Führung auf Probe – oder: Befristung wegen Erprobung auf einer Führungsposition

Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG liegt ein Sachgrund für die Befristung vor, wenn die Befristung zur Erprobung erfolgt.

Führung auf Probe – oder: Befristung wegen Erprobung auf einer Führungsposition

Die Vorschrift nennt keine zeitliche Vorgabe zur Erprobungsdauer. Allerdings kann der vereinbarten Vertragslaufzeit Bedeutung im Rahmen der Prüfung des Befristungsgrunds zukommen. Sie muss sich am Sachgrund der Befristung orientieren und so mit ihm im Einklang stehen, dass sie nicht gegen das Vorliegen des Sachgrunds spricht. Aus der vereinbarten Vertragsdauer darf sich nicht ergeben, dass der Sachgrund tatsächlich nicht besteht oder nur vorgeschoben ist1. Steht die vereinbarte Dauer der Erprobungszeit in keinem angemessenen Verhältnis zu der in Aussicht genommenen Tätigkeit, trägt der Sachgrund der Erprobung nicht.

Im Allgemeinen werden nach dem Vorbild des § 1 KSchG und der Kündigungsfristenregelung für Kündigungen während der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) sechs Monate als Erprobungszeit ausreichen. Längere Befristungen zur Erprobung aufgrund besonderer Einzelfallumstände sind aber – vorbehaltlich entgegenstehender einschlägiger und für das Arbeitsverhältnis geltender Tarifvorschriften – möglich2.

Einschlägige Tarifverträge können Anhaltspunkte geben, welche Probezeit angemessen ist3.

An dem sachlichen Grund der Erprobung fehlt es hingegen, wenn der Arbeitnehmer bereits ausreichende Zeit bei dem Arbeitgeber mit den von ihm zu erfüllenden Aufgaben beschäftigt war und der Arbeitgeber die Fähigkeiten des Arbeitnehmers hinreichend beurteilen kann4. Ein vorheriges befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitnehmer mit den gleichen Arbeitsaufgaben betraut war, spricht daher regelmäßig gegen den Sachgrund der Erprobung2. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die zu erprobende Tätigkeit höherwertiger ist als die frühere5, andere Anforderungen stellt oder wenn das frühere Arbeitsverhältnis längere Zeit zurückliegt6.

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Danach war in dem hier vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Streitfall die Befristung des Arbeitsvertrags durch den Sachgrund der Erprobung gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht hat bei der Beurteilung der Angemessenheit der Dauer der Befristung zu Recht auf die aufgrund vertraglicher Inbezugnahme anwendbare tarifliche Regelung des § 31 Abs. 1 TV-L zurückgegriffen.

Die Voraussetzungen dieser Tarifnorm liegen vor. Dem Arbeitnehmer wurde eine Führungsposition iSv. § 31 Abs. 1 TV-L übertragen. Bei der Tätigkeit des Geschäftsführers der Fakultät ET IT handelt es sich um eine Führungsposition, da sie in Entgeltgruppe EG 14 TV-L eingruppiert und mit Weisungsbefugnis verbunden ist (§ 31 Abs. 2 TV-L). Die Voraussetzung der Weisungsbefugnis knüpft an das Direktionsrecht des Arbeitgebers an (§ 106 GewO; vgl. APS/Greiner 5. Aufl. TVöD § 31 Rn. 3). Tätigkeiten mit Weisungsbefugnis iSv. § 31 Abs. 2 TV-L sind solche, mit denen die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts für mindestens einen anderen Arbeitnehmer einhergeht7. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verfügt der Arbeitnehmer über Weisungsbefugnisse gegenüber mindestens sieben nachgeordneten Mitarbeitern (den Sekretärinnen des Dekanats, des Bachelorprüfungsamts und des Masterprüfungsamts).

