nicht tariffähig war 8. Ob die Rechtskraftwirkung der genannten Entscheidungen durch die zum 30.04.2011 erfolgte Einfügung von § 3a AÜG durch Art. 1 Nr. 6 des "Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung" vom 28.04.2011 9 wieder entfallen ist 10, kann dahingestellt bleiben. § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG setzen einen zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Vereinbarung und während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wirksamen Tarifvertrag voraus 11.
Fehlt einer Tarifvertragspartei die Tariffähigkeit, kann sie allenfalls eine Kollektivvereinbarung ohne normative Wirkung, aber keinen Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG abschließen 12. Trotz fehlender Tariffähigkeit abgeschlossene "Tarifverträge" sind deshalb von Anfang an unwirksam 13. Davon geht auch § 97 Abs. 5 ArbGG aus. Die gesetzliche Anordnung, einen Rechtsstreit, der davon abhängt, ob eine Vereinigung tariffähig oder deren Tarifzuständigkeit gegeben ist, bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen, wäre sinnlos, wenn die fehlende Tariffähigkeit oder die fehlende Tarifzuständigkeit lediglich zu einer Unwirksamkeit des Tarifvertrags ex nunc führen würde. Dementsprechend wird in dem als besonderes Beschlussverfahren ausgestalteten Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG nicht eine ursprünglich bestehende Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit "abgesprochen", sondern lediglich das Fehlen der Fähigkeit oder der Zuständigkeit zum Abschluss eines Tarifvertrags festgestellt.
Die These vom fehlerhaften Tarifvertrag 14, die in Anlehnung an die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit vollzogener Tarifverträge ex nunc annimmt, ist bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen gemäß § 9 Nr. 2 AÜG ungeeignet. Denn es geht in diesem Falle nicht um die Rückabwicklung vollzogener Tarifverträge, sondern um die Rechtsfolge des Scheiterns einer vom Gesetz nach § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4 Satz 2 AÜG eröffneten Gestaltungsmöglichkeit. Dabei muss nichts rückabgewickelt werden. Der Arbeitnehmer behält die bezogene Vergütung aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung und erwirbt darüber hinaus nach § 10 Abs. 4 AÜG einen Anspruch auf die Differenz zu dem Entgelt, das er erhalten hätte, wenn das Gebot der Gleichbehandlung von Anfang an beachtet worden wäre. Dazu räumt § 13 AÜG dem Leiharbeitnehmer einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Entleiher ein.
Ein etwaiges Vertrauen der Verleiher in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt.
Der aus Art.20 Abs. 3 GG hergeleitete Grundsatz des Vertrauensschutzes kann es, obwohl höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine vergleichbare Rechtsbindung erzeugen, gebieten, einem durch gefestigte Rechtsprechung begründeten Vertrauenstatbestand erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit einer geänderten Rechtsprechung oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung zu tragen 15. Die Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP waren nicht mit einer Rechtsprechungsänderung verbunden. Weder das Bundesarbeitsgericht noch Instanzgerichte haben in dem dafür nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 97 ArbGG vorgesehenen Verfahren jemals die Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. In der von der Revision angezogenen Entscheidung 16 hat das Bundesarbeitsgericht bei der Prüfung der Sittenwidrigkeit der Vergütung eines Leiharbeitnehmers zwar auch einen von der CGZP abgeschlossenen Entgelttarifvertrag herangezogen, eine Feststellung von deren Tariffähigkeit war damit aber nicht verbunden. Die bloße Erwartung, das Bundesarbeitsgericht werde eine von ihm noch nicht geklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne, etwa entsprechend im Schrifttum geäußerter Auffassungen, entscheiden, vermag einen Vertrauenstatbestand nicht zu begründen 17.
Ein dennoch von Verleihern möglicherweise und vielleicht aufgrund des Verhaltens der Bundesagentur für Arbeit oder sonstiger Stellen entwickeltes Vertrauen in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Die Revision weist selbst darauf hin, dass die Tariffähigkeit der CGZP bereits nach deren ersten Tarifvertragsabschluss im Jahre 2003 in Frage gestellt und öffentlich diskutiert wurde 18. Wenn ein Verleiher gleichwohl zur Vermeidung einer Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer von der CGZP abgeschlossene Tarifverträge arbeitsvertraglich vereinbart hat, bevor die dazu allein berufenen Gerichte für Arbeitssachen über deren Tariffähigkeit befunden hatten, ist er ein Risiko eingegangen, das sich durch die rechtskräftigen Entscheidungen zur fehlenden Tariffähigkeit der CGZP realisiert hat.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13. März 2013 – 5 AZR 954/11
- BVerfG 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03 ua.[↩]
- vgl. BVerfG 6.02.2007 – 1 BvR 978/05, Rn. 21 ff.; BAG 20.11.2012 – 1 AZR 179/11, Rn. 111[↩]
- vgl. dazu im Einzelnen: BVerfG 29.12.2004 – 1 BvR 2283/03 ua., zu C II 3 b der Gründe[↩]
- vgl. BVerfG 29.05.2012 – 1 BvR 3201/11, Rn. 21 ff.[↩]
- BAG 14.12.2010 – 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302[↩]
- LAG Berlin-Brandenburg 09.01.2012 – 24 TaBV 1285/11 ua.[↩]
- BAG 22.05.2012 – 1 ABN 27/12[↩]
- vgl. BAG 23.05.2012 – 1 AZB 58/11, Rn. 12; 23.05.2012 – 1 AZB 67/11, Rn. 7[↩]
- BGBl. I S. 642[↩]
- so etwa Lützeler/Bissels DB 2011, 1636; Lembke NZA 2011, 1062[↩]
- hM, vgl. nur Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 102; Mengel in Thüsing AÜG 3. Aufl. § 9 Rn. 39; Boemke/Lembke AÜG 2. Aufl. § 9 Rn. 120[↩]
- zur fehlenden Tarifzuständigkeit: BAG 17.04.2012 – 1 ABR 5/11, Rn. 69[↩]
- BAG 15.11.2006 – 10 AZR 665/05, Rn. 21 mwN, BAGE 120, 182; 27.11.1964 – 1 ABR 13/63, zu B I der Gründe, BAGE 16, 329; ErfK/Franzen 13. Aufl. § 2 TVG Rn. 5; Schaub/Treber Arbeitsrechts-Handbuch 14. Aufl. § 198 Rn. 4[↩]
- HWK/Henssler 5. Aufl. § 1 TVG Rn. 21a[↩]
- BVerfG 15.01.2009 – 2 BvR 2044/07, Rn. 85, BVerfGE 122, 248; vgl. dazu auch BAG 19.06.2012 – 9 AZR 652/10, Rn. 27 mwN[↩]
- BAG 24.03.2004 – 5 AZR 303/03, zu I 2 c cc der Gründe, BAGE 110, 79[↩]
- Koch SR 2012, 159, 161 mwN[↩]
- vgl. Schüren in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 9 Rn. 107 ff. mwN; Ulber NZA 2008, 438; Rolfs/Witschen DB 2010, 1180; Lunk/Rodenbusch RdA 2011, 375[↩]