Fristwahrung mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs – und die nicht eingebettete Schriftart

Es fehlt nicht an der Formwirksamkeit eines elektronischen Dokuments, wenn nicht sämtliche Schriftarten eingebettet sind.

Fristwahrung mittels des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs – und die nicht eingebettete Schriftart

Mithin ist es unerheblich, dass die Klägerin die Berufung und Berufungsbegründung zwar in kopier- und durchsuchbarer Form eingereicht hat, nicht jedoch sämtliche Schriftarten eingebettet waren. Denn für die Anforderung, dass auch die Schriftarten eingebettet sind, fehlt die erforderliche wirksame Rechtsgrundlage.

Nach § 130a Abs. 2 ZPO aF muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen. Das ist durch die ERVV aF geschehen. Nach ihrem § 2 Abs. 1 ist das elektronische Dokument in druckbarer, kopierbarer und – soweit technisch möglich – durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF zu übermitteln; soweit dadurch bildliche Darstellungen nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, ist auch eine Übermittlung im Format TIFF zulässig. Nach Satz 3 der Regelung müssen diese Formate den nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF bekanntgemachten Versionen entsprechen. § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF ermächtigt die Bundesregierung, die maßgeblichen Versionen dieser Dateiformate bekanntzumachen. Dabei regelt § 5 Abs. 2 ERVV aF, welche technischen Anforderungen zugrunde zu legen und zu beachten sind. Im Übrigen verhält sich die Verordnung zum Dateinamen (§ 2 Abs. 2), zur Beifügung eines strukturierten maschinenlesbaren Datensatzes (§ 2 Abs. 3 iVm. § 5 Abs. 1 Nr. 2), zu den Höchstgrenzen im Rahmen der Übermittlung (§ 3 iVm. § 5 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 4) sowie zu Fragen der Signatur (§ 4 iVm. § 5 Abs. 1 Nr. 5).

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Rechtlich einschlägig waren bei Ablauf der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist die Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 20181 und daran anschließend die Elektronischer-Rechtsverkehr-Bekanntmachung 20192. Während sich die ERVB 2018 mit den maßgeblichen Dateiversionen, der Höchstbegrenzung sowie Fragen der Signatur befasst, behandelt die ERVB 2019 in Nr. 1 ergänzend den notwendigen Inhalt übermittelter Dateien und bestimmt dort in Satz 1, dass hinsichtlich der zulässigen Dateiversion „alle für die Darstellung des Dokuments notwendigen Inhalte (insbesondere Grafiken und Schriftarten) in der Datei enthalten sein“ müssen.

Als Grundlage für das Erfordernis der Einbindung der Schriftart kann daher nur Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 herangezogen werden. Weder in § 130a ZPO aF noch in der ERVV aF sind Vorgaben enthalten, die sich auf die Einbettung der Schriftart beziehen. Das unterscheidet dieses Erfordernis möglicherweise von den Anforderungen nach der ERVB 2018 und ihren sonstigen Ergänzungen in der ERVB 2019, denen man mit guten Gründen einen rein deklaratorischen Charakter zusprechen könnte.

Die ERVB 2019 kann – selbst wenn man sie als Rechtsnorm ansähe – nicht die erforderliche Rechtsgrundlage für das Erfordernis der Einbettung aller Schriftarten liefern.

Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) leitet sich ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ab. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Diese Grundsätze gelten nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens3. Nur durch eine wirksame Rechtsnorm dürfen deshalb Anforderungen an den Zugang zum Gericht oder einer höheren Instanz gestellt werden. Dafür kommen nur förmliche Gesetze und auf gesetzlicher Grundlage beruhende Rechtsverordnungen in Betracht4.

