Eine vorweggenommene Abmahnung kann nur dann eine konkrete Abmahnung nach vorheriger Tatbegehung entbehrlich machen, wenn der Arbeitgeber diese bereits in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung ausspricht, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Sicht eines besonnenen Arbeitgebers als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden kann.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und bei Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht1.212.
Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind2. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen3.
Gemessen an diesen Voraussetzungen war die Arbeitgeberin im hier vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein entschiedenen Fall nicht berechtigt, das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers fristlos zu kündigen. Die Arbeitgeberin wirft dem Arbeitnehmer vor, er habe sowohl am 03.03.2016 als auch am 03.05.2016 gegen das Verbot, Dienstfahrzeuge zu privaten Zwecken zu nutzen, verstoßen. Weder die einzelnen Vertragsverstöße noch die Summe derselben rechtfertigen vorliegend eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 abs. 1 BGB.
Im vorliegenden Fall geht allersding auch das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein davon aus, dass der Arbeitnehmer gegen das Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen verstoßen hat. Es handelt sich hierbei um die Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese Pflicht dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks4. Auch die Verletzung solcher vertraglicher Nebenpflichten kann je nach der Art der Nebenpflicht und dem damit verbundenen Schutzinteresse des Arbeitgebers und dem Schweregrad der Verletzung einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellen.
Der Arbeitnehmer hat vorliegend gegen das ausdrücklich erklärte Verbot, Dienstfahrzeuge für private Zwecke zu benutzen verstoßen. Er hat es als Dienststellenleiter zumindest zugelassen, dass ein Bundesfreiwilligendienstleistender am 03.03.2016 mit einem Dienstfahrzeug ein privates Sakko für ihn aus der Reinigung abholt und am 03.05.2016 hat er sich von einem Auszubildenden mit einem Dienstfahrzeug von dem Dienstort K. aus von seinem Wohnort in S. abholen und nach Dienstschluss wieder zurückfahren lassen. Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass diese vom Arbeitnehmer initiierten Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass private Fahrten mit Dienstfahrzeugen gerade nicht absolut verboten waren, vorliegend nicht unter irgendeinen Erlaubnistatbestand fielen. Dies behauptet der Arbeitnehmer auch nicht. Insbesondere hatte der Arbeitnehmer am 03.05.2016 keinen Bereitschaftsdienst im arbeitsrechtlichen Sinne. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Arbeitnehmer auch außerhalb seiner Dienstzeiten von den Mitarbeitern der verschiedenen Dienststellen telefonisch kontaktiert worden ist. Er kann sich mithin nicht auf den Erlaubnistatbestand des Absatzes vier der Verpflichtungserklärung vom 08.04.2014 berufen. Da die Arbeitgeberin ein fundamental berechtigtes Interesse daran hat, dass die Dienstfahrzeuge jederzeit für dienstliche Zwecke zur Verfügung stehen und damit gerade nicht privat genutzt werden, ist der Verstoß gegen das Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen und damit die Verletzung dieser konkreten Nebenpflicht an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
Allerdings verstieß vorliegend die außerordentliche Kündigung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es war der Arbeitgeberin aus der Sicht eines besonnen agierenden Arbeitgebers gerade nicht unzumutbar, den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Vielmehr hätte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung abmahnen müssen.
Beruht die Vertragspflichtverletzung – wie vorliegend – auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann5. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist6.
Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin handelt es sich bei den Pflichtverletzungen vom 03.03.2016; und vom 03.05.2016 auch nicht um derart schwerwiegende Verstöße gegen das Verbot der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen, dass dem Arbeitnehmer von vornherein hätte bewusst sein müssen, dass es der Arbeitgeberin keinesfalls zumutbar war, das Arbeitsverhältnis mit ihm fortzusetzen.