§ 31 Abs. 1 TV-L begrenzt nicht nur die zulässige Befristungsdauer8, sondern sie gestattet eine Befristungsdauer von bis zu zwei Jahren für die Führung auf Probe. Diese tarifvertraglich geregelte Befristungsdauer ist grundsätzlich nicht unangemessen lang9. § 31 Abs. 1 TV-L kann zwar die Befristungsmöglichkeit des § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG nicht zu Lasten der Arbeitnehmer erweitern, § 22 Abs. 1 TzBfG10. Die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen haben jedoch die Vermutung der Angemessenheit für sich11. Aufgrund des Verhandlungsgleichgewichts der Tarifvertragsparteien ist davon auszugehen, dass die vereinbarten tariflichen Regelungen den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln12. Tarifverträge können insoweit Maßstäbe für branchenübliche Abweichungen von der allgemein üblichen Erprobungsdauer von sechs Monaten setzen13. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 1 TV-L noch eine Prüfung der Angemessenheit der Befristungsdauer anhand der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen ist. Auch wenn dies der Fall sein sollte14, ist die Befristung aufgrund der konkreten Umstände des Falls gerechtfertigt.

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Die Beurteilung, ob die vereinbarte Dauer der Erprobungszeit in einem angemessenen Verhältnis zu der in Aussicht genommenen Tätigkeit steht, obliegt den Tatsachengerichten. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nur daraufhin zu überprüfen, ob es den Rechtsbegriff des angemessenen Verhältnisses von Erprobungszeit und in Aussicht genommener Tätigkeit verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat oder die Würdigung in sich widersprüchlich ist15.

Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts hält einer solchen eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung stand. Das Landesarbeitsgericht hat alle relevanten Umstände gewürdigt und ist zu dem – gut vertretbaren – Ergebnis gelangt, dass die nach dem Tarifvertrag mögliche zweijährige Befristungsdauer im Hinblick auf die Tätigkeit als Geschäftsführer der Fakultät ET IT angemessen ist. Die Aufgaben sind nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts qualitativ und quantitativ anspruchsvoll. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter eines Instituts brachte der Arbeitnehmer keine relevanten Kenntnisse und Erfahrungen für diese Aufgaben mit, die eine kürzere Erprobungsdauer geboten hätten. Der Arbeitnehmer hat keine wesentlichen Umstände dargelegt, die das Landesarbeitsgericht bei seiner Würdigung zu Unrecht nicht in Betracht gezogen haben könnte. Er rügt mit seiner Revision letztlich nur, dass das Landesarbeitsgericht zu einem anderen Abwägungsergebnis hätte kommen müssen. Dies ist jedoch aufgrund des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs vom Bundesarbeitsgericht nicht zu kontrollieren.

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Die Tarifvorschrift entspricht entgegen der Ansicht des Arbeitnehmers auch den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 1999/70/EG und der inkorporierten Rahmenvereinbarung, deren Umsetzung der befristungsrechtliche Teil des TzBfG dient, sowie Art. 30 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Aus dem zweiten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung, aus ihren Allgemeinen Erwägungen 6 und 8 sowie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geht hervor, dass feste Beschäftigungsverhältnisse einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen, während befristete Arbeitsverträge nur unter bestimmten Umständen den Bedürfnissen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer entsprechen können16. Die Richtlinie 1999/70/EG und die inkorporierte Rahmenvereinbarung verlangen daher von den Mitgliedstaaten, zur Verhinderung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge entweder sachliche Gründe zu bestimmen, die eine Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse rechtfertigen (§ 5 Nr. 1 Buchst. a Rahmenvereinbarung), oder die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse (§ 5 Nr. 1 Buchst. b Rahmenvereinbarung) oder die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Arbeitsverhältnisse (§ 5 Nr. 1 Buchst. c Rahmenvereinbarung) festzulegen. Entschließt sich ein Mitgliedstaat zu einer dieser Maßnahmen oder zu mehreren, hat er das unionsrechtlich vorgegebene Ziel der Verhinderung des Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zu gewährleisten17. Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, im Rahmen ihrer Zuständigkeit diesem Ziel bei der Auslegung der nationalen Vorschriften Rechnung zu tragen18.