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Wenn der Gesetzgeber die Exekutive zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, steht es dieser daher auch nicht frei, sich ohne ausdrückliche Ermächtigung hierzu von den in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten materiellen oder formellen Anforderungen ganz oder teilweise durch eine Selbstermächtigung zu entbinden oder eine Ermächtigung zu einer anderen Regelungsform als durch Rechtsnorm etwa einer Verwaltungsvorschrift vorzusehen. Dies führte sonst zu einer wesentlichen formellen Änderung gegenüber der ursprünglichen Ermächtigungsgrundlage5. Die Anforderungen an die Veröffentlichung für Rechtsverordnungen (vgl. Art. 82 Abs. 1 Satz 2 GG) und das Zitiergebot (Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG) sind unverzichtbar. Sie erst ermöglichen es dem Bürger, sich darüber zu informieren, was rechtens sein soll, und zu prüfen, ob eine Regelung von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist6. Beim Erlass von Verwaltungsvorschriften gelten diese Anforderungen dagegen nicht zwingend.

Diese Grundsätze werden durch die Vorgaben der Zivilprozessordnung und des Arbeitsgerichtsgesetzes bestätigt und durch das Erfordernis einer bundesrechtlichen Rechtsgrundlage für das Prozessrecht ergänzt. Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die konkurrierende Zuständigkeit auf dem Gebiet des Verfahrensrechts und damit sowohl für die Zivilprozessordnung als auch das Arbeitsgerichtsgesetz. Die Zivilprozessordnung findet nach § 3 EGZPO auf alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor den ordentlichen Gerichten Anwendung. Die Vorschrift schreibt die alleinige Geltung der ZPO für alle bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten vor, die iSv. § 13 GVG und den besonderen Zuweisungen vor die ordentlichen Gerichte gehören7. § 14 EGZPO schreibt zudem vor, dass die prozessrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, deren Entscheidung in Gemäßheit des § 3 EGZPO nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung zu erfolgen hat, außer Kraft treten, soweit nicht in der Zivilprozessordnung auf sie verwiesen oder soweit nicht bestimmt ist, dass sie nicht berührt werden. Soweit spezielle Anordnungen aber fehlen, sieht Abs. 1 die Anwendung der ZPO vor7. § 46 Abs. 2 ArbGG überträgt diesen Grundsatz unter Beachtung der dort geregelten Besonderheiten in das arbeitsgerichtliche Verfahren. Es gilt daher das Kodifikationsprinzip: Durch ZPO und Arbeitsgerichtsgesetz ist das gerichtliche Verfahren abschließend geregelt, soweit nicht wirksame bundesrechtliche Rechtsvorschriften eine anderweitige Regelung zulassen. Für die Setzung von Landesrecht ist danach kein Raum (Art. 72 Abs. 1 GG; vgl. BVerfG 25.03.2021 – 2 BvF 1/20 ua., Rn. 160, BVerfGE 157, 223). Weder die Exekutive noch die Bundesländer können daher ohne ausdrückliche bundesrechtliche Ermächtigungsgrundlage Zivilprozessrecht setzen.

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Als nicht förmliches Gesetz kann und muss die ERVB 2019 vom entscheidenden Gericht auf ihre Wirksamkeit überprüft werden (Umkehrschluss aus Art. 100 Abs. 1 GG)8.

Die Vorschrift der Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 stellt keine wirksame gesetzliche Regelung in diesem Sinne dar und ist damit unverbindlich. Selbst wenn es sich bei ihr um eine Rechtsverordnung handeln sollte, entspräche sie nicht den in Art. 80 GG festgelegten Voraussetzungen.

Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG bedarf es, wenn durch Gesetz vorgesehen ist, dass eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung weiter übertragen werden kann, einer Rechtsverordnung. Danach erfordert die Übertragung der im Gesetz angelegten Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung auf einen weiteren Regelungsgeber, dass diese Weiterübertragung durch Verordnung bereits im ermächtigenden Gesetz mit diesem Inhalt vorgesehen ist9. Soweit nach Art. 80 Abs. 2 GG ua. aufgrund bundesgesetzlicher Regelung10 die Zustimmung des Bundesrats zu einer Rechtsverordnung erforderlich ist – wie hier nach § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO aF, ist die Übertragung der Regelungskompetenz, die ein Zustimmungserfordernis des Bundesrats nicht mehr enthält, sog. mitwirkungsabschüttelnde Selbstermächtigung, unzulässig, wenn das ursprünglich ermächtigende Gesetz dies nicht vorsieht11. Das Zustimmungserfordernis wird im Grunde vererbt12. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Ermächtigung durch Verordnung auf die Bundesregierung oder -minister weiter übertragen wird13.