Dies gilt insbesondere für den Vorfall vom 03.03.2016. Die Arbeitgeberin ist dem klägerischen Vortrag, dass der Bundesfreiwilligendienstleistende das private Sakko des Arbeitnehmers auf dem Rückweg einer Dienstfahrt ohne nennenswerten Umweg abgeholt hat, auch in der zweiten Instanz nicht entgegengetreten. Es handelte sich mithin nicht um eine ausschließlich zu privaten Zwecken getätigte Dienstfahrt des Bundesfreiwilligendienstleistenden. Dass der Arbeitgeberin infolge des durch den Arbeitnehmer verursachen privaten Umweges, den der Bundesfreiwilligendienstleistende gemacht hat, irgendein Schaden entstanden ist, ist weder von der Arbeitgeberin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Hieran ändert auch die Vorgesetztenfunktion des Arbeitnehmers nichts. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer möglicherweise seine Vorgesetztenstellung ausgenutzt hat, um Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen für sich durchführen zu lassen, macht nicht jedweden Verstoß gegen die Verpflichtungserklärung vom 08.04.2016 gleichsam zu einem derart schwerwiegenden Verstoß, dass es der Arbeitgeberin auch ohne vorherige Abmahnung von vornherein nicht zumutbar ist, ihn weiter zu beschäftigen. Bei dem Vorfall vom 03.03.2016 hat die Kammer bereits Zweifel daran, ob dieser Verstoß überhaupt „an sich“ geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Verpflichtungserklärung vom 08.04.2014 gerade kein absolutes Verbot jedweder privaten Nutzung der Dienstfahrzeuge enthält. Vielmehr enthält diese Verpflichtungserklärung sowohl im vierten Absatz als auch im fünften und damit letzten Absatz Ausnahmen, nach denen unter bestimmten Umständen Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen toleriert werden. Wenn anlässlich einer Dienstfahrt ein kurzer privater Stopp oder kleiner Umweg gemacht wird, um eine kurze private Angelegenheit zu erledigen, verstößt dies ersichtlich nicht gegen den Sinn und Zweck des hier in Rede stehenden Verbotes, d. h. der Sicherstellung, dass die Dienstfahrzeuge jederzeit für dienstliche Einsätze zur Verfügung stehen.
Aber auch der aus Sicht der Kammer wesentlich gravierendere Vorfall vom 03.05.2016 ist nicht derart schwerwiegend, dass es der Arbeitgeberin schlechterdings auch ohne vorherige Abmahnung nicht zuzumuten war, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Arbeitnehmer das Dienstfahrzeug sowohl in zeitlicher als auch in quantitativer Hinsicht in nicht unerheblichem Umfang für private Zwecke eingesetzt hat. Im Falle des Arbeitnehmers zählen diese Fahrten zum Dienst und wieder nach Hause (Wegezeiten) im Unterschied zu Dienstreisezeiten unstreitig nicht zur Arbeitszeit und sind mithin ausschließlich der privaten Sphäre zuzurechnen. Es ist indessen nicht ersichtlich, dass infolge der vom Arbeitnehmer veranlassten Privatfahrten am 03.05.2016 dienstlich erforderliche Fahrten gerade mit diesem Fahrzeug nicht hätten durchgeführt werden können oder dass ein anderes Dienstfahrzeug für erforderlich werdende Dienstfahrten nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Die Arbeitgeberin hat nicht vorgetragen, dass es überhaupt aufgrund der strittigen Privatfahrten am 03.05.2016 zu konkreten Störungen im Betriebsablauf gekommen ist oder solche Störungen zumindest zu befürchten gewesen sind. Der Vorfall vom 03.05.2016 erweist sich mithin nicht als eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Arbeitgeberin nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer aus der ex ante Sicht erkennbar – ausgeschlossen war. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Arbeitnehmer diese Privatfahrten allein deshalb initiiert hat, um zum Dienst zu kommen. Es macht aus Sicht der Kammer einen Unterschied, ob die verbotenen Privatfahrten mit Dienstfahrzeugen einen dienstlichen Bezug – wie vorliegend – in Form von sogenannten Wegezeiten haben oder ausschließlich privaten Interessen (Ausflugs- oder Urlaubszeiten) dienen. Der Schweregrad der Pflichtverletzung und damit die Beurteilung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hängen mithin auch maßgeblich von der Art der Privatfahrt ab. Zwar rechtfertigen weder das defekte Privatauto des Arbeitnehmers noch der Umstand, dass aufgrund des vorangegangenen Urlaubs viel Arbeit auf den Arbeitnehmer wartete, die verbotenen Privatfahrten am 03.05.2016; denn der Arbeitnehmer hätte auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Dienst gelangen können. Die Reparatur seines privaten Autos ist allein seine Privatangelegenheit. Vorliegend kann aber nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Arbeitnehmer aus S. hat abholen und nach Dienstschluss wieder hat zurückfahren lassen, um in K. seinen Dienst ausüben zu können. Die Privatnutzung des Dienstfahrzeugs hatte mithin einen dienstlichen Bezug. Vor diesem Hintergrund war auch die nicht geringfügige Privatnutzung eines Dienstfahrzeugs nicht derart schwerwiegend, dass es der Arbeitgeberin schlechterdings nicht mehr zumutbar war, das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fortzusetzen. Vielmehr hätte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer vor Ausspruch der fristlosen Kündigung zuvor abmahnen müssen.
Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Arbeitnehmer eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung dienen lassen. Hierfür spricht auch nicht, dass der Arbeitnehmer im vorliegenden Prozess die beiden privat veranlassten Fahrten mit einem Dienstfahrzeug aus seiner Sicht zu rechtfertigen versucht hat. Der Arbeitnehmer hat in seinen Schriftsätzen lediglich sachlich auf die Umstände hingewiesen, die zu den strittigen Privatfahrten führten und warum aus seiner Sicht sein Verhalten kein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung darstellte. Dem Prozessverhalten des Arbeitnehmers kann indessen nicht entnommen werden, dass der Arbeitnehmer im Falle einer Abmahnung gleichwohl wieder in gleicher Weise Dienstfahrzeuge für private Zwecke einsetzen würde.
Unstreitig hat die Arbeitgeberin gegenüber dem Arbeitnehmer noch gar keine Abmahnung wegen irgendeiner Vertragsverletzung ausgesprochen, geschweige denn ihn wegen einer gleichartigen Pflichtverletzung abgemahnt.
Bei Pflichtverletzungen, die auf steuerbarem Verhalten beruhen, begründet der Ausspruch einer infolge einer Pflichtverletzung ausgesprochenen konkreten Abmahnung im Wiederholungsfalle in der Regel die negative Prognose. Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise konkrete Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfalle seien Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Mit der Abmahnung soll der Arbeitnehmer an die ordnungsgemäße Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten erinnert (Hinweisfunktion) und vor Konsequenzen bei weiterem Fehlverhalten gewarnt werden (Warnfunktion).
Eine sogenannte vorweggenommene Abmahnung durch Aushang am „Schwarzen Brett“, Rundschreiben oder im Arbeitsvertrag, mit welchem der Arbeitgeber darauf hinweist, dass er ein bestimmtes, näher bezeichnetes Verhalten nicht duldet und für den Fall der Pflichtwidrigkeit die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ankündigt, genügt grundsätzlich nicht den Anforderungen einer Abmahnung7. Die vorweggenommene Abmahnung enthält lediglich den generellen Hinweis des Arbeitgebers, dass bestimmte, in der Regel genau bezeichnete Pflichtverletzungen, zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen von einer Ermahnung bis hin zur fristlosen Kündigung führen können. Die von einer vorweggenommenen Abmahnung ausgehende Warn- und Hinweisfunktion ist nicht vergleichbar mit derjenigen, die von einer konkreten förmlichen Abmahnung ausgeht. Dies wird auch daran deutlich, dass mit zunehmender Dauer und beanstandungsloser Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Warnfunktion einer Abmahnung an Gewicht verliert. So kann es nach einer längeren Zeit einwandfreier Führung einer erneuten Abmahnung bedürfen, bevor eine verhaltensbedingte Kündigung wegen einer erneuten gleichartigen Pflichtverletzung gerechtfertigt wäre8. Anders als bei einer förmlichen Abmahnung kann im Anschluss an eine vorweggenommene Abmahnung in der Regel gerade nicht davon ausgegangen werden, dass bei einer danach begangenen erneuten Pflichtverletzung eine negative Prognose gegeben ist9. Eine solche vorweggenommene Abmahnung kann eine Abmahnung nach Tatbegehung ausnahmsweise dann ersetzen, wenn sich die Pflichtverletzung letztlich unter Berücksichtigung des vorweggenommenen Fingerzeigs als beharrliche Arbeitsverweigerung herausstellt10.
Auch wenn man davon ausgeht, dass in Absatz 3 Satz 1 der Verpflichtungserklärung vom 08.04.2014 eine sogenannte vorweggenommene Abmahnung enthalten ist, ist im vorliegenden Falle eine auf die konkret begangenen Pflichtverletzungen vom 03.03.2016 und 03.05.2016 bezogene Abmahnung gerade nicht entbehrlich. Unter Berücksichtigung der Wertungen des § 323 Abs. 2 BGB i. V. m. § 314 Abs. 2 BGB sind an die Anforderungen der Entbehrlichkeit einer förmlichen Abmahnung aufgrund einer vorweggenommenen Abmahnung strenge Anforderungen zu stellen11. Eine vorweggenommene Abmahnung kann nur dann eine konkrete Abmahnung nach Tatbegehung ersetzen, wenn der Arbeitgeber diese bereits in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung ausspricht, sodass die dann tatsächlich zeitnah folgende Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Sicht eines besonnenen Arbeitgebers als beharrliche Arbeitsverweigerung angesehen werden muss.
Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor. Von einer negativen Prognose hätte nur dann ausgegangen werden können, wenn der Auszubildende die Arbeitgeberin bereits am 02.05.2016 von der Anweisung des Arbeitnehmers, ihn aus S. mit dem Dienstfahrzeug abzuholen, unterrichtet hätte, und die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer unverzüglich nochmals unter konkreten Hinweis auf den Inhalt des Absatzes 3 der Verpflichtungserklärung vom 08.04.2014 verboten hätte, sich mit einem Dienstfahrzeug am 03.05.2016 von zu Hause aus zum Dienst in K. abholen zu lassen und der Arbeitnehmer in Ansehung dieser erneuten Warnung gleichwohl am 03.05.2016 gegen das strittige Verbot verstoßen hätte. Weder der Vorfall vom 03.03.2016 noch derjenige vom 03.05.2016 können als beharrliche Arbeitsverweigerung gewertet werden.
Dementsprechend hat die außerordentliche Kündigung vom 11.05.2016 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht fristlos beendet.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aber auch nicht aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 19.05.2016 zum 30.06.2016.
Die auf die gleichen Kündigungsgründe gestützte verhaltensbedingte ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 LSGchG sozial ungerechtfertigt. Auch die streitgegenständliche ordentliche Kündigung verstößt vorliegend gegen den das Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 S 1 LSGchG eine Kündigung „bedingt“, gilt ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob ein bestimmter Arbeitgeber meint, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, und ob er weiterhin hinreichendes Vertrauen in einen Arbeitnehmer hat. Es kommt vielmehr darauf an, ob dem Kündigenden die Weiterbeschäftigung – bei der ordentlichen Kündigung auch über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus – aus der Sicht eines objektiven und verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zumutbar ist oder nicht12.
Vor Ausspruch der ordentlichen Kündigung vom 19.05.2016 hätte die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer abmahnen müssen. Auch bei der Prognoseentscheidung gemäß § 1 Abs. 2 LSGchG gilt, dass es vor Ausspruch einer auf steuerbares Verhalten gestützten ordentlichen Kündigung einer vorherigen Abmahnung nur dann nicht bedarf, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar ‑ausgeschlossen ist13.
Diese Voraussetzungen zum Verzicht einer vorherigen Abmahnung liegen hier indessen nicht vor. Insoweit kann und soll zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe unter Ziff. I. 1. verwiesen werden. Die ordentliche Kündigung vom 19.05.2016 hat das Arbeitsverhältnis mangels sozialer Rechtfertigung nicht zum 30.06.2016 beendet.
Landesarbeitsgericht Schleswig ‑Holstein, Urteil vom 29. Juni 2017 – 5 Sa 5/17
- BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 651/13, Rn. 13; 21.11.2013 – 2 AZR 797/11, Rn. 15, BAGE 146, 303[↩]
- BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10, Rn. 27, juris; BAG, Urteil vom 16.12.2010 – 2 AZR 485/08, Rn. 24[↩]
- BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, Rn. 34[↩]
- BAG, Urteil vom 08.05.2014 – 2 AZR 249/13, Rn.19 juris[↩]
- BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 186/11, Rn. 22[↩]
- BAG, Urteil vom 25.10.2012 – 2 AZR 495/11, Rn. 17[↩]
- Schaub/Linck, ArbR-Hdb, 15. Aufl., § 132, Rn. 18[↩]
- BAG, Urteil vom 19.07.2012 – 2 AZR 782/11, Rn.20, juris; BAG. Urteil vom 02.11.2016 – 10 AZR 596/15, Rn. 10[↩]
- LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2012 – 12 Sa 697/12[↩]
- LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 21.10.1997 – 4 Sa 707/97[↩]
- LAG Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2012 – 12 Sa 697/12, Rn. 53[↩]
- BAG, Urteil vom 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, Rn. 34[↩]
- BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 284/10, Rn. 35[↩]