Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer

Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs. Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs haftet der Arbeitnehmer im Innenverhältnis voll.

Erstattung nachentrichteter Lohnsteuer

Die Regresspflicht des Arbeitnehmers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuernachforderung für den Arbeitnehmer erfüllt.

Einwendungen des Arbeitnehmers gegen die Feststellungen eines Haftungsbescheids sind im arbeitsgerichtlichen Regressverfahren – abgesehen von Fällen der offenkundigen Unrichtigkeit der steuerrechtlichen Bewertung – grundsätzlich nicht zulässig. Entsprechendes gilt bei einer freiwilligen Nachentrichtung von Lohnsteuer.

Allein durch die Bekanntgabe eines Haftungsbescheids an den Arbeitgeber wird keine Frist für die öffentlich-rechtliche Anfechtung des Bescheids durch den Arbeitnehmer in Gang gesetzt. Die unterbliebene oder verzögerte In-Kenntnis-Setzung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bezüglich Existenz oder Inhalt eines Haftungsbescheids kann nicht zum Verlust des Anfechtungsrechts des Arbeitnehmers führen.

Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers bei der Abführung von Lohnsteuer ist für die Regresspflicht des Arbeitnehmers ohne Relevanz. § 254 BGB findet keine Anwendung.

Ein solcher Sorgfaltspflichtverstoß des Arbeitgebers kann zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers führen. Die Lohnsteuer selbst stellt dabei jedoch keinen ersatzfähigen Schadensposten dar.

Das Einverständnis des Arbeitgebers mit einem gegen ihn ergangenen Haftungsbescheid stellt keinen Vertrag mit dem Finanzamt zu Lasten des Arbeitnehmers dar.

Die Klägerin kann vom Beklagten nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB Erstattung der geleisteten Lohnsteuernachzahlungen nebst Zinsen verlangen. Der Arbeitnehmer nach § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG allein Schuldner der Lohnsteuer, soweit nicht die arbeitsvertraglich -etwa aufgrund einer Nettolohnabrede, verpflichtet ist, diese zu übernehmen.

Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Arbeitgeber ist zum Einbehalt und Abzug der Lohnsteuer verpflichtet. Nach § 38 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 EStG hat der Arbeitgeber bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten1. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Der Einbehalt des Arbeitgebers für Rechnung des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) dient der Vorbereitung der Abführung. Erfüllt wird erst durch die Abführung nach § 41a EStG, wobei der Arbeitgeber in einer Art treuhänderischer Stellung für den Steuerfiskus tätig wird. Dies betrifft den jeweiligen Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer unmittelbar, weil er den Abzug vom Lohn zu dulden hat2. Der Arbeitgeber haftet zwar für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen hat (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Soweit diese Haftung reicht, sind der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer nach der ausdrücklichen Anordnung des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG jedoch Gesamtschuldner (§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO). Dabei erfüllt der Arbeitgeber eine fremde Schuld, denn im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zueinander ist grundsätzlich allein der Arbeitnehmer Schuldner der Steuerforderung3.

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Die Steuerlast trifft den Arbeitgeber auch dann nicht, wenn er zu wenig Steuern einbehält und dadurch zu viel Lohn an den Arbeitnehmer auszahlt. Das Finanzamt kann ihn zwar auf Entrichtung der fehlenden Steuer in Anspruch nehmen; er hat jedoch, wenn er gezahlt hat, gegenüber dem Arbeitnehmer einen Erstattungsanspruch. Etwas anderes gilt nur, wenn ausnahmsweise der klar erkennbare Parteiwille dahin geht, die Steuerlast solle den Arbeitgeber treffen4. Dabei sind an das Vorliegen einer solchen Nettolohnvereinbarung hohe Anforderungen zu stellen. Nettolohnvereinbarungen sind die Ausnahme und müssen deshalb einen entsprechenden Willen klar erkennen lassen5.