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Das Zustimmungserfordernis darf daher nur unter den Voraussetzungen entfallen, denen der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zugestimmt hat14. Die in Art. 80 Abs. 2 GG vorgesehene grundsätzliche Zustimmungsbedürftigkeit von Verordnungen aufgrund zustimmungspflichtiger Gesetze dient dem Schutz der Mitwirkungsrechte des Bundesrats bei der Setzung von Rechtsnormen. Zustimmungsrechte des Bundesrats sollen nicht durch Delegation der Rechtssetzung auf die Exekutive erlöschen15. Eine Selbstermächtigung durch Selbstentäußerung von Zustimmungsrechten des Bundesrats ist wegen Umgehung der das Zustimmungserfordernis auslösenden Rechtsnorm unzulässig, auch mit der Zustimmung des Bundesrats zur Übertragungsverordnung16.

Damit ist die Weiterübertragung echter Rechtssetzungsbefugnisse auf die Bundesregierung im Zusammenhang mit den Anforderungen an ein elektronisches Dokument nicht vereinbar. Da die ERVV aF nach § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO aF nur mit Zustimmung des Bundesrats erlassen werden konnte, durfte sie nicht im Rahmen ihres § 5 der Bundesregierung überlassen, neue Formerfordernisse aufzustellen.

Danach ist Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 nicht verbindlich, soweit sie eine Einbettung der Schriftart vorsieht. Die Bundesregierung hat – ohne Zustimmung des Bundesrats – mit dieser Bestimmung das Erfordernis aufgestellt, dass in einem elektronischen Dokument alle Schriftarten eingebettet sein müssen. Soweit man dieses Erfordernis überhaupt als durch die Ermächtigung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 ERVV aF gedeckt ansähe – woran schon Zweifel bestehen – wäre diese Übertragung jedenfalls unwirksam.

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Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 25. April 2022 – 3 AZB 2/22

  1. ERVB 2018, BAnz AT 28.12.2017 B2[]
  2. ERVB 2019, BAnz AT 31.12.2018 B3[]
  3. BVerfG 4.09.2020 – 1 BvR 2427/19, Rn. 24 f.[]
  4. vgl. BVerfG 10.07.1958 – 1 BvF 1/58, zu III 3 a der Gründe, BVerfGE 8, 71[]
  5. BFH 24.11.1993 – X R 5/91, zu IV 1 a der Gründe, BFHE 173, 519[]
  6. BFH 24.11.1993 – X R 5/91, zu IV 1 b der Gründe, aaO[]
  7. MünchKomm-ZPO/Gruber 6. Aufl. § 3 EGZPO Rn. 1[][]
  8. zur Inzidentkontrolle einer Rechtsverordnung: Brenner in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 7. Aufl. Art. 80 Rn. 83[]
  9. Dürig/Herzog/Scholz/Remmert GG Stand Juli 2021 Art. 80 Rn. 85[]
  10. zur Möglichkeit der Erweiterung des Erfordernisses der Zustimmung des Bundesrats über die in Art. 80 Abs. 2 GG ausdrücklich genannten Fälle hinaus: Dürig/Herzog/Scholz/Remmert GG Stand Juli 2021 Art. 80 Rn. 175 mwN[]
  11. Kment in Jarass/Pieroth GG 16. Aufl. Art. 80 Rn. 27; Dürig/Herzog/Scholz/Remmert GG Stand Juli 2021 Art. 80 Rn. 85, 159; Sannwald in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke GG 15. Aufl. Art. 80 Rn. 103[]
  12. Kment in Jarass/Pieroth GG 16. Aufl. Art. 80 Rn. 27[]
  13. Dürig/Herzog/Scholz/Remmert GG Stand Juli 2021 Art. 80 Rn. 159 mit Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes[]
  14. BVerfG 1.04.2014 – 2 BvF 1/12 ua., Rn. 74, BVerfGE 136, 69[]
  15. BVerfG 1.04.2014 – 2 BvF 1/12 ua. – aaO[]
  16. Bonner Kommentar zum Grundgesetz/Nierhaus Stand Dezember 2021 Art. 80 Rn. 261[]
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