Das Freistellungsinteresse des Arbeitgebers kann den Anspruch auf arbeitsvertragsgemäße Beschäftigung bei einem Arbeitnehmer in herausgehobener und am Unternehmenserfolg beteiligter Managementposition (hier: Leiter der Entwicklung Dieselmotoren) auch längere Zeit (hier: 8 Monate) überwiegen, wenn wegen des Verdachts von Manipulationen (hier: Motorensoftware) umfangreiche Untersuchungen stattfinden.

Mit dieser Begründung lehnte im hier entschiedenen Fall das Arbeitsgericht Heilbronn einen Antrag des betroffenen Arbeitnehmers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen seine Arbeitgeberin ab:
Der Antrag ist unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 62 Abs. 2 ArbGG, 935, 940 ZPO sind nicht gegeben.
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935, 940 ZPO setzt das Vorliegen eines Verfügungsgrundes und eines Verfügungsanspruchs voraus. Der Verfügungsgrund verlangt, dass zu besorgen ist, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 935 ZPO) oder dass eine vorläufige Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 940 ZPO). In Einzelfällen kann eine einstweilige Verfügung auch eine Befriedigung des Gläubigers bewirken. So liegt es bei der Durchsetzung von Beschäftigungsansprüchen. Während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses kann das Recht des Arbeitnehmers, beschäftigt zu werden, mithilfe einer Leistungsverfügung durchgesetzt werden; es ist erforderlich, dass ein gesteigertes Beschäftigungsinteresse glaubhaft gemacht wird. Ein solches liegt insbesondere dann vor, wenn die Beschäftigung notwendig ist, um Qualifikationen nicht zu verlieren, um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten oder zu verbessern oder wenn durch die Nichtbeschäftigung unverhältnismäßige Nachteile für das Persönlichkeitsrecht entstehen würden1.
Ein solcher Verfügungsgrund, der den sofortigen Erlass einer einstweiligen Verfügung gebietet, ist nicht gegeben. Dem Arbeitnehmer kann die Einleitung eines normalen Erkenntnisverfahrens auf Weiterbeschäftigung zugemutet werden.
Der Arbeitnehmer ist bereits seit 25.11.2015 freigestellt. Allein diese Zeitdauer spricht gegen die Eilbedürftigkeit des vorliegenden Antrags. Zwar gab es nach der Glaubhaftmachung des Arbeitnehmers seit der Freistellung mehrere Gespräche mit Vorstandsmitgliedern und dem Chefsyndikus der Arbeitgeberin, in denen er seinen Weiterbeschäftigungsanspruch thematisierte. Insoweit schilderte der Arbeitnehmer, dass man ihn immer wieder darum gebeten habe, abzuwarten. Allerdings hätte der Arbeitnehmer nach seiner eigenen Schilderung zum 01.04.2016 den Rechtsweg einschalten können. Er schilderte, dass er vom Personalvorstand am 22.02.2016 die Informationen bekommen habe, dass der Vorstand die Rückkehr des Arbeitnehmers einstimmig beschlossen habe und der Arbeitnehmer vorbehaltlich der Zustimmung der Aufsichtsräte und der XX AG zum 01.04.2016 zurückkehren könne. Eine solche Rückholung erfolgte nicht. Der nächste Kontakt zwischen dem Arbeitnehmer und dem Personalvorstand war nach seinen Angaben am 04.05.2016. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte der Arbeitnehmer ein Erkenntnisverfahren einleiten können.
Durch diesen Zeitablauf wird das Argument des Arbeitnehmers, er verliere durch die Freistellung sein fachliches Know-how und den Anschluss an die aktuelle technische Entwicklung, in einem Umfang geschwächt, dass es nicht mehr zum Erlass einer einstweiligen Verfügung herangezogen werden kann. Zwar ist es zweifellos zutreffend, dass der Arbeitnehmer als Ingenieur in seinem Spezialgebiet ständig technisch auf dem neuesten Stand sein muss und eine längere arbeitsfreie Phase ihm dies erschwert. Allerdings ist die bisherige Freistellungsphase nicht so lang, dass der Arbeitnehmer von der technischen Entwicklung abgekoppelt ist. Nach Ansicht des Arbeitsgerichts dürfte es ihm mit dem gebotenen Engagement möglich sein, wieder auf den aktuellen technischen Stand zu kommen. Da der Arbeitnehmer diese fachliche Unterbrechung für 8 Monate akzeptiert hat, ist nicht ersichtlich, weshalb er sie nicht auch für den Zeitraum eines Erkenntnisverfahrens in der 1. Instanz hinnehmen kann.