Die bloße Nichtabführung von Steuern und die insoweit ungekürzte Auszahlung an den Beklagten haben zudem keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert dahingehend, dass eine konkludente Vertragsänderung hin zu einer Nettolohnvereinbarung anzunehmen wäre6. Es war vielmehr für den Beklagten angesichts des klaren Wortlaut des Arbeitsvertrags und der kurz zuvor erfolgten Korrespondenz nach seinem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) naheliegend, dass die tatsächliche Handhabung auf einem Fehler basierte und auf keinen geänderten Willen der Klägerin hindeutete. Über die bloße Zahlung hinausgehende (klare) Anhaltspunkte für die Übernahme der Steuerschuld durch die Klägerin sind weder vorgetragen noch ansonsten erkennbar. Im Gegenteil konnte der Beklagte auch aufgrund der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durchaus erkennen, dass die Klägerin keinen verstetigten Nettobetrag zusagen wollte, sondern die dem Beklagten obliegenden öffentlich-rechtlichen Lasten auch von ihm getragen werden sollten.

Auch eine betriebliche Übung7 scheidet mangels rechtsgeschäftlichem Erklärungswert aus denselben Gründen aus.

Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern8.

Für diese Haftung spielte es keine Rolle, ob der Arbeitgeber aufgrund eines Haftungsbescheid leistet (hier für die Jahre 2016 bis 2019) oder über seinen Gehaltsrechner Steuern nachmeldet (hier für das Jahr 2020). Dies ergibt sich bereits aus § 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Danach bedarf es für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers keines Haftungsbescheids, soweit der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat. Auch ohne Bescheid unterliegt diese Steuerschuld derselben Haftung nach § 42d Abs. 3 EStG9. Der Gesamtschuldnerausgleich besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuerforderung für den Arbeitnehmer erfüllt10.

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Eine sachliche Überprüfung der Steuerschuld findet im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht statt.

Einwendungen des Arbeitnehmers gegen die Feststellungen eines Haftungsbescheids sind im arbeitsgerichtlichen Regressverfahren – abgesehen von Fällen der offenkundigen Unrichtigkeit oder Nichtigkeit – grundsätzlich nicht zulässig. Der zulässige Rechtsbehelf gegen den Haftungsbescheid ist der Einspruch gemäß § 347 AO mit der nachfolgenden Anfechtungsklage. Dieser Rechtsbehelf steht nach herrschender Meinung sowohl dem Arbeitgeber als Adressaten des Haftungsbescheides wie auch dem Arbeitnehmer zu, soweit er persönlich für die nachgeforderte Lohnsteuer in Anspruch genommen werden kann11. Hält sich der Arbeitgeber an die Anordnungen des Haftungsbescheides, ist der Arbeitnehmer somit auf seine Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Finanzverwaltung zu verweisen. Zur Feststellung der Steuerschuld verfügen Finanzverwaltung und Finanzgerichte über die besseren Qualifikationen sowie über die sachgerechten Mittel, insbesondere in Ansehung des dort geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes. Die Feststellung der Steuerschuld im Rahmen eines vom Beibringungsgrundsatz geprägten Verfahrens wäre systemwidrig12.

Gleiches gilt bei einer freiwilligen Nachmeldung gemäß § 42d Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Auch insoweit darf sich der Arbeitgeber auf die Ausführungen und Berechnungen des Finanzamts verlassen und sich diese zu eigen machen, sofern sie nicht offenkundig unrichtig sind13.

Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach die Gerichte für Arbeitssachen regelmäßig nicht befugt sind, die Berechtigung der Abzüge für Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge zu überprüfen. Legt der Arbeitgeber nachvollziehbar dar, dass er bestimmte Abzüge für Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge einbehalten und abgeführt hat, kann der Arbeitnehmer die nach seiner Auffassung unberechtigt einbehaltenen und abgeführten Beträge auch ansonsten nicht erfolgreich mit einer Vergütungsklage geltend machen. Er ist vielmehr auf die steuer- und sozialrechtlichen Rechtsbehelfe beschränkt, es sei denn, für den Arbeitgeber wäre aufgrund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht bestand14. Unter Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht die steuerrechtlichen Annahmen des Finanzamts nicht zu überprüfen.

