Die Übertragung einer Führungsposition auf Zeit unterliegt nicht einer sog. doppelten Billigkeitsprüfung nach § 32 Abs. 3 TVöD-AT.

Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Urteil vom 16.07.20201 erkannt, dass der Arbeitgeber bei der Entscheidung nach dem zu § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-AT wortlautgleichen § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-V, ob er eine den tariflichen Maßgaben entsprechende Stelle als „Führungsposition auf Zeit“ ausweisen und als solche übertragen will, freies Ermessen hat2. Das hat das Bundesarbeitsgericht aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang sowie aus Sinn und Zweck der Tarifnorm geschlussfolgert3. Gleiches gilt hinsichtlich der Entscheidung, ob er einen Arbeitnehmer befristet einstellen oder die Position einem schon bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer übertragen will, dh., ob der Arbeitgeber nach § 32 Abs. 1 oder Abs. 3 TVöD-V vorgehen will4. Entscheidet sich der Arbeitgeber, die Führungsposition auf Zeit intern zu besetzen, hat er aber bei der (Auswahl-)Entscheidung, welchem konkreten (internen) Arbeitnehmer er die Position überträgt, – wie bei § 14 Abs. 1 TVöD-AT – billiges Ermessen zu wahren. Insofern übt der Arbeitgeber sein Direktionsrecht aus4.
Eine Stelle entspricht dann den tariflichen Maßgaben an eine Führungsposition auf Zeit, wenn sie den Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 TVöD-AT genügt. Dieser definiert Führungspositionen als die ab Entgeltgruppe 10 zugewiesenen Tätigkeiten mit Weisungsbefugnis, die vor Übertragung vom Arbeitgeber ausdrücklich als Führungspositionen auf Zeit bezeichnet worden sind. Weitere (ungeschriebene) Tatbestandsmerkmale sind der Norm nicht zu entnehmen und in ihrem Wortlaut auch nicht angelegt. Die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Norm hängt nach dem Willen der Tarifvertragsparteien allein von der Entscheidung und einem daraus resultierenden Verhalten des Arbeitgebers ab5. Daher erfüllt das personalwirtschaftliche Instrument des § 32 TVöD-AT für einen effektiven Personaleinsatz im Führungskräftebereich, das etwaige Schwierigkeiten hinsichtlich der Anschlussverwendung ausschließen soll, auch bei Stellen mit kw-Vermerken seinen Zweck.
Die Frage der Anwendung der zu § 14 TVöD-AT ergangenen Rechtsprechung der sog. doppelten Billigkeitsprüfung und damit der Einhaltung billigen Ermessens bei der Frage, ob die Führungsposition auf Zeit zu Recht befristet übertragen werden konnte, stellt sich im Rahmen des § 32 Abs. 3 TVöD-AT nicht. Zwar erfolgt die Aufgabenübertragung nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm im Wege des Direktionsrechts (§ 106 GewO). Die Führungsposition muss dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber übertragen werden6. Die Frage einer befristeten oder dauerhaften Übertragung im Rahmen des § 32 Abs. 3 TVöD-AT liegt aber nicht in der Entscheidungshoheit des Arbeitgebers, sondern ist von den Tarifvertragsparteien bereits selbst durch eine entsprechende Ausgestaltung dieser Tarifnorm festgelegt worden (§ 106 Satz 1 Halbs. 2 GewO). Für eine Leistungsbestimmung durch den Arbeitgeber nach billigem Ermessen (§ 106 GewO iVm. § 315 BGB) ist insoweit kein Raum. § 32 Abs. 3 TVöD-AT bildet damit – anders als § 14 TVöD-AT7 – nicht nur die „institutionelle Grundlage“ für die Möglichkeit, im Rahmen des Direktionsrechts eine bestimmte Tätigkeit zu übertragen, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat, und regelt damit nicht nur deren Vergütung. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags.
Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 TVöD-AT können Führungspositionen iSd. § 32 Abs. 2 TVöD-AT als befristetes Arbeitsverhältnis bis zur Dauer von vier Jahren vereinbart und bis zu einer Gesamtdauer von acht (Entgeltgruppen 10 bis 12) bzw. zwölf Jahren (Entgeltgruppe 13) höchstens zwei- bzw. dreimalig verlängert werden. Die vorübergehende Übertragung einer Führungsposition an einen bereits vorhandenen Beschäftigten nach § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-AT kann „bis zu den in Absatz 1 genannten Fristen“ erfolgen. Der Tarifvertrag sieht daher selbst, sowohl in § 32 Abs. 1 als auch in Abs. 3 TVöD-AT, ausschließlich eine befristete Übertragung der Führungsposition vor. Dies entspricht auch der Bezeichnung des personalwirtschaftlichen Instruments des § 32 TVöD-AT als Führung „auf Zeit“ sowie dessen Sinn und Zweck als personalwirtschaftlichem Instrument für einen effektiven Personaleinsatz im Führungskräftebereich8.