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Danach ist § 31 Abs. 1 TV-L mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Die Regelung soll nicht das in § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 TzBfG geregelte Sachgrunderfordernis beseitigen, was nach § 22 Abs. 1 TzBfG auch nicht zulässig wäre. Die Tarifnorm konkretisiert lediglich für eine Fallgestaltung den Sachgrund der Erprobung. Es handelt sich auch bei der Befristung nach § 31 Abs. 1 TV-L um eine Befristung mit Sachgrund19, sofern nicht aufgrund der Umstände des Einzelfalls von der Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung Gebrauch gemacht wird20.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. November 2019 – 7 AZR 311/18

  1. BAG 25.10.2017 – 7 AZR 712/15, Rn. 12 mwN[]
  2. BAG 2.06.2010 – 7 AZR 85/09, Rn. 16[][]
  3. BAG 25.10.2017 – 7 AZR 712/15, Rn. 12; 2.06.2010 – 7 AZR 85/09, Rn. 16; 15.03.1978 – 5 AZR 831/76, zu I 2 b der Gründe[]
  4. BAG 2.06.2010 – 7 AZR 85/09, Rn. 16; 23.06.2004 – 7 AZR 636/03, zu II 3 a der Gründe; 31.08.1994 – 7 AZR 983/93, zu IV der Gründe; 12.02.1981 – 2 AZR 1108/78, zu B IV 2 b der Gründe[]
  5. BAG 23.06.2004 – 7 AZR 636/03, zu II 3 a der Gründe; vgl. auch BAG 12.02.1981 – 2 AZR 1108/78, zu B IV 2 b der Gründe[]
  6. BAG 25.10.2017 – 7 AZR 712/15, Rn. 12 mwN; ErfK/Müller-Glöge 20. Aufl. TzBfG § 14 Rn. 50[]
  7. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Oktober 2019 § 32 Rn. 22; APS/Greiner 5. Aufl. TVöD § 31 Rn. 3[]
  8. APS/Greiner 5. Aufl. TVöD § 31 Rn. 5; Pawlak/Lüderitz ZTR 2008, 642, 644[]
  9. vgl. APS/Backhaus 5. Aufl. TzBfG § 14 Rn. 263; Fritz in Sponer/Steinherr TVöD Gesamtausgabe Stand Oktober 2019 § 31 Rn. 3; Guth PersR 2015 Heft 5 S. 31; Pawlak/Lüderitz ZTR 2008, 642, 644[]
  10. vgl. APS/Backhaus 5. Aufl. TzBfG § 22 Rn.19, 20[]
  11. vgl. BAG 21.05.2014 – 4 AZR 50/13, Rn. 29 mwN, BAGE 148, 139[]
  12. BAG 17.04.2019 – 7 AZR 410/17, Rn. 30 mwN[]
  13. KR/Lipke 12. Aufl. § 14 TzBfG Rn. 357[]
  14. vgl. KR/Bader 12. Aufl. § 31 TVöD Rn. 5; APS/Greiner 5. Aufl. TVöD § 31 Rn. 7; aA wohl APS/Backhaus 5. Aufl. TzBfG § 14 Rn. 263[]
  15. vgl. zum eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab etwa: BAG 23.01.2019 – 7 AZR 212/17, Rn. 13; 24.08.2016 – 7 AZR 625/15, Rn. 17, BAGE 156, 170[]
  16. vgl. EuGH 25.10.2018 – C-331/17 – [Sciotto] Rn. 31; 14.09.2016 – C-16/15 – [Pérez López] Rn. 27; 26.02.2015 – C-238/14 – [Kommission/Luxemburg] Rn. 36; 26.11.2014 – C-22/13 ua. – [Mascolo] Rn. 73 mwN[]
  17. EuGH 25.10.2018 – C-331/17 – [Sciotto] Rn. 32; 7.03.2018 – C-494/16 – [Santoro] Rn. 26; 26.02.2015 – C-238/14 – [Kommission/Luxemburg] Rn. 37; 26.11.2014 – C-22/13 ua. – [Mascolo] Rn. 74; 26.01.2012 – C-586/10 – [Kücük] Rn. 25 f. mwN; BAG 26.10.2016 – 7 AZR 140/15, Rn. 25, BAGE 157, 141[]
  18. vgl. EuGH 14.09.2016 – C-16/15 – [Pérez López] Rn. 35; 26.11.2014 – C-22/13 ua. – [Mascolo] Rn. 82; 3.07.2014 – C-362/13 ua. – [Fiamingo] Rn. 67; BAG 17.04.2019 – 7 AZR 410/17, Rn. 26[]
  19. vgl. KR/Bader 12. Aufl. § 31 TVöD Rn. 5[]
  20. vgl. dazu Pawlak/Lüderitz ZTR 2008, 642, 644[]
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