Fristlose Kündigung – und der Annahmeverzug

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.

Fristlose Kündigung – und der Annahmeverzug

In dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall war der Arbeitnehmer seit dem 16. August 2018 bei der Arbeitgeberin als technischer Leiter beschäftigt und hat 5.250,00 Euro brutto monatlich verdient. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 sprach die Arbeitgeberin eine fristlose Änderungskündigung aus, mit der sie dem Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsvertrag als Softwareentwickler gegen eine auf 3.750,00 Euro brutto monatlich verminderte Vergütung anbot. Weiter heißt es in dem Kündigungsschreiben, „im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“. Der Arbeitnehmer lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 14. Dezember 2019 das Arbeitsverhältnis erneut und zwar „außerordentlich zum 17.12.2019 um 12:00 Uhr MEZ“. Ferner wies sie darauf hin, „im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung“ erwarte sie den Arbeitnehmer „am 17.12.2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Arbeitsantritt“. Dem leistete der Arbeitnehmer nicht Folge. In dem von ihm anhängig gemachten Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben.

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Nachdem die Arbeitgeberin für den Monat Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 Euro brutto zahlte und der Arbeitnehmer erst zum 1. April 2020 ein neues Arbeitsverhältnis begründen konnte, hat er Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs erhoben, mit der er die Zahlung des arbeitsvertraglich vereinbarten Gehalts abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes bis zum Antritt der neuen Beschäftigung verlangt. Er hat gemeint, die Arbeitgeberin habe sich im Streitzeitraum aufgrund ihrer unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden. Eine Weiterbeschäftigung bei der Arbeitgeberin zu geänderten oder auch den ursprünglichen Arbeitsbedingungen sei ihm, sofern die Arbeitgeberin dies überhaupt ernsthaft angeboten habe, nicht zuzumuten gewesen. Die Arbeitgeberin habe ihm zur Begründung ihrer fristlosen Kündigungen in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Sie habe ihrerseits geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei ihr unzumutbar. Dagegen hat die Arbeitgeberin gemeint, sie habe sich nicht im Annahmeverzug befunden, weil der Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses nicht bei ihr weitergearbeitet habe. Der Arbeitnehmer sei selbst von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen, weil er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Sächsische Landesarbeitsgericht die Berufung des Arbeitnehmers zurückgewiesen1. Es hat angenommen, der Arbeitnehmer habe trotz der unwirksamen Kündigungen der Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung, weil er das Angebot der Arbeitgeberin, während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe. Der Arbeitnehmer sei deshalb nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB gewesen.

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Die hiergegen gerichtete, vom Bundesarbeitsgericht nachträglich zugelassene Revision des Arbeitnehmers war nun erfolgreich:

Die Arbeitgeberin befand sich aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedurft hätte, entschied das Bundesarbeitsgericht. Weil die Arbeitgeberin selbst davon ausging, eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers sei ihr nicht zuzumuten, spricht wegen ihres widersprüchlichen Verhaltens eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie dem Arbeitnehmer kein ernstgemeintes Angebot zu einer Prozessbeschäftigung unterbreitete.

Die abweichende Beurteilung durch das Landesarbeitsgericht beruht auf einer nur selektiven Berücksichtigung des Parteivortrags und ist schon deshalb nicht vertretbar.

Darüber hinaus lässt die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Arbeitnehmers im Sinne des § 297 BGB schließen. Es käme lediglich in Betracht, dass er sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen lassen müsste. Das schied im Streitfall jedoch aus, weil dem Arbeitnehmer aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigungen erhobenen Vorwürfe und der Herabwürdigung seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Arbeitgeberin nicht zuzumuten war.

Dem steht nicht entgegen, dass der Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt hat. Dieser Antrag war auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet. Nur wenn der Arbeitnehmer in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten. Hier ging es indes um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung. Es macht einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess gleichsam „rehabilitiert“ in den Betrieb zurückkehren kann.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. März 2023 – 5 AZR 255/22

  1. Sächs. LAG 01.11.2021 – 1 Sa 330/20[]