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Schließlich ergibt sich auch nichts anderes aus dem Umstand, dass eine finanzrechtliche Überprüfung im Widerspruchs- bzw. Anfechtungsverfahren aufgrund verspäteter Übermittlung des Haftungsbescheids dem Beklagten nun nicht mehr möglich wäre. Denn die Annahme, das Verhalten der Klägerin habe zur Bestandskraft des Bescheids und zu seiner Unanfechtbarkeit geführt, ist unzutreffend.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs steht einem Arbeitnehmer gegen einen an den Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid wegen nachzuentrichtender Lohnsteuer ein eigenes Anfechtungsrecht zu15. Sofern – wie vorliegend – der Haftungsbescheid dem Arbeitnehmer von der Finanzverwaltung nicht bekannt gegeben worden ist, kann der Arbeitnehmer den Bescheid jedenfalls bis zum Ablauf der Jahresfrist gemäß § 356 Abs. 2 AO anfechten16. Allein durch die Bekanntgabe des Bescheids an den Arbeitgeber wird keinerlei Frist für die Anfechtung durch den Arbeitnehmer in Gang gesetzt17. Diese beginnt frühestens mit der Kenntnis des Arbeitnehmers vom Haftungsbescheid18.

Die (vermeintlich) fehlende In-Kenntnis-Setzung des Beklagten durch die Klägerin konnte deshalb nicht zum Verlust seines Anfechtungsrechts führen. Im Gegenteil begann die für ihn maßgebliche Frist gerade durch die In-Kenntnis-Setzung. Sofern – wie der Beklagte behauptet – dies erst anlässlich des Schriftsatzes vom 14.02.2022 erfolgt ist, wäre die Jahresfrist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer noch nicht einmal abgelaufen gewesen19. Die Beurteilung, ob und wenn ja wann die Jahresfrist zu laufen begann, obliegt den Finanzbehörden bzw. dem Finanzgericht im Falle einer Anfechtung des Haftungsbescheids durch den Beklagten. Jedenfalls konnte eine fehlende In-Kenntnis-Setzung zu keinem Rechtsverlust bezüglich des eigenen Anfechtungsrechts des Beklagten führen.

Dem Erstattungsanspruch steht kein (überwiegendes) Mitverschulden der Klägerin gemäß § 254 BGB entgegen.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die abzuführende Lohnsteuer richtig zu berechnen. Insbesondere hat er sich um die sachgerechte Bearbeitung und Behandlung der Lohnsteuer seiner Arbeitnehmer zu bemühen20. Hiergegen hat die Klägerin im vorliegenden Fall schuldhaft verstoßen. Indes ist dieser Sorgfaltspflichtverstoß der Klägerin für den Anspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ohne Relevanz.

§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB dient dem endgültigen Belastungsausgleich unter den Gesamtschuldnern21. Sofern es sich um mehrere Schuldner eines Schadensersatzanspruchs handelt, spielt § 254 BGB für den Ausgleich im Innenverhältnis eine zentrale Rolle. Im Schadensersatzrecht bemisst sich das Maß der internen Beteiligung der Haftpflichtigen nach den Umständen der Schadenszufügung, insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Schädiger verursacht bzw. verschuldet worden ist. Dieser Rechtsgedanke aus § 254 BGB wird im Schadensrecht auf das Verhältnis mehrerer Ersatzpflichtiger untereinander angewandt22.

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Indes geht es vorliegend um keinen Schadensersatzanspruch, sondern um den Ausgleich der Gesamtschuld gemäß § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG. Hinsichtlich dieses Gesamtschuldnerausgleichs stellt § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach Schuldner der Lohnsteuer ausschließlich der Arbeitnehmer ist, eine abschließende Sonderreglung für die endgültige Vermögensbelastung im Innenverhältnis auf. Für die Anwendung von § 254 BGB bleibt kein Raum.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass zwar im Rahmen zur Aufrechnung gestellter bzw. gemäß § 273 BGB eingewandter Gegenansprüche auf Schadensersatz gemäß § 280 Abs. 1 BGB das sorgfaltspflichtwidrige Verhalten der Klägerin eine Rolle spielen könnte23. Unabhängig davon, dass eine Aufrechnung nicht erklärt bzw. ein Zurückbehaltungsrecht nicht eingewandt wurde, ist aber nach der anzustellenden Differenzhypothese auch kein ersatzfähiger Schaden nach § 249 ff BGB erkennbar. Bei pflichtgemäßem Verhalten der Klägerin wären dem Vermögen des Beklagten der vom Arbeitsgericht ausgeurteilte Betrag von vornherein nicht zugeflossen. Auch insoweit ist ein Schaden nicht erkennbar.

