Fristlose Kündigung, keine Weiterbeschäftigung – und der Steuerschaden des Arbeitnehmers

Die (Weiter)Beschäftigungspflicht wird aus § 611 (nunmehr § 611a Abs. 1), §§ 613, 242 BGB hergeleitet, wobei die Generalklausel des § 242 BGB durch die Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG ausgefüllt wird1. Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten dürfen.

Fristlose Kündigung, keine Weiterbeschäftigung – und der Steuerschaden des Arbeitnehmers

Es bestehen daher für das Bundesarbeitsgericht aufgrund dieses Schutzzwecks Bedenken, ob Schadensersatzansprüche für etwaig entgangene Steuervorteile auf eine Verletzung der (Weiter)Beschäftigungspflicht gestützt werden können2.

Eine Verpflichtung der Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer unabhängig von einer Beschäftigungspflicht aus steuerlichen Gründen einen Aufenthalt im Ausland (hier: in Turkmenistan) zu ermöglichen, folgt nicht aus dem Arbeitsvertrag. Dies ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen Abreden nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen bzw. vorformulierte Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB geltenden Grundsätzen. Diese Grundsätze finden Anwendung, weil es sich bei den Regelungen des Arbeitsvertrags jedenfalls um vorformulierte Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt. In Anwendung dieser Grundsätze ist den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen keine Verpflichtung der Arbeitgeberin zu entnehmen, dem Arbeitnehmer unabhängig von einer Beschäftigungspflicht – zB durch eine förmliche Einladung – einen Aufenthalt in Turkmenistan zu ermöglichen, um eine Steuerpflicht des Arbeitnehmers in Deutschland nach Art. 12 Abs. 2 DBA-UdSSR 1981 zu vermeiden.

Zwar hatten die Parteien im Arbeitsvertrag Abreden getroffen, nach denen sich der Arbeitnehmer bei störungsfreiem Verlauf des Arbeitsverhältnisses regelmäßig länger als 183 Tage in Turkmenistan aufgehalten hätte, mit der Folge, dass sein Arbeitsentgelt nach Art. 12 Abs. 2 DBA-UdSSR 1981 dort und nicht in Deutschland zu versteuern gewesen wäre und dies auf Kosten der Arbeitgeberin. So hatten die Parteien unter Nr. 2.1 und Nr. 2.4 des Arbeitsvertrags vereinbart, dass Einsatzort des Arbeitnehmers A in Turkmenistan sowie der jeweilige Ort der Lagerstätten in Turkmenistan ist. Nach Nr. 3.02.1 sollte der Arbeitnehmer im ersten Jahr in einem Turnus von fünf Wochen „on the job“ und drei Wochen „off the job“ tätig werden. In den folgenden Jahren sollte der Turnus vier Wochen „on the job“ und drei Wochen „off the job“ sein. Der Jahresurlaub sollte mit dem jeweiligen Turnus abgegolten sein. Auch hatten die Parteien unter Nr. 4.2 des Arbeitsvertrags vereinbart, dass die im jeweiligen Ausland anfallenden Steuern – insbesondere die Einkommensteuer – „zusätzlich“ von der Arbeitgeberin „direkt abgeführt“ werden und dass der Arbeitnehmer darüber für die deutsche Einkommensteuer einen entsprechenden schriftlichen Nachweis erhält. Damit hatte sich die Arbeitgeberin arbeitsvertraglich verpflichtet, die im Ausland anfallenden Steuern zu tragen.

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Gleichwohl ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag keine Verpflichtung der Arbeitgeberin, dem Arbeitnehmer auch ohne eine Beschäftigungspflicht einen Aufenthalt in Turkmenistan zu ermöglichen, um ihm die Vorteile einer Besteuerung seines Arbeitsentgelts in Turkmenistan sowie einer Zahlung der Steuern durch die Arbeitgeberin zu verschaffen.

Die Arbeitgeberin hatte sich im Arbeitsvertrag nur verpflichtet, die im jeweiligen Ausland anfallenden Steuern auf das Gehalt, insbesondere die Einkommensteuer direkt abzuführen und damit zu tragen. Sie wollte danach nur dann verpflichtet sein, die Steuerlast zu tragen, wenn das Einkommen – hier nach Art. 12 DBA-UdSSR 1981 – im Ausland und nicht in Deutschland zu versteuern war. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die Parteien im Arbeitsvertrag keine Nettolohnabrede des Inhalts getroffen haben, dass die Arbeitgeberin im Innenverhältnis zum Arbeitnehmer sämtliche auf das Arbeitsentgelt entfallenden Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung trägt, auch soweit sie in Deutschland anfallen. Nettolohnvereinbarungen sind die Ausnahme und müssen deshalb einen entsprechenden Willen klar erkennen lassen3. Eine Übernahme von Steuern durch die Arbeitgeberin regelt der Arbeitsvertrag jedoch nur, soweit diese im Ausland anfallen. Nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sollte daher der Arbeitnehmer grundsätzlich das Risiko tragen, dass sein Arbeitseinkommen deshalb nicht in Turkmenistan versteuert werden konnte, weil nicht alle Voraussetzungen für eine solche Besteuerung der Vergütung nach § 12 DBA-UdSSR 1981 erfüllt wurden.

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Für die Zeit ab dem Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 16.09.2011 in dem Kündigungsrechtsstreit scheitert ein Anspruch des Arbeitnehmers aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits daran, dass eine Pflichtverletzung der Arbeitgeberin nicht ursächlich für den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Schaden war. Zwar wäre die Arbeitgeberin ab dem Zeitpunkt des stattgebenden Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf im Kündigungsschutzprozess am 16.09.2011 verpflichtet gewesen, den Arbeitnehmer zu beschäftigen und hätte ihm deshalb eine förmliche Einladung zukommen lassen müssen. Allerdings könnte der Arbeitnehmer von der Arbeitgeberin nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB nur den durch die Pflichtverletzung verursachten Schaden ersetzt verlangen. Einen solchen Schaden macht der Arbeitnehmer jedoch nicht geltend. Selbst wenn die Arbeitgeberin den Arbeitnehmer ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf in dem Kündigungsschutzprozess wieder in Turkmenistan beschäftigt hätte, wäre das Arbeitsentgelt nach Art. 12 Abs. 2 DBA-UdSSR 1981 in Deutschland zu versteuern gewesen. Der Arbeitnehmer hätte sich auch in diesem Fall im Jahr 2011 nicht mehr als 183 Tage in Turkmenistan aufgehalten, weil er bereits Mitte Februar 2011 aus Turkmenistan ausgereist war. Vor diesem Hintergrund kann auch hier dahinstehen, ob eine Verletzung der Pflicht zur Weiterbeschäftigung überhaupt geeignet wäre, Schadensersatzansprüche für entgangene Steuervorteile zu begründen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31. März 2022 – 8 AZR 207/21

  1. BAG 27.02.1985 – GS 1/84, zu C I 2 der Gründe, BAGE 48, 122; BAG 27.05.2020 – 5 AZR 247/19, Rn. 23, BAGE 170, 311[]
  2. BAG 19.10.2000 – 8 AZR 20/00, zu III 1 b cc der Gründe; vgl. auch 24.06.2015 – 5 AZR 462/14, Rn. 34 f., BAGE 152, 65[]
  3. BAG 23.09.2020 – 5 AZR 251/19, Rn. 11 mwN[]
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