Aufgrund dieser tariflichen Ausgestaltung entscheidet sich mit der im freien Ermessen des Arbeitgebers liegenden Ausweisung einer Stelle als Führungsposition auf Zeit iSd. § 32 TVöD-AT zugleich, dass dies nur im Rahmen der tarifvertraglich vorgesehenen Fristen, in keinem Fall aber dauerhaft geschieht. § 32 TVöD-AT eröffnet dem Arbeitgeber keine Wahlmöglichkeit, ob er die Führungsposition befristet oder dauerhaft übertragen will, sondern gibt die befristete Übertragung ebenso wie die höchstzulässige Dauer der Übertragung vor. Eine Kontrolle dieser Entscheidung am Maßstab billigen Ermessens unter Heranziehung der von der Rechtsprechung zu § 14 Abs. 1 TVöD-AT entwickelten Grundsätze der sog. doppelten Billigkeitsprüfung hinsichtlich ihrer zweiten Stufe, dh. darauf, ob die nur vorübergehende Übertragung als Ausnahme zu der im Zusammenspiel mit der Tarifautomatik als Regelfall anzusehenden dauerhaften Übertragung billigem Ermessen entspricht, findet bei § 32 Abs. 3 TVöD-AT nicht statt. Die Interessenabwägung haben die Tarifvertragsparteien mit der Bestimmung selbst vorgenommen und dem Interesse des Arbeitgebers für die in dieser Norm festgeschriebenen Zeiträume den Vorrang eingeräumt.
Nach diesen Maßstäben ist die lediglich befristete Aufgabenübertragung an die Arbeitnehmerin nicht zu beanstanden, sondern Konsequenz der Anwendung des § 32 Abs. 3 Satz 1 TVöD-AT. Ob der Arbeitgeber die Entscheidung, die tarifvertraglich vorgegebenen Fristen auszuschöpfen oder hinter diesen zurückzubleiben („bis zur Dauer von vier Jahren“, „bis zu einer Gesamtdauer von acht/zwölf Jahren“), nach freiem Ermessen treffen darf oder insoweit an billiges Ermessen gebunden ist, braucht das Bundesarbeitsgericht vorliegend nicht zu entscheiden. Die Arbeitgeberin hat sich sowohl bei der erstmaligen Übertragung der Aufgaben der Sachgebietsleitung, als auch bei deren Verlängerung im Rahmen der tarifvertraglichen Vorgaben gehalten und dabei den vom Tarifvertrag vorgesehenen zeitlichen Rahmen vollständig ausgeschöpft. Der Arbeitnehmerin sind diese Aufgaben daher nicht dauerhaft übertragen.
Mangels dauerhafter Übertragung der Aufgaben der Sachgebietsleitung hat die Arbeitnehmerin im hier entschiedenen Fall zudem weder einen Anspruch auf eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 11 Stufe 5 TVöD (Bund) noch auf eine Verzinsung der Bruttonachzahlungsbeträge.
Das Bundesarbeitsgericht braucht vorliegend nicht entscheiden, ob der vorzeitige Entzug der Aufgaben der Sachgebietsleitung rechtswirksam erfolgte und ob die Maßnahme der Arbeitgeberin in Ausübung ihres Direktionsrechts am Maßstab des § 315 BGB zu messen ist oder als „actus contrarius“ zur Ausweisung einer Stelle als Führungsposition auf Zeit im freien, nur auf Willkür zu überprüfenden Ermessen des Arbeitgebers liegt. Weder der vorzeitige Aufgabenentzug als solcher noch die Weiterzahlung der Zulage sowie des Zuschlags nach § 32 Abs. 3 Satz 2 TVöD-AT über den 30. Juni 2019 hinaus sind Gegenstand der Klageanträge der Arbeitnehmerin oder in diesen als Minus enthalten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. Oktober 2021 – 6 AZR 9/21
- BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, BAGE 171, 297[↩]
- das übersehen Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrick TVöD Teil B 1 § 32 Stand Juli 2021 Rn. 16[↩]
- BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 26 ff., aaO[↩]
- BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 28, aaO[↩][↩]
- vgl. BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 27, BAGE 171, 297[↩]
- vgl. BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 28, BAGE 171, 297[↩]
- vgl. BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 23 mwN, aaO[↩]
- vgl. BAG 16.07.2020 – 6 AZR 287/19, Rn. 23, BAGE 171, 297[↩]