Ein Vertrag zu Lasten Dritter liegt nicht vor.

Ein Vertrag zu Lasten Dritter, durch den der Dritte ohne seine Mitwirkung unmittelbar vertraglich verpflichtet wird, ist mit der Privatautonomie nicht vereinbar und im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht vorgesehen24. Ein unzulässiger und deshalb unwirksamer Vertrag zu Lasten Dritter liegt vor, wenn durch ihn unmittelbar eine Rechtspflicht eines am Vertrag nicht beteiligten Dritten – ohne seine Autorisierung – entstehen soll25.

Danach stellt das Einverständnis der Klägerin mit dem gegen sie ergangenen Haftungsbescheid keinen Vertrag mit dem Finanzamt zu Lasten des Beklagten dar.

Es liegt bereits kein Vertrag im Sinne übereinstimmender Willenserklärungen vor. Vielmehr handelt es sich bei dem Haftungsbescheid um einen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsakt im Subordinationsverhältnis, der nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften angefochten werden konnte. Ein (öffentlich-rechtlicher) Vertrag erlaubt gerade deshalb keine Regelung zu Lasten Dritter, weil er – anders als ein Verwaltungsakt – von einem betroffenen Dritten nicht angefochten werden kann26.

Vorliegend hatte der Beklagte – wie ausführlich dargestellt – ein eigenes Anfechtungsrecht innerhalb eines Jahres ab Kenntnis des Haftungsbescheids. Eine unmittelbare und unabänderliche Rechtspflicht konnte der Haftungsbescheid ihm gegenüber nicht begründen. Ein Vertrag zu Lasten Dritter liegt nicht vor.

Im hier entschiedenen Fall wurde von der Arbeitgeberin auch die (zweistufige) arbeitsvertragliche Ausschlussfrist gewahrt. Für den Beginn der Ausschlussfristen bei dem Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist der Zeitpunkt der tatsächlichen Erfüllung der Steuerforderung gegenüber dem Finanzamt, bei zuvor eingetretener Bestandskraft eines Haftungsbescheids dieser Zeitpunkt, maßgebend27.

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Im vorliegenden Fall ist der Anspruch auf Erstattung der Lohnsteuernachzahlung auch nicht nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt. Die Verjährungsfrist hat erst mit Schluss des Jahres zu laufen begonnen, in dem der Haftungsbescheid bestandskräftig wurde und die Klägerin die Steuerforderung beglichen hat. Hierauf abzustellen gebieten die Besonderheiten der steuerrechtlich begründeten Gesamtschuld und des hieraus abgeleiteten Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers. Dies hat das Bundesarbeitsgericht unlängst entschieden28. Die Kammer schließt sich dem vollumfänglich an.

Die Erstattungsansprüche sind schließlich auch nicht verwirkt gemäß § 242 BGB.

Die Verwirkung ist ein Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung. Sie setzt voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend macht, obwohl er dazu in der Lage war (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und sich darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht auch künftig nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment). Der Berechtigte muss dabei unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Die Inanspruchnahme von Vertrauen setzt die Kenntnis des Schuldners von einem möglichen Anspruch gegen ihn voraus. Fehlt es hieran, kann der Schuldner auf das Ausbleiben einer entsprechenden Forderung allenfalls allgemein, nicht aber konkret hinsichtlich eines bestimmten Anspruchs vertrauen29.