Der eigentliche Impuls für den Arbeitnehmer, nunmehr ein einstweiliges Verfügungsverfahren einzuleiten, ist nach dem Eindruck der Arbeitsgericht seine Befürchtung, während seiner Abwesenheit werde seine Stelle als Leiter „XX“ wegfallen. Während er sich in der Antragsschrift auf Gerüchte bezog, legte er in der mündlichen Verhandlung ein E-Mail vom 06.07.2016 vor. In der Tat wird in diesem E-Mail des Leiters Entwicklung Antrieb eine Umstrukturierung der Entwicklung V-Ottomotoren und V-Dieselmotoren zu einer starken Organisationseinheit unter der Leitung von J. K. angesprochen; welche Funktion der Arbeitnehmer nach seiner Rückkehr einnehmen solle, wird in dieser E-Mail nicht erwähnt. Allein aus den vom Arbeitnehmer angesprochenen Gerüchten und dieser E-Mail kann jedoch nicht auf einen Wegfall des Arbeitsplatzes des Arbeitnehmers geschlossen werden. Hierfür fehlen detailliertere Informationen. Nach der eigenen Schilderung des Arbeitnehmers habe man ihm am 22.02.2016 eine andere, höherrangige Stelle als Leiter der Entwicklung Aggregate avisiert. Es ist sicherlich zutreffend, dass dann, wenn der Arbeitnehmer im Betrieb anwesend wäre, er versuchen kann, auf die Neuplanung der Entwicklung Einfluss zu nehmen. Allerdings ist die Tatsachengrundlage für das Arbeitsgericht derzeit zu ungenau, um den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für den Arbeitnehmer zu begründen.
Schließlich kann das Arbeitsgericht auch nicht erkennen, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer in treuwidriger Weise von der Durchsetzung seines Beschäftigungsanspruchs abgehalten hat. Zwar hat der Arbeitnehmer eine Reihe von Gesprächen mit Vorstandsmitgliedern der Arbeitgeberin geschildert, in denen er immer wieder darum gebeten wurde, zuzuwarten. Dies geschah jedoch ersichtlich nicht, um dem Arbeitnehmer zu schaden und in seinen Rechten zu verkürzen.
Vielmehr handelte die Arbeitgeberin aufgrund der Zwangslage, die durch die Ermittlungen der US-amerikanischen Behörden in der Dieselaffäre entstanden war. Die Arbeitgeberin hat überzeugend geschildert, dass sie gezwungen war, leitende Mitarbeiter, die mit der Entwicklung der Dieselmotoren befasst waren, von der Arbeit freizustellen. Gerade im Hinblick auf die Untersuchung der Rechtsanwaltskanzlei J. D. war und ist die Arbeitgeberin gehalten, jeden Verdacht der Einflussnahme auf diese Untersuchungen zu vermeiden. Hierbei kann im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens nicht beurteilt werden, ob der Arbeitnehmer für die Softwaremanipulationen mit verantwortlich gewesen sein könnte; dies ist den Untersuchungen der US-amerikanischen Behörden bzw. dem vorgeschalteten Bericht der Kanzlei J. D. vorbehalten. Es ist jedoch in jeder Hinsicht nachvollziehbar, dass die Arbeitgeberin (ebenso wie der Konzern) den Arbeitnehmer und andere mit der Entwicklung befasste Mitarbeiter vorläufig freistellte, um nach außen jede Gefahr der Einflussnahme oder Beweisvereitelung zu vermeiden. Ein treuwidriges Verhalten der Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer ist daher nicht ersichtlich.
Es liegt somit kein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung vor.
Das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs dürfte zudem zu verneinen sein.
Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers und beruht auf den §§ 611, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB und dient dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Danach ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser seine Beschäftigung verlangt. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch hat dann zurückzutreten, wenn der Beschäftigung des Arbeitnehmers überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Der Arbeitgeber ist nicht gehalten, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwürdige Interessen zu fördern. Deshalb ist eine Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Feststellung, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers schutzwürdig ist und überwiegt, erforderlich2.
Es spricht viel dafür, dass aktuell das Interesse der Arbeitgeberin, den Arbeitnehmer derzeit nicht weiter zu beschäftigen, dessen Beschäftigungsinteresse überwiegt. Die Untersuchungen der vom Aufsichtsrat eingesetzten Rechtsanwaltskanzlei J. D. sind noch nicht abgeschlossen. Allerdings hat die Arbeitgeberin glaubhaft dargelegt, dass mit einem Zwischenbericht in absehbarer Zeit zu rechnen sei; nach der Hoffnung der Arbeitgeberin bereits Ende August 2016, wobei sie zutreffend darauf hingewiesen hat, dass sie hierauf keinen Einfluss hat. Es ist zu erwarten, dass in diesem Zwischenbericht weitergehende Informationen enthalten sein werden, die den Arbeitnehmer entweder belasten oder entlasten. Unter Abwägung des Interesses des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung und des Interesses der Beklagten, jeden Verdacht der Einflussnahme oder Beweisvereitelung zu vermeiden, ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer eine herausgehobene und am Unternehmenserfolg beteiligte Managementposition bekleidet. In dieser hat er – vergleichbar einem leitenden Angestellten – eine gesteigerte Loyalitätspflicht gegenüber den unternehmerischen Interessen der Arbeitgeberin. Von daher kann von ihm erwartet werden, bis zur Vorlage des Untersuchungsberichts der Kanzlei J. D. die Freistellung zu akzeptieren.
Die Frage eines Verfügungsanspruchs braucht indessen nicht abschließend beantwortet zu werden, da es bereits an einem Verfügungsgrund fehlt.
Arbeitsgericht Heilbronn, Urteil vom 4. August 2016 – 5 Ga 3/16; 21 SaGa 1/16