Danach fehlt es vorliegend bereits an dem erforderlichen Zeitmoment. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG, § 44 Abs. 1 Satz 1 AO iVm. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entstand erst mit den Zahlungen im Januar bzw.04.2021. Er wurde bereits Ende April 2021 gerichtlich geltend gemacht. Eine unterbliebene Geltendmachung über einen längeren Zeitraum liegt erkennbar nicht vor.

Es fehlt zudem ein Umstandsmoment. Die Klägerin hat nach Kenntnis von den Ergebnissen der Steuerprüfung keine Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie einen Rückgriff beim Beklagten begehrt.

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Landesarbeitsgericht Baden -Württemberg, Urteil vom 10. Februar 2023 – 12 Sa 50/22

  1. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, Rn. 16, BAGE 157, 336[]
  2. vgl. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 266/16, Rn. 17, aaO[]
  3. BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17 – BAGE 164, 159 ff, Rn. 9[]
  4. BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17 – BAGE 164, 159 ff, Rn. 10[]
  5. BAG 31.03.2022 – 8 AZR 207/21, Rn. 81 mwN[]
  6. ebenso in einem ähnlichen Fall LAG München 3.05.2011 – 7 Sa 847/10, Rn. 116 juris[]
  7. dazu BAG 14.09.2011 – 10 AZR 526/10, BAGE 139, 156 ff Rn. 12[]
  8. BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17 – BAGE 164, 159 ff, Rn. 13[]
  9. vgl. Küch in: Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 42d Haftung des Arbeitgebers und Haftung bei Arbeitnehmerüberlassung, Rn. 96[]
  10. BAG 16.06.2004 – 5 AZR 521/03 – BAGE 111, 131 ff, Rn. 18[]
  11. BFH 8.06.2011 – I R 79/10, Rn. 16, BFHE 234, 101; BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17 – BAGE 164, 159 ff, Rn. 14[]
  12. LAG Düsseldorf 10.12.2014 – 4 Sa 400/14, Rn. 27[]
  13. vgl. BAG 16.06.2004 – 5 AZR 521/03 – BAGE 111, 131 ff, Rn. 22[]
  14. BAG 21.12.2016 – 5 AZR 266/16 – BAGE 157, 336 ff, Rn.20 mwN[]
  15. zuletzt etwa BFH 3.07.2019 – VI R 37/16, BFHE 265, 340, BStBl II 2020, 241, Rn. 13 f[]
  16. BFH a.a.O. Rn. 14; Hummel in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 6. Rechtsschutzfragen, Rn. A 179[]
  17. Schmieszek in: Bordewin/Brandt, Einkommensteuergesetz, Kommentar, IV. Rechtsbehelfe, Rn. 129[]
  18. Hummel a.a.O.[]
  19. für die Kenntnis auf den Moment des zivilrechtlichen Rückgriffs seitens des Arbeitgebers – mithin die Klageerhebung – abstellend Hummel in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, 6. Rechtsschutzfragen, Rn. A 179[]
  20. BAG 16.06.2004 – 5 AZR 521/03 – BAGE 111, 131 ff, Rn.20[]
  21. MünchKomm-BGB/Heinemeyer, 9. Aufl.2022, BGB § 426 Rn. 5[]
  22. MünchKomm-BGB/Heinemeyer, 9. Aufl.2022, BGB § 426 Rn. 22[]
  23. vgl. BAG 16.06.2004 – 5 AZR 521/03 – BAGE 111, 131 ff, Rn.20[]
  24. MünchKomm-BGB/Gottwald, 9. Aufl.2022, BGB § 328 Rn. 263[]
  25. BGH 23.02.2022 – VIII ZR 305/20, BGHZ 233, 54 ff, Rn. 25[]
  26. OVG Berlin-Brandenburg 12.02.2007 – OVG 12 A 1.05, Rn. 46[]
  27. dazu ausführlich BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17, BAGE 164, 159 ff, Rn. 18 ff[]
  28. BAG 14.11.2018 – 5 AZR 301/17, BAGE 164, 159 ff, Rn. 29[]
  29. BAG 17.08.2021 – 1 AZR 175/20, Rn. 47[]